2.168 (bau1p): Nr. 166 Der Reichskanzler an den Badischen Innenminister. 11. Februar 1920

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[595] Nr. 166
Der Reichskanzler an den Badischen Innenminister. 11. Februar 1920

R 43 I /340 , Bl. 248–249 Entwurf1

[Betrifft: Auslieferungsfrage.]

Persönlich!

Ihr freundliches Schreiben vom 7. 2. d[ieses] J[ahre]s2 habe ich mit bestem Dank erhalten. Die Befürchtung, daß die Regierung sich jetzt in der Auslieferungsfrage negativ zu stark festlegen und nachher doch schwach werden könnte, tritt mir jetzt begreiflicherweise nach den Vorgängen des vorigen Sommers von vielen Seiten entgegen3. Aber die Sachlage ist doch in wesentlichen Punkten von der damaligen verschieden. Damals handelte es sich um die Unterschrift unter den Vertrag, und die Erfüllung stand noch in weiter Ferne. Was tatsächlich von Deutschland gefordert werden würde, war in vielen Punkten, besonders gerade in der Auslieferungsfrage, noch ganz unbestimmt. Jetzt aber wird eine ganz bestimmte Handlung von der deutschen Regierung verlangt. Über den Umfang dieser Handlung besteht kein Zweifel mehr, die Liste mit allen großen und kleinen Namen liegt uns vor. Die Ausführung des Verlangten ist vollständig unmöglich, darüber gibt es für mich nicht den geringsten Zweifel. Von dem Willen der Regierung, d. h. des Kabinetts, ist die Frage der Möglichkeit gar nicht abhängig, ob wir wollen oder nicht, wir können nicht erreichen, daß die Auslieferung tatsächlich durchgeführt wird. Nur das ist es auch, was ich und meine Kollegen immer betonen müssen und betonen wollen: Die Auslieferung ist faktisch unmöglich4.

Sie wird auch unmöglich bleiben, und zwar nach meiner festen Überzeugung auch dann, wenn Zurückhaltung der Gefangenen oder andere Gewaltmaßnahmen uns angedroht werden. Darin werden Sie recht haben, daß dann in einem Teile des Volkes die Stimmung umschlagen wird, aber in einem anderen, mindestens ebenso großen und mächtigen Teile, namentlich bei der Reichswehr5 und den Beamten6, wird die Weigerung gleich energisch bleiben, und[596] die Folge werden fürchterliche innere Kämpfe sein. Die Regierung ist demgegenüber vollständig machtlos, außer dem einen, daß sie mit allen Kräften versucht, eine Abänderung des Verlangens zu erreichen.

Aus allen diesen Gründen kommt es nach meiner Überzeugung nicht in Betracht, daß die Regierung im wesentlichen Kern diesmal ihren Standpunkt wechseln könnte.7

Ihre Ausführung, daß es taktisch von Wert ist, wenn durch Verhandlungen Zeit gewonnen wird, in der die Entente Gelegenheit hat, ihre Ansicht zu ändern, halte ich für zutreffend und in diesem Sinne werden auch die weiteren Schritte der Regierung gehen.

Indem ich Ihnen nochmals für Ihr Schreiben bestens danke, bleibe ich in ausgezeichneter Hochachtung

Ihr sehr ergebener

B[aue]r

Fußnoten

1

Der Entw. wurde am 11. 2. vom GehRegR Brecht angefertigt, vom UStSRkei korrigiert und vom RK paraphiert. Abgangsvermerk der Rkei vom gleichen Tag.

2

Siehe Dok. Nr. 163.

3

Materialien dazu in: R 43 I /340 .

4

Vgl. dazu die Ausführungen des RK über die Auslieferungsfrage anläßlich des Presseempfangs in der Rkei am 5. 2. (Dok. Nr. 161, insbesondere Anm. 15).

5

Der derzeitige Reichsabwicklungskommissar Grzesinski schreibt dazu in seinen – 1933 abgeschlossenen – Lebenserinnerungen, daß er in seinen Unterlagen Aufzeichnungen darüber gefunden habe, daß Gen. von Seeckt, „als ranghöchster Offizier, wie er sich ausdrückte“, die Departementsdirektoren des RWeMin. und die Offiziere des Truppenamtes am 9. 2. versammelt habe, um sie über seine Ansichten in der Auslieferungsfrage zu informieren. Für den Fall, daß die RReg. „ganz umfalle“ oder die Heerführer an ein neutrales Gericht ausliefern wolle, sei er bereit, „jeglichen Versuch der Auslieferung an die Entente mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern“. Obwohl er nicht daran glaube, daß die Entente im Westen dt. Gebiet besetzen werde, habe er dann den Plan entwickelt: „Alles was Waffen tragen könne, müsse nach Westen strömen, dort schrittweise den Boden verteidigen, dann allmählich zurückgehen und in einer Weser- oder Elbstellung defensiv bleiben. Inzwischen müsse man offensiv durch Polen hindurch, um Sowjetrußland die Hand zu reichen.“ Er werde an das Reichsverwertungsamt schreiben, damit kein weiteres Heeresmaterial veräußert oder vernichtet werde. Im übrigen solle die Armee auf dem Papier zwar vermindert werden, ansonsten der Abbau aber nicht fortgeführt werden. Das Kdo. des Gen. von Lüttwitz, mit dem er sich in Verbindung gesetzt habe, teile seine Meinung, die er auch dem RPräs. vortragen werde. Von diesen die Autorität der RReg. in Frage stellenden Vorgängen, die nach Ansicht des Chefs des Waffenamtes, Oberst von Kress, „unter Umständen“ auf die Errichtung einer Militärdiktatur unter Seeckt hinausliefen, will Grzesinski am 10. 2. durch eine Indiskretion seitens des RWeMin. erfahren und sofort den RK informiert haben, der seinerseits den den RWeM zum Vortrag gebeten habe. Nachdem von Seeckt durch Noske zur Rede gestellt worden sei, habe man dennoch nichts gegen die „Pläneschmiede“ unternommen (nach dem ungedruckten Manuskript der Erinnerungen im Restnachl. Grzesinski, Kl. Erw. 144, Bl. 91–93). Die Aufzeichnungen Grzesinskis werden teilweise durch einen streng geheimen Erlaß des Chefs der Heeresleitung vom 11. 2. bestätigt, in dem Gen. Reinhardt für den Fall der Ablehnung der Auslieferungsforderung durch Dtld. die „Aufnahme des Kampfes im Westen und Osten“ in Rechnung stellt. „Der Entschluß zum Krieg wird letzten Endes von politischen Erwägungen abhängig gemacht werden; er kann durch das Verhalten der Feinde geradezu erzwungen werden. Uns liegt es ob, dafür zu sorgen, daß ein solcher Entschluß uns nicht unvorbereitet, sondern in einer den Umständen nach günstigen Lage findet.“ Anders als Seeckt sieht Reinhardt in dem Expansionsstreben des russ. Bolschewismus eine drohende Gefahr, die zusammen mit der Pflicht zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung es verbiete, „in der Abrüstung des Heeres weiter zu gehen, als es bisher geschehen ist“ (Nachl. Reinhardt , Nr. 16 a). – Zur Abrüstungsfrage s. weiter Dok. Nr. 172, P. 2.

6

Siehe dazu u. a. Dok. Nr. 152 und 168.

7

Hiernach folgte im Vorentwurf: „Ich persönlich habe die feste Absicht, die Konsequenz aus meiner Haltung zu ziehen.“ – Dazu die Randvermerke Alberts: „Ist das absolut nötig?“ und Bauers: „Gestrichen“.

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