2.194 (bau1p): Nr. 192 Aufruf der Reichsregierung „An das deutsche Volk!“ vom 14. März 1920

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Das Kabinett BauerKabinett Bauer Bild 183-R00549Spiegelsaal Versailles B 145 Bild-F051656-1395Gustav Noske mit General von Lüttwitz Bild 183-1989-0718-501Hermann EhrhardtBild 146-1971-037-42

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Nr. 192
Aufruf der Reichsregierung „An das deutsche Volk!“ vom 14. März 19201

1

Die nach Dresden ausgewichene RReg. hatte bereits am 13. 3. einen ersten Aufruf an das dt. Volk erlassen, in dem der Staatsstreich Kapps und Lüttwitz’ als „Akt der Tollheit“ hingestellt, die von ihnen verfügten Anordnungen als rechtsungültig bezeichnet und die Gefahren geschildert werden, die drohen, „wenn das Volk die Besonnenheit verliert“. Diese Kundgebung gipfelte in dem Appell: „Deutsches Volk, schare dich um deine verfassungsmäßige Regierung!“ (Text bei Karl Brammer: Fünf Tage Militärdiktatur. S. 12, in: R 43 I /2721 , Bl. 107; vgl. Ursachen und Folgen, Bd. IV, Dok. Nr. 852 e; Schultheß 1920, I, S. 48).

R 43 I /2727 , Bl. 11 f. Durchschrift2

2

Ein mschr. Entw. dieses Aufrufs mit zahlreichen, in die vorliegende Fassung eingehenden Korrekturen GehRegR Brechts sowie mit wenigen Zusätzen von unbekannter Hand befindet sich in: R 43 I /2727 , Bl. 9 f. Der Aufruf liegt auch – mit minimalen Abweichungen – als Flugblatt in einer durch drucktechnische Hervorhebungen gestalteten Fassung vor. Das Flugblatt trägt am Kopf folgende Hinweise von unbekannter Kanzleihand: „Im Auftrage der Reichsregierung über Berlin am 15. 3. abgeworfen. Auftraggeber: Ebert, Noske, GehRat Brecht“ (R 43 I /2724 , Bl. 18). Ein Exemplar des hier zum Abdruck gelangenden Aufrufs scheint am 14. 3. abends auf dem Kurierweg an die Vertreter der RReg. in Berlin gelangt zu sein (vgl. Dok. Nr. 190). – Auszugsweise und mit gewissen Abweichungen ist der Aufruf abgedruckt bei Karl Brammer: A.a.O., S. 14, und Schultheß 1920, I, S. 52.

Es ist nicht wahr, daß die verfassungsmäßige Reichsregierung abgedankt hat3. Die verfassungsmäßige Reichsregierung denkt nicht daran, abzudanken. Sie hat nur dasselbe getan, was sie im Februar 1919 tat, als sie nach Weimar übersiedelte. Um ruhig und sicher arbeiten zu können, ist sie nach Dresden übergesiedelt und nimmt mit dem Zusammentreten der Nationalversammlung ihren Sitz in Stuttgart.

3

Kapp und Lüttwitz hatten in ihrer ersten Proklamation nach dem Staatsstreich durch WTB und Anschläge am 13. 3. u. a. verkündet: „Die bisherige Reichsregierung hat aufgehört zu sein“ (Karl Brammer: A.a.O., S. 24, in: R 43 I /2721 , Bl. 113; vgl. Ursachen und Folgen. Bd. IV, Dok. Nr. 852 b).

Was in Berlin vorgeht, ist eine Cöpenickiade im Großen. Die Berliner müssen sich den politisch klaren Blick bewahren. Für die Cöpenick-Regierung Kapp besteht keine Möglichkeit zu regieren; ihr Gebäude ist innen hohl. Sie kann weder Kohlen noch Nahrungsmittel beschaffen. Ohne Arbeiter kann man nicht regieren. Berlin kann nicht von sich selbst leben. In wenigen Tagen bricht dies System zusammen. Jeder, der es unterstützt, lädt den Fluch der Verantwortung auf sich.

Beamte! Euch bindet nicht nur die politische Einsicht, sondern auch der Eid auf die Verfassung. Ihr habt nur den Befehlen der verfassungsmäßigen[684] Reichsregierung zu gehorchen. Wer die neue Regierung unterstützt, bricht seinen Eid. Es ist nicht wahr, daß die Beamten am 9. November 1918 das Gleiche taten. Damals dankte der Kaiser ab, der vom Kaiser eingesetzte Reichskanzler Prinz Max von Baden gab mit der Abdankung des Kaisers seine eigene bekannt und übertrug selbst die Reichskanzlerschaft dem heutigen Reichspräsidenten Ebert. Er forderte die Beamten auf, der neuen Regierung zu gehorchen. Heute hat die Reichsregierung nicht abgedankt und die Usurpatoren in Berlin sind von keiner befugten Stelle eingesetzt. Wer ihnen dient, wird entlassen.

Die Mehrheitsparteien stehen fest zusammen4. Kapp, von Jagow und Genossen, diese reaktionären Frevler, finden keinen Widerhall im deutschen Volke. Für sie war schon die Deutsche Tageszeitung ein radikales linkes Blatt, das sie verbieten mußten.

4

In einer interfraktionellen Besprechung der in Berlin anwesenden NatVers.-Abgg. der Mehrheitsparteien (Liste in: Nachl. Haußmann , Nr. 43) war am 13. 3. der Militärputsch einstimmig als „ein verbrecherischer, mit aller Kraft zu bekämpfender Verfassungsbruch“ bezeichnet worden. Die Einberufung der NatVers. wurde als dringend notwendig erachtet (Karl Brammer: A.a.O., S. 16 f., in: R 43 I /2721 , Bl. 109 f.).

Und das Ausland? Eine Militärdiktatur, eingesetzt von den Baltikumtruppen, von der reaktionärsten preußischen Militärpartei, die wird uns keine Erleichterung des harten Friedens, keinerlei wirtschaftliche Hilfe bringen. Die der verfassungsmäßigen Regierung in Aussicht gestellte große Ententeanleihe5 wird Kapp und Genossen nicht gewährt. Der Wert des deutschen Geldes, der eben mit starkem Ruck in die Höhe ging, fällt tiefer als je.

5

Vgl. Dok. Nr. 177, Anm. 12.

Sorge jeder dafür, daß diese Militärdiktatur an ihrer inneren Ho[hl]heit so schnell wie möglich zusammenbricht.

Sämtliche Landesregierungen, die westlichen preußischen Oberpräsidenten, die Zentralverbände der deutschen Arbeiter- und Angestellten, die staatlichen Unterbeamten, der Reichswirtschaftsverband deutscher Berufssoldaten mit 96 000 Mitgliedern, sämtliche süddeutsche Reichswehrteile und eine Reihe preußischer, darunter das besonders wichtige Wehrkreiskommando Watter (Ruhrbezirk) stehen fest hinter der verfassungsmäßigen Regierung.

Dresden, den 14. März 1920.

Der Reichspräsident gez. Ebert.

Die Reichsregierung

Bauer. Müller. Koch. Giesberts. Noske. Geßler. David.

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