1.132.6 (ma12p): 6. Deutsch-spanischer Handelsvertrag.

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6. Deutsch-spanischer Handelsvertrag.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft berichtete über die Angelegenheit5 und beantragte zu beschließen, daß

a)

seitens der Regierung erklärt werde, der Spanisch-Deutsche Handelsvertrag werde nicht ratifiziert werden6.

b)

im Falle der Ablehnung von a) das Deutsch-Spanische Handelsabkommen mit dreimonatiger Frist zu kündigen sei,

c)

im Falle der Ablehnung von a) und b) die deutsch-französischen Verhandlungen über Weinzollfragen solange auszusetzen seien, bis der Reichstag zu dem Deutsch-Spanischen Handelsvertrag Stellung genommen habe.

Der Botschafter Langwerth v. Simmern wies darauf hin, daß das Deutsch-Spanische Handelsabkommen mit allen erforderlichen Formalitäten und Vollmachten abgeschlossen worden sei und die deutsche Regierung jetzt nicht von diesem Vertrage zurücktreten könne. Ein Rücktritt vertrage sich nicht mit dem Grundsatze der Vertragstreue und werde Deutschland bei Abschluß der weiteren Handelsverträge außerordentlich schaden. Außerdem sei er der Meinung, daß die ganze Sache noch nicht spruchreif sei. Der Vertrag müsse sich erst einmal auswirken; wenn er sich dann tatsächlich als untragbar erweise, sei für die Kündigung eine ganz andere Grundlage gegeben.

Ministerialdirektor Brecht gab die Erklärung ab, daß der Reichsminister des Innern sich weder für noch gegen eine Kündigung entschieden habe.

Der Reichswirtschaftsminister schloß sich den Ausführungen des Botschafters Langwerth v. Simmern an. Sachlich bestände kein Grund für eine Aufhebung des Handelsabkommens. Die Industrie habe ein außerordentliches Interesse an dem Fortbestehen. Die Frage der angeblichen Untragbarkeit für den Weinbau sei noch nicht sicher geklärt. Die Interessenvertretung des Weinbaues sei in der Bekämpfung auch nicht gradlinig vorgegangen. Während sie sich zunächst gegen die Höhe der Zollsätze gewandt habe, lege sie jetzt größeren Wert auf die Regelung des weißen Verschnittweines. Vielleicht ergebe sich eine Möglichkeit, mit Spanien über die Neuregelung der Zollsätze zu sprechen, wenn Spanien selbst mit Wünschen z. B. bezüglich der Traubenmaische an Deutschland herantrete.

Der Reichsminister des Auswärtigen sprach sich ebenfalls gegen die Kündigung des spanischen Handelsabkommens aus. Er wies darauf hin, daß der Unterausschuß für Ernährung und Landwirtschaft des Reichswirtschaftsrats[1141] sich für die Ratifikation des spanischen Handelsvertrages ausgesprochen habe. Die Ansichten über die Frage der Überschwemmung mit spanischem Wein seien sehr geteilt. Ein Zurücktreten von dem Handelsabkommen sei für das Kabinett unmöglich. Es müsse anderenfalls die Konsequenzen daraus ziehen. Vorläufig käme nur ein Abwarten in Betracht.

Staatssekretär Joel erklärte, daß eine Zurückziehung der Vorlage nach Auflösung des Reichstags nicht mehr in Betracht komme, sondern nur die Frage, ob die Vorlage dem neuen Reichstag erneut vorgelegt werden solle. Eine völkerrechtliche Bindung, den Vertrag zur Ratifikation zu bringen, bestehe nach dem Wortlaut des Vertrages für die Regierung nicht, wohl aber eine moralische Bindung. Er empfehle, die Entscheidung über den Vertrag dem Reichstag zu überlassen.

Der Reichsminister der Finanzen beurteilte sachlich die Auswirkung des spanischen Handelsvertrags, besonders mit Rücksicht auf die für Frankreich in Aussicht genommene Meistbegünstigung, sehr ernst. Andererseits müßte größter Wert darauf gelegt werden, ausländische Absatzmärkte für Deutschland zu schaffen. Bei der außerordentlich weit vorgeschrittenen Industrialisierung der Welt müsse jede Gelegenheit dazu ausgenutzt werden. Von seinem Ressortstandpunkt aus sei die Lage allerdings rechtlich kaum länger haltbar. Es herrsche die größte Verwirrung, da er nicht in der Lage sei, eine endgültige Erklärung über die Behandlung der gestundeten Zollbeträge abzugeben7. Falls das spanische Handelsabkommen aufrechterhalten bliebe, müsse er den Antrag stellen, zu erwägen, ob nicht die Ratifikation ohne Beteiligung des Reichstags herbeigeführt werden könne.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft widersprach der Auffassung, daß die Frage der Auswirkung des spanischen Handelsabkommens noch nicht spruchreif sei. Dem Weinbau gehe es so schlecht wie nur irgend möglich. Der Interessenvertretung des Weinbaues könne man bezüglich der Art der Bekämpfung des Abkommens keinen Vorwurf machen. Auch jetzt noch stehe die Frage der Zollsätze im Vordergrund. Die Rückwirkung auf Frankreich werde ganz enorm sein. Der Beschluß des Unterausschusses des Reichswirtschaftsrates sei nicht maßgeblich. Diesem Unterausschuß habe bei der betreffenden Sitzung ein einziger Landwirt angehört.

