1.81 (bru2p): Nr. 333 Aufzeichnung des Ministerialdirektors v. Hagenow über eine Unterredung des Reichskanzlers mit den DNVP-Abgeordneten Hugenberg und Oberfohren am 15. Juni 1931, 19.30 Uhr

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Nr. 333
Aufzeichnung des Ministerialdirektors v. Hagenow über eine Unterredung des Reichskanzlers mit den DNVP-Abgeordneten Hugenberg und Oberfohren am 15. Juni 1931, 19.30 Uhr

R 43 I /2655 , S. 5–14

Am Montag, dem 15. Juni 1931, abends 7½ Uhr, empfing der Herr Reichskanzler in Gegenwart der Reichsminister Dietrich und Groener sowie des Reichsbankpräsidenten Luther Geheimrat Hugenberg und Dr. Oberfohren als Vertreter der Deutschnationalen Partei.

Der Reichskanzler eröffnete die Aussprache mit dem Hinweis auf die bevorstehende Tagung des Ältestenrats – Dienstag, den 16. Juni – und führte aus, daß er wegen der Bedeutung der Frage, ob der Reichstag einberufen werden oder der Haushaltsausschuß zusammentreten solle, es für erforderlich halte, die Vertreter der Parteien über die finanzielle Lage zu orientieren. Er halte eine solche Information für seine Pflicht, damit die Fraktionsführer imstande seien, sich ein einwandfreies Bild über die Lage zu machen. Die Einberufung des Reichstags bzw. des Haushaltsausschusses werde von sehr weittragenden politischen Folgen sein. Er und die Reichsregierung verkennen[1208] durchaus nicht, daß die Notverordnung harte Maßnahmen enthalte. Sie sei aber notwendig, einmal um den Etat zu balancieren, sodann um die erforderlichen Schritte in der Reparationsfrage sicherzustellen. Solche Schritte werde die Reichsregierung einleiten, sobald der amerikanische Staatssekretär Stimson in Berlin gewesen sei1. Es sei beabsichtigt, im Rahmen des Young-Planes vorzugehen. Selbstverständlich sei man sich darüber klar, daß weitere Schritte folgen müßten. Er müsse aber alles daran setzen, den Weg des Vertrages zunächst zu beschreiten, damit der Reichsregierung vom Auslande her keine Vorwürfe gemacht würden. Es sei nämlich notwendig, das Problem schrittweise aufzurollen. Er bitte, im Interesse einer gesicherten Durchführung dieses Schrittes, die Aussprache vertraulich zu behandeln. Zu dem Punkt der Vertraulichkeit bemerkte der Geheimrat HugenbergHugenberg, daß in einer heute stattgefundenen Fraktionssitzung bereits alles das, was der Herr Reichskanzler ihm über die Reparationsfrage mitgeteilt habe, erörtert sei. Wenn also nach dieser Richtung hin in der Presse Ausführungen gebracht würden, so erkläre sich das aus dieser Tatsache.

