2.72 (bau1p): Nr. 71 Bericht des Preußischen Staatskommissariats für die Überwachung der öffentlichen Ordnung über gegenrevolutionäre Bestrebungen. [2. Oktober 1919]

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Das Kabinett BauerKabinett Bauer Bild 183-R00549Spiegelsaal Versailles B 145 Bild-F051656-1395Gustav Noske mit General von Lüttwitz Bild 183-1989-0718-501Hermann EhrhardtBild 146-1971-037-42

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[281] Nr. 71
Bericht des Preußischen Staatskommissariats für die Überwachung der öffentlichen Ordnung über gegenrevolutionäre Bestrebungen. [2. Oktober 1919]

R 43 I /2706 , Bl. 171–172 Abschrift1

1

Vom AA mit Anschreiben vom 2. 10. der Rkei, dem RIMin. und RWeMin. zur „vertraulichen Kenntnisnahme“ mit folgendem Hinweis übersandt: „Der Staatskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung in Preußen übermittelt nachstehenden, von besonders zuverlässiger Seite aus Potsdam stammenden Bericht.“ – Sichtparaphe des RK vom 4.10.19.

Über die Gefahr einer Gegenrevolution habe ich an den verschiedensten in Betracht kommenden Stellen in einer meiner persönlichen Stellung zu den betreffenden Gewährsleuten jeweils entsprechenden Art Erkundigungen eingezogen. Die Zuverlässigkeit meiner Quellen ist verschieden, teils weil ich nicht nachprüfen konnte, wie weit die Betreffenden selbst in die event[uellen] Pläne eingeweiht waren, teils weil mir nicht klar war, wie weit man mir mit Vertrauen begegnete. Im allgemeinen war dies jedoch durchaus der Fall, da man bei mir voraussetzt, daß ich Gegner der Regierung bin, durch die ich meine Stellung verloren habe.

Zuverlässig sind meine Angaben, soweit sie negativ sind. Über den positiven Teil der im rechten Lager geleisteten Arbeit werde ich voraussichtlich demnächst nähere Nachrichten bekommen.

Im ganzen halte ich die Gefahr eines reaktionären Putsches zur Zeit nicht für drohend. Wich[tig]tuerei und Schwatzhaftigkeit gewisser Gesellschaftskreise, die sich hauptsächlich aus alten Offizieren, Angehörigen adliger grundbesitzender Familien und Antisemiten zusammensetzen, haben einen Teufel an die Wand gemalt, der vorläufig ungefährlich ist. Allerdings wird in diesen Kreisen an einer gegenrevolutionären Bewegung gearbeitet, doch scheinen sie über ungenügende Mittel und Anhängerschaft zu verfügen. Auch darüber werde ich Näheres hören, ebenso über etwa gefaßte bestimmte Pläne2.

