1.150 (bru3p): Nr. 664 Aufzeichnung des Reichswirtschaftsministeriums zur Arbeitsbeschaffung, 5. Februar 1932

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[2276] Nr. 664
Aufzeichnung des Reichswirtschaftsministeriums zur Arbeitsbeschaffung, 5. Februar 1932

R 43 I /900 , Bl. 41–45 Durchschrift

Den äußeren Anlaß zur Abhaltung der Besprechung1 bot die Tatsache, daß der Reichswirtschaftsrat den Fragenkomplex der Arbeitsbeschaffung neuerdings in einem besonderen Ausschuß behandelt. Im Zusammenhang hiermit ist die öffentliche Diskussion des Problems wieder sehr lebhaft geworden2. So hat z. B. bei den freien Gewerkschaften eine starke Bewegung zugunsten einer Arbeitsbeschaffungspolitik eingesetzt, wobei ein von Wladimir Woytinsky skizzierter Plan im Vordergrund steht. Der Plan ist unter dem Titel: Wann kommt die aktive Wirtschaftspolitik? im Januarheft „Die Arbeit“ veröffentlicht worden. Gegenstand ist ein Programm von öffentlichen Arbeiten in einem Ausmaß, um 1 Millionen Menschen für die Dauer von einem Jahre zusätzlich zu beschäftigen. Über die direkte Entlastung des Arbeitsmarktes hinaus, die unmittelbar durch die Ausführung der öffentlichen Arbeiten erfolgt, wird eine starke mittelbare weitere Entlastung durch Ankurbelung der Konjunktur (Initialzündung) erwartet3. Außerdem wird in den Gewerkschaftskreisen der neuerdings auch von Lederer aufgegriffene und im einzelnen entwickelte Gedanke, die Erwerbslosen mit der Herstellung von Produkten zum gegenseitigen Austausch untereinander zu beschäftigen, erörtert.

Es erscheint unter diesen Umständen angebracht, die Frage auch innerhalb der Reichsregierung zwischen den zuständigen Stellen zu erörtern und zu klären. Vorläufig kann es sich dabei jedoch nur darum handeln, die Möglichkeiten der Arbeitsbeschaffungspolitik ausschließlich unter wirtschafts-, konjunktur- und kreditpolitischem Gesichtswinkel zu betrachten und zu prüfen. Wenn man die Frage stellt, ob und in welcher Form Arbeitsbeschaffungspolitik heute wirtschaftlich betrachtet, rationell erscheint, ob die Methode der Finanzierung kredit- und währungspolitisch verantwortet werden kann, so ist damit das Problem keineswegs erschöpft. Dies alles sind nur Vorfragen, die geklärt werden müssen, die aber, wenn sie vollbefriedigend gelöst werden können, bei der Gesamtentscheidung nicht den Ausschlag geben können. Übergeordnet und absolut entscheidend bleibt immer die Frage, ob die Arbeitsbeschaffung in dem Ausmaß und in der Form, wie sie sozial- und wirtschaftspolitisch wünschenswert und rationell erscheint, im Rahmen unserer Gesamtpolitik[2277] vertretbar ist, insbesondere mit Rücksicht auf die Linie der Außenpolitik und unsere finanziellen Beziehungen zum Auslande (Stillhalteabkommen)4. Aber selbst wenn unter diesem Gesichtswinkel betrachtet eine Arbeitsbeschaffungspolitik zur Zeit nicht in Erwägung gezogen werden könnte, wäre eine genaue Prüfung und Klärung des Problems nach der rein wirtschafts- und finanzpolitischen Seite hin nichtsdestoweniger erforderlich, um für den Fall gerüstet zu sein, daß die politische Konstellation sich ändert.

Für die Erörterung des Problems in der so eingeschränkten Fragestellung empfiehlt sich folgende Gliederung:

I. Arbeitsbeschaffung erfordert unter allen Umständen den Einsatz erheblich höherer Mittel als für die Unterstützung der Arbeitslosen benötigt werden, die unmittelbar durch die Arbeitsbeschaffung Beschäftigung erhalten. Da aber bereits jetzt die Wirtschaft über das erträgliche Maß hinaus belastet ist, dürfen die zusätzlich erforderlichen Mittel unter keinen Umständen der übrigen Wirtschaft entzogen werden, und zwar weder im Wege der Steuer noch im Wege der Kreditverknappung.

II. Ist die Erschließung neuer absolut zusätzlicher Finanzquellen somit schon geboten, weil der übrigen Wirtschaft jede neue Belastung unbedingt erspart werden muß, so ist sie auf der anderen Seite auch Voraussetzung dafür, daß die Arbeitsbeschaffung sich konjunkturpolitisch günstig auswirkt. Das ist der Gedanke der Initialzündung, also der Gedanke, daß die von der neu in Angriff genommenen Produktion ausgehende Nachfrage nämlich unmittelbar nach Materialien, mittelbar nach Konsumgütern, die die neu eingestellten Arbeiter mit ihrem Lohn kaufen, Absatz und Produktion der übrigen Industrie belebt.

