1.88 (str2p): Nr. 202 Der Preußische Innenminister an das Auswärtige Amt. 29. Oktober 1929

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Nr. 202
Der Preußische Innenminister an das Auswärtige Amt. 29. Oktober 1929

R 43 I /1838 , Bl. 521–525 Brieftelegramm Umdruck

Betr.: Besatzung und Separatistenaufrührer

A. Vorgänge in Aachen.

In der Anlage übersende ich ergebendst einen Bericht der Regierung vom 26. d. Mts. (Anl. I) und eine Schilderung von Mitgliedern der gleichen Regierung[899] vom selben Tage (Anlage II) mit der Bitte, das Material baldmöglichst zu verwerten1.

Aus dem Bericht zu I ist bemerkenswert, daß die separatistischen Banditen, die nach allen hier eingegangenen Mitteilungen bewaffnet waren und nach Ansicht der Franzosen und Belgier durch den Überfall auf öffentliche Gebäude, Privatpersonen, die Presse usw. die Ruhe und Ordnung nicht gefährdet haben, sich bei der Regierung mit den Worten einführten: „Hier ist die Besatzung“, und für den Fall der Verteidigung sofort mit Schießen drohten. Kennzeichnend ist auch, daß der offizielle Vertreter des belgischen Bezirksdelegierten in Aachen bereits am ersten Tage des Putsches, am Sonntag, den 21. d. Mts. dem offiziellen deutschen Regierungsvertreter erklärte, er wolle nicht verheimlichen, daß sie (d. h. die Franzosen und Belgier) Sympathie für die Bündler (d. h. für die separatistischen Aufrührer) hätten, weil letztere mehr Verständnis für ihre Forderungen auf dem Gebiete der auswärtigen Politik, der Reparationen usw. hätten. Es kann dies als eine Bestätigung dafür gewertet werden, daß der Schutz der Separatisten von Seiten der Besatzung unter bewußtem Bruch des Versailler Diktats2 erfolgt. Wenn, wie vorstehend sogar schon die belgische Zivilstelle in Aachen spricht, die im Vergleich zu anderen Delegierten im Rufe einer geringeren Schärfe ihrer Amtsführung steht, so ist klar, wie die Anordnungen der Befehlshaber der Truppen und der Militärpolizei an ihre Untergebenen gelautet haben.

Nach dem Bericht ist weiterhin erwiesen, daß der Bezirksdelegierte in Aachen am 23. d. Mts. verboten hat, daß die Schutzpolizei an der Säuberung des Regierungsgebäudes, oder wie der Belgier sich ausdrückte, „an der Wiedereroberung“ sich beteiligte. Daß die Ausschaltung der Ordnungspolizei eine direkte Unterstützung des Banditentums bedeutet, mußte auch den Belgiern klar sein. Der Befehl ferner, daß die Mitglieder der Regierung, die nach dem Separatistenputsch auf das Regierungs- und Rathausgebäude ihre Arbeit im Polizeipräsidium fortsetzten, binnen einer Viertelstunde das Präsidium verlassen und die Schilder: „Die rechtmäßige Regierung befindet sich im Polizeigebäude“ entfernen mußten, beweist, daß der Belgier durch aktives Eingreifen die deutsche Verwaltung möglichst schnell von ihrem Schutz, der Polizei, trennen und ihr möglichst viel Ungelegenheiten bereiten wollte.

Hervorzuheben ist auch, wie sowohl der Bezirksdelegierte in Aachen, als sein Vertreter in Zusammenhang mit der Vertreibung der deutschen Behörden durch die Separatisten, spontan auf die Verordnung Nr. 205 zu sprechen kam3.