2

Im Spätsommer 1919 hatte der von RWeM Noske wegen seiner maßgeblichen Beteiligung an verschiedenen nationalistischen Protest- und mil. Aufstandsaktionen kurzfristig aus dem Heeresdienst entlassene Stabschef des Garde-Kavallerie-Schützenkorps, Hptm. Pabst, im Verein mit dem stellvertr. Führer der ehemaligen Dt. Vaterlandspartei, dem ostpr. Generallandschaftsdirektor Kapp, und dem politischen Berater Gen. Ludendorffs im 1. Weltkrieg, Oberst Bauer, die „Nationale Vereinigung“ mit dem Ziel, eine „Einheitsfront aller Nationalgesinnten“ herzustellen, gegründet. Als sog. Hauptgeschäftsführer der Vereinigung konnte Pabst sich auf das Organisationsgerüst der Vaterlandspartei stützen. Zum Führungskreis der Vereinigung gehörten neben den Genannten auch Ludendorff, Schiele, Traub, Trebitsch-Lincoln, Schnitzler und Grabowsky. Durch die Mitgliedschaft Kapps und Traubs im Hauptvorstand der DNVP unterhielt die Vereinigung direkte Fühlung zu den Führern der rechtsoppositionellen Parteien ebenso wie zu den im Berliner „Nationalen Klub“ seit Oktober 1919 zusammengeschlossenen Bankiers, Industriellen, Ministerialbeamten und Großgrundbesitzern, da hier Traub als 1. Stellvertreter im Präsidium fungierte. – Über die beiden Organisationen vgl. die materialreichen Artikel in: Die bürgerlichen Parteien in Deutschland. Bd. II, S. 339 ff.; zur Korrektur in Einzelheiten vgl. das über Aufbau und Mitglieder des Berliner Nationalklubs informierende Faltblatt vom Oktober 1919 in: Nachl. Traub , Nr. 8, Bl. 36 f. Über die Beziehungen der „Nationalen Vereinigung“ zu mil. Kreisen, insbesondere zu Gen. von Lüttwitz, vgl. Dok. Nr. 219, Anm. 5. RWeM Noske gibt an, daß die ihm im Herbst 1919 seitens des StKom. für die Überwachung der öffentlichen Ordnung zugehenden Informationen über die Aktivitäten der genannten Organisationen stets „beruhigend“ gewesen seien (Gustav Noske: Von Kiel bis Kapp. S. 201 f.). Dagegen legen andere, nicht in die Akten der Rkei gelangte Materialien unzweifelhaft dar, daß von einem engeren Mitgliederkreis jener Organisationen bereits zu diesem Zeitpunkt an der Vorbereitung eines eventuell auch unter Einsatz mil. Machtmittel durchzuführenden Staatsstreichs gearbeitet wurde. Zum Stand der diesbezüglichen Vorbereitungen im Oktober/November 1919 s. Ursachen und Folgen. Bd. IV, Dok. Nr. 848. Im einzelnen ist in dieser Hinsicht als Quellenedition unentbehrlich: Arbeiterklasse siegt über Kapp und Lüttwitz. Grundlegend für die Darstellung des Gesamtzusammenhangs ist Johannes Erger: Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, sowie – mit methodischem und quellenkritischem Vorbehalt (s. dazu Erhard Lucas: Die Widerstandsbewegung gegen den Kapp-Putsch in der DDR-Historiographie) – Erwin Könnemann und Hans-Joachim Krusch: Aktionseinheit contra Kapp-Putsch.

[282] Ludendorff ist jedenfalls nicht das Haupt der Gruppe, die für eine sofortige monarchistische Aktion oder selbst für eine solche auf Diktatur des „Starken Mannes“ abzielt. Er hat klar ausgesprochen, daß er die Zeit dafür deshalb noch nicht für gekommen hält, weil auch dieser „Starke Mann“ dem Volke im Laufe des Winters keine Besserung in der Kohlen- und Teuerungsfrage bringen kann und infolgedessen nicht volkstümlich werden und keine Zukunft haben würde3. Allerdings verhält er sich den monarchistischen Aktivisten gegenüber im ganzen zum mindesten nicht ablehnend.

3

Hier wird die seinerzeit in Kreisen der „Nationalen Vereinigung“ gängige Lageeinschätzung wiedergegeben (vgl. die wahrscheinlich von Schnitzler oder Schiele stammende Denkschrift „Die Beteiligung von Mehrheitssozialisten an der Regierungsgewalt“ vom 18.9.19 in: Nachl. Kapp , E II 5, Bl. 61–78 sowie das wahrscheinlich von Kapp verfaßte „Promemoria über deutsche Politik“, ebd., E II 4, Bl. 253–282; die Denkschrift vom 18.9.19 ist abgedruckt in: Arbeiterklasse siegt über Kapp und Lüttwitz. Bd. I, Dok. Nr. 5).

