1.2 (vpa1p): II. Außenpolitik

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 32). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett von Papen Band 1Das Kabinett von Papen Bild 183-R1230-505Wahllokal in Berlin Bild 102-03497AGöring, Esser und Rauch B 145 Bild-P046294Ausnahmezustand in Berlin während des „Preußenschlages“.Bild 102-13679

Extras:

 

Text

II. Außenpolitik

Die deutsche Außenpolitik des Jahres 1932 wurde wesentlich bestimmt durch zwei Themenkomplexe, die bereits in früheren Abschnitten der Weimarer Republik, wenn auch nicht so deutlich sichtbar, im Mittelpunkt außenpolitischer Erörterungen gestanden hatten: die Beendigung der Reparationen und die Lösung der Abrüstungsfrage im Sinne der militärischen Gleichberechtigung Deutschlands. Von diesen Vorhaben konnte die Papenregierung das erstgenannte schon im Juli 1932 durch das Abkommen von Lausanne verwirklichen und damit einen beachtlichen Erfolg für Deutschland erringen; in der Abrüstungsfrage war es ihr dagegen trotz zähester Verhandlungsführung bis zuletzt nicht möglich, einen Durchbruch zu erzielen.

Ein dritter, den Zusammenhang der Außenpolitik nur in Teilen berührender Themenkomplex betraf die vom Kabinett in monatelanger Auseinandersetzung nicht gelöste Frage des verstärkten Schutzes der deutschen Landwirtschaft durch drastische Reduzierung der agrarischen Einfuhren. Da die Bedeutung dieser sogenannten „Kontingentierungsfrage“ vorwiegend wirtschaftspolitischer Natur gewesen ist, wird sie an gehöriger Stelle behandelt werden29.

29

Vgl. unten S. XLI.

a) Lausanne

Die jüngere Vorgeschichte der Lausanner Reparationskonferenz reicht zurück in die Mitte des Jahres 1931, in der die außerordentlichen, aus Youngplan und Wirtschaftskrise resultierenden Belastungen Deutschlands sich immer deutlicher als untragbar herauszustellen begannen. Einigermaßen wirkungsvolle Abhilfen wurden in der, wie es schien, unaufhaltsam fortschreitenden deutschen und europäischen Depression, die gefährliche Ausstrahlungen auf die Vereinigten Staaten befürchten lassen mußte, zunächst von umfangreichen Schuldenzahlungsaufschüben[XXVI] erwartet. So war im Juni 1931 US-Präsident Hoover, von der deutschen Regierung hierin nachdrücklich unterstützt, mit dem Vorschlag eines einjährigen Moratoriums für Reparations- und Kriegsschulden hervorgetreten. Er konnte ihn ebenso durchsetzen wie seine Forderungen nach einer Konferenz der Gläubigermächte, die, abgehalten im August 1931, den Weg ebnen half zu einem Baseler „Stillhalteabkommen“, auf Grund dessen kurzfristige Kredite im Gesamtbetrage von annähernd fünf Milliarden RM, die von ausländischen Banken nach Deutschland gegeben worden waren, in langfristige umgewandelt wurden30. Der nächste entscheidende Schritt war dann aber von der Reichsregierung ausgegangen. Sie hatte im November/Dezember 1931 die im Young-Plan vorgesehene Möglichkeit wahrgenommen, durch einen „Beratenden Sonderausschuß“ der Baseler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich die gesamte deutsche Kredit- und Schuldenlage nach dem Gesichtspunkt der weiteren Durchführbarkeit des Planes untersuchen zu lassen. Dabei gelangte der Ausschuß zu einem betont negativen Ergebnis, erklärte vor allem, daß Deutschland die ihm auferlegten Reparationsannuitäten nach Ablauf des Hoover-Moratoriums keinesfalls werde transferieren können, und regte an, zur Neuregelung der Reparations- und Kriegsschuldenfrage eine internationale Konferenz einzuberufen. Über die Möglichkeiten und Ziele einer solchen Konferenz, deren Eröffnung in Lausanne zunächst für Ende Januar 1932 vorgesehen war, kam es in den unmittelbar folgenden Wochen zu einem lebhaften Meinungsaustausch, wobei die amerikanische Regierung ihre Teilnahme unter anderem mit der Begründung ablehnte, das Kriegsschuldenproblem habe nichts mit der Reparationsfrage zu tun. Der endgültige Termin der Lausanner Konferenz wurde schließlich im April 1932 gemäß einem Vorschlag der britischen Regierung auf den 16. Juni festgelegt. Bis dahin hatte sich fast überall die Auffassung durchgesetzt, daß eines ihrer Hauptprobleme die Frage sein würde, in welcher Weise und unter welchen Bedingungen die deutschen Reparationsleistungen ganz beendet werden könnten31.