Diese Grundvorstellung führt zu folgenden weiteren Fragen:

1.)

Wann ist wirtschaftlich der richtige Zeitpunkt für einen Versuch der Konjunkturankurbelung auf dem Wege der Arbeitsbeschaffung?

Unterfrage

a)

nationalwirtschaftlich gesehen: ist, wenn man die Krise als Reinigungsprozeß betrachtet, dieser so weit fortgeschritten, daß die Voraussetzungen für einen Konjunkturanstieg gegeben sind (Tiefpunkt)

b)

weltwirtschaftlich gesehen: steht eine ansteigende Konjunkturbewegung bei uns im Einklang mit der Weltkonjunkturbewegung. Welche Folgen hätte eine Konjunkturankurbelung bei uns, wenn die übrige Welt weiter versackt, also Produktion und Absatz weiter drosselt und Preise weiter sinken läßt.

2.)

Bewegungsspielraum. Er ist materiell bestimmt durch folgende Momente:

a)

Größe der vorhandenen Kapazitätsreserven in Gestalt brachliegender Anlagen, brachliegender Arbeitskräfte und ungenutzter Warenvorräte (realer Betriebsfonds), wozu die Subsistenzmittel gehören, die die neu eingestellten Arbeiter für ihren Lohn kaufen.

b)

Devisenbilanz, Einwirkung ansteigender Konjunktur auf die Handelsbilanz, Steigerung der Einfuhr, Einwirkung auf die Ausfuhr, [2278] nicht eindeutig bestimmter Einfluß auf die Kapitalbewegungsbilanz: gewisse Devisenreserven können erschlossen werden durch bessere Ausnutzung der Kreditlinien unter dem Stillhalteabkommen, durch Beschäftigung neuer Rohstoff-Finanzierungskredite und unter Umständen durch Rückfluß von Fluchtkapital, wenn sich die wirtschaftspolitische Lage sichtbar bessert.

Abträgliche Momente: die neu in Bewegung gesetzten zusätzlichen Geldmittel erzeugen größere Geldflüssigkeit und erhöhen demzufolge den Druck auf die Devisenbilanz, weil unter Umständen noch mehr als bisher Firmen, die dem Auslande verschuldet sind, in den Stand gesetzt werden, ihre Auslandskredite abzudecken. Das Bestreben, die Valutakredite abzuschütteln, würde erheblich gesteigert werden, wenn Inflationsfurcht bestünde.

III. Methoden der Finanzierung. Unter den gegenwärtigen Umständen können im normalen Anleihewege erhebliche Mittel nicht beschafft werden. Es bleibt daher nur die Möglichkeit der kurzfristigen Finanzierung. Auch diese ist nur möglich, wenn die Reichsbank die Rückendeckung gibt. Und zwar muß diese Rückendeckung für den Gesamtbetrag ohne Einschränkung gewährt werden, wenn die Finanzierung reibungslos und mit dem Erfolg, die Liquidität im Gesamtkreditsystem zu steigern, sich vollziehen soll.

Im übrigen verbessert eine derartige Politik auf die Dauer auch die Ergiebigkeit des Kapitalmarktes und zwar sowohl durch Erhöhung der realen Kapitalbildung wie auch durch Verbesserung der Kommunikation zwischen Geld- und Kapitalmarkt.

IV. Gegenstand der Arbeitsbeschaffung: Es ist unter allen Umständen ratsam, nur solche Arbeiten durchzuführen, die voraussichtlich in jedem Falle in den nächsten Jahren vorgenommen würden und weiter möglichst auch nur solche Aufgaben, die herkömmlicherweise in das Betätigungsfeld der öffentlichen Hand fallen5.

Fußnoten

1

Die vorliegende Ausarbeitung des RWiMin., vermutlich von ORegR Lautenbach verfaßt, war der Einladung des StS Trendelenburg vom 5.2.32 zu einer Ressortbesprechung am 12.2.32 beigefügt worden (R 43 I /900 , Bl. 40; siehe Dok. Nr. 670).

2

Der OB von Nürnberg Luppe schlug in einem Schreiben an RFM Dietrich vom 18.2.32 vor, durch die Akzeptbank Wechsel der öffentlichen Körperschaften für die Arbeitsbeschaffung zur Verfügung zu stellen (Abschrift in R 43 I /900 , Bl. 16–18).

3

Mit Schreiben vom 2.2.32 hatte MdR Tarnow (SPD) dem RK eine Ausarbeitung des Woytinski-Baade-Tarnow-Plans vom 26.1.32 vorgelegt. Durch Schuldverschreibungen der Reichskredit AG und notfalls durch zusätzliche Notenschöpfung sollten Mittel von 2 Mrd. RM für die Beschäftigung von 1 Mio. Arbeitslosen bereitgestellt werden; 600 MioRM könnten an Unterstützung gespart werden (R 43 I /900 , Bl. 28–39).

4

Vgl. hierzu Dok. Nr. 633.

5

Zur Besprechung am 12.2.32 siehe Dok. Nr. 670.

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