2.6 (bau1p): Nr. 6 Aufzeichnung über eine Unterredung des Reichsministerpräsidenten mit den USPD-Abgeordneten Haase und Dittmann am 27. Juni 1919

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[20] Nr. 6
Aufzeichnung über eine Unterredung des Reichsministerpräsidenten mit den USPD-Abgeordneten Haase und Dittmann am 27. Juni 19191

1

Die Aufzeichnung wurde von UStS Albert am 27. 6. angefertigt. Sie trägt auf der ersten Seite die Paraphe des RMinPräs.

R 43 I /2664 , Bl. 20

[Innenpolitische Lage nach der Annahme des Versailler Vertrages2.]

2

Für den Fall der Ablehnung des VV war im Reich mit der Ausrufung des Generalstreiks durch die USPD und Aufstandsversuchen der Kommunisten gerechnet worden. Die bedingungslose Annahme des VV durch die NatVers. am 23. 6. „hat ihnen vielen Wind aus den Segeln genommen“ (Ernst Troeltsch: Spektator-Briefe. S. 70). In dieser Situation schlug die dauernd prekäre Lage der Lebensmittelversorgung in verschiedenen dt. Städten in tumultartige Lebensmittelunruhen um, die am 25. 6. in Hamburg sogar in einen zeitweise erfolgreichen spartakistischen Aufstand gegen den Senat einmündeten (Schultheß 1919, I, S. 269). Den zur Wiederherstellung der Ordnung eingesetzten Truppen hatte der RWeM am gleichen Tage befohlen: „1. Aufstände sind mit allen Mitteln schnellstens niederzuschlagen, wenn nötig unter rücksichtsloser Anwendung von Waffengewalt. 2. Bei Streiks in gemeinnützigen Betrieben, deren Fortführung für die Allgemeinheit lebensnotwendig ist, kann mit militärischen Machtmitteln der Betrieb aufrechterhalten werden. Die Freiheit der Arbeit ist überall zu schützen“ (Gustav Noske: Von Kiel bis Kapp. S. 165).

Es erschienen nach vorheriger Anmeldung beim Herrn Ministerpräsidenten die Abgeordneten Haase und Dittmann von der USPD. Anwesend war außerdem Unterstaatssekretär Albert.

Die Abgeordneten Haase und Dittmann legten etwa folgendes dar:

Der eigentliche Anlaß ihres Kommens sei die Verhaftung des Vollzugsrats3. Dieser Anlaß sei zwar durch Enthaftung des Vollzugsrats gegenstandslos geworden; sie hielten es aber doch für richtig und ihre Pflicht, im Interesse der Gesamtheit einmal die gegenwärtige Situation zu besprechen und ihrerseits darzulegen. Die Partei sei gegen den Generalstreik. Es hätten Verhandlungen über diese Frage stattgefunden, und man sei einig gewesen, daß ein Generalstreik stattzufinden habe, falls die Regierung das Ultimatum unserer Gegner abgelehnt hätte. Nachdem sie sich bereit erklärt habe, den Vertrag zu unterzeichnen, sei eine Entspannung eingetreten und von der USPD beschlossen worden, in jedem Falle von einem Generalstreik abzusehen.

3

Über die Rolle des Vollzugsrats der Berliner A.u.S.-Räte in der nachrevolutionären Phase s. Walter Tormin: Zwischen Rätediktatur und sozialer Demokratie. S. 74 ff. Der Berliner Vollzugsrat war am 26. 6. von Soldaten des Garde-Kavallerie-Schützenkorps vorläufig festgenommen worden. Seine linksstehenden Mitglieder sollten den Sturz der RReg. beabsichtigen und mit den Hamburger Aufständischen in Verbindung stehen. Vgl. dazu den Bericht über die Vollversammlung der Berliner A.u.S.-Räte am 1. 7., die das mil. Eingreifen zwar einhellig mißbilligt, während der Vorwurf der Komplizenschaft von USPD-Vertretern zurückgewiesen, von SPD-Vertretern jedoch bestätigt wird (Vorwärts Nr. 331/332 vom 1./2.7.19).

