2.222.5 (wir1p): 5. Hilfeleistung für die Wolga- und Schwarzmeerkolonisten deutscher Abstammung.

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5. Hilfeleistung für die Wolga- und Schwarzmeerkolonisten deutscher Abstammung.

Legationsrat Hauschild befürwortet für das Auswärtige Amt aufs wärmste, daß den Wolga- und Schwarzmeerkolonisten Saatgut zur Verfügung gestellt werde unter Übernahme einer Ausfallsbürgschaft durch das Reich5.

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Zum Sachverhalt hatte das AA am 1.3.22 in einem Schreiben an die RReg. u. a. ausgeführt: „Von der in Sowjetrußland herrschenden Hungersnot sind besonders auch die Wolga- und Schwarzmeer-Kolonisten deutscher Abstammung betroffen worden. Ein großer Teil der Kolonisten ist bereits dem Hunger und Seuchen erlegen. Um der Gefahr einer Massenabwanderung nach Deutschland vorzubeugen, ist sofortige Hilfeleistung erforderlich. Sie kann zur Zeit ausschließlich in der Lieferung von Saatgut in einem Ausmaße bestehen, das wenigstens einem Teil der südrussischen Bevölkerung ein Durchhalten bis 1923 ermöglicht. Eine entsprechende Aktion ist durch die hiesigen Vertreter der südrussischen Kolonien unter Führung des Abgeordneten Herrn Dr. Fleischer eingeleitet worden. In Verbindung mit anderen deutschen Banken hat sich die Kreissparkasse Bonn zur Hergabe eines Kredites von 100 Mio Mark gegen 7% Zinsen zuzüglich eines einmaligen Unkostenbeitrages von 1% bereit erklärt, falls das Reich für den etwaigen Ausfall der seitens der Saatgutempfänger zu leistenden Sicherheiten Bürgschaft leistet. Ankauf und Lieferung des Staatgetreides an die südrussischen Kolonisten soll erfolgen durch den deutschen Reichsangehörigen, Herrn Peter Westen, der zu diesem Zwecke eine deutsche Handelsgesellschaft mit dem Sitz in Hamburg oder Berlin gründet. Herr Westen ist durch seine Westen A.G. in Wien und seine ausgedehnten Beziehungen in Rumänien, Ungarn und Siebenbürgen in der Lage, sofort das erforderliche Saatgut zu beziehen und sowohl an die rumänisch-russische Grenze wie in die südrussischen Häfen zu transportieren.“ (R 43 I /132 , S. 165-168 und 1375, R 43 I /1375 , Bl. 66 f.).

[608] Staatssekretär Schroeder hat die schwersten Bedenken hiergegen. Nach Ansicht des Reichsfinanzministeriums falle diese Bürgschaft nicht unter den § 2 des Reichshaushaltsgesetzes6. Ferner fürchte das Reichsfinanzministerium, daß derartige Ausgaben des Reichs die Verhandlungen mit der Reparationskommission ungemein erschweren würden und letzten Endes zur Einführung einer Finanzkontrolle beitragen könnten. Endlich habe sein Ministerium erhebliche Zweifel an der Durchführbarkeit des Projekts. Es könne keinerlei Gewähr geboten werden, daß das Saatgut auch wirklich in die Hände der Kolonisten gelange, vielmehr sei es sehr wahrscheinlich, daß es unterwegs von der hungernden Bevölkerung aufgegessen werden würde.

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§ 2 des am 30.3.22 verkündeten Haushaltsgesetzes lautet in den hier wichtigen Passagen: „Der RFM wird ermächtigt: […] c) zur Befriedigung unabweisbarer, durch die Nachwirkungen des Krieges hervorgerufener Bedürfnisse nötigenfalls Garantien zu übernehmen;“ (RGBl. 1922 I, S. 305 ).

Staatssekretär Dr. Hirsch hat die gleichen Bedenken wie Staatssekretär Schroeder.

Ministerialdirektor Dr. Falck unterstützt den Antrag des Auswärtigen Amts auf das wärmste, inbesondere mit Rücksicht darauf, daß bei Nichtausführung des Projekts die russische Abwanderung nach Westen und damit die Gefahr der Einschleppung von Seuchen nach Deutschland beträchtlich zunehmen würde.

Ministerialdirektor Dr. Ritter spricht sich für das Reichsarbeitsministerium für die Vorlage aus.

Staatssekretär Dr. Huber: Das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft sei gegen die Vorlage, da die Aktion aller Wahrscheinlichkeit nach nicht werde durchgeführt werden können; das Saatgut würde nicht in die Hände der Kolonisten gelangen. Das Bestreben der Wiener Firma Westen gehe offenbar dahin, durch das Saatgutgeschäft in kaufmännische Verbindung mit dem Osten zu gelangen. Es sei nicht Aufgabe des Reichs zur Unterstützung dieser Bestrebungen Geld aufzuwenden.

Das Kabinett beschließt:

1.

das Auswärtige Amt und das Reichsfinanzministerium sollen am 7. März über die Einzelheiten der Bürgschaft und der Garantien untereinander verhandeln;

2.

dem heute abwesenden Herrn Reichskanzler soll über die Stellungnahme des Kabinetts zu der Vorlage Vortrag gehalten werden;

3.

der Reichsminister der Finanzen wird sich alsbald äußern, ob er sich für befugt erachtet, die nötigen Garantien auf Grund des § 2 des Gesetzes, betreffend die Feststellung des Reichshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1922 zu übernehmen.

Mit diesen Maßgaben stimmt die Mehrheit des Kabinetts der Vorlage des Auswärtigen Amts zu7.

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Die Angelegenheit kommt am 15.3.22 erneut auf die TO (siehe Dok. Nr. 224, P. 5).

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