2.94.1 (mu11p): Denkschriften.

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Denkschriften.

Reichskanzler Müller teilt mit, daß wir in einer Zwischennote erklärt hätten, wir sähen davon ab, auf dem Notenwege präzisierte Vorschläge zu machen, diese würden vielmehr in Spa erfolgen1.

Zu den drei Denkschriften bittet er, etwaige Ausstellungen im einzelnen der Reichskanzlei oder dem Auswärtigen Amte mitzuteilen2.

In Betreff der weiteren Handhabung schlage er vor, die Denkschriften mit einer Begleitnote kurz vor der Konferenz den alliierten Mächten zu überreichen. Falls die Konferenz von Spa vertagt würde3, so sei zu überlegen, ob man mit der Überreichung länger warten solle. In der folgenden Woche müsse das Kabinett sich dann mit der Frage beschäftigen, welche Vorschläge im einzelnen zu machen seien.

Reichsminister der JustizBlunck hält die Bonnsche Denkschrift für etwas gröber als die der Sachverständigen, sie sei aber für eine Veröffentlichung sehr geeignet. Er schlage noch vor, auch die Rückgabe der Kolonien wenigstens in Mandatsform in sie aufzunehmen4.

[234] Ministerialdirektor von Simson hält es für empfehlenswert, vor der Konferenz nur die Denkschrift der Sachverständigen, nicht aber die der Regierung als Material zu überreichen. Werde auch die Regierungsdenkschrift überreicht5, so nehme man damit schon vorher Stellung; dies sei bedenklich, wie auch aus den englischen Ministerreden hervorgehe. Wenn wir jetzt von einer Revision sprächen, so würde dadurch Lloyd George in eine schwierige Situation kommen6. Die „Voraussetzungen“ kämen aber sachlich auf eine Revision hinaus. Das gelte insbesondere von Oberschlesien und den Liquidationserlösen7. Er halte für richtiger, die Regierungsdenkschrift zurückzustellen, bis wir in Spa seien.

Staatssekretär Albert kann sich dieser Ansicht nicht anschließen. Es sei unerträglich, wenn die Regierung nicht selber Stellung nähme. Die Darlegungen der Mantelnote seien nötig, um die Vorwürfe der Nichterfüllung des Vertrags zu widerlegen, ferner auch als Unterlage für die Debatte. Für empfehlenswert halte er, die Denkschrift so auszugestalten, daß es wirklich eine Mantelnote sei.

Staatssekretär Boyé muß sich der Ansicht des Herrn von Simson anschließen. Es würde ein politischer Fehler sein, wenn wir vor der Konferenz mit einer amtlichen Äußerung hervorträten. In dieser Richtung bewegten sich auch die Winke, die wir von beachtenswerten Stellen bekommen hätten.

ReichsverkehrsministerBauer hält es nicht für glücklich, mit der Darlegung dessen lange zurückzuhalten, was wir tatsächlich leisten könnten. Man habe bereits schwere Vorwürfe gegen uns erhoben, weil wir uns nie geäußert hätten. Auch die Neutralen seien erstaunt, daß wir nie gesagt hätten, was Deutschland tatsächlich leisten könne. Er bedauere, daß wir die Frist vom 10. Mai hätten verstreichen lassen. In der Konferenz wären wir doch genötigt zu sprechen. Würde Millerand hierbei überrumpelt, so würde die französische Presse einen solchen Lärm schlagen, daß die Konferenz gefährdet sei. Die öffentliche Meinung des Auslandes müsse sich an den Gedanken gewöhnen, daß phantastische Zahlungen nicht möglich seien. Der zu erwartende Sturm würde sich austoben.

[235] ReichskanzlerMüller weist darauf hin, daß wir den Termin vom 10. Mai nicht verwirkt hätten, denn in der San Remo-Note seien wir ausdrücklich aufgefordert, präzise Vorschläge in Spa zu machen8.

Reichsminister der Finanzen Dr. Wirth bezweifelt, ob man die Stimmung der breiten französischen Masse beeinflussen kann. Wesentlich sei, daß wir die feindlichen Staatsmänner nicht schon gefesselt an den Verhandlungstisch brächten. Diese Gefahr läge aber vor, wenn wir schon vorher losschlügen. Die feindlichen Wirtschaftler würden auch Schwächen in den Denkschriften entdecken, daher solle man nicht eine wochenlange wirtschaftliche Kritik herausfordern; er halte es daher für unrichtig, die Denkschriften vorher zu überreichen.

