1.127.1 (wir2p): Reparation.

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Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 2Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

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Reparation.

Ministerialrat Dr. Kempner verliest das Fernschreibegespräch mit Regierungsrat Meyer in Paris vom 30.8.11.

[1072] Präsident Havenstein: Der durch Meyer übermittelte Vorschlag komme in der Sache auf das gleiche heraus wie eine Verpfändung des Reichsbankgoldes, denn die Reichsbank könne ihre Unterschrift nur mit ihrem Gold honorieren. Die Reichsbank müsse dies ablehnen.

In diesem Zusammenhange teile er noch folgendes mit: Er habe gestern im Unterausschuß des Wirtschaftspolitischen Ausschusses des Reichswirtschaftsrats einen harten Kampf gegen den früheren Beschluß dieses Ausschusses gekämpft, nach dem „auch der Kredit der Reichsbank, nötigenfalls auch ihr Gold zur Verfügung zu stellen sei“. Nach seinen Darlegungen hätte der Ausschuß zunächst die Verhaftung des Goldes, dann auch die des Kredites der Reichsbank einstimmig abgelehnt, also unter Teilnahme auch der Arbeitnehmer.

Der Reichskanzler Das Gold der Reichsbank würden wir unter Umständen für Winternotstände brauchen. Er sei daher gegen den Vorschlag der Pariser Unterhändler.

Minister Dr. Brauns fragt, wieviel Gold für den Garantiefonds der Sachlieferungen bei den Verhandlungen mit Bradbury in Aussicht genommen gewesen sei, und auf welche Summe sich die zuletzt verlangten Wechsel belaufen würden.

Es wird erwidert, daß der Garantiefonds höchstens 50 Millionen Goldmark betragen sollte2, und daß bei den Wechseln etwa 170 Millionen in Frage kämen, wenn 2 Monatsraten von je 50 Millionen gestundet würden.

Minister Dr. Brauns hält hiernach den Pariser Vorschlag doch für erwägenswert.

Präsident Havenstein: Die 50 Millionen hätten nur für ein eventuelles Manko Garantie leisten sollen, jetzt aber handle es sich um eine Verpflichtung, die unter allen Umständen bezahlt werden müßte.

Minister Groener: Man müsse erst die Konsequenzen durchdenken und dann eine Entscheidung fällen.

Der Reichskanzler Das ganze Volk verstehe die Parole „erst Brot, dann Reparationen“. Er sehe nicht, wie die Getreidekäufe finanziert werden sollten. Das Volk würde nicht verstehen, wenn wir jetzt das Reichsbankgold gefährdeten. Er sei unter keinen Umständen dafür zu haben, die Reparationskrise auf einige Monate zu verschieben.

Die Belgier versuchten, noch in letzter Minute Gold aus uns herauszupressen; gäben wir hierin nach, so würde Frankreich bei der nächsten Gelegenheit das gleiche tun. Gäben wir die Wechsel hin, so müßten sie honoriert werden.[1073] Andernfalls würde die ganze Welt wieder sagen, daß wir das arme Belgien hintergangen hätten. Das Entscheidende sei für ihn, daß wir das Reparationsproblem von der Reparationskommission jetzt an die Mächte selbst brächten. Gewiß sei es möglich, daß Poincaré marschiere oder andere Gewaltmaßnahmen verhänge. Aber das müsse man jetzt alles in Kauf nehmen. England und Italien würden nicht mitgehen, Belgien könnten wir nicht hindern.

Minister Schmidt: Wenn Gewaltmaßnahmen einträten, so würde die Mark weiter sinken. Das würde schwere Folgen haben: Preissteigerung, vielleicht Arbeitslosigkeit usw. Er sehe aber keinen Ausweg. Das Gold der Reichsbank könnten wir nicht antasten, denn ohne Goldunterlage würde ein späterer Aufbau nicht möglich sein. Er könne zu keiner anderen Auffassung kommen. Die Wechsel müßten seinerzeit eingelöst werden, und das sei nur mit Reichsbankgold möglich.

Wir müßten es einmal ausstehen, sonst kämen wir immer wieder in die gleiche Lage. Wir riskierten viel, könnten aber nicht anders handeln, als den belgischen Vorschlag abzulehnen.