30

Zum „Stillhalteabkommen“ („Deutsches Kreditabkommen von 1931“) vom 17.9.31 und seiner Verlängerung im Februar 1932 vgl. Anm. 3 zu Dok. Nr. 37; Dok. Nr. 51, P. 1; zum Stand der dt. Auslandsverschuldung Ende 1932 vgl. Anm. 5 zu Dok. Nr. 165.

31

Zur Vorgeschichte vgl. diese Edition: Die Kabinette Brüning I/II, S. LXXII ff.; ADAP, Serie B, Bd. XVII–XX; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. VII, S. 841 ff.

Auch bei den abschließenden Konferenzvorbereitungen der Reichsregierung (13. Juni) spielte diese Frage eine besondere, aus den vorliegenden Besprechungsniederschriften allerdings nicht völlig transparent werdende Rolle. „Erörtert“ – vielleicht aber nur aufgezählt – wurden hierbei zunächst fünf „Möglichkeiten des Konferenzergebnisses“ (u. a. endgültige Streichung der Reparationen mit oder ohne Abschlußzahlung, lang- oder kurzfristige Erneuerung des Hoover-Moratoriums), die offenbar als so theoretisch und in ihren politischen und finanziellen Folgen als so unübersichtlich angesehen wurden, daß es nicht ratsam erscheinen konnte, der Lausanner Delegation32 hierfür fest umrissene Instruktionen mitzugeben. Die Delegation erhielt daher lediglich den Auftrag,[XXVII] eine „Endlösung in der Reparationsfrage“ herbeizuführen und dabei den bereits von der Brüningregierung vertretenen Standpunkt, daß Deutschland keine Reparationszahlungen mehr leisten könne33, mit Nachdruck geltend zu machen. Die Mittel und Wege zur Erreichung dieses Ziels aber sollten ihr uneingeschränkt überlassen bleiben34.

32

Delegationsmitglieder neben RK v. Papen u. a.: RAM v. Neurath, RFM Graf Schwerin v. Krosigk, RWiM Warmbold, StS v. Bülow.

33

Vgl. Horkenbach 1932, S. 28 ff., 141 f., 145.

34

Dok. Nr. 4; 5, P. 1; 22.

Den Auftakt zur praktischen Konferenzarbeit bildete eine Erklärung der maßgebenden Gläubigermächte über die Aussetzung aller Reparations- und Kriegsschuldenzahlungen für die Dauer der Konferenz35. In der unmittelbar anschließenden Generaldebatte und in Einzelbesprechungen der Delegationen ergaben sich zwischen den wichtigsten Ländern – insbesondere Deutschland und Frankreich – erhebliche, den Verlauf der Verhandlungen zunächst bestimmende Meinungsverschiedenheiten, wobei der französische Ministerpräsident Herriot unter anderem der deutschen Forderung, die Reparationen restlos einzustellen, entschieden widersprach und eine Abschlagszahlung von sieben Milliarden RM verlangte, die durch hypothekarische Belastung der Deutschen Reichsbahngesellschaft gesichert werden sollte. Um die Verhandlungen nicht gleich in den Anfängen scheitern zu lassen, wurden daraufhin von deutscher Seite – während die britische Delegation unter Premierminister MacDonald zugunsten einer möglichst weitgehenden Beendigung der Zahlungen zu vermitteln suchte – verschiedene bemerkenswerte Kompromißvorschläge eingebracht. So machte Papen, weiterhin allerdings auf völliger Streichung der Reparationen beharrend, in den Tagen bis zum 27. Juni Herriot das Angebot eines deutsch-französischen Militärbündnisses sowie eines Konsultativpaktes zwischen Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien – beides fraglos in der Absicht, dem französischen Sicherheitsbedürfnis entgegenzukommen –, sagte ferner zu, daß Deutschland von der militärischen Gleichberechtigung, sollte sie grundsätzlich zugestanden werden, während einer fünfjährigen ersten Abrüstungskonvention keinen Gebrauch machen werde, und ließ schließlich durch den Reichsfinanzminister die deutsche Bereitschaft zur Teilnahme an einem internationalen „fonds commun“ andeuten, der zur Sanierung der ost- und südosteuropäischen Volkswirtschaften verwendet werden sollte. Zur großen Enttäuschung der Deutschen blieben jedoch alle diese Vorschläge ohne positive Resonanz36.