[900] Aus der Anlage II geht klar hervor, wie die deutschen Behörden durch außerordenliches Entgegenkommen (Garantie für Leben und Straffreiheit der Aufrührer usw.) versucht haben, möglichst ohne jede Gewalt das damals schon deprimierte Banditentum zum Abzug zu bewegen. Der Franzose und Belgier hatten bereits anderwärts versucht (vergl. Düsseldorf usw.), unter Verdrehung der Tatsachen ihr Einschreiten zu Gunsten der Separatisten auf angeblich brutales Vorgehen der deutschen Polizei zurückzuführen. In der Anlage II ist der klare Beweis dafür enthalten, daß lediglich durch das Eingreifen eines Offiziers und 40 Mann der belgischen Militärpolizei die vor erfolgreichem Abschluß stehenden Verhandlungen über unblutigen Abzug der Aufrührer verhindert wurden, weil die Besatzung, wie klar aus dem Sachverhalt hervorgeht, den Separatismus der Aufrührer in der Machtposition erhalten wissen wollte.

Die Regierung in Aachen hat hier heute des weiteren eine größere Anzahl von Protokollen über Vernehmungen der Polizisten vorgelegt, die an der Säuberung des Regierungsgebäudes in Aachen beteiligt waren, von den Belgiern und Separatisten angeschossen wurden und jetzt mehr oder weniger schwer verletzt in Krankenhäusern in Aachen liegen. Die sämtlichen Vernehmungen stimmen darin überein, daß die deutsche Polizei von ihren Vorgesetzten den strengen Befehl hatte, nicht zu schießen. Nach den Ermittlungen ist dieser Befehl auch restlos befolgt worden. Hieran wird dadurch nichts geändert, daß ein Polizist (Westphal) in einem oberen Stockwerk des Regierungsgebäudes gegenüber einem auf ihn feuernden Sonderbündler zur Abwehr ebenfalls von seiner Schußwaffe Gebrauch gemacht hat. Aus der Übersicht ergibt sich klar, daß belgische Soldaten und Gendarme unter den Augen von Offizieren auf die sich nicht wehrenden Polizisten eingeschlagen und geschossen haben. Hervorzuheben ist, daß alle Polizisten durch Schüsse von rückwärts verletzt sind. Auch dies ist ein Beweis dafür, daß die Polizei auf dem Abmarsch bzw. auf der Flucht, ohne sich zu wehren, beschossen worden ist4. [Abschrift an AA. Hinweis auf einen Aufruf über die Unterstützung der Separatisten durch die Besatzung.]

B. Allgemeine Stellungnahme zu dem Schutz der Separatisten durch die Besatzung.

Aus den bisher mitgeteilten Nachrichten erscheint unbeschadet des bekannten Vorbehalts, daß die Zentralstellen infolge der Absperrmaßnahmen seitens der Besatzung und der Separatisten eine genaue Nachprüfung der einzelnen Nachrichten nicht vornehmen können, die Feststellung gerechtfertigt, daß ein Eintreten der Franzosen und Belgier zu Gunsten der Separatisten klar erwiesen sei. Nach dem mehrfachen Eingreifen der Besatzung für die separatistischen Aufrührer wie auch aus dem Unterlassen sonst selbstverständlicher Maßnahmen gegen die Banditen und Störer der öffentlichen Ordnung, dürften dem[901] Verhalten der Franzosen und Belgier etwa folgende Gedankengänge zu Grunde liegen5:

„Durch die Ausweisungen, Verhaftungen fast aller führenden deutschen Persönlichkeiten, durch Zerrüttung des Wirtschafts- und Verkehrslebens, durch die Beschlagnahme des deutschen Geldes usw. haben wir (d. h. der Franzose und Belgier) die Bevölkerung für den Separatismus vorbereitet. Durch die vielfachen Verkehrsverbote und Absperrungen haben wir eine tatsächliche oder moralische Hilfe vom unbesetzten Gebiet her unmöglich gemacht. In jeder Weise ist von uns der Separatismus zu fördern und dadurch die uns verhaßte Reichseinheit zu zerstören und das Rhein-Ruhr-Gebiet vom Reich, wenn auch nicht rechtlich, so doch mindestens tatsächlich zu trennen. Unsere Förderung des Separatismus soll möglichst wenig offen erfolgen; wir lassen entgegen den deutschen Gesetzen und unseren eigenen Ordonnanzen viele bewaffnete Separatisten in die einzelnen Städte (Aachen, Düren, München-Gladbach, Krefeld, Duisburg, Bonn, Euskirchen, Koblenz, Kreuznach, Wiesbaden) und zwar in einer Stärke hinein, daß mit größter Wahrscheinlichkeit die zahlenmäßig unterlegene deutsche Polizei und die Mehrheit der deutschen Bevölkerung überwältigt wird. Wir sind genau durch unser früheres Vorgehen unterrichtet, daß im Gegensatz zu den Separatisten die Mehrheit der deutschen Bevölkerung keine Waffen besitzt, ferner die deutsche Polizei zahlenmäßig beschränkt ist und nicht rechtzeitig von einem Ort zum anderen eingesetzt werden kann. Die Bedingungen[902] für ein erfolgreiches Vorgehen der Separatisten sind von uns weiter dadurch erleichtert, daß besondere Anweisungen von Polizeileitern und Gewerkschaftsführern etc. noch im letzten Augenblick vor dem Putsch erfolgen (zu vergl. Aachen, Koblenz). Gegen die aufrührerische Besetzung von Behörden-Gebäuden ist nicht einzuschreiten; den Separatisten sind die Waffen zu belassen. Höchstens kann äußerlich in abgelegenen Stadtteilen und zu Zeiten eine Entwaffnung vorgenommen werden (Wiesbaden), wenn anzunehmen ist, daß alsdann die Machtposition der Aufrührer in der Hauptsache nicht geschwächt wird. Der deutschen Polizei ist dagegen zur Pflicht zu machen, unbewaffnet dem Separatisten-Gesindel gegenüber zu treten (Bonn). Möglichst ist ein Grund zum Einschreiten gegen die deutsche Polizei (Aachen, Bonn) sowie zu ihrer Entwaffnung, eventuell zu ihrer Verhaftung zu suchen. Erforderlichenfalls muß aber auch offen das Vorgehen der Separatisten seitens der Besatzung durch Militärposten vor den separatistisch besetzten Gebäuden, durch Hineinbringen von Waffen (Trier), durch Verkehrssperren im geeigneten Moment usw. unterstützt werden. Falls deutscherseits versucht wird, verfassungsmäßige Zustände pflichtgemäß wieder herzustellen, ist Sorge zu tragen, daß die Separatisten durch die Besatzungstruppen nötigenfalls unter Anwendung aller Machtmittel in ihrer Position erhalten bzw. wieder eingesetzt werden. (Aachen, Bonn, Koblenz). Nach außen ist zu versuchen, das Vorgehen der Besatzung als neutral hinzustellen; das Auftreten der bewaffneten Aufrührerhorden ist als eine politische Angelegenheit und nicht als Störung von Ruhe und Ordnung zu bezeichnen. Der Polizei ist ein Einschreiten zu verbieten. Sobald die Mehrheit der Bevölkerung durch die bewaffneten Banditen hinreichend terrorisiert erscheint, ist möglichst schnell die Rheinische Republik als eine Tatsache anzuerkennen (zu vergl. Bonn, Trier, Wiesbaden, Neuwied). Umgekehrt sind Versuche der Behörden und der Mehrheit der Bevölkerung, verfassungsmäßige Zustände wiederherzustellen, von den Besatzungstruppen als Störung von Ruhe und Ordnung zu kennzeichnen und entsprechend zurückzuweisen. Die Besatzungsstellen haben alsbald durch fortgesetzten Druck den deutschen Beamten und der Bevölkerung nahezulegen mit oder unter dem Separatistengesindel zusammenzuarbeiten (Trier, Koblenz, Jülich). Um den Zusammenbruch der separatistischen Verwaltung infolge deren Unfähigkeit möglichst lange hinauszuschieben oder zu verhindern, sind die deutschen Wirtschaftskreise unter alsbaldiger Vermittlung der Delegierten dadurch zu gewinnen, daß die Separatisten die Ordnung der Wirtschaftsangelegenheiten einer Vertrauensperson übertragen, die von der deutschen Mehrheit bestimmt wird (Trier). Die Vertrauensperson ist unverzüglich abzusetzen, sobald die separatistische Regierung sich eingespielt hat. Dort, wo die Beamten trotz allen bisherigen Druck der Besatzung aushalten, hat die Besatzung durch bewährte Mittel: plötzliche zahlreiche Ausweisungen usw. „nachzuhelfen“. (Zu vergl. Koblenz, Kreuznach). Zu demselben Zweck sieht die Besatzung von einem Einschreiten ab, wenn die Separatisten ihrerseits in Häusern deutscher Persönlichkeiten oder in Druckereien deutscher Zeitungen zu Plünderungen, Zerstörungen, Beschränkung der freien Meinungsäußerungen übergehen. (Zu vergl. Trier, Aachen). Eventuell ist lediglich zu erklären, daß die Separatisten zu Verhaftungen usw. nicht berechtigt sind. Entsprechende[903] Maßnahmen der Besatzung, wie das Befreien verhafteter deutscher Polizisten, haben aber nicht zu erfolgen.

