2.99 (feh1p): Nr. 99 Der Reichskommissar für die Entwaffnung an den bayerischen Landeskommissar für die Entwaffnung. 27. Oktober 1920

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[253] Nr. 99
Der Reichskommissar für die Entwaffnung an den bayerischen Landeskommissar für die Entwaffnung. 27. Oktober 1920

R 43 I /412 , Bl. 21–24 Abschrift1

1

Es handelt sich hier um eine Abschrift des Schreibens an MinR Nortz, die RKom. Peters am gleichen Tage an StS Albert übersandt hatte; auf dem Kopf des Schreibens findet sich die handschriftl. Notiz MinR Wevers: „Auf Veranlassung von H[errn] StS Peters zur streng vertraulichen Kenntnisnahme.“ Das Schreiben hat auch dem RK vorgelegen und wurde von diesem abgezeichnet (R 43 I /412 , Bl. 21). Eine Abschrift dieses Schreibens erhielt auch der bayer. Gesandte in Berlin, v. Preger (R 43 I /412 , Bl. 24).

[Betrifft: Möglichkeiten zur Durchführung der Entwaffnung in Bayern]

Geheim!

Gelegentlich meines Besuches bei dem Bayerischen Herrn Ministerpräsidenten in München am 20. September d. Js. habe ich mündlich die Mittel und Wege angedeutet, die nach meinem Dafürhalten die Durchführung des Entwaffnungsgesetzes in Bayern ermöglichen, ohne die besonderen in Bayern bestehenden Verhältnisse außer Acht zu lassen2. Der Herr Ministerpräsident führte damals aus, daß er über die Regelung der Entwaffnungsfrage nicht nur für Bayern, sondern für das ganze Reich nach Rücksprache mit den Französischen Geschäftsträger Vorschläge ausarbeiten lassen werde, die dieser alsdann Anfang Oktober bei seiner Regierung in Paris zur Erörterung stellen wolle. Der Herr Ministerpräsident sagte zu, bis etwa Mitte Oktober mir die Antwort der Französischen Regierung auf diese seine Vorschläge übermitteln zu können, und erklärte ferner, er werde die von mir gegebenen mündlichen Vorschläge einer Prüfung unterziehen lassen. Ich habe seitdem von dem Verlaufe der Angelegenheit weitere Kenntnis nicht erhalten, muß aber jetzt auf die Angelegenheit deswegen zurückkommen, weil die mir durch das Auswärtige Amt mitgeteilte Warnung der Englischen Regierung3 ebenso wie die Noten des Generals Nollet als Vorsitzenden der Überwachungskommission4 den Beweis erbringen, daß der von dem Herrn Ministerpräsidenten eingeschlagene Weg zu dem dortseits gewünschten Ergebnis nicht führen wird. Auf der anderen Seite drängt der Abschluß der freiwilligen Ablieferungsperiode dazu, für Bayern eine vollständige Klärung[254] herbeizuführen5. In der für den 5. November 19206 bei mir in Aussicht genommenen allgemeinen Besprechung möchte ich die bayerische Frage nicht anschneiden. Geboten ist indessen, im Anschluß an diese Besprechung mit Euer Hochwohlgeboren allein die weiteren Schritte festzulegen. Notwendig wird es sein, daß Euer Hochwohlgeboren vorher mit der Bayerischen Regierung die erforderliche Fühlung nehmen, damit diese Besprechung dann zu einem positiven Ergebnis führen kann.

2

Zu dieser Unterredung zwischen dem Bayer. MinPräs. v. Kahr und RKom. Peters s. Dok. Nr. 76.

3

Am 15.10.1920 hatte der brit. Außenminister die brit. Botschaft in Berlin angewiesen, die RReg. auf die schwere Verantwortung aufmerksam zu machen, die mit dem Verhalten Bayerns in der Einwohnerwehrfrage verbunden war (DBFP, 1st Series, Vol. X, p. 401). Am 21. 10. hatte daraufhin die brit. Botschaft StS v. Haniel auf den Ernst der Lage hingewiesen und hatte gebeten, über die weiteren Maßnahmen der RReg. in dieser Angelegenheit orientiert zu werden. StS v. Haniel hatte nach einigen erklärenden Bemerkungen über die Lage in Bayern lediglich bemerkt, daß die RReg. zur Zeit machtlos sei (DBFP, 1st Series, Vol. X, p. 402).