35

D. h. soweit diese sich über die bis Ende Juni 1932 reichende Laufzeit des Hoover-Moratoriums hinaus erstrecken sollte.

36

Dok. Nr. 30; 31, P. 1; 33, P. 2; 35; 37; 38, P. 2; 39; 40, P. 1, dort auch Anm. 19; ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 150; 153; 155; 164; 169; Papen, Der Wahrheit eine Gasse, S. 198 ff.

Angesichts dessen vollzogen die deutschen Delegierten am 28. Juni einen überraschenden Kurswechsel, indem sie sich zur Leistung einer noch nicht näher bestimmten „Restzahlung“ bereit erklärten, und zwar unter der Vorbedingung, daß die in den Teilen VIII und IX des Friedensvertrages (deutsche Kriegsschuld und Wiedergutmachung) enthaltene Diskriminierung Deutschlands gänzlich aufgehoben würde. Sie verbanden damit das im Kabinett beschlossene weitere Verlangen, daß in Lausanne auch über die prinzipielle Anerkennung der militärischen Gleichberechtigung Deutschlands entschieden und so die festgefahrene[XXVIII] Genfer Abrüstungskonferenz „wieder in Gang gebracht“ werden müsse37. Die Reaktion der Verhandlungspartner auf diese Forderungen, von deren Verwirklichung die Reichsregierung sich für die innerdeutsche Auseinandersetzung große Vorteile erhoffte38, war zunächst nicht völlig ungünstig, und es kam in den ersten Julitagen – vornehmlich bei Gesprächen mit MacDonald39 – schon zu einigen Formulierungsversuchen für einen entsprechenden Vertragsentwurf. Doch schwanden die Hoffnungen auf eine solche Lösung rasch dahin, als der französische Ministerpräsident sich am 5. Juli, gerade erst von schwierigen Parteiführerbesprechungen aus Paris zurückgekehrt, entschieden gegen die Einbeziehung politischer Fragen in das Verhandlungsergebnis aussprach40 und dies am übernächsten Tage als seinen „unabänderlichen Entschluß“ bezeichnete41.

37

Dok. Nr. 8; vgl. auch unten S. XXX. Vgl. ferner Dok. Nr. 46, P. 2; 47; 50, P. 1; 51, P. 4, dort auch Anm. 9; ADAP, Serie, Bd. XX, Dok. Nr. 198, 199.

38

Papen am 28. 6. gegenüber Herriot und MacDonald: Es sei eine Hauptaufgabe der RReg. „to prevent a social revolution inspired by the Nationalists“. Diese Aufgabe würde durch die Beseitigung der Diskriminationen sehr erleichtert werden. Vgl. Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. III, Dok. Nr. 150.

39

Ebd., Dok. Nr. 173; 174.

40

Ebd., Dok. Nr. 175; 176.

41

Anm. 3 zu Dok. Nr. 52.

Bis zum Schluß der Konferenz wurde hiernach beinahe nur noch über Höhe und Art der deutschen Restzahlung verhandelt, die zu verweigern den deutschen Delegierten, wollten sie Lausanne nicht scheitern lassen, nun kaum mehr möglich war. Nach langwierigen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf eine Reihe von Finanzierungsvorschlägen mehr oder weniger kontrovers erörtert wurde42, einigte man sich schließlich im Lausanner Abkommen vom 9. Juli 1932 darauf, das Reparationsregime des Young-Planes außer Kraft treten zu lassen und Deutschland eine Schlußzahlung von 3 Milliarden RM aufzuerlegen. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, sollte die Reichsregierung deutsche Schuldverschreibungen in entsprechender Höhe bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hinterlegen, von der sie nach Ablauf einer dreijährigen Schonfrist auf den internationalen Finanzmarkt gebracht werden sollten43. Dazu ist es jedoch nicht mehr gekommen, da der Vertrag von Lausanne, weil von keinem der beteiligten Staaten ratifiziert, niemals rechtliche Kraft gewonnen hat44.

