1.111 (str2p): Nr. 225 Paul Silverberg an den Reichskanzler. Köln, 6. November 1923

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[976] Nr. 225
Paul Silverberg an den Reichskanzler. Köln, 6. November 1923

R 43 I /453 , Bl. 273–2751

[Betrifft: Verhandlung der Braunkohlenindustrie mit der Micum.]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Nachdem die Verhandlungen, die seitens des Ruhrbergbaus und der dortigen Eisenindustrie mit der Mission interalliée de contrôle des usines et mines soweit gefördert waren, daß die hauptsächlichsten Grundlagen feststanden2, haben wir unter dem Zwang der Verhältnisse die gleichen Verhandlungen für das rheinische Braunkohlenrevier mit der genannten interalliierten Stelle aufnehmen müssen3. Auch für das rheinische Braunkohlenrevier haben sich die Verhältnisse so zugespitzt, daß aus Mangel an Absatz und wegen des Anwachsens der angesammelten Bestände einstweilen zwei Feierschichten für die Woche eingelegt werden mußten. Da das Kölner Eisenbahnnetz mit der Eisenbahnregie nicht in Verbindung steht und überdies für Brennstoffe aus unserem Bezirk die Schiffahrt nicht freigegeben ist, wird, wenn eine Änderung der Verhältnisse nicht stattfindet, die Einlegung weiterer Feierschichten in der allernächsten Zeit notwendig werden4. – Unter diesen Umständen,[977] und da von anderer Seite eine Stützung unserer Position nicht mehr erwartet werden konnte, haben wir die Verhandlungen mit der M.I.C.U.M. gestern aufgenommen. Die Forderungen, die seitens der M.I.C.U.M. an uns gestellt wurden, bewegen sich im allgemeinen auf der gleichen Grundlage, wie sie dem Ruhrbergbau gestellt wurden, und wie sie seitens des Ruhrbergbaues im wesentlichen Punkte im Einvernehmen mit der Reichsregierung angenommen wurden. Insbesondere bezüglich der Staatshoheitsrechte, soweit sie Ausflüsse des Besteuerungsrechtes sind, liegt für uns die gleiche Situation vor wie für den Ruhrbergbau5. Über die Frage der Eisenbahnregie und der Schiffahrt wurde von uns nicht verhandelt6.

Unter diesen Umständen darf ich als feststehend annehmen, daß seitens der Reichsregierung dem rheinischen Braunkohlenbergbau die gleichen Vollmachten und Zusagen erteilt werden, wie sie für den Ruhrbergbau seitens der Reichsregierung gegeben worden sind. – Ich bitte Sie, Herr Reichskanzler, mir insbesondere zu bestätigen, daß die Rückendeckung für den zweimal zu zahlenden Teil der Kohlensteuer, für die Beschlagnahme von Beständen und Materialien, für die Reparationslieferungen und für die Entschädigung der in interalliierte Verwaltung und Betrieb genommenen Gruben für uns dieselbe ist, wie sie das Reich dem Ruhrbergbau zugesagt hat7.

[978] Ich darf darum bitten, mir die Bestätigungen für das Ruhrrevier mit den entsprechenden Zusagen der Reichsregierung abschriftlich zugehen lassen zu wollen8.

In ausgezeichneter Hochachtung

Ihr ergebener

Dr. Silverberg

Fußnoten

1

Das Schreiben trägt das Präsentat der Rkei vom 22.11.23. Stresemanns Privatsekretär Bernhard notierte am Kopf des Schreibens, den Ministern Koeth und Luther seien am 10. 11. Abschriften zugeleitet worden (Anschreiben an die Ministerien R 43 I /453 , Bl. 211; dort auch die Notiz Bernhards vom 15.11.23, der Vorgang befinde sich in den Händen des RK).

2

Vorläufige Vereinbarungen waren der Sechserkommission am 3.11.23 übergeben worden, s. dazu Dok. Nr. 229.