Sobald das Separatistengesindel durch alles dies einigermaßen in seiner Macht gefestigt erscheint, erfolgen etwaige neue brutale Handlungen gegen deutsche Behörden und Bevölkerung (Ausweisungen, Verhaftungen, Beschlagnahme von Geld), sowie der Erlaß von Verordnungen die von der Besatzung gewünscht werden, nicht mehr durch die Alliierten, sondern unter deren Schutz als angeblicher Wunsch der rheinischen Bevölkerung durch das Banditentum unter der Firma „Das Direktorium der Rheinischen Republik.“

Etwa mit diesen Gedankengängen glaube ich das Verhalten der Franzosen und Belgier gegenüber den Separatisten gekennzeichnet zu haben. Auch hier möchte ich im Anschluß an mein Schreiben an das Auswärtige Amt über den blutigen Sonntag in Düsseldorf, noch einmal den Gesindelcharakter der bewaffneten Separatisten hervorheben. Der entsprechende Bericht der „Times“ ist bekannt6. Neuere Ereignisse beweisen, daß, wie bisher schon angenommen wurde, der Franzose das Gesindel bald verleugnen möchte, sofern er sicher ist, daß die durch ihn zermürbte treudeutsche Bevölkerung ihrerseits in ihrer Verzweiflung die Loslösung der Rheinlande vom Reich und den Ländern in die Hand nimmt. So haben nach fernmündlichen Mitteilungen einer Behörde die Kreisausschüsse in Saarburg und in Wadern vor kurzem dem Sinne nach beschlossen, eine „Neu-Orientierung“ selbst in die Hand zu nehmen und ihre Belange „möglichst (!) in Anlehnung an das Reich sicherzustellen“7. Nach den bisher vorliegenden Nachrichten versucht eine deutsche Privatperson allen Kreisausschüssen des Regierungsbezirkes Trier die Annahme einer gleichen Entschließung nahezulegen. Bei der Besprechung vom 25. d. Mts. in Hagen haben der Herr Reichskanzler und der Herr Ministerpräsident jedes Praevenire deutscherseits in Sachen einer Rheinischen Republik klar abgelehnt8. Meinerseits wird gegenüber den Kreisausschüssen etc., die ähnliche Entschließungen wie in Saarburg fassen, schon wegen Überschreitung ihrer Zuständigkeit das Erforderliche veranlaßt werden. Ich halte es für geboten, daß auch der hier gekennzeichnete französische Plan diplomatisch weiter verfolgt wird.