Präsident Havenstein erklärt nochmals, daß die Reichsbank ihr Giro unter keinen Umständen gebe.

Minister Dr. Hermes: Nach dieser Erklärung sei die Situation klar.

Materiell bleibe die Forderung die gleiche, denn das Gold bleibe verhaftet; es sei nur eine andere äußere Form vorgeschlagen. Das Kabinett müsse bei seinem „Nein“ bleiben, er tue das auch.

Folgendes sei aber zu bedenken: Da die Pariser Unterhändler für den Vorschlag einträten, so hätten sie schwerwiegende Gründe dafür. Wir gingen also sicher ein sehr großes Risiko ein. Der Reichskanzler hätte neulich gesagt, daß wir unter dem eventuellen Druck großer Ernährungsschwierigkeiten die Frage der Goldverpfändung vielleicht anders beurteilen müßten. Seines Erachtens sei mit solchen und anderen inneren Schwierigkeiten ernstlich zu rechnen, und dann würde man vielleicht in der Goldfrage zu einer anderen Entscheidung kommen. Wir übernähmen heute große Verantwortung, aber es liege kein Anlaß vor, bereits heute unser Votum zu ändern. Er sei aber nicht der Ansicht des Ministers Schmidt, daß nämlich das ganze Gold zum Währungsaufbau nötig sei. Würde eine kleine Summe davon zu anderen Zwecken ausgegeben, so würde das seines Erachtens den späteren Währungsaufbau nicht hindern.

Wäre es möglich, für eine Wechselverpflichtung Vorbehalte zu erlangen, wie z. B. bedingungsloses Moratorium bis Oktober, Wechselausstellung nur für November- und Dezemberraten, Zusammentritt einer Konferenz im November, in der Belgien für unseren Standpunkt eintreten würde, dann sähe die Frage anders aus. Aber die Pariser Herren hielten solche Vorbehalte nicht für erreichbar.

Die Frage, ob wir, wie der Reichskanzler meine, in wenigen Monaten in der gleichen Situation sein würden, könne verschieden beurteilt werden. Er erinnere nur an die diesbezügliche Arbeit und die darin erzielten Fortschritte des Ministers Rathenau. Also vielleicht würden wir in vier Monaten doch anders dastehen. Jedenfalls müsse man sich über das Maß des jetzt zu übernehmenden Risikos klar sein.

[1074] Im ganzen sei er also für Ablehnung des Vorschlages, falls wir nicht ganz andere Vorbehalte bekämen.

Staatssekretär Dr. von Simson: Es sei möglich, daß wir die von uns abgelehnten Bedingungen auf dem Wege eines Ultimatums bekämen, denn eine glatte Ablehnung des Moratoriums sei nicht sicher.

Staatssekretär Dr. Hirsch: Er fühle sich verpflichtet, auf die folgenden Gesichtspunkte hinzuweisen:

Die Gegenseite könne auch bei unserer Ablehnung zu Gold kommen. Denn erstens könne sie durch die Emser Stelle unsere Ausfuhrdevisen erfassen, und zweitens könne sie im Falle der Ruhrbesetzung die Kohle gegen Devisen verkaufen.

Gewaltakte der Gegenseite würden für unsere Währung furchtbar sein. Der Kohlenpreis würde heute voraussichtlich schon um das 1½fache erhöht werden. Käme man durch den Winter noch durch, so würden sich die Schwierigkeiten im Frühjahr leichter tragen lassen. Bergmann denke an den Zusammentritt der Bankier-Konferenz – der ihm allerdings fraglich sei – und hoffe, daß dann eine Anleihe komme, in der die jetzt auszustellenden Wechsel untergehen würden.

Vielleicht könne man in Paris sagen: 1. die Reichsbank lehne das Giro ab; 2. wenn Sicherheit bestehe, daß spätestens im November eine Diskussion über das Gesamtproblem erfolge, dann seien wir zur Ausstellung von Reichsschatzwechseln bereit. Er müsse allerdings darauf hinweisen, daß wir nach seiner Ansicht um ihre Bezahlung nicht herumkommen würden.

Der Reichskanzler Für Belgien ausgestellte Wechsel müßten unter allen Umständen honoriert werden.

Es wird beschlossen, nach Paris mitzuteilen, daß die Reichsbank die Girierung der Wechsel ablehne3.

