2.64.2 (sch1p): 2. [Russische Frage]

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Das Kabinett ScheidemannReichsministerpraesident  Philipp Scheidemann Bild 146-1970-051-17Erste Kabinettssitzung der neuen deutschen Reichsregierung am 13.2.1919 in Weimar Bild 183-R08282Versailles: die deutschen Friedensunterhändler Bild 183-R11112Die Sozialisierung marschiert! Plak 002-005-026

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2. [Russische Frage]

In einem weiteren Telegramm verwahrt sich Reichsminister Graf Rantzau aus Anlaß der Erörterungen des Kabinetts über die Funksprüche Tschitscherins (Protokoll vom 2. 5. d. J. unter Nr. 5) gegen die Bemängelung von Einzelheiten seiner Arbeit im Kabinett2. Fortsetzung des Mißtrauens würde ihn nötigen, um seine Ersetzung durch Persönlichkeit zu erbitten, die das Vertrauen des Kabinetts in höherem Maße besitze. Zur Sache halte er nach wie vor die Aufnahme offizieller Verhandlungen mit der Sowjetregierung vor Klärung der Lage in Versailles für gefährlich. Dagegen scheine die Vereinbarung einer Waffenruhe auch ihm erwünscht. Die Entscheidung hierüber müsse aber den führenden Militärs überlassen bleiben. Die Anknüpfung privatwirtschaftlicher Beziehungen sei, falls möglich, zu begrüßen und durch Absendung von Agenten vorbereitet3.[259] Auch mit der Absendung einer Kommission sozialistischer Vertrauensmänner sei er einverstanden, falls der Kommission kein offizieller Charakter gegeben werde4. Die deutsche Politik müsse von dem Grundgedanken ausgehen, daß ein gemeinsamer Wiederaufbau ganz Europas notwendig sei. Einseitiger Abschluß mit dem Westen zum Kampf gegen Rußland, wie auch Anschluß an den Osten zur Abwehr eines Gewaltfriedens würde Fortsetzung des Krieges bedeuten. Deutschland habe die Wahl, zwischen Westen und Osten zu vermitteln oder zu dem Kampf das Schlachtfeld herzugeben. Amtliche Anknüpfung mit Rußland sei in dem Augenblick geboten, wo die Forderungen der Entente eine Verständigung unmöglich erscheinen ließen.

2

Der Inhalt des Telegramms des RAM an Paxkonferenz vom 3.5.1919 ist im Protokoll annähernd wörtlich wiedergegeben. Darüber hinaus heißt es, daß die Telegrammtexte nicht rechtzeitig den Kabinettsmitgliedern übersandt worden seien, beruhe auf versehentlicher Unterlassung nachgeordneter Stellen. „Ich bitte im Kabinett energisch zu betonen, daß meine Arbeit durch fortgesetzte mißtrauische und kleinliche Bemängelung unnötig erschwert wird […] Unregelmäßigkeiten im Geschäftsgang sollten nicht durch grobes Geschütz von Angriffen im Kabinett, sondern durch einfache Nachfrage im AA erledigt werden. […]“ (PA, Nachl. Brockdorff-Rantzau , Az. 19). Daneben sandte der RAM am 3.5.1919 an UStS v. Langwerth persönlich ein weiteres Telegramm, in dem es heißt, das vorgenannte Telegramm sei „nach Rücksprache mit hiesigen fünf Friedensdelegierten erfolgt. Ersuche Dich, dem Kabinett keinen Zweifel darüber zu lassen, daß ich mir diese ebenso lächerlichen wie kleinlichen Bemängelungen verbitte. Im übrigen hoffe ich, daß meine Direktiven bezüglich der Ostpolitik klar genug sind, um im Kabinett begriffen zu werden.“ (PA, Dt. Friedensdelegation Versailles, Pol 14).

3

Am 3.5.1919 berichtete UStS Toepffer in einem Schreiben an den RAM über eine Unterredung mit Rathenau; dieser habe ihm mitgeteilt, „daß er ständige Fühlung mit den Russen habe, die der Sowjet-Reg. nahestehen und von diesen laufend über alles, was geschieht, orientiert wird. […] Die Entente scheint nach den Informationen des Herrn Rathenau in lebhafter Fühlung mit Moskau zu stehen, und es liegt die Gefahr vor, daß derjenige, der die dringend benötigten Waren und das erforderliche Geld zur Verfügung stellt, den Vogel dort abschießt. […]“ (PA, Nachl. Brockdorff-Rantzau , Az. 19).

4

Über die Absendung einer derartigen Kommission ist nichts zu ermitteln.

Der Ministerpräsident stellt unter Zustimmung des Kabinetts fest, daß das Kabinett bei der Besprechung der Funksprüche Tschitscherins nicht die Absicht gehabt habe, dem Reichsminister Grafen Rantzau einen persönlichen Vorwurf zu machen oder seine Geschäftsführung irgendwie zu bemängeln. Die hierauf bezügliche Äußerung des Telegramms beruhe auf einem Mißverständnis.

Von dem sachlichen Inhalt des Telegramms nimmt das Kabinett Kenntnis.

Reichsminister Preuß bemerkt, daß er in dem Funkspruch Tschitscherins vom 19. 4.5 kein Verständigungsangebot erblicken könne. Die Bolschewiki trieben auch hier wieder die perfideste Politik. Es sei sehr zweifelhaft, ob ein Abkommen mit den Bolschewiki, das auch von ihrer Seite ernsthaft gehalten werde, überhaupt möglich sei. Falls eine neutrale Zone gebildet werde, würden dort bolschewistische Freischaren auftreten. Man müsse Garantien erhalten, damit Ordnung bleibe. Auch Kriegsminister Reinhardt äußerte Bedenken, ohne ausreichende Garantien den Grenzschutz an die deutsche Grenze zu verlegen. Die geängstete Bevölkerung würde das Land auf viele Kilometer räumen. Reichsminister Noske meinte, daß der Abzug unserer Truppen den Bürgerkrieg in Lettland unmittelbar vor unserer Grenze zur Folge haben würde. Reichsminister Gothein bat, darauf zu achten, daß nicht große Werte an Heeresgut beim Rückzug verloren gehen. Reichsminister Erzberger trat für die Waffenruhe ein.

5

Siehe Dok. Nr. 58, Anm. 7.

Der Ministerpräsident stellte fest, daß das Kabinett eine Waffenruhe, wenn sie möglich sei, begrüßen würde. Es soll zunächst die Äußerung der Obersten Heeresleitung, die vom Kriegsminister eingeholt ist, abgewartet werden6.

6

Siehe Dok. Nr. 81, P. 5. Über das Ergebnis der Aussprache im RKab. über die russ. Frage telegrafierte UStS v. Langwerth am 5.5.1919 an den RAM: „Habe russ. Angelegenheit weisungsgemäß Kabinett vorgelegt, das RWeM beauftragte, mit militärischen Stellen in Erörterung darüber einzutreten, ob Herbeiführung von an sich erwünschter Waffenruhe mit russ. Sowjetreg. möglich. Im übrigen erklärte MinPräs. unter Zustimmung Kabinetts, daß mit Anfrage betr. Funkspruch vom 19. 4. keinerlei Kritik gegen Dich geübt, geschweige denn irgendwelcher Mangel an Vertrauen zum Ausdruck gebracht werden sollte.“ (PA, Dt. Friedensdelegation Versailles, Pol 14). Eine Waffenruhe im Baltikum kam nicht zustande, s. Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen dt. Truppen und Freikorps, Bd. II, Berlin 1937, passim.

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