Unter diesen Umständen sei es aber ganz falsch, daß die Regierung in dieser scharfen Weise vorgehe4. Das Verbot Noskes gegen den Eisenbahnerstreik[21] entbehre jeder rechtlichen Grundlage5. Der einzig richtige Weg sei, mit den Eisenbahnern zu verhandeln, deren Forderungen sie (Haase und Dittmann) nicht kennten, die aber vielleicht doch nicht unberechtigt seien. Die Regierung solle sich nicht immer auf ungenügendes Material stützen, das zum Teil absichtlich gefälscht sei; insbesondere hätten die Unterlagen für die Verhaftung des Vollzugsrats ebenso wenig ausgereicht wie die Unterlagen für die Verhaftung des inzwischen wieder entlassenen Zentralrats der Eisenbahner6. Das beim Zentralrat gefundene Flugblatt möge zwar von der Kommunistischen Partei unterschrieben sein. Da es aber dem Vorstand dieser Partei nicht an Mut fehle, so wäre doch auffallend, daß die Namen nicht unterschrieben wären. Es sei also nicht ausgeschlossen, daß auch dieses angeblich in 500 000 Exemplaren gefundene Flugblatt nicht von der Kommunistischen Partei, sondern von anderer Seite hergestellt sei.

4

In diesem Sinne hieß es in einem Telegramm der USPD-Parteileitung an RMinPräs. Bauer vom 26. 6., der Befehl des RWeM stehe „mit den elementarsten Anschauungen der gewerkschaftlichen und politischen Bewegung der Arbeiterschaft in Widerspruch“. Er müsse auf die Arbeiterschaft als Herausforderung wirken und mit Sicherheit zu weiterem Blutvergießen führen, zumal die spontanen Lebensmittelunruhen „zum Teil von reaktionärer Seite zu Provokationszwecken ausgenutzt werden“ und schwere Streikausschreitungen nicht bekannt geworden seien (R 43 I /2664 , Bl. 22).

5

Über die bereits am 25. 6. angeordneten Maßnahmen hinaus hatte der RWeM am 26. 6. unter Berufung auf das pr. Ges. über den Belagerungszustand vom 4.6.1851 den Berliner Eisenbahnerstreik (s. dazu Dok. Nr. 5, P. 1) verboten und den Arbeitszwang für das Eisenbahnpersonal angeordnet (VO u. a. in: Vossische Zeitung Nr. 321 vom 27.6.19; Ausschnitt in: R 43 I /2118 , Bl. 95). Dieses Verbot bleibt umstritten. Die überwiegende Mehrheit der Delegierten des 10. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands erhebt am 2. 7. „Einspruch gegen jede auch nur vorübergehende Beseitigung des Streikrechts der Eisenbahner, das allen Arbeitern und Angestellten als Errungenschaft der Revolution zusteht. Die vorliegende VO ist zudem unzweckmäßig, weil Streiks nicht durch Verbote, sondern nur im Wege der Verständigung mit den gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeitnehmer zu verhüten sind.“ Gleichzeitig wendet sich der Gewerkschaftskongreß aber auch gegen das Ausufern der Streikbewegung in wilde Streikaktionen (Vorwärts Nr. 334 vom 3.7.19).

6

Über den Zentralrat der Eisenbahner und seine nachfolgend angesprochenen Flugblattaktionen s. Dok. Nr. 13.

Ministerpräsident Bauer begnügte sich, darauf hinzuweisen, wie sehr auch er den Wunsch habe, daß die Gegensätze zwischen den Arbeitern verschwänden, wie er selbst immer in dieser Richtung gewirkt habe und auch in Zukunft wirken werde. Er begnügte sich im übrigen, seiner abweichenden Auffassung über die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit des Vorgehens der Regierung kurz Ausdruck zu geben.

Ein eigentliches Ergebnis hatte die Besprechung nicht.

Der Eindruck war, daß eine gewisse Unruhe bei den Führern der USPD besteht und sie den Wunsch hatten, ihre Unbeteiligtheit an den Vorgängen darzulegen.

Albert

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