Nach Beendigung der Sitzung, und nachdem ein Teil der Herren sich entfernt hatte, teilte Staatssekretär von Simson folgendes mit:

Bei der Übermittlung des soeben gefaßten Beschlusses nach Paris hätte der Regierungsrat Meyer gefragt, wie die Delegation sich stellen solle, wenn die Gegenseite nach Wechseln ohne Giro frage.

Nach längerer Erörterung wird beschlossen, auf diese Frage folgendes zu antworten:

Wechsel dürfen von uns auch ohne Giro nicht angeboten werden. Wird von der Gegenseite gefragt, ob wir einfache Wechsel ausstellen wollen, so kann dem nur zugestimmt werden unter folgenden 4 Bedingungen:

1. Die Wechsel sollen keine neue Sonderverpflichtung, auch nicht gegenüber einer einzelnen alliierten Macht sein, sondern Teil der Reparationsverpflichtung und deren Schicksal teilen.

[1075] 2. Sie dürfen weder im Ausland noch im Inland diskontiert werden.

3. Vor Fälligkeit eines Wechsel müßte die internationale Gesamtregelung des Reparationsproblems auf einer Konferenz in Angriff genommen werden.

4. August- und September-Raten müßten bedingungslos gestundet werden.

Nachdem die Herren Hermes, Brauns, Groener, Havenstein und von Simson sich für diese Antwort ausgesprochen haben, erklärt der Reichskanzler daß er diese Politik zwar für unrichtig halte, aber gegenüber dem einstimmigen Votum der anderen Herren nicht widersprechen wolle.

Hierauf wurde die Besprechung geschlossen.

Fußnoten

1

Fernschreibergespräch mit RegR Meyer am 30.8.22, 13.45 h: „Meyer: Sitzung soeben beendet. Bei Schluß Sitzung traf Ihr Telegramm wegen Ablehnung Goldes der Reichsbank ein [siehe auch Anm. 3]. Ich habe hiervon im Auftrage von Herrn Schroeder den beiden bekannten Mitgliedern der Reparationskommission Mitteilung gemacht. John (Bradbury) bezeichnete die Lage als überaus ernst. Einzige Möglichkeit ist folgende: Herr Schroeder wird ermächtigt in Nachmittagssitzung zu erklären, daß Deutschland bereit ist, gegen Übergabe von Sechsmonatswechseln ein Arrangement mit Belgien zu treffen, dessen Einzelheiten zwischen Belgien und Deutschland später vereinbart werden sollen. Gleichzeitig müßte dem Belgier erklärt werden, daß als Sicherung Unterschrift der Reichsbank auf Wechseln dienen solle. Vom Gold der Reichsbank würde nichts mehr gesagt werden. Die drei Staatssekretäre bitten dringend zu einer solchen Erklärung ermächtigt zu werden, da nach ihrer Ansicht und auch nach Ansicht der beiden gegnerischen Vertreter dieses einzig mögliche Lösung sein könnte. John (Bradbury) erklärte noch, daß er Deutscher Regierung dringend angesichts der sehr kritischen Situation empfehle, ein solches Angebot vor heutiger Nachmittagssitzung, welche um 16.30 Uhr stattfindet, zu machen.“ (R 43 I /30 , Bl. 262).

2

Siehe Dok. Nr. 349, Anm. 4.

3

Einem Vermerk von von Martius zufolge (siehe Dok. Nr. 363 Anm. 1) hat dieser am 30. 8. um 17 h folgendes Telegramm für Schroeder nach Paris aufgegeben: „Verpfändung von Reichsbankgold schon deshalb ausgeschlossen, weil die autonome Reichsbank dies bestimmt ablehnt. Damit entfällt Möglichkeit, dortige Anregung weiter zu verfolgen.“ (R 43 I /30 , Bl. 264).

Nach einem weiteren Vermerk von von Martius ist den dt. Unterhändlern „nach der Kabinettssitzung um 6.30 Uhr am 30. August d. J.“ telefonisch die folgende Entschließung übermittelt worden: „Reichsbank lehnt Giro nach wie vor ab. Reichskabinett hat bisherigen Instruktionen nichts hinzuzusetzen.“ (R 43 I /30 , Bl. 315).

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