1.47.3 (wir2p): 3. Genua.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 3). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 2Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

Extras:

 

Text

RTF

3. Genua.

Der Reichskanzler richtete die Bitte an den Außenminister, ehe er allgemein über Genua und den Rapallovertrag berichten würde, einige Mitteilungen über die Verhandlungen mit Lloyd George zu machen.

Staatssekretär von Simson verlas die Aufzeichnung über die Besprechung mit Lloyd George vom 18. Mai6, desgleichen verlas der Reichskanzler die Aufzeichnung über die Unterhaltung vom 7. Mai mit Lloyd George7, die s. E. von[827] besonderer Wichtigkeit für das Verständnis des mit den Russen abgeschlossenen Vertrages sei. Er betonte, daß sie ständig bemüht gewesen seien, alle Probleme mit den in Betracht kommenden Persönlichkeiten in Genua zu besprechen. Mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit wurde von einer systematischen Berichterstattung über Genua abgesehen. Zur Erörterung dieser Fragen wurde auf Donnerstag 6 Uhr [25.5.22] in die Reichskanzlei eingeladen8.

Fußnoten

6

Über die Unterredung mit Lloyd George am 18.5.1922 hatte Wirth den RPräs. persönlich in einem Telegramm vom 18. 5. wie folgt unterrichtet: „Soeben mit Rathenau fünfviertelstündige Unterredung mit Lloyd George gehabt. Ll. George zweifellos ermüdet. Besprach mit uns nochmals unsere Hauptfrage, über die Stellung der Botschafterkonferenz, überhaupt das ganze Kommissionswesen in Deutschland, die Sanktionsfrage, alte Sanktionen wie neue Drohungen, die Politik der Reparationskommission zum 31. Mai und anderes. Lloyd George wiederholte, daß er beabsichtigt, die sämtlichen Fragen mit seinem Kabinett sofort nach Rückkehr zu besprechen. Er erklärte die Lage allgemein für sehr ernst, es sei notwendig Stellungnahme des britischen Kabinetts herbeizuführen. Habe Ll. George auf scharfe Sprache Bradbury’s in Reparationskommission hingewiesen und Notwendigkeit betont, auf Rep. Komm. von seiner Seite einzuwirken. Ll. George sagte mir, er habe das Nötige bereits veranlaßt und werde Bradbury in Paris auf Durchreise sehen, um mit ihm die Lage zu besprechen. Ebenso werde er auch englischen Botschafter in Paris hören und mit ihm gesamte Lage besprechen. Rathenau und ich wiesen immer wieder auf Notwendigkeit der Stellungnahme Englands zur Politik nach dem 31. Mai hin. Ll. George mahnte wieder gewünschte vorsichtige Haltung Deutschlands und äußerte sich auch über unsere bisherige Politik der Erfüllung und Leistungen. ‚Hätten Sie das nicht getan, was Sie tatsächlich in diesem und letzten Jahre getan haben, so wäre Deutschland in Stücke zerrissen‘, führte er mehrmals wörtlich aus. Ein isoliertes Vorgehen Frankreichs, betonte er, würde das Ende der Allianz bedeuten. Habe Eindruck bekommen, daß Ll. George sich jetzt um die Angelegenheit persönlich kümmert, und das ist die Hauptsache, nachdem wir bisher unsere größte Frage nur in den Händen untergeordneter Leute wußten. Wir übergaben ihm zu allen einzelnen Fragen kleine Merkzettel. […] Lloyd George betonte, daß er über die Lage in Paris und über die französische Politik nicht mehr im Bilde sei. Barthou sei ebenfalls ohne Nachricht. Ll. George erzählte, daß Barthou bis jetzt 850 Telegramme bekommen habe. Über die Stellung Ll. Georges in der englischen Politik läßt sich ein Urteil vorerst nicht bilden. Er drängt, nach Hause zu kommen, um die englische Politik wieder in die Hand zu bekommen. Ausführlicher Bericht über die Unterhaltung wird mitgebracht.“ (AA, Büro Reichsminister, Genua, 5h/4).