1

S. Dok. Nr. 329, Anm. 9.

Sodann entwickelte der ReichsbankpräsidentLutherLuther ein Bild über die Möglichkeiten, die sich in der gegenwärtigen Krisenlage für die Regierung ergeben könnten. Der Grundgedanke der Währungssicherung bestehe in der Notwendigkeit jederzeitiger 40%iger Deckung in Gold und Devisen2. Die Reichsbank habe am vergangenen Sonnabend, dem 13. Juni, eine Erhöhung des Diskonts um 2% beschlossen3. Dieser Entschluß sei sehr schnell herangereift, da die Reichsbank in den letzten Tagen insgesamt 386 Millionen Devisen verloren habe. Das bedeute, daß unsere Bewegungsmasse für den Notenumlauf um den Betrag von 1 Milliarde RM abgenommen habe. Die Reichsbank habe seit dem 26. Mai über 1 Milliarde an Devisen verloren. Der augenblickliche Bestand an Gold und Devisen belaufe sich auf 1,7 Milliarden gegen etwa 3,5 Milliarden um die gleiche Zeit des Vorjahres. Der Notenumlauf betrage rund 3,9 Milliarden. Die Deckung von 1,7 Milliarden lasse an sich einen Notenumlauf von 4¼ Milliarde zu. Die Reserve, über die die Reichsbank mithin für einen zusätzlichen Notenumlauf noch verfüge, betrage heute noch 350 Millionen. Diese Reserve werde aber verschwinden, wenn zu den bisherigen Devisenabzügen weitere 100 Millionen hinzu kämen4. Zu bemerken sei, daß man sich zur Zeit in der Mitte des Monats befinde. Erfahrungsgemäß nehme nämlich der Notenumlauf am Ultimo jedes Monats, vor allem aber bei Quartalsschlüssen, erheblich zu. Der Mehrbedarf für den Ultimo Juni sei auf 400 Millionen zu schätzen. Hinzu komme, daß die Reichskasse bis zum Ultimo Juni einen Kreditbedarf von 250 Millionen decken müsse. Die deutschen Banken, über die der Kredit beschafft werden solle, verfügten selbst nicht über das erforderliche Geld. Sie würden infolgedessen mit diesen Summen auf die Reichsbank zurückfallen. Von Bedeutung sei auch noch, daß die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung einen Kassenbedarf von[1209] 83 Millionen in der gleichen Zeit decken müsse. Da nicht diese ganzen drei Beträge von 400 plus 250 plus 83 Millionen gleichzeitig zu decken sein würden, könne man annehmen, daß der zusätzliche Notenbedarf noch 500–600 Millionen ausmache. Demgemäß werde die Reserve von 350 Millionen nicht mehr ausreichen, um den Verpflichtungen der Reichsbank zu genügen. Eine Beruhigung in der Devisenbewegung würde nur eintreten, wenn der Reichsetat ausgeglichen sei. Ein solcher Ausgleich sei aber nur dann gegeben, wenn die Notverordnung bestehen bleibe. Die Tatsache der Einberufung des Reichstages würde eine Beunruhigung in der Devisenbewegung mit sich bringen, weil aus ihr die Möglichkeit der Aufhebung der Notverordnung und damit die Nichtausgleichung des Reichsetats gegeben sei. Nur bei unangefochtener Durchführung der Notverordnung habe das kreditgebende Ausland die Auffassung, daß der Reichshaushalt ausgeglichen sei. Das Ausland interessiere nicht etwa die Einzelheiten der Notverordnung, sondern das Ausland habe nur ein Interesse an der Tatsache, daß die Notverordnung als Ganzes bestehen bleibe. Werde die Notverordnung aufgehoben, so entstehe die unlösbare Frage, was soll an ihre Stelle treten, um den Etat auszugleichen. Die hochgefährliche Devisenbewegung müsse unbedingt zum Stillstand kommen. Die Diskonterhöhung von 2% habe hier schon eine gewisse Beruhigung geschaffen. Hinsichtlich der Möglichkeiten, die der Reichsbank noch offen stünden, wies zunächst der Reichsbankpräsident auf den Rediskontkredit von 50 Millionen Dollar, den die Reichsbank in Amerika habe, hin. Er führte aus, daß auf diesen Kredit hin noch weitere 500 Millionen RM-Noten ausgegeben werden könnten. Praktisch werde die Inanspruchnahme dieses Kredites aber gewissermaßen wie das Signal wirken „Rette sich, wer kann“. Der Rediskontkredit sei seiner Bestimmung nach nicht berechnet für Krisenzeiten, sondern nur für Zeiten aufsteigender Konjunktur, um alsdann der Reichsbank bei verstärktem Notenumlauf eine Expansionsmöglichkeit zu lassen.