Professor Bonn befürchtet, daß wenn wir nur die Sachverständigen-Denkschrift vorher überreichten, die Regierungsdenkschrift aber erst auf der Konferenz, man uns Hinterhältigkeit vorwerfen werde.

Reichsminister Dr. David warnt davor, das endlich möglich gewordene mündliche Verfahren in ein schriftliches umzuwandeln. Schriftliche Vorschläge dürften deshalb nicht gemacht werden, andererseits müßte das Material vorher überreicht werden, damit die alliierten Mächte es prüfen könnten.

Reichsminister der Justiz Dr. Blunck hält es gleichfalls für nötig, das sachliche Material vorher zu überreichen; die feindliche Kritik könnten wir doch nicht vermeiden. Die Bonnsche Denkschrift und die der Sachverständigen ergänzten sich in glücklicher Weise. Man sollte sie möglichst vorher in die Hände der Entente gelangen lassen.

Ministerialdirektor Rauscher: Eine Vorbereitung für Spa sei absolut erforderlich. Die französische Presse suche jetzt bereits, die Meinung der Welt zu beeinflussen; dagegen müßten wir mit Schilderungen der Lage ankämpfen, die die Richtung erkennen ließen, in der die Vorschläge sich halten würden. Er empfehle, die Denkschriften weder zu lange, noch zu kurz vor dem Beginn der Konferenz zu überreichen.

Staatssekretär Hirsch bittet, mit der Überreichung der Denkschriften nicht zu lange zu warten.

Reichswehrminister Dr. Geßler ist gleichfalls der Meinung, daß präzise Vorschläge erst in Spa zu machen, die Unterlagen dagegen aber möglichst bald zu übersenden seien.

Reichsminister des Auswärtigen Dr. Koester hält es für zweckmäßig, Einzelveröffentlichungen wie in der Frage Oberschlesiens und der Besatzungskosten9 schon jetzt zu bringen, wobei es nötig sei, durch Wiederholungen zu wirken. Auf diese Weise müßte man die hochgespannten Hoffnungen der Gegner allmählich abbauen. Er regte an, die Sachverständigen-Denkschrift sofort zu veröffentlichen, aber nur als eine Arbeit von Sachverständigen, damit sie so zur Debatte gestellt würde. Kurz vor der Konferenz sollte man dann die[236] Finanz-Denkschrift und die Bonnsche als Mantelnote dazu überreichen. Vorschläge seien erst in Spa zu machen.

ReichskanzlerMüller hält es für gefährlich, eine Denkschrift vorher hier zu veröffentlichen.

Ministerialdirektor von Simson empfiehlt, alle drei Denkschriften, und zwar die Bonnsche als offizielle Regierungsdenkschrift, mit einer ganz kurzen Mantelnote zu überreichen.

Reichsminister Dr. David hält einen Zeitpunkt 14 Tage vor Konferenzbeginn zur Überreichung für geeignet.

Staatssekretär Albert macht darauf aufmerksam, daß die Form einer Mantelnote durch Anfügung eines entsprechenden Eingangs an die Bonnsche leicht hergestellt werden könne.

Reichsernährungsminister Dr. Hermes billigt den Vorschlag Herrn von Simsons.

Reichsminister des Auswärtigen Dr. Koester sieht folgende zwei Möglichkeiten: entweder die Sachverständigen-Denkschrift vorher zu veröffentlichen und die Bonnsche als Regierungskundgebung vor der Konferenz von Spa zu überreichen, oder aus der Sachverständigen-Denkschrift das heraus zu nehmen, was die Regierung nicht verantworten könne, und die Bonnsche zu einer Note zu „degradieren“.

ReichskanzlerMüller erwidert, daß an der Sachverständigen-Denkschrift nichts mehr geändert werden könne. Er stellt sodann Einverständnis dahin fest, daß Einleitung und Schluß der Bonnschen Denkschrift so zu fassen seien, daß sie als Mantelnote geeignet sei.

Der Reichskanzler erklärt ferner: Wir könnten weder nach Spa, noch zu den Wirtschaftsverhandlungen nach Paris gehen, wenn der Maingau nicht vorher geräumt sei10. Auch hierüber wird Einverständnis festgestellt11.