In der ganzen Welt ist darauf hinzuweisen: es handelt sich nicht um eine Erhebung des rheinischen Volkes, sondern um einen unter dem Schutz der Franzosen und Belgier vorgenommenen feigen Überfall, um durch einen skrupellosen[904] Versuch seitens überwiegend landfremden bewaffneten Gesindels und übel beleumundeten Führern, die Gesinnung der rheinischen Bevölkerung zu vergewaltigen und sie vom Reich und den Ländern zu trennen. Räumen die Besatzungstruppen das besetzte Gebiet, so wird sich zeigen, daß nicht 1% der Bevölkerung mit dem Gesindel etwas zu tun haben will. Der Bestand der Banditenherrschaft ist abhängig davon, ob der Franzose und Belgier auch weiterhin seine Machtmittel den Separatisten zur Verfügung stellt.

Ich bitte ergebendst, baldgefälligst alle diplomatischen Schritte zu tun, die irgendeine Aussicht auf Herstellung verfassungsmäßiger und erträglicher Zustände im besetzten Gebiet versprechen. Von den Franzosen und Belgiern wird in feierlichster Form zu fordern sein, daß sie alles rückgängig machen, wodurch es unter ihrem Schutz dem Gesindel möglich wurde und ist, die Arbeiten der deutschen Behörden zu stören und die Rechte der Bevölkerung zu mißachten. Insbesondere muß den deutschen Behörden und der Mehrheit der rheinischen Bevölkerung freie Hand gesichert werden, erforderlichenfalls mit Hilfe aller auch im unbesetzten Gebiet zur Verfügung stehenden Machtmittel im besetzten Gebiet verfassungs- und ordnungsmäßige Zustände wieder herzustellen9.

Ob der Bruch des Versailler Diktats, der sich aus dem Zusammenarbeiten der Besatzung mit Banditen gegen die deutschen Behörden ergibt, sofort dem ständigen Gerichtshof in Haag oder dem Völkerbundrat unterbreitet werden kann und soll, darf ich der dortigen Entscheidung überlassen10. Der entsprechende Antrag würde m. E. dahin zu gehen haben, festzustellen, daß die Besatzungsmächte nicht berechtigt seien, angesichts der aufrührerischen Banditen im besetzten Gebiet sich so zu verhalten, wie es geschehen sei, daß sie vielmehr unverzüglich von jedem direkten oder indirekten Fördern der Separatisten Abstand nehmen müßten und sogar verpflichtet seien, während der Besetzung den staatsrechtlichen Status quo mit ihren eigenen Machtmitteln wiederherzustellen und zu schützen. Jedenfalls würde ein solcher Antrag m. E. gerade bei der betroffenen Bevölkerung, die das französisch-belgische Verhalten klar durchschaut, und von dem durch innerdeutsche Streitigkeiten noch mehr geschwächten Reich keine allzu wirksame Hilfe erwartet11, als ein Hoffnungsstrahl[905] auf Befreiung aus unhaltbaren Zuständen begrüßt werden12.

[Hinweis auf Anlagen und Verteiler.]

Im Auftrage

gez. Löhrs

Fußnoten

1

Die Anlagen sind hier nicht mitabgedruckt, soweit erforderlich ist auf sie in den Anmerkungen Bezug genommen.

2

Damit wird Bezug auf das Rheinlandabkommen als Anlage zum Versailler Vertrag genommen. In Art. 5 des Rheinlandabkommens war der Fortbestand der dt. Verwaltungshoheit und das Weitergelten der dt. Gesetze im besetzten Gebiet festgelegt.

3

Nach dem Putsch fragten Vertreter des Regierungspräsidiums den belg. Delegierten, ob er die pr. Regierung anerkenne. „‚Jawohl‘, erwiderte er, ‚wenn die Regierung arbeitet, erkennen wir sie an, wir kennen nur die deutschen Behörden, wenn diese aber nicht arbeiten, dann tritt Ordonnanz 205 in Kraft und wir setzen selbst deutsche Beamte ein‘“ (R 43 I /1838 , Bl. 527). Die Ordonnanz 205 vom 31.8.23 bestimmte, daß vakante Beamtenstellen von den Besatzungsbehörden besetzt werden konnten.