3

Verhandlungen zwischen dem Rheinischen Braunkohlensyndikat und der Micum hatten am 3.11.23 in Düsseldorf stattgefunden. Als vorläufiges Ergebnis war notiert worden, daß es ratsam sei, die Franzosen nach ihren Vorstellungen zu fragen, diese entgegenzunehmen und die eigenen Gegenvorstellungen, bei denen die Grubenfreigabe in den Vordergrund zu rücken sei, sich schriftlich bestätigen zu lassen. „Die Franzosen werden verlangen: 1.) An Reparationslieferungen 40 000 t bis 50 000 t monatlich. 2.) An Kohlensteuern für die rückwärtsliegende Zeit 20% auf Grundlage des Versandes von 1921, davon 10% sofortige Auszahlung“. Maßgebend werde die Versandziffer für 1923 sein. Der französischen Forderung nach einer Kohlensteuer von 20% solle mit dem Angebot von 6% begegnet werden, da eine Einigung bei 8% möglich erscheine. „In der weiteren Zukunft wird die Kohlensteuer wahrscheinlich ganz fortfallen und durch eine starke Autosteuer, Steuer auf Branntwein, Tabak abgelöst werden.“ Für notwendig wurde gehalten, die ernste finanzielle Situation der Gruben und die Erfordernis eines Kredits zur Materialbeschaffung zur Sprache zu bringen. Der Ausfuhr ins Ausland und in das unbesetzte Gebiet werde kaum Schwierigkeiten bereitet werden. Der Verhandlungsführer hatte den Eindruck gewonnen, „daß bei unseren Verhandlungen auf der anderen Seite das politische Moment in der englischen Zone und die Lösung der Eisenbahnfrage eine wesentliche Rolle spielen wird“ (BA: NL Silverberg  405, Bl. 19/20).

4

In einem Schreiben an GehR Brecht von der Geschäftsleitung des Reichskohlenverbandes vom 23.10.23 hatte Silverberg bereits geschrieben, welche Probleme neben der Kohlensteuer das Braunkohlensyndikat belasteten: „[…]; wir haben im englisch besetzten Gebiet mit deutschen Eisenbahn- und Papiermarkfrachten zu rechnen; wir haben in den übrigen Rheinlanden die Regie mit Franken-Frachten und dahinter stehend die drohende französische Kohlensteuer; wir rechnen auf dem Rhein mit Guldenfrachten, da wir es nicht wagen können, unsere eigene Flotte aus dem englisch besetzten Gebiet zu entfernen und in Betrieb zu nehmen. Dabei wissen Sie auch, daß große Teile der Rheinlande jetzt schon in allen Lebensbedürfnissen nach französischen Franken rechnen, z. B. die ganze Trierer Gegend, und Sie wissen sehr gut, wo die Schuld liegt, daß es so weit kommen konnte. Dabei müssen Sie bedenken, daß die Konkurrenz gegen alle heimischen Brennstoffe durch die englische Kohle, über deren Preisverhältnisse Sie unterrichtet sind, immer schärfere und stärkere Formen annimmt“ (BA: NL Silverberg  150, Bl. 46).

5

Im Schreiben an GehR Brecht (s. o. Anm. 4) hatte Silverberg eine Ermächtigung des Reichskohlenrats gefordert, daß das Braunkohlensyndikat ohne Bindung über Preise, Lieferungen und Zahlungsbedingungen bestimmen dürfe. Er wollte vermeiden, daß das Braunkohlensyndikat ähnlich wie das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat von den Franzosen wegen Zwangswirtschaft für verhandlungsunfähig erklärt werde. „Ich möchte aber auch nicht unter dem Druck der Entente gezwungen werden, von uns aus deutsche Gesetze zu verletzen und zu erklären, daß wir aus dem Reichskohlenverband austreten“ (BA: NL Silverberg  150, Bl. 45).