7

Wirth hatte über diese Unterredung dem RPräs. persönlich in einem Telegramm vom 8.5.22 wie folgt berichtet: „Gestern mittag 5 bis 7 Uhr Rücksprache mit Lloyd George. Er hatte durch Herrn Dufour mitteilen lassen, daß er mich allein sprechen wolle. Unterredung verlief außerordentlich freundlich. Lloyd George vermied jedes scharfe Wort. Er behandelte aufs neue die Russenfrage und betonte, für England absolute Notwendigkeit, wenn Konferenz weitergehen soll, in der Russenfrage zu einem Abschluß zu kommen. Er ersuchte mich aufs neue, vermittelnd einzugreifen und deutete an, daß, wenn Frankreich und Belgien nicht zeichnen würden, England und Italien entschlossen sind, den Vertrag allein zu unterzeichnen. Alles kommt jetzt darauf an, die Russen zu einer konzilianten Antwort zu bewegen. Ich anregte bei Lloyd George Vermittlung einer Besprechung mit Tschitscherin, die Lloyd George bereitwilligst und dankbar annahm. Lloyd George bat mich, daß unsere Sachverständigen sich erneut der Russenfrage annehmen sollten. Die englischen Vertreter seien bereit, in der Russenfrage mit unseren Sachverständigen Besprechung abzuhalten. – Ich hinwies auf große Bedeutung der Politik nach 31. Mai und fragte, ob Lloyd George vor dem 31. Mai den Obersten Rat zusammenrufen würde oder in welcher Form er beabsichtige, die politischen Richtlinien zu bestimmen. Unter nochmaliger Darlegung der schwierigen Lage Deutschlands bat ich um eine klare und bestimmte Stellungnahme Englands. Lloyd George sprach im Laufe der Unterhaltung den Satz aus, sein Verhältnis zu Frankreich ist gespannt. Poincaré ablehne jeden Zusammentritt des Obersten Rates vor Entscheidung durch Reparationskommission. Das sei der starre Rechtsstandpunkt, den Poincaré damit vertrete. Lloyd George betonte, daß England und Amerika, wie er besonders hervorhob, Anwendung militärischer Gewalt nicht wollen. Amerika erwähnte er mit besonderem Nachdruck. Ich betonte, daß ich mit dieser Mitteilung die deutsche politische Lage nicht genügend beruhigen könne und anregte bei Lloyd George, er möchte entweder im Anschluß an die Unterredung oder spätestens bis Mitte dieser Woche in einer Rede etwa an verläßliche Journalisten ausdrücklich die Hauptprogrammpunkte der englischen Politik hervorheben, etwa in der From, daß die Erledigung der Russenfrage für ihn im Vordergrund stehe, daß dann der allgemeine europäische Frieden in einer besonderen Form zum Ausdruck kommen möge und daß drittens die deutsche Reparationsfrage ohne militärische Gewalt einer Lösung zuzuführen sei. Das letztere möge er als ausdrückliches Ziel der englischen Politik erklären. Nach einigem Nachdenken und Rücksprache mit den beiden anwesenden englischen Herren Grigg und Hankey, erklärte sich Lloyd George zu einer solchen Rede bereit unter der Voraussetzung, daß die Antwort der Russen, die morgen, Dienstag oder Mittwoch, erfolgen soll, konziliant ausfalle. Ich versprach, mein Bestes zu tun, um die Antwort der Russen entsprechend zu beeinflussen. Lloyd George äußerte sich ungemein freundlich und zuvorkommend und betonte nochmals, daß es ihm ernst sei, mit Deutschland zu einem wahren Frieden zu kommen. Wir waren Feinde und haben uns bekämpft, nun wollen wir gute Freunde sein. England ist jeder Kooperation gegen Deutschland feindlich gesinnt. Im Verfolg dieser Besprechung heute Rücksprache mit Tschitscherin, der dann gegen Mittag zu Lloyd George geht.“ (AA, Büro Reichsminister, Genua, 5h/3).

8

Ein solches Protokoll in R 43 I nicht ermittelt.

Extras (Fußzeile):