Die treibende Kraft ist bei den Truppen im Osten zu suchen, mit denen Ludendorff in Verbindung steht. Doch ist die monarchistische Propaganda4, wie mir gesagt wurde, so geschickt betrieben worden, daß jetzt die Mannschaften das treibende, die Offiziere das hemmende Moment darstellen. Goltz’s Pläne gehen auf eine gemeinsame Arbeit mit Denikin, um mit Rußland vereint hier wie dort auf militärischem Wege die Ordnung herzustellen. Seine 40 000 zuverlässigen Leute ständen bereit, in Deutschland in jedem der Rechten genehmen Sinne einzugreifen5. Sein Chef I A Herr von Jagow6 sollte dieser Tage durch Vermittlung von Herrn Tschernak (Deutsche Tageszeitung) Verbindung mit Ludendorff im Sinne einer monarchistischen Aktion aufnehmen.[283] Ob dies geschehen ist, weiß ich nicht, jedenfalls glaube ich vorläufig nicht an praktische Pläne für die nächste Zeit7. Geld hätten die Goltz’schen Truppen in Gestalt der in Berlin gedruckten Oberostmark8, die hier zum Normalkurse eingelöst werden, reichlich.

4

Über die für die Durchführung des Kapp-Lüttwitz-Putsches nur eine untergeordnete Rolle spielende Frage der Wiedererrichtung der Monarchie vgl. J. Erger: A. a. O., S. 102 ff.

5

Gen. von der Goltz war von seinem Kommando über die dt. Baltikumtruppen abberufen worden (vgl. Dok. Nr. 67, P. 1 a). Eine für die Stimmung bei den Baltikum-Freikorps symptomatische Lagebeurteilung hatte Gen. Groener bereits im Anschluß an die von der „Eisernen Division“ Maj. Bischoffs ausgehende Militärrevolte (vgl. Dok. Nr. 58, Anm. 5) abgegeben: „General Graf Goltz hält es für möglich, daß die Truppen letzten Endes gegen Ostpreußen marschieren und der Regierung gefährlich werden. […] Tatsächlich macht sich aber zwischen den Truppen schon eine Spaltung bemerkbar. Ein Teil verfolgt lediglich Sicherstellung ihrer Zukunft, ein anderer aber ideale und nationale Interessen, Kampf gegen Bolschewismus, Festhalten von Zukunftsmöglichkeiten gegenüber den verhaßten Engländern, Schutz Ostpreußens, Drängen der deutschen Regierung in nationalere Bahnen und dergleichen. Alles dies ist natürlich unklar […]“ (KdoStelle Kolberg an AA, RWeM, PrKriegsM; 27.8.19; Abschrift in: Nachl. Groener , Nr. 131, Bl. 114 f.).

6

Gemeint ist Hptm. von Jagow, seit Ende Februar 1919 Generalstabsoffizier Ia des Generalkommando VI. Reservekorps im Baltikum.

7

Über Staatsstreichpläne, die gegen Ende des Jahres in den Reihen der aus dem Baltikum zurückkehrenden Freikorps offen erörtert wurden, vgl. Dok. Nr. 102, Anm. 4.

8

Über das Oberostgeld vgl. Dok. Nr. 37, Anm. 18.