4

In zwei Noten vom 12. 10. und 18.10.1920 hatte die IMKK bei der RReg. Aufklärung über den Fortgang der Entwaffnung der Einwohnerwehren gefordert (PA/II F-M/S 8, Bd. 1; s. auch Schultheß 1920, II, S. 343).

5

Nach dem § 5 der 1. Ausführungsbestimmung zum Entwaffnungsgesetz war für die freiwillige Ablieferung von Militärwaffen ein bestimmter Zeitraum vorgesehen; es war dies die Zeit vom 15. 10. bis zum 1.11.1920 einschließlich (RGBl. 1920, S. 1596 ).

6

Es war dies die spätere Besprechung des RKom. für die Entwaffnung mit den Mitgliedern der Landeskommissariate vom 5.11.1920 über weitere Maßnahmen zur Durchführung des Entwaffnungsgesetzes. Das Protokoll dieser Besprechung findet sich in R 43 I /412 , Bl. 35–39.

Die Durchführung des Entwaffnungsgesetzes scheint mir in Bayern, soweit die Organisationen in Frage kommen, deswegen auf Schwierigkeiten zu stoßen, weil die öffentliche Meinung dahin geht, die Entwaffnung der Einwohnerwehren usw. sei mit Rücksicht auf die Erfahrung des vergangenen Jahres erst dann möglich, wenn Gewähr bestände, daß die linksradikalen Elemente sich nicht mehr im Besitze gefährlicher Waffenmengen befänden. Das Ergebnis der freiwilligen Waffenablieferung, insbesondere in München, scheint nach dortiger Auffassung diese Gewähr noch nicht zu geben.

Hier wird in erster Linie einzugreifen sein.

Ich bin bereit, kommunistischen Waffenlagern in ganz Bayern, insbesondere in den Gefahrbezirken wie München, Schweinfurt, Hof usw., dadurch auf die Spur zu kommen, daß ich durch Bereitstellung erheblicher Geldmittel das Verraten solcher Lager ermögliche. Mit diesen Mitteln arbeite ich bereits an vielen Orten mit sehr gutem Erfolge. Die Kassen der Kommunisten sind leer. Die Geldquellen, die ihnen bisher zur Verfügung standen, versagen, und es herrscht infolgedessen in dieser Aktionspartei vielfach Unzufriedenheit, die manche Elemente veranlaßt, dem Anreiz angebotener Belohnungen nachzugeben.

Ich bitte zu prüfen, inwieweit auf diesem Wege an die kommunistischen Waffendepots in Bayern herangekommen werden kann, und bin gegebenenfalls auch bereit, mir zur Verfügung stehende Agenten, die gute Fühlung mit bayerischen Kommunisten haben, dorthin zu senden, um auf diesem Wege nachzuhelfen. Es muß aber zugegeben werden, daß mit diesen Mitteln allein eine ausreichende Erfassung kommunistischer Waffenbestände nicht erreicht werden kann, und es bedarf deshalb gleichzeitig weiterer Aktionen: Ich schlage Ihnen vor, daß nach einem aufzustellenden Plane in allen kommunistisch durchsetzten Bezirken Durchsuchungen vorgenommen werden. Bei jeder Durchsuchung muß dann von Ihnen mit meiner Ermächtigung eine Frist gesetzt werden, innerhalb welcher noch straffrei abgeliefert werden kann, mit gleichzeitiger Bekanntgabe, daß nach Ablauf dieser Frist für zweckdienliche Mitteilungen über verborgene Waffenlager Prämien ausgesetzt werden. Die Prämien werden sehr hoch bemessen und in jedem Einzelfall in dem zu durchsuchenden Orte oder Ortsteile öffentlich bekanntgegeben werden müssen. Die Durchsuchung selbst[255] wird mit den örtlich vorhandenen Polizeikräften auszuführen sein, wobei zu erwägen sein wird, ob auch zugunsten der an der Durchsuchung beteiligten Organe für das Auffinden von Waffen Prämien zu geben sind. Reicht die örtliche Polizei nicht aus, so würden Euer Hochwohlgeboren weitere Polizeikräfte aus Bayern auf Reichskosten heranzuziehen haben. Gegebenenfalls bin ich selbstverständlich bereit, in jeder gewünschten Höhe weitere Polizeikräfte nach Bayern für diesen Zweck zu entsenden. Von der Verwendung der Reichswehr glaube ich abraten zu sollen, bin aber bereit, bei der Reichsregierung die nötige Ermächtigung einzuholen, falls Sie die Verwendung der Bayerischen Reichswehrteile für den gedachten Zweck für erforderlich halten.

