1.7 (mu11p): Finanz-, Sozial- und Wirtschaftspolitik

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Das Kabinett Müller IHermann Müller Bild 146-1979-122-28APlakat der SPD zur Reichstagswahl 1920Plak 002-020-002Wahlplakat der DNVP Plak 002-029-006Wahlplakat der DDP Plak 002-027-005

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Finanz-, Sozial- und Wirtschaftspolitik

Die finanzielle Misere des Reichs, die 1923 in der Inflation ihren Höhepunkt erlebte, hat ihren Anfang bereits im Krieg genommen. Die unruhigen Nachkriegsjahre verhinderten eine geordnete Haushaltsführung und erschwerten damit den Finanzministern die Tätigkeit. Um überhaupt zu einer Gesundung der Finanzen zu gelangen, schien es Minister Wirth erforderlich, ein genaues Bild von der Finanzpolitik des Reichs zu erhalten und danach Richtlinien auszuarbeiten. Trotz der bevorstehenden Reichstagswahlen setzte er sich nachdrücklich dafür ein, die Kohlensteuer aufrechtzuerhalten. Nach der Überzeugung des Ministers war eine gesunde Finanzpolitik im Wahlkampf mehr wert als gesenkte Kohlenpreise. Doch der Gesetzentwurf über die Verlängerung der Kohlensteuer wurde nach einer Besprechung mit den Parteiführern der Koalition nicht mehr zur Entscheidung gebracht. Der Reichstag sollte die weiteren Bestimmungen treffen236.

236

Dok. Nr. 24, P. 1 , 2.

Obgleich sich Minister Wirth dagegen wehrte, verspätet eingereichte Forderungen des Arbeitsministers und die Position eines Generalquartiermeisters für das Reichswehrministerium in den Notetat aufzunehmen237, fand er sich bereit, das Volumen des vorläufigen Haushalts zu vergrößern, damit im Innenministerium eine eigene Beamtenabteilung eingerichtet werden könne. Begründet wurde der entsprechende Gesetzentwurf u. a.: „Nur wenn es gelingt, die Beamtenschaft in dem demokratischen Staat diejenige der heutigen Anschauungen entsprechende Stellung zu verschaffen, auf die sie Anspruch hat, wird Beruhigung in die Beamtenschaft einziehen und wird sie mit dem Geist erfüllt sein,[LVII] dessen der neue Staat bedarf238.“ Zwar hatte es im Kabinett Widerstand gegeben, als Minister Hermes sein Ernährungsressort zu erweitern versuchte und die Eisenbahnbeamten der Länder mit Drohungen auf eine Gehaltsaufbesserung durch das Reich drangen239, aber gegenüber den Reichsbeamten zeigte sich das Kabinett entgegenkommend. Im Anschluß an die gewerkschaftlichen Forderungen auf Demokratisierung der Verwaltung während der Verhandlungen nach dem Kapp-Putsch hatte der Deutsche Beamtenbund gefordert, daß im Reichsministerium des Innern eine spezielle Beamtenabteilung geschaffen werde, die mit einem Unterstaatssekretär an der Spitze die Vereinheitlichung des Beamtenwesens in Reich, Ländern und Kommunen betreibe. Der Reichskanzler mußte jedoch darauf aufmerksam machen, daß Eingriffe in die unterschiedlichen Behördenstrukturen erhebliche Schwierigkeiten auslösen würden, und Innenminister Koch machte verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Grundsätzlich waren Müller und Koch mit einer Beamtenabteilung einverstanden, wobei der Kanzler allerdings darauf drang, daß die Ressortstruktur nicht abgeändert werden solle und daher an der Spitze der neuen Abteilung nur ein Ministerialdirektor stehen könne240. Vor dem Kabinett begründete Koch die Notwendigkeit der neuen Abteilung damit, daß die Beamtenpolitik nicht mehr von dem bisher zuständigen Referat zu bewältigen sei. Unter der Voraussetzung, daß kein Reichsamt für Beamte geschaffen werde, stimmte das Kabinett der neuen Abteilung zu241.

237

Dok. Nr. 137.

238

Dok. Nr. 102, P. 6.

239

Dok. Nr. 47, P. 1; 55, P. 7; 56, P. 2.

240

Dok. Nr. 48.

241

Dok. Nr. 62, P. 9.

