2.81.5 (mu11p): 5. Verkauf der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt an Hugo Stinnes.

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5. Verkauf der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt an Hugo Stinnes.

Ministerialdirektor Rauscher teilte mit, daß Hugo Stinnes den Aktienbesitz der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt von den Testamentsvollstreckern des Reimar Hobbingschen Nachlasses erworben habe. Dieser Verkauf sei für das Reich von weittragender Bedeutung, da dort die Deutsche Allgemeine Zeitung, die Industrie- und Handelszeitung und der Reichsanzeiger gedruckt würden, letzterer allerdings im Wege des Druckauftrags; außerdem stehe die Eisenbahnreklame in enger Beziehung mit der Deutschen Allgemeinen Zeitung8. Seiner Auffassung nach bestünden drei Möglichkeiten für die[196] Behandlung der Angelegenheit. Mit Rücksicht auf die politische Bedeutung sei der beste Fall die Kündigung des noch bis zum 30. VI. 1930 laufenden Vertrages zwischen der Reichsregierung und der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt; ob dies rechtlich möglich sei, sei zweifelhaft. Die zweite Möglichkeit bestehe darin, daß Hugo Stinnes, falls die Reichsregierung sich auf den Standpunkt stelle, ein Zusammenarbeiten mit ihm sei tragbar, etwa folgende Erklärungen abgebe: Das Vertragsverhältnis wird aufrecht erhalten; Stinnes verpflichtet sich, die Vertragsbestimmungen nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Geiste nach zu erfüllen. Ferner sichert sich die Reichsregierung noch näher zu bestimmende Rechte, um irgendwelchen Mißbrauch zu verhindern. Seiner persönlichen Auffassung nach sei dieser Weg nicht gangbar. Es bleibe nur als letzter Weg übrig, daß man mit Stinnes über die Lösung des Vertrages verhandele; die Reichsregierung würde dann aber eine offizielle Zeitung nach Art des Journal Offiziell [!] herausgeben, die bei der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt auf Grund eines bloßen Druckauftrages gedruckt werde: – also nicht mehr im Verlage von der F[irm]a erscheine u. damit jeden Einfluß der F[irm]a entzogen –; daß man ferner die Industrie- und Handelszeitung bei Stinnes beläßt unter der Voraussetzung, daß im Kopf der Zeitung die Bezeichnung „Mit Unterstützung der Reichsregierung“ gestrichen würde. Im übrigen habe Stinnes zugesagt, innerpolitisch keine aggressive Stellung gegen das Reich einzunehmen und außenpolitisch mit ihm zusammenzugehen; dabei wolle er aber das ganze Nachrichtenmaterial aus dem Ausland weiter von der Reichsregierung erhalten. Darüber müsse man mit Stinnes verhandeln. Erwähnen wolle er noch, daß der bisherige Direktor Stollberg sein Verhältnis zu Stinnes gelöst habe. Es sei zu prüfen, ob man den sehr tüchtigen Mann nicht irgendwie anders verwenden könne.

Der Herr Reichskanzler war der Auffassung, daß der erste Weg der reinlichen Scheidung der beste sein würde, jedoch sei es zweifelhaft, ob die Kündigung rechtlich möglich sein würde. Den zweiten Weg halte er nicht für gangbar. Es würde dann evtl. nur der dritte Weg in Frage kommen, der im einzelnen noch nachzuprüfen sein würde, ob der Reichsregierung die genügende Sicherheit gegeben wäre. Der Herr Reichsjustizminister teilte mit, daß ein Gutachten[197] im Reichsjustizministerium in Ausarbeitung sei9. Die rechtliche Frage hinsichtlich der Kündigungsmöglichkeit sei zweifelhaft; für den Ausfall der gerichtlichen Entscheidung könne daher irgendeine Garantie nicht übernommen werden. Seitens eines Vertreters des Auswärtigen Amts wurde noch betont, daß mit Rücksicht auf finanzielle Bedenken eine Lösung des Vertrages, der wegen der Industrie- und Handelszeitung mit der Firma Reimar Hobbing abgeschlossen sei, ihm wenig glücklich erscheinen würde. Der Reichsminister des Auswärtigen war der Auffassung, daß ein Zusammenarbeiten mit Stinnes ihm zweifelhaft erscheine. Deshalb glaube er, daß man sich hinsichtlich der Deutschen Allgemeinen Zeitung von Stinnes trennen müsse. Andererseits wurde vom Herrn Reichskanzler betont, daß es auch nicht wünschenswert sei, wenn Stinnes gegen uns arbeite, zumal Stinnes außenpolitisch von großer Bedeutung sei und die besten Beziehungen zum Ausland habe. Deshalb würde er vorschlagen, <daß der Vertrag der RR mit Stinnes bzw. der DAZ gelöst werde, während eine Belassung des Druckauftrags des Reichsanzeigers, auch nach seiner Umwandlung in ein „journal officiell“, politisch erträglich erscheine.>10 Das Kabinett stimmt dem zu. Ministerialdirektor Rauscher regte noch die Frage an, ob man nicht schon Vorbereitungen wegen der Schaffung eines anderen Blattes treffen solle. Es wurde empfohlen, diese Frage bis nach näherer Fühlungnahme mit Stinnes zurückzustellen11.