42

Dok. Nr. 47; 49; 50, P. 1; 52; ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 201.

43

Anm. 2 zu Dok. Nr. 56; Schultheß 1932, S. 410 ff.

44

Kurz vor dem Ende der Lausanner Konferenz war seitens der frz. und brit. Delegationen in einem (am 14.7.32 veröffentlichten) Briefwechsel festgestellt worden: Im Falle der Nichtratifizierung des Lausanner Abkommens werde der Young-Plan weiter in Geltung bleiben; jedoch werde über die dann de facto eingetretene Lage zwischen den Regg. Frankreichs und Großbritanniens neu verhandelt werden müssen. Eine solche Verhandlung hat niemals stattgefunden. Vgl. dazu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 998 f.; Schultheß 1932, S. 416.

Über den Konferenzverlauf wurde das Berliner Rumpfkabinett, dessen Vorsitz Reichsinnenminister v. Gayl übernommen hatte, durch zahlreiche Telefonate und Telegramme aus Lausanne sowie durch den Reichskanzler, der am 25. Juni zur Zwischenberichterstattung nach Berlin gekommen war, eingehend unterrichtet. Auf die Verhandlungsführung der Delegierten hat es nur wenige[XXIX] Male Einfluß zu nehmen versucht, so am 5. Juli dadurch, daß es Papen und Neurath in ihrer Entschlossenheit, mit der sie die Beseitigung der erwähnten Diskriminationen durchzusetzen suchten, nachdrücklich bestärkte. In einer abschließenden Kabinettsberatung über das Konferenzergebnis, die nach Rückkehr des Reichskanzlers am 11. Juli stattfand, gab es neben mäßig positiven Urteilen nur eine wirklich negative Stellungnahme, nämlich die des Wehrministers, der Lausanne – vor allem wegen Nichterreichung der politischen Nebenziele und wegen äußerst ungeschickter Behandlung der öffentlichen Meinung – als „schwere Niederlage“ des Kabinetts bezeichnete. Aber auch er stimmte offenbar mit allen Ministern schließlich darin überein, daß die Delegation „nicht anders habe handeln können“ und (wie besonders der Innenminister betont hatte) das „Äußerste durchgesetzt“ habe, „was unter dem Druck der großen Verantwortung erreichbar gewesen sei“45.

45

Dok. Nr. 40, P. I; 50, P. 1; 56.

b) Deutschland und die Abrüstungskonferenz 1932

Nach ausgedehnten Beratungen einer im Frühjahr 1926 eingesetzten „Vorbereitenden Kommission“ war die Abrüstungskonferenz des Völkerbundes am 2. Februar 1932 – zwölf Jahre nachdem dieser sich in seiner Satzung zur Einleitung allgemeiner Rüstungsbeschränkungen verpflichtet hatte – in Genf eröffnet worden. Den Schwerpunkt ihrer Verhandlungen bildete zunächst ein von der Kommission erarbeiteter Konventionsentwurf, besonders dessen Artikel 53, der die Entwaffnungsbestimmungen des Friedensvertrages, soweit sie vor allem Deutschland betrafen, gänzlich unberührt lassen und den Siegermächten einen zwar begrenzten, aber beträchtlich höheren Rüstungsstand als Deutschland einräumen wollte46. Gegen solche „Diskriminierung“ hatten die deutschen Vertreter schon bei den Kommissionsberatungen lebhaft protestiert, sie verlangten nunmehr die prinzipielle Anerkennung der militärischen Gleichberechtigung Deutschlands im Rahmen einer Abrüstungsregelung, welche sich am bestehenden deutschen Entwaffnungsniveau orientieren, die Sicherheit aller Staaten gleichmäßig berücksichtigen und ein Verbot von Angriffswaffen (u. a. Panzer, Unterseeboote, Kampfflugzeuge, schwere Artillerie) enthalten sollte. Im Verlauf der weiteren Verhandlungen, die den größeren Teil der Monate Februar bis April 1932 in Anspruch nahmen, konnte Reichskanzler Brüning ohne besondere Schwierigkeiten durchsetzen, daß der umstrittene Artikel 53 fallengelassen wurde. Weit weniger erfolgreich waren dagegen seine in den letzten Apriltagen bei Besprechungen mit führenden Vertretern der Westmächte (Stimson, MacDonald, Simon) in Bessinge unternommenen Versuche, eine Verständigung über die deutsche Gleichberechtigung und die Umstrukturierung des Reichsheeres (u. a. Herabsetzung der Dienstzeit im aktiven Heer, Schaffung einer kurzdienenden Miliz, Ausrüstung mit modernen Verteidigungswaffen), wie sie seit längerem[XXX] von der Reichswehrführung angestrebt wurde47, herbeizuführen. Zwar konnte er hierfür eine gewisse Aufgeschlossenheit bei seinen Gesprächspartnern feststellen, da aber die französische Zustimmung nicht zu erreichen war, blieben seine Bemühungen letztlich ohne Ergebnis48.