Die Beamtenschaft mußte mit neuen Mitteln für die junge Republik gewonnen werden, da die Kader der Administration trotz des Beamtenstreiks gegen Kapp in ihrem Gedankengut noch immer eher dem Kaiserreich als der Weimarer Republik verbunden waren242. Das hatte auch der Gewerkschaftsausschuß für Verwaltungsreform erkannt, der vor dem Kanzler seiner Sorge Ausdruck gab, noch allzuviel reaktionäre Beamte säßen in den Ministerien. Doch weder dem Kanzler, noch den Ministern Bauer und Giesberts schienen zu diesem Zeitpunkt Ressortreformen angebracht. Sie verwiesen darauf, daß die Personalreferenten der Gewerkschaften mit der derzeitigen Situation zufrieden seien243.

242

Vgl. hierzu W. Elben, Das Problem der Kontinuität in der deutschen Revolution.

243

Dok. Nr. 113.

Auch um das materielle Wohlergehen besonderer Beamtengruppen zeigte sich das erste Kabinett Müller bemüht. Anfang April beschlossen Reich und Preußen, den aus Polen zurückkehrenden Beamten mitzuteilen, daß die Verhandlungen über den Status der Beamten, die noch in den an Polen abgetretenen Gebieten weitergearbeitet hatten, an der polnischen Verhandlungstaktik und polnischen Provokation gescheitert sei. Daher habe das Reich seine Beamten zurückgerufen. Alle Schäden und Verluste sollten ihnen ersetzt werden. Das Reich bemühe sich außerdem, ihnen neue Arbeitsaufgaben zuzuweisen244.

244

Dok. Nr. 17.

[LVIII] Zurückhaltender verhielt sich das Kabinett gegenüber den Beamten aus dem besetzten Rheinland, die Besatzungszulagen und Teuerungsausgleich forderten, während die Angestellten aus dem gleichen Anlaß streikten. Obwohl Ministerialdirektor Maeder die Meinung vertrat, daß die Forderungen gerechtfertigt seien, erschien Minister Wirth ebenso wie seinen Kollegen Giesberts und David, daß das Verlangen der Beamtenschaft übertrieben sei. Allein in den Großstädten, in denen auch nur ein Viertel der Beamten arbeite, würden sich die Zustände kritisch gestalten. Außerdem fürchtete Wirth Weiterungen für das unbesetzte Gebiet, in dem gleichfalls Besoldungsprobleme zu lösen waren. Da die Gehaltsforderungen sich auch auf die Eisenbahner auswirken konnten, sprachen sich David und Wirth dafür aus, die Angelegenheit an den Besoldungsausschuß der Nationalversammlung zu überweisen. Dieser Ausschuß stimmte dann dem Vorschlag Ministerialdirektor Maeders zu, den Beamten im besetzten Gebiet eine Gehaltsaufbesserung von monatlich 150 Mark zu gewähren245.

245

Dok. Nr. 24, P. 12.

Die Finanznot veranlaßte Wirth, Bedenken gegen die Vorlage Minister Kochs vorzutragen, der gewünscht hatte, daß den Vertriebenen aus Elsaß-Lothringen und Polen voller Ersatz für die erlittenen Erwerbs- und Valutaschäden geleistet werde. Wirth wies demgegenüber darauf hin, daß die Ansprüche der Vertriebenen und die Möglichkeiten des Reichs in keine Relation zu bringen seien. Die Interessengruppen müßten verstehen, daß ihre Forderungen unerfüllbar seien. Wie Minister Bauer war Wirth der Ansicht, das Wirtschaftsleben werde durch die Papiergeldflut aus den Entschädigungen, auch wenn sie über Jahrzehnte verteilt würden, beeinträchtigt246.

246

Dok. Nr. 126, P. 2.

Zu einer Konfrontation der Gewerkschaften mit diesem Kabinett unter einem sozialdemokratischen Kanzler kam es bei den Lohnforderungen der Regiminalarbeiter. Obwohl Arbeitsminister Schlicke abgelehnt hatte, den Schlichtungsausschuß einzuschalten, war dieser von den Arbeitnehmern angerufen worden und hatte eine höhere Entlohnung zugebilligt, als sie sie vom Reich zugesagt worden war. Schlicke sah in dem Entscheid eine Gefahr für die Staatsfinanzen247. Zweimal hatte das Kabinett die Lohnforderungen abgelehnt, da sie die Verhandlungen mit den Eisenbahnern gefährdeten, aber ein Referent hatte sich bereiterklärt, vor dem Kabinett für die Lohnforderungen einzutreten. In diesem Zusammenhang stellte sich heraus, daß die Vertreter der Arbeitnehmer auch über Details der Kabinettsverhandlungen orientiert waren. Nachdrücklich rügte das Kabinett den Referenten, der die Regierung moralisch verpflichtet habe, der Lohnerhöhung zuzustimmen. Allerdings wurde schließlich nur ein Teiltarifvertrag abgeschlossen248. Den Antrag General Reinhardts, den Arbeitern bei den Heeresbetrieben die gleichen Beschaffungsbeihilfen wie den Verwaltungsarbeitern zu gewähren, lehnte das Kabinett mit dem Hinweis auf Lohnerhöhungen bei den Betriebsarbeitern ab249.