Der Reichskommissar Schmid erklärte im Auftrage des Reichsministers für die besetzten Gebiete, dem Standpunkte des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft beizutreten, und zwar besonders auch wegen der innenpolitischen Seite der Angelegenheit.

Der Antrag des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft, eine Erklärung abzugeben, daß der Vertrag nicht ratifiziert werde, wurde gegen zwei Stimmen abgelehnt. Desgleichen der Antrag, daß der Vertrag mit dreimonatiger Frist gekündigt werde. Über den dritten Antrag des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft wurde kein Beschluß gefaßt. Die Angelegenheit soll am Freitag, den 31. Oktober 1924 im Zusammenhang mit der Berichterstattung[1142] über die Deutsch-Französischen Handelsvertragsverhandlungen erörtert und entschieden werden8.

Gegen den Antrag des Reichsministers der Finanzen, den spanischen Handelsvertrag ohne den Reichstag zu ratifizieren, wandte sich das gesamte Kabinett.

Staatssekretär Meissner erklärte, daß für eine Anwendung des Artikel 48 die Voraussetzungen nicht vorlägen. Der Herr Reichspräsident werde auch, besonders mit Rücksicht darauf, daß der spanische Handelsvertrag sehr umstritten sei, einem eventuellen Wunsch des Kabinetts, auf Grund des Artikel 48 den Vertrag in Kraft zu setzen, nicht entsprechen.

Der Reichsminister der Finanzen zog darauf seinen Antrag auf Abstimmung über die Angelegenheit zurück9.

Fußnoten

5

In einer Kabinettsvorlage des REM vom 24. 10. wird u. a. ausgeführt: Aus Eingaben des Weinbaus und sonstigen Unterlagen gehe hervor, daß die Gestehungskosten des Weinbaus im Vergleich zur Vorkriegszeit erheblich gestiegen, die Weinpreise hingegen nicht unbeträchtlich gesunken seien. Das Sinken der Weinpreise sei, wie absolut feststehe, fast ausschließlich auf den Wettbewerb der zu geringen Zollsätzen hereinkommenden Auslandsweine zurückzuführen. Bei längerer Aufrechterhaltung des dt.-span. Handelsabkommens wäre „das Schicksal des dt. Weinbaues besiegelt“. „Ich kann daher nur immer wieder betonen, daß der mit Spanien geschlossene modus vivendi alsbald gekündigt werden muß, nicht zuletzt auch aus dem Grunde, weil es anderenfalls vollkommen ausgeschlossen ist, bei den laufenden Verhandlungen mit Frankreich und den kommenden mit Italien irgendwie erträgliche Bedingungen für den dt. Weinbau zu erzielen.“ (R 43 I /117 , gefunden in R 43 I /1117 , Bl. 124f). Gegen diesen Antrag legt der RWiM mit Schreiben vom 28. 10. an sämtliche RM Einspruch ein. Die RReg. habe das Abkommen mit Spanien in voller Kenntnis der entgegenstehenden Bedenken genehmigt und den gesetzgebenden Körperschaften zur Annahme unterbreitet (vgl. Dok. Nr. 281, P. 3). Sollte die RReg. jetzt, nach Auflösung des RT und vor einer Klärung der politischen Lage, die Ratifizierung des Abkommens durch Zurückziehung der Gesetzesvorlage verhindern und das Abkommen kündigen, so würde ein solcher Schritt weder im Ausland noch im Inland verstanden werden. Das Vertrauen des Auslands in die Zuverlässigkeit der dt. Politik würde erschüttert, andererseits würden die hoffnungsvollen Ansätze zu einer Ausweitung des Exports in das für dt. Waren aufnahmewillige Spanien vernichtet. „In hunderten von Eingaben und dringenden Vorstellungen haben Industrie und Handel die RReg. gebeten, alles zu tun, daß das dt.-span. Handelsabkommen so bald wie möglich ratifiziert wird.“ Der Weinbau, der es verstanden habe, seine Interessen mit äußerster Schärfe in den Vordergrund zu rücken, könne durch Sparsamkeit, Kreditaufnahme und vermehrten Anbau edlerer Sorten seine Lage verbessern. Im übrigen sei der Weißweinzoll nach dem dt.-span. Abkommen um 50% höher als vor dem Krieg. Falls es in den Verhandlungen insbesondere mit Frankreich gelinge, die Weinzölle auf einer höheren Basis festzulegen, müsse allerdings der dt.-span. Vertrag bald nach der Ratifizierung gekündigt werden, wenn Spanien nicht zu Zugeständnissen bereit sei (R 43 I /1117 , Bl. 143-149).

6

Am 27. 10. hatte das AA der Rkei ein Rechtsgutachten über das dt.-span. Abkommen übersandt. Danach habe die Erklärung, daß es nicht zur Ratifizierung kommen werde, die sofortige Auflösung des als Modus vivendi in Kraft gesetzten Abkommens zur Folge. Bei einer Kündigung trete das Abkommen gemäß Art. 9 nach drei Monaten außer Kraft (R 43 I /1117 , Bl. 140-142).

7

Vgl. dazu Dok. Nr. 266, P. 2 und Dok. Nr. 268.

8

S. Dok. Nr. 347, P. 1.

9

Das dt.-span. Handelsabkommen vom 25. 7. bleibt auch in der Folgezeit als Modus vivendi in Kraft. Die Auseinandersetzungen um die Ratifizierung des Abkommens gehen im Kabinett Luther weiter.

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