46

Zum Konventionsentwurf (Dezember 1930) vgl. ADAP, Serie B, Bd. XVI, Dok. Nr. 104; Schultheß 1930, S. 456.

47

Vgl. unten Anm. 56.

48

Zum Verlauf der Abrüstungskonferenz und zur deutschen Mitwirkung vgl. diese Edition: Die Kabinette Brüning I/II, S. LXXXIII f.; ADAP, Serie B, Bd. XIX–XXI; Wohlfeil, Reichswehr und Republik (1918–1933), S. 194 ff.; Salewski, Die bewaffnete Macht im Dritten Reich 1933–1939, S. 86 ff.; Nadolny, Abrüstungsdiplomatie 1932/33, S. 90 ff.

Auch für das nachfolgende Papenkabinett war, wie schon in dessen Regierungserklärung angekündigt, die Erringung der „vollen Gleichberechtigung“ auf dem Felde der Sicherheit eine der „wichtigsten Aufgaben“49. Wie dies aber im Detail verwirklicht, welche taktische oder sachliche Position in den wechselnden Verhandlungslagen deutscherseits eingenommen werden sollte, erfahren wir aus den überlieferten Besprechungsniederschriften entweder gar nicht oder nur in sehr unzulänglicher Weise. Überhaupt sind die Kabinettsprotokolle nun für einige Bereiche der Außenpolitik, vor allem den der Rüstungs- bzw. Abrüstungspolitik, dermaßen knapp und nichtssagend gehalten, daß der Eindruck entstehen kann, als hätten im Kreise der Reichsminister Meinungsverschiedenheiten über das deutsche Vorgehen nicht bestanden oder als habe auf Kabinettsebene niemals ein auch nur annähernd umfassender Gedankenaustausch hierzu stattgefunden50.

49

Dok. Nr. 7.

50

In den Reichskanzleiakten finden sich keinerlei Hinweise (z. B. in Vermerken, internen Verfügungen) dafür, daß etwa aus Geheimhaltungsgründen a) von eingehender Kabinettsberatung Abstand genommen wurde, b) die Kabinettsprotokolle besonders substanzlos abgefaßt worden wären.

Letzteres gilt in besonderem Maße für die Vorberatungen des Kabinetts zur Lausanner Konferenz, bei denen im Anschluß an einen Lagevortrag des Staatssekretärs v. Bülow und nach kurzen, mehr auf innenpolitisch-taktische Notwendigkeiten denn auf außenpolitische Sachverhalte bezogenen Ausführungen des Kanzlers und des Wehrministers beschlossen wurde, in Lausanne jenen – wie wir gesehen haben, mißglückten – Versuch zu unternehmen, „Frankreich zur grundsätzlichen Anerkennung der deutschen Gleichberechtigung zu bewegen“51. Denn in den diesbezüglichen Besprechungsniederschriften haben herausragend wichtige Vorgänge überhaupt keinen Niederschlag gefunden, auch nicht die sofort nach der Regierungsbildung begonnene und länger andauernde Auseinandersetzung zwischen Auswärtigem Amt und Reichswehrministerium über die in Lausanne und Genf einzunehmende Verhandlungslinie. Dabei plädierte ersteres dafür, daß Deutschland sich für den Fall, daß ihm „theoretische Gleichberechtigung“ zuerkannt werden und die erste Abrüstungskonferenz erhebliche Abrüstungsschritte einleiten würde, bereit erklären sollte, auf seinem „jetzigen Rüstungsstande die künftige Entwicklung abzuwarten“. Reichswehrminister v. Schleicher hingegen verlangte schon für die erste Abrüstungskonvention Bestimmungen darüber, daß Deutschland ein „völlig gleiches“ Recht auf Sicherheit beanspruchen könne wie jeder andere Staat Europas auch. Deshalb wäre, so[XXXI] betonte er in einer am 14. Juni vorgelegten Ausarbeitung „über das interne deutsche Ziel auf der Abrüstungskonferenz“, in die erste Konvention ein zahlenmäßiger Rüstungsstand für Deutschland „einzutragen“, der demjenigen Frankreichs, mindestens aber den Rüstungen Polens und der Tschechoslowakei zusammen entsprechen müsse. Diese Forderung wurde jedoch von Bülow energisch zurückgewiesen, in der Hauptsache mit dem Hinweis darauf, daß derart weitgehende Festlegungen von der Konferenz keinesfalls schon zu Beginn ihrer sicherlich jahrelangen Verhandlungen, sondern erst im Rahmen einer nahezu endgültigen Abrüstungsvereinbarung vorgenommen werden könnten52.