247

Dok. Nr. 42, P. 4; 75, P. 2.

248

Dok. Nr. 81, P. 3; 102, P. 1.

249

Dok. Nr. 54.

[LIX] Während der Arbeitsminister die Ansicht vertrat, daß die Sätze der Erwerbslosenfürsorge nicht generell angehoben werden könnten, aber den langfristig Arbeitslosen eine einmalige Beihilfe zu gewähren sei, äußerten sich die Minister Bauer, Koch und Wirth Bedenken. Sie fürchteten, daß Berufungen anderer Gruppen die Folge sein würden, und schlugen vor, die Länder zu befragen, ob sie nicht einen Teil der Kosten übernehmen wollten. Eine Klärung konnte nicht erreicht werden250. Schon in einer seiner ersten Sitzungen beschloß das Kabinett, daß das Reich die Kosten für Kriegsbeschädigte und -hinterbliebene zu übernehmen habe. In Notfällen müsse das Reich in direkter Verbindung mit diesen Betroffenen Abhilfe schaffen. Die Beseitigung von allgemeinen Notlagen liege jedoch in den Händen der Sozialfürsorge251.

250

Dok. Nr. 117, P. 4.

251

Dok. Nr. 2, P. 8.

Eine politische Entschädigungsforderung wurde auch von dem Buchdruckereiverband erhoben, der sich auf Erklärungen des früheren Kanzlers Bauer und des Wehrministers Noske berufen konnte. Es sollte eine Lohnentschädigung an die Arbeitnehmer von Betrieben gezahlt werden, deren Zeitungen im Februar und März 1920 in Erfurt und Halle vom Militärbefehlshaber verboten worden waren. Allerdings meinte das Kabinett Müller, daß es sich um eine unverbindliche Erklärung handele und keine Ersatzpflicht bestehe. Die Entschädigung sollte ausnahmsweise gezahlt werden und zwar durch persönliche Übersendung, so daß keine Diskussion über die Herkunft der Mittel entstehen könne252. Schwierigkeiten bereitete die Papierzuteilung an die Presse, die von der Abonnentenzahl der einzelnen Zeitungen abhängig gemacht werden sollte. Der Beschluß, Mittel zur Beschaffung des Papiers zur Verfügung zu stellen und dafür von den Ländern einen Ausgleichsbetrag zu erhalten, scheiterte im Reichsrat. Da das Kabinett keine weiteren Mittel besaß, überließ es die abschließende Regelung dem neuen Reichstag253.

252

Dok. Nr. 55, P. 2.

253

Dok. Nr. 67, P. 1.

In den weiteren Zusammenhang der Sozial- und Wirtschaftspolitik gehört auch die Behandlung des 1. Mai als Feiertag. Das Kabinett hatte beschlossen, in den Dienststellen des Reichs diesen Tag wie einen Sonntag zu behandeln. Daraufhin brachten in der Nationalversammlung DNVP und DVP eine Interpellation ein, die Regierung solle erklären, weshalb sie für diesen Tag, der als Staatsfeiertag abgelehnt worden sei, die Löhne voll weitergezahlt habe. Die Antwort, deretwegen der interfraktionelle Ausschuß befragt werden sollte, ist in der Nationalversammlung nicht mehr gegeben worden254.

254

Dok. Nr. 62, P. 11; 92, P. 5.