Neben diesen reinen Vorschlägen bedarf die Frage der Entwaffnung der Wehren aber nunmehr abschließender Regelung. Ich darf in dieser Hinsicht meine seinerzeit in München mündlich gegebenen Ausführungen wiederholen: Zunächst mache ich darauf aufmerksam, daß das Entwaffnungsgesetz lediglich ablieferungspflichtige Waffen begreift7. Einwohnerwehren usw., die mit Stutzen und sonstigen Jagdgewehren, mit Brownings, mit blanken Waffen usw. ausgerüstet sind, werden durch das Entwaffnungsgesetz überhaupt nicht betroffen. Ferner wird dem Willen des Entwaffnungsgesetzes genügt, wenn die Zivilbevölkerung entwaffnet ist, d. h. also, auf die Einwohnerwehren angewendet, wenn diese Organisationen nicht mehr selber Treuhänder der ihnen seinerzeit zur Verfügung gestellten Waffen sind. In dieser Hinsicht bitte ich dafür einzutreten, daß eine Regelung dahingehend in Aussicht genommen wird, daß in den Städten, soweit auf die Wehren nicht verzichtet werden kann, der Staat wieder Verwahrer der für die Wehren noch erforderlichen, nicht ersetzbaren ablieferungspflichtigen Waffen wird. Den Bedenken, daß durch solche Regelung in Revolutionszeiten die staatlichen Waffendepots dem Zugriffe der Aufständischen ausgesetzt sind, kann ich gegenüber dem bei diesem meinen Vorschlage gewonnenen Vorteil keinen ausschlaggebenden Wert beilegen. Es wird eben Sache der zweckmäßigen Anordnung sein, diesen Waffendepots denselben Schutz angedeihen zu lassen wie den Waffenlagern der Reichswehr. Ich mache auch nachdrücklich darauf aufmerksam, daß mir gerade kommunistische Führer wiederholt erklärt haben, soweit sie Anhänger der Propaganda der Tat seien, sei es für sie viel wertvoller, die Mitglieder der Einwohnerwehren wären im Besitze der Waffen, als wenn solche in Depots gelagert würden. Es wäre ihnen weit leichter, den einzelnen Wehrmann abzufangen oder ihm in seiner Wohnung die Waffen zu nehmen, als gegen Waffendepots gewaltsam vorzugehen. Ein einflußreicher Führer bezeichnete mir unlängst jedes gut verwahrte Waffendepot als eine Festung, den einzelnen Wehrmann als einen verlorenen Posten.

7

Ablieferungspflichtig waren nach § 1 des Entwaffnungsgesetzes lediglich Militärwaffen (RGBl. 1920, S. 1553 ). Eine nähere Bestimmung, was als Militärwaffe anzusehen war, enthielt der § 1 der 1. Ausführungsbestimmung zum Entwaffnungsgesetz (RGBl. 1920, S. 1595 ).