51

Dok. Nr. 8.

52

Vgl. ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 127, dort auch Anm. 3; 138, dort bes. Anm. 2; 161; 198.

Von bemerkenswerter Dürftigkeit ist die Protokollführung der Reichskanzlei ferner im Falle der Ministerbesprechung vom 12. Juli, wo sie sich auf die Feststellung beschränkt, Außenminister v. Neurath habe mitgeteilt, „daß er mit dem Reichswehrminister Übereinstimmung über das weitere Vorgehen in der Abrüstungsfrage erzielt habe“53. Nicht das geringste scheint demnach in der Kabinettsrunde gesagt worden zu sein über Inhalt und Veranlassung dieser „Übereinstimmung“, nämlich daß es sich hierbei um die erst seit kurzem intern erörterte Frage handelte, in welcher Weise Deutschland Stellung nehmen sollte zu einer Resolution, mit der die Abrüstungskonferenz sich von Ende Juli bis zum 21. September 1932 vertagen wollte. Hierbei hatte Schleicher auf strikte Ablehnung gedrängt für den Fall, daß in ihr nicht unzweideutig dem deutschen Gleichberechtigungsanspruch Rechnung getragen würde. Da jedoch die hauptbeteiligten Mächte zu einem solchen Entgegenkommen nicht bereit waren, in der am 23. Juli verabschiedeten Resolution vielmehr die Gültigkeit der Entwaffnungsbestimmungen des Friedensvertrages voll bestätigt wurde, stimmte der deutsche Delegationsleiter Nadolny gegen die Resolution und gab – entsprechend der zwischen Reichswehrministerium und Auswärtigem Amt getroffenen Vereinbarung – die Erklärung ab, daß die Reichsregierung ihre weitere Teilnahme an den Arbeiten der Abrüstungskonferenz nur unter der Voraussetzung in Aussicht stellen könne, daß schnellstens – und sei es im Wege bilateraler Verständigung – eine Lösung der Gleichberechtigungsfrage im Sinne der deutschen Forderungen herbeigeführt würde54.

53

Dok. Nr. 59, P. 2.

54

ADAP, Serie B, Bd. XX, S. XIX–XXIII; Schultheß 1932, S. 472.

Auch über alle weiteren Bemühungen in dieser Frage, die sich bis zum Ende der Papenregierung in einem mehr oder weniger engagierten deutsch–französisch–britischen Meinungsaustausch erschöpften, kam es im Reichskabinett nicht zu intensiven Sachberatungen, sondern nur zu einigen kurzen Lageberichten durch den Außenminister und seinen Staatssekretär. Hingewiesen wurde hierbei zunächst auf einen Ende August 1932 begonnenen deutsch-französischen Notenwechsel, in dem von deutscher Seite die Abrüstung der hochgerüsteten Mächte bis auf das deutsche Entwaffnungsniveau oder – sollte dies unmöglich sein – die Beseitigung der Diskriminierung Deutschlands durch Wiederherstellung seines Rechts auf „einen seiner nationalen Sicherheit entsprechenden Rüstungsstand“ gefordert wurde. Frankreich lehnte jedoch vor allem[XXXII] den letztgenannten deutschen Vorschlag, der eine tiefgreifende Umgestaltung des deutschen Wehrsystems und die Zulassung moderner Waffenkategorien anstrebte, unter Betonung der eigenen Sicherheitsbedürfnisse entschieden ab und erhob sogar den Vorwurf, Deutschland wolle sich von seinen friedensvertraglichen Bindungen nunmehr lösen, um unbehindert aufrüsten zu können55. Nicht ohne Einfluß auf die französische Stellungnahme dürfte allerdings auch die Tatsache gewesen sein, daß der deutsche Wehrminister vor und während dieses Notenwechsels mehrfach öffentlich erklärt hatte, daß Deutschland sich bei fortdauernder Verweigerung der Gleichberechtigung ohne weiteres die Freiheit zu ausgleichenden Rüstungsmaßnahmen sowie zu einem „Umbau“ seiner Wehrmacht nehmen werde56.