Fußnoten

1

Namens der deutschen Regierung hatte der Vorsitzende der deutschen Friedensdelegation, Gesandter Göppert, am 8. 5. geschrieben: „En vertu du No. 5 du Protocole de Versailles du 28. juin 1919, le Gouvernement allemand avait l’intention de se prononcer, dans le délai qui expire le 10 de ce mois, sur le règlement des demandes de réparation faites par les Gouvernements alliés et associés. Entre temps, les Gouvernements alliés, dans leur note du 26 avril dr., ont émie l’avis que les questions ayant trait à l’exécution du Traité de Paix pouraient être résolues plus aisement par un échange des vues entre les Chefs des Gouvernements que par des notes. – Le Gouvernement allemand croit agir en accord avec les intentions des Gouvernements alliés en se proposant de traiter les dites questions lors de la conférence projetée à Spaa. Le material documentaire et statistique pour ces délibérations sera présenté par le Gouvernement allemand avant la réunion de la conference“ (R 43 I /401 , Bl. 205).

2

Bei diesen Denkschriften dürfte es sich handeln um 1. „Die Steuerbelastung in Deutschland“, bearbeitet im RFMin. (abgeschlossen am 30.4.20), 2. „Denkschrift über die Zahlungsfähigkeit Deutschlands für die Wiedergutmachung“ (Bonn-Denkschrift), 3. „Deutschlands wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ (Sachverständigendenkschrift; R 43 I /409 , Bl. 2-14, 274-297, 298-315). Die Sachverständigendenkschrift war in einer Schlußredaktion Vertretern der Wirtschaft und Industrie nochmals am 11. 5. vorgelegt worden. Für diese Besprechung gilt wie für die erste am 23. 4., daß nur die Anwesenheitsliste, aber kein Protokoll ermittelt werden konnte (R 2 /2727 , Bl. 54, 122).

3

S. dazu Dok. Nr. 85.

4

In dieser Hinsicht waren Eingaben der Deutschen Kolonialgesellschaft und des Reichsverbands der Kolonialdeutschen am 30. 4. und 3. 5. erfolgt. (R 43 I /407 , Bl. 3, 7-9).

5

Mit „Regierungsdenkschrift“ wird die Denkschrift Professor Bonns gemeint sein.

6

Das dürfte sich wohl vor allem auf die Reden Lloyd Georges vom 25. 3. und 30.4.20 beziehen (Schultheß II, S. 15 f., 21 ff.).

7

Die hier erwähnten Vorbehalte werden nicht in der Bonn-Denkschrift sondern in der der Sachverständigen zum Ausdruck gebracht. Dort heißt es in einer Zusammenfassung, nachdem die Fragen Oberschlesien und Liquidationen bereits vorher behandelt worden waren, u. a.: „Der Gegenwert der bereits liquidierten und das Eigentum an den noch nicht liquidierten deutschen Rechten und Interessen im Auslande bleibt den Berechtigten zu unmittelbarer Verfügung erhalten. – Noch stärkerer Hervorhebung bedürfen die Erörterungen, die sich auf Oberschlesien beziehen. Sollte wider alles Erwarten die Abstimmung gegen Deutschland ausfallen und Deutschland auf dieses Gebiet trotz der engen wirtschaftlichen und kulturellen Verbundenheit verzichten müssen, so würde der Arbeitszusammenhang der deutschen Volkswirtschaft völlig zerrissen werden. Deutschland würde unter schweren sozialen Notständen, unter beträchtlicher Verminderung der Bevölkerung im Restgebiet, versuchen müssen, zu einem neuen wirtschaftlichen Gleichgewicht unter Auflösung seines industriellen Überbaues zu gelangen. Bei solcher Sachlage würde die Abgabe eines deutschen Angebots zum Zwecke der Wiedergutmachung hinfällig werden müssen, da die Unfähigkeit Deutschlands zu nennenswerten Leistungen ohne Gegenleistung ohnehin für alle Welt erkennbar sein würde“ (R 43 I /409 , Bl. 298-315).

8

S. dazu Anm. 2 zu Dok. Nr. 70.

9

Zu den Besatzungskosten war in der Sachverständigendenkschrift u. a. ausgeführt worden: „Die jetzigen Ausgaben in Höhe von fast 3 Mrd. M. im Jahr erreichen die Annuität, welche die Deutsche Delegation unter vollkommen anderen Voraussetzungen im Mai 1919 als Deutschlands Gesamtleistung angeboten hatte“ (R 43 I /409 , Bl. 298-315).

10

Vgl. Dok. Nr. 91, P. 1.

11

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 115.

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