Die Problematik des Verhältnisses zwischen Land- und Industriebevölkerung blieb auch dem Kabinett Müller I nicht erspart. Bis zum ersten Weltkrieg hatten die Agrarier den Staat auch als den ihren angesehen, obwohl es gelegentlich Spannungen gegeben hatte. Eine Änderung scheint sich bereits während des Krieges angebahnt zu haben, als die Landwirtschaft Festpreise und Zwangsablieferungen kennenlernte. Die Umwandlung des Staatssystems[LX] führte zu einem direkten Gegensatz zwischen Landwirtschaft und Staatsführung, da nun an die Spitze des Reichs und der Länder Politiker getreten waren, die allem Anschein nach ihr Hauptaugenmerk auf die industriellen Bedürfnisse richteten und kein landwirtschaftliches Programm aufstellten255. In der Regierungserklärung vom 29. März behandelte der Reichskanzler die Landwirtschaft nur am Rande: „Die Ernährungslage soll durch die größtmögliche Unterstützung der Produktion, insbesondere auch durch Belieferung mit künstlichen Düngemitteln und eine wirksame Erfassung der vorhandenen Lebensmittel tunlichst gebessert werden. Mit der Landwirtschaft muß die Parole sein – wenn die Landwirte sich den Grundsatz zu eigen machen –: für und mit den anderen Erwerbsständen256.“ Daß trotz dieser dürren Worte die Bedeutung der Landwirtschaft beachtet wurde, zeigt sich daran, daß in diesem Kabinett das Ressort des Ernährungs- und Landwirtschaftsministers wieder eingerichtet wurde, das zur Zeit Scheidemanns mit dem Wirtschaftsministerium zusammengelegt worden war. Allerdings mußte Minister Hermes hart um Mittel für sein Ministerium kämpfen257.

255

Es ist allerdings darauf hinzuweisen, daß Eduard David im Jahr 1903 eine Arbeit über Agrarpolitik veröffentlicht hat (2. Auflage 1922), die für die Sozialdemokraten richtungweisend war.

256

NatVers. Bd. 332, S. 4933 .

257

Dok. Nr. 47.

Die Agrarier begrüßten, daß sich wieder ein Spezialressort mit ihren Anliegen beschäftigte. Sie erwarteten eine Förderung der Landwirtschaft, die die Grundlage für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands bilde; aber der Reichsausschuß der Landwirtschaft, der diese Erklärung abgab, ließ dennoch keinen Zweifel daran, daß er sich zum bestehenden Regierungssystem in Opposition befand. Scharf verurteilte er den Generalstreik, der zur Abwehr des Kapp-Putsches ausgerufen worden war, und die Landwirtschaft gefährdende kommunistische Umtriebe wurden mit diesem Streik auf eine Stufe gestellt. Die Landwirtschaft könne, so behauptete der Reichsausschuß, nicht der Allgemeinheit dienen, wenn mit Gewalttätigkeiten und Streiks die Grundlagen für die Erzeugung untergraben würden. Schon die Androhung eines Streiks sei zu bestrafen. Für die Mentalität des Landwirtschaftsverbandes ist schließlich die Forderung bezeichnend, die Arbeitslosenunterstützung einzustellen, die verkürzte Arbeitszeit aufzuheben und bezahlte Überstunden zur Pflicht zu machen. Demgegenüber sollten zur Förderung des landwirtschaftlichen Gewinns die Zwangswirtschaft für agrarische Produkte aufgehoben und Maßnahmen für die Produktionsverbesserung getroffen werden258. Diesen Ansichten suchte Minister Hermes dadurch zu begegnen, daß er durchsetzte, daß der Schlachtviehpreis trotz heftigen Widerstands seiner Kabinettskollegen Müller, Bauer und Blunck angehoben259 und das Ende der Kartoffel- und Getreidebewirtschaftung herbeigeführt wurden260.

258

Dok. Nr. 59.

259

Dok. Nr. 78, P. 2; 104, P. 1.

260

Dok. Nr. 98, P. 7; vgl. dazu auch o. Anm. 222.

[LXI] Von sozialer Bedeutung war die Ordnung des Schutzes für Kleinpächter, für die sich Arbeitsminister Schlicke einsetzte. Hermes sah dagegen in dem Kündigungsschutz einen Eingriff in das Eigentumsrecht, der für die Ernährungslage nachteilige Folgen haben könne und in landwirtschaftlichen Kreisen Bedenken ausgelöst habe; ferner verwies Hermes auf die Schwierigkeiten, die dadurch entstehen würden, daß den Ländern die Durchführungsbestimmungen überlassen seien. Obwohl auch Justizminister Blunck Einwendungen erhob, da die Schutzbestimmungen das Vertragsrecht einengen würden, stimmte das Kabinett Schlickes Entwurf zu. Aber der Reichsrat brachte ihn zu Fall, da die Länder eigene Gesetze zu erlassen beabsichtigten. Der volkswirtschaftliche Ausschuß der Nationalversammlung war demgegenüber der Meinung, daß der Entwurf rückwirkend vom 1. Januar 1920 an Geltung besitzen und der neue Reichstag noch vor dem 1. Oktober die Schutzbestimmungen beschließen solle261.