4

S. hierzu auch die Ausführungen anläßlich der Hagener Besprechung vom 25.10.23 (Dok. Nr. 179).

5

Die folgenden Ausführungen scheinen sinngemäß Eingang in die deutsche Protestnote vom 5.11.23 gefunden zu haben. Vor der Darstellung von Einzelheiten der Separatistenputsche und der Unterstützung durch die Besatzung heißt es dort: „Die sich gegenwärtig im Rheinland abspielenden Ereignisse sind überhaupt nur erklärbar, wenn man berücksichtigt, wie hierfür durch die seit dem Januar d. J. von der Interalliierten Rheinlandkommission getroffenen Maßnahmen der Boden vorbereitet worden ist. Die Putschversuche der Sonderbündler stießen auf eine bereits völlig geschwächte Abwehrfront. Infolge der Massenausweisungen der Beamten ist der Behördenapparat fast völlig zerschlagen. Fast an allen Orten ist aber auch die Bevölkerung, da die Ausweisung die Leiter der politischen Parteien und Gewerkschaften nicht verschont hat, ihrer Führer beraubt. Jede Aufklärung der Bevölkerung ist seit Monaten unmöglich infolge Lahmlegung der gesamten nichtseparatistischen Presse, durch strenge Handhabung der Presseüberwachung, Dauerverbote vieler Zeitungen, Nichtgenehmigung aller nicht von den Sonderbündlern einberufenen Versammlungen. Schließlich ist seit langem jede Verbindung der politischen, wirtschaftlichen und gewerkschaftlichen Organisationen des Rheinlandes mit den entsprechenden Verbänden des übrigen Deutschland durch eine scharfe Absperrung des gesamten besetzten Gebietes erschwert oder vielmehr geradezu unmöglich gemacht. Selbst die Immunitätsrechte der im Rheinlande gewählten und ansässigen Reichs- und Landtagsabgeordneten sind nicht geachtet worden. – An diesem Regime hat auch die Einstellung des passiven Widerstandes nichts geändert, vielmehr sind noch gerade in den letzten Tagen in erhöhtem Maße Massenausweisungen vorgenommen worden. – Des ferneren sind die ganzen Ereignisse nur möglich geworden, daß die Sonderbündler unter den Augen und mit Duldung der französischen Besatzungstruppen Banden gebildet haben, die unter den verschiedensten Bezeichnungen als ‚Selbstschutz‘, ‚Stoßtrupps‘, ‚Rheinwehr‘, ja selbst ‚rheinische Truppen‘, mit besonderen Abzeichen durch die Lande ziehen. Diese Trupps setzen sich im wesentlichen aus minderwertigem Gesindel zusammen, zum Teil fremder Nationalität. Nicht nur unter diesen Trupps, sondern überhaupt in der ganzen Organisation der Sonderbündler befindet sich keine Person von irgendwelchem Ansehen im Rheinland. Selbst französische Offiziere und Beamte haben sich nicht gescheut, wenn es galt, Persönlichkeiten von Ansehen und Einfluß für separatistische Zwecke zu gewinnen von den Machern der gegenwärtigen Bewegung und ihrem Anhang mit tiefster Verachtung zu sprechen.“ Die bewaffneten Banden seien „eine ständige Gefahr, Bedrohung für die Sicherheit im Lande“ (R 43 I /1838 , S. 601–603).

6

Unter der Überschrift „Die Separatisten am Pranger“ hatte „Die Zeit“, Nr. 250 vom 28.10.23, einen Bericht aus der „Times“ referiert, in dem ein Sonderkorrespondent seine Erlebnisse mit separatistischen Gruppen in Krefeld schilderte und sie als zweifelhafte Abenteurer und Söldner darstellte, von denen Gewalt und Anarchie gefördert werde.