2

S. Dok. Nr. 332, Anm. 4.

3

S. Dok. Nr. 330, Anm. 8.

4

S. Dok. Nr. 330, Anm. 9.

Sodann wies der Reichsbankpräsident auf die weitere Möglichkeit hin, die Deckungsgrenze von 40% auf einen niedrigeren Prozentsatz zu senken. Von diesem Mittel könne man nur unter bestimmten Voraussetzungen Gebrauch machen, die im Gesetz vorgeschrieben seien5. Bei der Unterschreitung der Deckungsgrenze von 40% werde eine Zwangsdiskontpolitik einsetzen, der zufolge etwa bei 30%iger Deckung der Diskontsatz etwa 9% betragen müsse, bei einer Deckung von beispielsweise 17% werde der Diskontsatz 13% betragen.

5

S. Dok. Nr. 330, Anm. 10.

Ein weiteres Mittel sei das Herantreten an die BIZ. Er gebe aber zu bedenken, was es für das politische Ansehen Deutschlands bedeute, einen solchen Schritt zu tun, der uns auf das Niveau Österreichs bringen müsse.

Als letztes Mittel gäbe es auch die Kreditrestriktion. Ihre Anwendung würde zur Folge haben, daß zahlreiche Betriebe, die heute noch ganz leidlich stünden, in den Strudel der Katastrophe hineingezogen würden. Wenn die Abzüge von Devisen bei der Reichsbank weiter gingen wie bisher, sei die Kreditrestriktion nicht mehr zu vermeiden, und wir würden Zusammenbruch nach Zusammenbruch erleben.

[1210] Geheimrat HugenbergHugenberg bemerkte, daß die Reichsregierung also beabsichtige, nach dem 20. Juli das Young-Moratorium einzubringen. Diese Frage werde bereits in weiten Kreisen der Öffentlichkeit mit ihren Einzelheiten weitgehend erörtert. Auch der Verlust an Devisen in Höhe von 1 Milliarde sei ihnen bekannt. Von den Ausführungen des Reichsbankpräsidenten habe er mit Interesse Kenntnis genommen.

Dr. OberfohrenOberfohren betonte, daß die heutige Aussprache wohl informatorischen Charakter habe, um bei der morgigen Beschlußfassung im Ältestenrat über die Einzelheiten unterrichtet zu sein.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er sich für verpflichtet halte, allen Parteien die Gefahren klar vor Augen zu führen, die in der Einberufung des Reichstags liegen würden.

Dr. OberfohrenOberfohren stellte alsdann folgende Frage: Sind die Devisenabzüge nur auf die angeführten Motive zurückzuführen, oder erklären sie sich nicht auch aus der politischen Behandlung der Reparationsfrage?

Reichsbankpräsident Luther erklärte, daß in dieser Form die Frage zu scharf gestellt sei. Die gegenwärtige innerpolitische Lage sei selbstverständlich von größter Bedeutung für die Devisenabzüge gewesen. Es sei aber auch richtig, daß die Frage der Aufrollung oder Nichtaufrollung der Reparationsfrage selbstverständlich eine Nervosität erzeuge, die sich auch auf dem Devisenmarkte bemerkbar mache.

Dr. OberfohrenOberfohren fragte weiter, ob es die Überzeugung der Reichsregierung sei, daß die Gefahren behoben seien, wenn die Einberufung des Reichstags nicht erfolge.

ReichsbankpräsidentLutherLuther erwiderte darauf, daß die Tatsache der Nichteinberufung des Reichstages oder Haushaltsausschusses ein wesentlicher Faktor sei für die Beruhigung. Dadurch würde die Devisenbewegung günstig beeinflußt werden. Selbstverständlich könne man eine genaue Kalkulation nicht machen.

Dr. OberfohrenOberfohren führte sodann aus, daß die Notverordnung in der Bevölkerung eine ungeheure Erbitterung hervorgerufen habe. Es sei nicht mehr möglich, die innere Aufwühlung des Volkes irgendwie abzudämmen. Im übrigen neige er, wie bekannt, der Auffassung zu, daß der Reichsetat auf dem Wege, den die Reichsregierung beschritten habe, nicht ausgeglichen werde. Die Folgen der Nichtbalancierung des Etats seien sowohl für das Inland wie für das Ausland unübersehbar. Mit großem Danke habe er von den Ausführungen des Reichsbankpräsidenten Kenntnis genommen. Es handele sich aber morgen nicht um eine finanzielle Frage, sondern um eine politische Entscheidung.