Ich mache ferner darauf aufmerksam, daß das Entwaffnungsgesetz dann nicht Platz greift, wenn es sich um eine zur Ausübung ihres Berufs mit Waffen versehene Beamtenschaft handelt8. Hierunter ist die Polizei im weitesten Sinne[256] des Wortes zu verstehen. Wird mithin, soweit das die örtlichen Verhältnisse in Bayern erfordern, eine Umorganisation in dem Sinne vorgenommen, daß die Wehr als Organ der Polizei, mithin selbst als Polizeitruppe, bestimmt wird, so hat sich das Entwaffnungsgesetz mit dieser Wehr nicht weiter zu befassen. Von wesentlicher Bedeutung ist dies vornehmlich auf dem platten Lande, wo durch Bestellung als Flurschützer und Feldhüter auch nach bayerischem Rechte die dort vorhandenen, der Zahl nach ja im einzelnen geringfügigen Organisationen als beamtete Polizei eingerichtet werden können. In nahezu allen anderen Ländern wird auf letzterem Wege dem örtlichen Schutzbedürfnis überall Rechnung getragen, ohne das Entwaffnungsgesetz zu verletzen.

8

Dies sah der § 5 Abs. 4 der 1. Ausführungsbestimmung zum Entwaffnungsgesetz vor (RGBl. 1920, S. 1596 ).

Schließlich möchte ich bemerken, daß mir eine Umbewaffnung der Wehren wenn auch nicht überall, so doch in den gefährlichsten Bezirken unruhiger Großstädte durchaus denkbar erscheint. Der Karabiner und das Infanteriegewehr sind für den Straßenkampf keineswegs geeignete Waffen. Die Jagdwaffe mit 300 M Tragweite und entsprechendem Visier ist erfahrungsgemäß weit erfolgreicher bei örtlichen Revolten zu verwenden als das Militärgewehr, mit dem auch ein guter Schütze im Straßenkampf regelmäßig vorbeizuschießen pflegt.

Ich habe in vorstehendem die Mittel und Wege bezeichnet, mit denen unter voller Würdigung der in Bayern bestehenden Schwierigkeiten dem Willen des Entwaffnungsgesetzes entsprechend eine Regelung erfolgen kann. Ich glaube damit zum Ausdruck zu bringen, daß mir keineswegs daran liegt, über die bayerischen Sonderverhältnisse hinweg zu gehen, daß ich mich vielmehr ehrlich bemühe, einen Ausweg, der allseitig befriedigen kann, zu finden. Wird in der von mir skizzierten Weise vorgegangen und wird, worauf ich allerdings sehr großen Wert legen muß, dafür gesorgt, daß unvorsichtige und unbesonnene Reden und Äußerungen einflußreicher Persönlichkeiten nun endlich in Zukunft unterbleiben, dann, glaube ich, wird die Lösung der Frage nicht unüberwindlich schwierig sein. Alle mir zu Gebote stehenden Mittel, jede finanzielle Hilfe stelle ich restlos zur Verfügung. Dringend geboten aber ist es, nunmehr eine volle Klarstellung zu erreichen. Daß von Seiten der Entente auf diesem Gebiete keine Erleichterung zu erhoffen ist, ist unzweifelhaft. Daß im Gegenteil auch nur der Versuch, in einem großen Lande wie Bayern das Entwaffnungsgesetz nicht durchzuführen, ohne weiteres den Einmarsch der Franzosen in das Ruhrgebiet zur Folge haben wird, kann nach der englischen Warnung nunmehr gleichfalls keinem Zweifel mehr unterliegen. Welche politischen Folgen aber entstehen, wenn es in ganz Deutschland heißen wird, der Einmarsch in das Ruhrkohlengebiet und damit Deutschlands wirtschaftlicher Tod ist zurückzuführen auf Bayerns Widerstreben, das Entwaffnungsgesetz durchzuführen, darüber glaube ich weitere Ausführungen unterlassen zu sollen9. […]

9

Ein Antwortschreiben des bayer. Landeskommissars an RKom. Peters ließ sich in R 43 I zwar nicht ermitteln, war jedoch tatsächlich vorhanden. Aufschlüsse über das Antwortschreiben des Landeskommissars und über die Reaktion der Bayer. Regierung gibt eine handschriftliche Aufzeichnung MinR Wevers für StS Albert vom 10.11.1920. Siehe dazu Dok. Nr. 107, bes. Anm. 4.

Peters

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