55

Dok. Nr. 109; 132, P. 3; 135; 141, P. 3; 149, P. 3 b und f; 161, P. 1.

56

Rundfunkrede Schleichers vom 26. 7. (Text: Horkenbach 1932, S. 260 f.); Schleicher, Um Deutschlands Sicherheit, in: Der Heimatdienst, Jg. XII, Heft 17 (1. Sept. 1932), S. 257 f. – Über den Hintergrund dieser Drohungen Schleichers – die umfangreichen Aufrüstungsprogramme der Reichswehrführung – fanden sich keine Unterlagen in den Akten der Reichskanzlei. Zur geheimen Reichsverteidigungs- und Rüstungsplanung in den Jahren 1926–1932, die den Aufbau eines 16-Divisionen-Heeres (1. Rüstungsprogramm), später eines 21-Divisionen-Heeres (2. Rüstungsprogramm) mit erheblich verbesserter Waffenausstattung vorsah, vgl. Wohlfeil, Heer und Republik (1918–1933), S. 194 ff.; Geyer, Aufrüstung und Sicherheit, S. 213 ff.; Geyer, Das zweite Rüstungsprogramm (1930–1934), in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 17(1975), S. 125–172; Bennett, German Rearmament and the West 1932–1933, S. 35 ff.

Nach dem Fehlschlagen der deutsch-französischen Einigungsbemühungen vollzog die Reichsregierung den Übergang zur offenen Pressionspolitik, indem sie ihren Entschluß bekräftigte, nicht mehr an den Genfer Verhandlungstisch zurückzukehren57. Sie beschwor damit die weitgehende Lähmung der Abrüstungskonferenz herauf. Um dem entgegenzuwirken und um Deutschland die Rückkehr nach Genf erleichtern zu können, trat daraufhin Großbritannien noch entschiedener als zuvor für ein Entgegenkommen in der Gleichberechtigungsfrage und für die Wiederaufnahme separater Kompromißversuche ein. Sein Vorschlag, die gesamte Materie im Rahmen einer Londoner Viermächtekonferenz Anfang Oktober zu erörtern, fand aber in Paris keine Zustimmung58. Dennoch mehrten sich nun die Anzeichen auch der französischen Kompromißbereitschaft deutlich 59. In den ersten Dezembertagen – kurz nach Beginn der Kanzlerschaft Schleichers – sollte es schließlich am Rande einer außerordentlichen Völkerbundsversammlung unter Beteiligung des deutschen Außenministers zu konkreten Verhandlungen kommen, die am 11. Dezember 1932 zur Unterzeichnung der bekannten Fünfmächteerklärung führten, auf Grund deren Deutschland die Mitarbeit an der Abrüstungskonferenz wiederaufnahm. In der Erklärung anerkannten die übrigen Mächte (USA, Frankreich, Großbritannien, Italien) grundsätzlich die militärische Gleichberechtigung Deutschlands in einem bei den künftigen Abrüstungsberatungen auszuhandelnden „System, das allen Nationen Sicherheit bieten“ sollte60.

57

Dok. Nr. 141, P. 3.

58

Dok. Nr. 163, P. 3; 168, P. 7.

59

Anm. 24 zu Dok. Nr. 215.

60

Text der Erklärung: Schultheß 1932, S. 481 f.; zur Behandlung im Reichskabinett s. diese Edition: Das Kabinett von Schleicher, Dok. Nr. 5, P. 1; 24, P. 4.

Extras (Fußzeile):