In Potsdam ist von einer ernstlichen Gefahr eines reaktionären Unternehmens nicht zu reden. Zunächst sind von Truppen hierfür nur ein geringer Teil, etwa ein Viertel, zu verwenden. Ein anderes Viertel soll im Besitze des Zugehörigkeitsausweises der kommunistischen Partei sein. Etwa 50 von Hundert wollen weder nach rechts noch nach links putschen, sondern die Regierung stützen, um ihre Ruhe und ihr Auskommen zu haben. Eine großzügig angelegte Bewegung könnte vor allem nicht ohne Einverständnis des Chefs I A der R[eichs]w[ehr]b[rigade] Potsdam9 eingeleitet werden und dieser ist, wenn auch im Prinzip Monarchist, so doch in erster Linie ausgesprochener Gegner von irgend welchen Putschen, die neue Bürgerkriege entfesseln können. In Verbindung mit einer gegenrevolutionären Arbeit wurden mir die Namen: Major von Richthofen (R.W.B. Hülsen10) und Pabst genannt. Beide Namen möchte ich nur mit großen Fragezeichen wiedergeben, da ich Unterlagen nicht erlangen konnte. Bei Herrn von Richthofen wird zur Zeit fieberhaft gearbeitet; ob dies in Verbindung zu bringen ist mit Plänen der Reaktion, wage ich nicht zu entscheiden. Beide Herren waren jedoch bei den etwa 10 Wochen zurückliegenden, weit vorgeschrittenen Vorbereitungen für einen monarchistischen Putsch beteiligt, der auf Diktatur Noskes, oder, falls dieser nicht wollte, Sturz der Regierung samt Noske und Militärdiktatur eines Generals abzielte11. Die Vorbereitungen, die, wie gesagt, weit gediehen waren, verliefen damals im Sande. Mangel an Organisation, Kräften, Geld, wohl auch die Einsicht der Aussichtslosigkeit waren die Ursache. Herr Hauptmann Pabst hielt es außerdem für praktisch, im entscheidenden Augenblick zu erkranken. Die meisten der damals beteiligten Offiziere sind mittlerweile versetzt und halten sich jetzt ruhig, so daß von ihnen nichts zu befürchten ist. Als interessiert für eine Gegenrevolution wurden mir für Berlin genannt: Herr Müller-von Hausen, Charlottenburg, Kantstraße, und der G[ermanen] O[rden] mit ihm General von Heimerdingen12. Näheres darüber werde ich noch erfahren. Jede Bewegung gegen die Regierung wird ferner unterstützt durch die Mehrzahl derjenigen Offiziere, deren Auslieferung der Versailler Vertrag zugegeben hat.

9

In Potsdam war die Reichswehrbrigade 3 unter GenMaj. von Hülsen stationiert; Generalstabsoffizier Ia war Maj. von Bock (Truppeneinteilung s. in: Darstellungen. Bd. VI, Anlage 2 H).

10

Gemeint ist die Reichswehrbrigade 3 (vgl. Anm. 9).

11

Gemeint ist wahrscheinlich der in Dok. Nr. 32, Anm. 3 näher beschriebene Aufstandsplan des Garde-Kavallerie-Schützenkorps.

12

Über Ludwig Müller, genannt von Hausen, bekannt unter dem Pseudonym Gottfried zur Beck als Herausgeber der verbreitetsten Ausgabe der sog. Protokolle „Die Geheimnisse der Weisen von Zion“ sowie über GenMaj. von Heimerdingen und den Germanenorden vgl. Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. S. 61, 276 und 360 mit weiteren Hinweisen.

[284] Im ganzen glaube ich aber schon jetzt feststellen zu können, daß eine ernstliche Aktion nicht zu erwarten ist.

Nachtrag:

Ergänzend wird hierzu noch von anderer Seite in Erfahrung gebracht, daß die führenden Persönlichkeiten der gegenrevolutionären Bewegung in einer kürzlich abgehaltenen Besprechung feststellen mußten, daß sie auf eine wirksame Unterstützung von militärischer Seite deutlich abgewinkt worden sei [sic]. Dadurch hat die Bewegung wohl ihre Kraft zunächst völlig verloren13.

13

Die in Anm. 3 zit. Denkschrift vom 18.9.19 kursiert auch im Reichswehrgruppenkommando 1. Gen. von Lüttwitz ließ sie am 23. 9. durch seinen Stabschef, Gen. von Oldershausen, an Kapp zurücksenden (Nachl. Kapp , E II 5, Bl. 60). Eine ungezeichnete, wahrscheinlich aus dem Oktober 1919 stammende Stellungnahme, in dem die Chancen für einen Staatsstreich zum gegenwärtigen Zeitpunkt pessimistisch eingeschätzt werden, befindet sich ebd., E II 2, Bl. 15–19 (abgedruckt in: Arbeiterklasse siegt über Kapp und Lüttwitz. Bd. I, Dok. Nr. 6).

Von anderer Seite wird noch berichtet, daß im Laufe der nächsten Woche eine neue Besprechung der in Frage kommenden Herren stattfinden wird. In dieser soll man sich mit der Frage beschäftigen, was im Falle eines Umsturzes von links geschehen soll oder ob vorher, im Falle der Sicherheit einer Putschbewegung von links, etwas geschehen müsse.

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