7

Dazu heißt es in einem Brieftelegramm des PrIM an das AA vom 1.11.23: „Infolge der Bedenken, die anscheinend von England in Paris und Brüssel gegenüber der Verletzung des Versailler Vertrages erhoben worden sind, kann man damit rechnen, daß Frankreich und Belgien in entsprechenden Erklärungen und Worten in nächster Zeit sich den Anschein geben werden, als würden sie den Status quo ante im besetzten Gebiet wiederherstellen. Vielleicht werden sie auch an Nebenplätzen, insbesondere an solchen Orten, wo die deutsche Bevölkerung unter dem Druck der Franzosen ihrerseits den Gedanken einer rheinischen Republik aufgreift (z. vgl. Saarburg, Wadern usw.), durch Abschiebung der Separatisten ihren Worten einige Taten folgen lassen“ (R 43 I /1838 , S. 551–553).

8

S. Dok. Nr. 179.

9

In der Protestnote vom 5.11.23 (s. o. Anm. 5) wurde verlangt, daß die Bestimmungen des Völkerrechts und des Rheinlandabkommens eingehalten werden. Die Polizei sei zu bewaffnen und müsse das Recht haben gegen die Separatisten vorzugehen (R 43 I /1838 , S. 611/612).

10

Derartige Schritte des AA haben nicht stattgefunden. Der RMbesGeb. wandte sich am 11.11.23 an Professor Walther Schücking als Vorsitzendem der Deutschen Gruppe der Interparlamentarischen Union und danach am 15.11.23 an Professor Theodor Niemeyer als Vorsitzendem der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht mit dem Ziel einer internationalen Vorgehens gegen die Separatisten und ihre Helfer (R 43 I /1838 , S. 651–653, 669–673).

11

Über das RPMin. wurde am 31.10.23 aus Köln gemeldet: Überall werde von Sonderverhandlungen der einzelnen Parteien mit den Franzosen berichtet, so daß die verwirrte Bevölkerung beginne, sich mit der Bildung einer rhein. Republik abzufinden. „Die großen Politischen Parteien erklären, sie hätten zunächst keinen anderen Gedanken, als die Separatisten zu verdrängen. Die Bevölkerung glaubt aber, daß einzelne Parteien daneben die Umwandlung der Rheinlande in einen selbständigen Bundesstaat betreiben“ (R 43 I /1838 , S. 537/538).

12

Noch vor einer dt. amtlichen Aktion machte D’Abernon StS v. Maltzan die Mitteilung, in Paris und Brüssel sei ein engl. Schritt wegen der Separatistenbewegung erfolgt. England werde eine Autonomie des Rheinlandes außerhalb Deutschlands nicht dulden und innerhalb der deutschen Grenzen nur auf ausdrücklichen Wunsch und in freier Entschließung der Deutschen (Aufzeichnung v. Maltzans, 1.11.23; Pol.Arch.: NL Maltzan , Besetzte Gebiete – Rheinland –). RM Fuchs ließ durch GeneralKom. Schmid am 3.11.23 bei Maltzan auf eine Protestnote gegen die Unterstützung der Separatisten durch Franzosen und Belgier drängen. Die bedauerliche Verzögerung habe bei der rhein. Bevölkerung berechtigte Kritik hervorgerufen. Auf dem Provinziallandtag in Barmen sei „ungemein scharf“ die Frage erörtert worden, warum keine Note bisher herausgegangen sei. Seit Tagen liege hierzu ausreichendes Material vor. Darauf wurde GeneralKom. Schmid am 4.11.23 erwidert, in Anwesenheit Schmids sei am 2.11.23 der Inhalt und das Datum einer Note behandelt worden. Ausreichend geprüftes Material habe noch nicht vorgelegen. Anscheinend sei das RMinbesGeb. über die Schritte des AA nicht informiert. Maltzan habe von den diplom. Vertretern Großbritanniens, Frankreichs und Belgiens das Verhalten der belgischen und französischen Besatzung zur Sprache gebracht und die engl. Note sei auf deutsche Anregung erfolgt (Pol.Arch.: Abt. II, Bes. Geb.: Separatistenputsch, Bd. 3). Vgl. K. von Zwehl, Die Deutschlandpolitik Englands, S. 599 ff.

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