2.149 (ma31p): Nr. 149 Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über Mitteilungen des Reichsministers des Auswärtigen aus Genf. 11. Dezember 1926

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Nr. 149
Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über Mitteilungen des Reichsministers des Auswärtigen aus Genf. 11. Dezember 19261

R 43 I /421 , Bl. 171–172

[Stand der Verhandlungen in Genf.]

1.15 Uhr nachm. rief mich Herr Reichsminister Stresemann aus Genf an und teilte mir mit, daß er soeben aus der 11-Uhr-Sitzung der Locarno-Mächte zurückkomme2. Man habe sich auf folgende Punkte geeinigt:

1. Die Militärkontrollkommission werde zum 31. Januar 1927 zurückgezogen.

2. Bezüglich der beiden noch ausstehenden Punkte (Festungsfrage u. Frage betreffend Ausfuhr von Kriegsgerät) soll entsprechend dem Berliner Kabinettsbeschluß3 nicht sofort ein Schiedsgericht eingesetzt werden, sondern die diplomatischen Verhandlungen über diese Fragen sollen weitergehen. Allgemein sei die Erwartung ausgesprochen worden, daß nach allseitiger Prüfung der beiden Probleme neue Vorschläge gemacht werden sollten, die eine Fortführung der geplanten diplomatischen Diskussion ermöglichten. Falls aber diese diplomatischen Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen sollten, soll ein Schiedsgericht in Tätigkeit treten. Welches Schiedsgericht dies sein soll, ist noch nicht endgültig beschlossen worden, da gegen das Locarno-Schiedsgericht gewisse Bedenken geäußert worden seien. Man denke jetzt an eine Instanz, die eigens für diese Zwecke im gegenseitigen Benehmen noch gebildet werden soll, oder an das allgemeine Schiedsgericht im Haag.

[433] 3. In der Investigationsfrage sei alles durchgesetzt, und der Berichterstatter, der italienische Delegierte Scialoja, werde heute in der öffentlichen Sitzung4 eine Erklärung abgeben, die nach den vorangegangenen Formulierungen von [den] Herren Gaus und Fromageot sich mit der Auffassung unserer Note5 durchaus decke. Insbesondere beziehe sich diese Einigung auf die Beseitigung der éléments stables. Investigation nur auf Grund Völkerbundsbeschlusses und mit deutscher Einwilligung von Fall zu Fall6.

4. Weniger gut sei die Saarangelegenheit gelaufen, und zwar im wesentlichen wegen Zeitmangels. Es sei geplant gewesen, an Stelle der zurückzuziehenden Militärposten zwei Eisenbahner-Bataillone von Streckenarbeitern einzusetzen. Es seien aber Bedenken aufgetaucht, ob diese Regelung nicht tatsächlich für die Saar ungünstiger als der bisherige Zustand sei. Dieser Punkt sei daher übereinstimmend auf den März vertagt worden. Dagegen werde wohl bis dahin erreicht werden, die Truppenzahl zu vermindern7.

5. Auf Grund dieses Ergebnisses sei nunmehr mit dem Schluß der Konferenz für heute nachmittag 5 Uhr zu rechnen. Die Engländer führen bereits heute abend ab. Die Deutsche Delegation wahrscheinlich morgen mittag oder nachmittag. Herr Reichsminister Stresemann reist sofort nach Berlin durch und[434] steht von Montag [13. 12.] abend ab in Berlin zur Verfügung. Über den gegenwärtigen Stand der innenpolitischen Krise habe ich ihn erneut orientiert.

gez. Dr. Pünder

Fußnoten

1

Auch abgedr. in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 252.

2

Siehe die Aufzeichnung über eine Unterredung zwischen Stresemann, Chamberlain, Briand, Vandervelde, Scialoja und Ishii am 11.12.26, 11 Uhr in Genf, in: ADAP, a.a.O., Dok. Nr. 251.

3

Siehe Dok. Nr. 148 am Schluß.

4

Sitzung des Völkerbundsrats.

5

Note des RAM Stresemann an den Generalsekretär des Völkerbundes vom 12.1.26; siehe Dok. Nr. 136, Anm. 2.

6

Das Investigationsprotokoll, das am 11.12.26 vom Völkerbundsrat einstimmig angenommen wurde, lautet: „In Erwiderung auf gewisse Fragen, die von der Deutschen Regierung hinsichtlich der vom Völkerbundsrat am 27. September 1924 und am 14. März 1925 angenommenen Regeln gestellt worden sind, trifft der Rat folgende Feststellungen:

I. Der Völkerbundsrat entscheidet gemäß Artikel 213 des Vertrages von Versailles durch Mehrheitsbeschluß, ob es in einem konkreten Falle notwendig ist, zu einer Investigation zu schreiten; er hat alsdann Gegenstand und Grenze der Investigation zu spezifizieren. Die Investigationskommissionen handeln unter der Autorität und nach den Weisungen des Völkerbundsrates, der mit Mehrheit beschließt.

II. Um eine wirksame Investigation zu ermöglichen, hat sich die Investigationskommission an die von der Deutschen Regierung bezeichneten Vertreter oder deren Beauftragte zu wenden, denen es obliegt, unverzüglich die Mitwirkung der nach der deutschen Gesetzgebung zuständigen Verwaltungs-, Gerichts- und Militärbehörde herbeizuführen. Alsdann wird im beiderseitigen Einvernehmen zu den Nachforschungen und Feststellungen geschritten, welche die Kommission in den Grenzen ihrer Aufgabe für zweckmäßig hält.

III. Die Bestimmung, wonach die Angehörigen der dem Investigationsrecht unterworfenen Staaten nicht Mitglieder der Investigationskommissionen sein können, ist so zu verstehen, daß die Angehörigen des Staates, auf dessen Gebiet zu einer Investigation geschritten wird, niemals Mitglieder der zu dieser Investigation schreitenden Komission sein sollen.

IV. Es besteht Einverständnis darüber, daß die Bestimmungen des Artikels 213 des Friedensvertrages mit Deutschland über die Investigationen auf die entmilitarisierte Rheinlandzone in gleicher Weise wie auf die übrigen Teile Deutschlands anwendbar sind; diese Bestimmungen sehen für diese Zone ebenso wenig wie für andere Gebiete die Einrichtung einer besonderen Kontrolle durch ständige und dauernde lokale Elemente vor. In der entmilitarisierten Rheinlandzone können derartige besondere, nicht in Artikel 213 vorgesehene Elemente nur durch ein Abkommen zwischen den beteiligten Regierungen eingerichtet werden.

V. Die Feststellungen der vorstehenden Absätze I, II und III finden natürlich auch in dem Falle der Artikel 159 des Vertrages von St. Germain, 143 des Vertrages von Trianon und 104 des Vertrages von Neuilly Anwendung.“ (WTB-Meldung vom 11.12.26, R 43 I /421 , Bl. 176; siehe auch Schultheß 1926, S. 497).

7

Zur Behandlung der Saartruppenfrage auf der 43. Tagung des Völkerbundsrats siehe die Aufzeichnung des Gesandtschaftsrats Voigt vom 14.12.26, in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 264.

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