Fußnoten

8

Zwischen dem Reich und der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt A.G., die durch Reimar Hobbing vertreten worden war, war am 13.5.18 ein Vertrag abgeschlossen worden, durch den die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ von diesem Verlag „zu einem leistungsfähigen, wöchentlich mindestens dreizehn Mal erscheinenden Blatt“ auszubauen war, das deutlich getrennt „einen amtlichen Teil, in dem ausschließlich Nachrichten und Kundgebungen der Zentralbehörden des Deutschen Reiches und Preußens erscheinen“ und einen nichtamtlichen Teil enthalten sollte. § 4 des Vertrages besagte: „Der Verleger wird nach Kräften bemüht sein, die Politik des Deutschen Reichs würdig und geschickt zu vertreten. Die Redaktion wird dazu mit den Zentralbehörden ständige Fühlung unterhalten. – Es bleibt dem Verleger indessen unverwehrt, in nichtamtlichen, mit den vollen Namen der Verfasser gezeichneten Beiträgen auch eine freimütige, sachliche Kritik an den Maßnahmen der Regierung zu Worte kommen zu lassen.“ Ein gleicher Vertrag war auch mit der preußischen Staatsregierung abgeschlossen worden (R 43 I /2469 , Bl. 70 f.). Der von Hobbing abgeschlossene Abonnementsvertrag mit der Eisenbahnverwaltung war vom PrArbM und Chef des Reichsamts für die Verwaltung der Reichseisenbahnen am 4.2.18 genehmigt worden (R 43 I /2469 , Bl. 80-91). Nach Kriegsende geriet der Reimar Hobbing-Verlag mit dem nun „Deutsche Allgemeine Zeitung“ genannten Presseorgan in eine wirtschaftliche Krise, so daß sich der Verlag veranlaßt sah, die Rkei an die vertraglich festgelegten Abnahmeverpflichtungen der RReg. zu erinnern und Forderungen in Höhe von 620 885,75 M zu erheben (12.3.20; R 43 I /2469 , Bl. 101 f.). In einer Besprechung in der Rkei mit Verlagsvertretern wurde dann die Frage erörtert, „der Deutschen Allgemeinen Zeitung als Kompensation für ihre Entschädigungsansprüche in anderer Weise entgegenzukommen, etwa durch Unterstützung ihrer Verbreitung im Auslande“ (R 43 I /2469 , Bl. 103). In dieser Situation verlautete, daß der Industrielle Stinnes die Zeitung gekauft habe. Dazu schrieb Georg Bernhard in der Vossischen Zeitung, Stinnes habe schon vorher mehrere Zeitungen übernommen: „Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß Stinnes darauf ausgeht, ein Riesenmonopol für deutsche Zeitungen zu schaffen. Es bedarf keiner Erläuterung, welche enorme Gefahr daraus für die öffentliche Moral und insbesondere für das politische Leben Deutschlands erwachsen kann“ (Vossische Zeitung Nr. 237 vom 9.5.20).

9

S. Anm. 3 zu Dok. Nr. 98.

10

Auf Wunsch Rauschers abgeändert. Die erste Fassung lautete: „[…], daß Ministerialdirektor Rauscher mit Stinnes unverbindlich verhandeln sollte in der Weise, daß Stinnes nur die Deutsche Allgemeine Zeitung drucken, im übrigen aber keinen Einfluß auf den Inhalt der Zeitung ausüben würde.“

11

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 96.

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