Geheimrat HugenbergHugenberg führte noch ergänzend aus, daß der dargelegte Tatbestand doch klar erkennen lasse, daß das Reich vom Ausland in eine gewisse Abhängigkeit geraten sei, zumal bei dieser Lage mit der Mattsetzung der Reichsbank zu rechnen sei.

ReichsbankpräsidentLutherLuther bemerkte, daß diesmal die Abzüge nicht aus außenpolitischen Gründen erfolgt seien, sondern nur lediglich wegen der Nervosität, die zur Zeit im Inland bestehe. In der Hauptsache hätten die Amerikaner[1211] abgezogen. Eine politische französische Bewegung sei diesmal bei den Abzügen nicht erkennbar gewesen. Der Kern der Devisenbewegung liege in Amerika und in der Schweiz. Das erkläre sich vielleicht aus den Verhältnissen in Österreich.

Der Reichskanzler legte noch einmal die Finanzlage dar und betonte, daß mit dem Zusammenbruch der Hauszinssteuer im nächsten Jahre zu rechnen sein werde. Auch bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer würden sich im nächsten Jahre große Fehlbeträge ergeben. Die Notverordnung sei notwendig gewesen, um den Etat zu balancieren. Erst dadurch sei die Grundlage geschaffen worden, die Reparationsfrage aufzurollen.

Dr. OberfohrenOberfohren bemerkte dazu, daß demnach der Standpunkt der Reichsregierung noch derselbe sei: Erst Sanierung des Etats, sodann Inangriffnahme der Tributfrage.

Der Reichskanzler erwiderte, daß es doch selbstverständlich sei, das vorhandene Defizit zunächst abzudecken. Die Reichsregierung habe im Interesse der Aufrechterhaltung des Staates die Aufgabe gehabt, dieses Defizit zu beheben.

Dazu führte Dr. OberfohrenOberfohren aus, daß bei der ganzen Behandlung der Notverordnung das psychologische Moment vollkommen außer Betracht gelassen worden sei.

Der Reichskanzler hob hervor, daß durch die Tatsache unserer Kraftanstrengungen im Innern die Welt vorbereitet worden sei auf die Inangriffnahme der Reparationsfrage. Insoweit sei die Notverordnung Anlaß geworden, die Reparationsfrage in der Weltöffentlichkeit in Bewegung zu setzen.

Geheimrat HugenbergHugenberg betonte, daß er mit größter Ergriffenheit von der geschilderten Lage Kenntnis genommen habe. Allerdings seien sie nicht überrascht, da sie mit der trostlosen finanziellen Entwicklung des Reichs bei dem gegenwärtigen System gerechnet hätten. Er könne auch heute nur wieder erklären, daß die Finanzfrage durch die von der Reichsregierung eingeschlagene Taktik nicht gelöst werde. Die Sache würde sich doch eines Tages entladen. Wären seine früheren Wege auf dem Gebiete der Handelspolitik eingeschlagen worden6, so wäre es zu diesem Zusammenbruch nicht gekommen. Es habe aber wohl keinen Zweck, über die Fehler der Vergangenheit zu reden.

6

Vermutlich eine Anspielung auf Hugenbergs Vorschlag in seiner Rede in Halle am 1.6.30, eine Reparationsabgabe auf Auslandswaren zu erheben; mit dieser Abgabe sollte ein Teil der dt. Reparationsverpflichtungen finanziert werden. Material hierzu in R 43 I /2421 , Bl. 54–68 und R 43 I /309 , Bl. 144–153. Vgl. auch die DNVP-Interpellation vom 13.10.30, RT-Bd. 448 , Drucks. Nr. 82 .

Der Reichskanzler hob am Schluß der Aussprache hervor, daß er zu den Fragen der Handelspolitik die geäußerte Auffassung nicht teilen könne.

Sodann wurde die Aussprache geschlossen.

H[a]g[enow]

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