261

Dok. Nr. 42, P. 5; 62, P. 7; 104, außerhalb der TO; 124, P. 4.

So ernst wie auf dem Ernährungssektor, wo Hermes zur Verbilligung und Verbesserung des Prämienwesens für abgeliefertes Getreide 2,75 Millionen Mark forderte und nach längerem Zögern vom Finanzminister sogar 3 Millionen Mark erhielt262, war auch die Versorgungslage auf anderen Gebieten. So beschloß das Kabinett, die reichseigene „Textilnotstandsversorgung“ fortbestehen zu lassen und mit Krediten des Reichsschatz- und des Finanzministeriums zu unterstützen. Das Militär müsse alle nicht benötigten Textilien freigeben; ferner habe die „Textilnotstandsversorgung“ auch Erleichterungen bei Zollmaßnahmen zu erfahren. Selbst in der Versorgung mit Kohlen, die äußerst kritisch war, sollte die „Textilnotstandsversorgung“ bevorzugt werden263.

262

Dok. Nr. 24, P. 1 , 2. Zur Beschaffung von Lebensmitteln vgl. auch die Verhandlungen mit den Niederlanden, Dok. Nr. 55, P. 4.

263

Dok. Nr. 78, P. 7.

Die Kohlenförderung war ebenso wichtig für die Erfüllung der Reparationsverpflichtungen wie für die Versorgung der Bevölkerung. Um die Kohlenproduktion zu erhöhen, wurde daran gedacht, die Löhne zu verbessern. Da hiergegen jedoch vom Reichskohlenkommissar Bedenken erhoben wurden, kam das Kabinett dahin überein, exportintensive Industrien vorrangig mit Kohlen zu beliefern und aus dem Gewinn zusätzliche Lebensmittel für die Bergleute einzuführen. Arbeits- und Wirtschaftsminister wurden aufgefordert, dafür zu sorgen, daß die Löhne stabil bleiben und die Preise gesenkt würden264.

264

Dok. Nr. 111.

In seiner Regierungserklärung am 29. März wies der Reichskanzler darauf hin, daß die Vorlage über den provisorischen Reichswirtschaftsrat der Nationalversammlung bereits zugegangen sei und daß die Sozialisierung der „Wirtschaftszweige, die nach ihrer Art und ihrem Entwicklungsgang einen privatmonopolistischen Charakter angenommen haben und dadurch zu einheitlicher Regelung durch die Gesamtheit (Sozialisierung) reif geworden sind, […] auf Reich, Staat, Gemeindeverbände oder Gemeinden zu übernehmen“ seien265.[LXII] Tatsächlich wurde auch eine Sozialisierungskommission berufen266. Im Kabinett ging jedoch eine Debatte voran, da die Liste mit den Vorschlägen des Reichswirtschaftsministers als zu einseitig erschien. Der Wirtschaftsminister solle prüfen, ob die Kommission dem Kabinett zu unterstellen sei und Regierungskommissare an den Sitzungen teilzunehmen hätten; ferner sollte die Kommission mit dem Reichswirtschaftsrat zusammengeführt werden. Die Angehörigen der Kommission forderten in einer Besprechung mit Kabinettsvertretern, daß sie amtlich eingesetzt würden und daß sie einen festen Aufgabenkreis erhielten, der es gerechtfertigt erscheinen lasse, lange Jahre in den Kommissionen mitzuarbeiten. Aus parteipolitischen Gründen trug der Justizminister gegen die Einberufung und die Befugnisse der Kommission Bedenken. Er wandte sich auch gegen die Berufungen von sechs Angehörigen der USPD, mußte aber zur Kenntnis nehmen, daß sich der Wirtschaftsminister strikt an die Vereinbarungen mit den Gewerkschaften gehalten habe, und der Kanzler fügte hinzu, daß ohne die Beteiligung der USPD die Arbeit der Kommission wertlos sei267. Die letzte Amtshandlung des Kabinetts war es schließlich aus verschiedenen Vorschlagslisten zwölf Persönlichkeiten für den vorläufigen Reichswirtschaftsrat auszuwählen268.

265

NatVers. Bd. 332, S. 4933 .

266

Es handelt sich um die zweite Sozialisierungskommission; die erste hatte im Jahr 1919 ihre Arbeit eingestellt.

267

Dok. Nr. 56, P. 6; 73; 75, P. 3.

268

Dok. Nr. 143.

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