6

Vom Rheinischen Braunkohlen-Syndikat wurden am 9.11.23 Verhandlungen „mit dem Dezernenten der Regie-Direktion Düren wegen Aufnahme eines Pendelverkehrs zwischen Stationen des englisch und solchen des französisch besetzten Gebiets“ aufgenommen (BA: NL Silverberg  61, Bl. 1/2). Ein Abkommen wurde erst erzielt, nachdem im Dezember 23 in Mainz Vereinbarungen zwischen der Reichsbahn und der Regie getroffen worden waren (dazu weitere Dokumente in BA: NL Silverberg 61). Als Position des Braunkohlensyndikats im Lauf der weiteren Verhandlungen teilte Silverberg Stinnes am 13. 11. mit: „Wegen der Schiffahrtsfrage habe ich nicht die Transportfrage mit der Kohlenfrage verquickt. […] Wenn wir die Schiffahrtstransportfrage mit der Kohlenfrage verquicken, also als Bergbautreibende bei den Reedern Frachten kaufen, dann fürchte ich, daß die Franzosen sagen, dann könnt ihr auch Frachten bei der Regiebahn kaufen. Was das bedeutet, wenn die Ruhr mit Frankenfrachten Koks und Kohlen gratis nach Trier fährt und dagegen nur die Forderung an das Reich gewinnt, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ich habe den Schwerpunkt der Verhandlungen auf folgendes gelegt und ausgeführt: ‚Wenn sie mit uns zu einem vernünftigen und erfüllbaren Abkommen kommen wollen und bei uns auch den Willen zu einer vernünftigen industriellen Zusammenarbeit fördern wollen, dann müssen sie endlich davon absehen, Privateigentum zu behalten und in irgendeiner Form zu beschlagnahmen. Das gilt für die Gruben, die sie in Regie genommen haben, ebenso wie für die Rheinschiffe; denn es ist ganz ausgeschlossen, wenn sie uns die eine Hand zur Verständigung geben und mit der anderen eine Ohrfeige verabreichen wollen.‘“ Er habe die Frage Frantzen so eindringlich dargelegt, daß dieser davon beeindruckt gewesen sei (BA: NL Silverberg 405, Bl. 36/37).

7

Vgl. hierzu Dok. Nr. 208; Dok. Nr. 212, P. 1; Dok. Nr. 213 u. 218.

8

Trotz wiederholter Anfragen blieb Silverberg zunächst ohne Antwort, so daß er sich am 20.11.23 an Stinnes mit der Bitte wandte, „an zuständiger Stelle“ einen Entscheid herbeizuführen, „da allgemeine und besondere Lage zur Lösung und Entschließung drängt und ich auch für linksrheinisches Revier nicht unabhängig von Reichsregierung zu Vereinbarungen gezwungen sein möchte“ (BA: NL Silverberg  406, Bl. 6). Zur Übermittlung an Silverberg übersandte Vortr.LegR Ritter an Stinnes die erbetene Abschrift der dem Ruhrkohlenbergbau erteilten Zusagen; aber er fügte hinzu, daß mit dem Braunkohlensyndikat ein Sonderabkommen erforderlich sei. „Ich halte es für selbstverständlich, daß von der Kohlenproduktion im englisch besetzten Gebiet Steuern für die zurückliegende und die zukünftige Zeit nicht zu zahlen sind und daß auch die übrigen Nebenbestimmungen des Abkommens zwischen der Sechserkommission und der Micum, wie z. B. über Ausfuhrbewilligungen, Ausfuhrabgaben, Kontrollen, hier nicht gelten, da die französisch-belgischen Besatzungsbehörden in den hauptsächlichen Förderungsgebieten des rheinischen Braunkohlensyndikats nicht tätig sind“ (BA: Nl. Silverberg 406, Bl. 7). Darauf erwiderte Silverberg am 22.11.23 direkt an Ritter, daß ein Sonderabkommen nicht durchführbar sei. „Im übrigen mache ich darauf aufmerksam, daß der Rheinische Braunkohlenbergbau seine Geschäftstätigkeit und insbesondere seine Versendungen nicht auf das britisch besetzte Gebiet beschränken kann und daß die Übernahme der Transporte unserer Erzeugnisse in unser hauptsächliches Absatzgebiet, nämlich das unbesetzte Deutschland und das französische und belgische Okkupationsgebiet sowie die Versendungen auf dem Rhein von Machtverhältnissen abhängig sind, bei denen die Stellungnahme der britischen Behörde nicht in Frage kommt“ (BA: NL Silverberg 406, Bl. 8). Am 26.11.23 teilte der Vertreter des Braunkohlensyndikats in Berlin mit, ihm sei im Wiederaufbauministerium gesagt worden, „daß das Reich dem rheinischen Braunkohlenrevier grundsätzlich die gleiche Rückendeckung gewähre, wie der Ruhr“ (BA: NL Silverberg 406, Bl. 14). Die weiteren Verhandlungen mit der Micum zogen sich bis zum Frühjahr 1924 hin (Unterlagen dazu in BA: NL Silverberg 405 und 407).

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