2.64 (cun1p): Nr. 64 Kabinettssitzung vom 5. Februar 1923, 16 Uhr

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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Nr. 64
Kabinettssitzung vom 5. Februar 1923, 16 Uhr

R 43 I /1382 , Bl. 201 f.

Anwesend: Oeser, Becker, Stingl, Groener, Luther; PrHandM Siering; StS Hamm, Brugger, v. Maltzan, Walther, Müller; Admiral Behncke; MinDir. Heilbron, Meissner, Sitzler, Loehrs; MinR Wever; Protokoll: ORegR Offermann.

1) Außerhalb der Tagesordnung1: Der Reichspostminister machte davon Mitteilung, daß er zu Propagandazwecken einen Betrag von 10 Millionen benötige.

1

Die behandelten Punkte tragen keine Überschrift. Handschriftlich ist hinzugefügt: „Tagesordnung: Belieferung der fremden Truppen mit Einquartierungskohlen.“ Dieses Thema wird unter 2) behandelt.

Das Kabinett beschloß, diesen Betrag zu bewilligen.

2) Der Reichswirtschaftsminister berichtet über die Frage der Belieferung der französischen und belgischen Truppen mit Einquartierungskohle. In einer Besprechung am vorigen Samstag [3. 2.] hätten alle Beteiligten, mit Ausnahme des Preußischen Ministers des Innern, die vom Reichskohlenkommissar ergangene Anweisung, die dahin lautet, für Einquartierungszwecke keine Kohle zu liefern2, für sachlich gerechtfertigt gehalten oder zum mindesten eingeräumt, daß die einmal erlassene Anweisung nicht mehr zurückgenommen werden könne. Es sei festgestellt, daß die Gemeinden den Einbruchstruppen weitgehendes Entgegenkommen zeigten, und diese Tatsache habe in der Bevölkerung lebhafte Unruhe hervorgerufen. Insbesondere verstünde man nicht, daß die Reichsregierung Widerstand verlange, während es den Gemeinden nach wie vor gestattet werde, Entgegenkommen zu zeigen.

2

Zum Erlaß des Reichskohlenkommissars vom 26. 1. s. Anm. 10 zu Dok. Nr. 63.

Ministerialdirektor Loehrs erklärte, daß der Herr preußische Innenminister nach wie vor der Auffassung sei, daß die Anordnung des Kohlenkommissars nicht zweckmäßig sei und der Einsatz das Spiel nicht lohne. Die Kommunalbehörden gerieten angesichts der Einquartierung durch die Anordnung in eine äußerst schwierige Lage und es sei zu befürchten, daß die Truppen nunmehr[216] auch die Gemeindeorgane in großem Maßstabe ausweisen würden. Das preußische Ministerium des Innern lege, wie die preußische Regierung überhaupt, den größten Wert auf ein gemeinsames Vorgehen des Reichs und Preußens. In diesem Sinne habe die preußische Regierung bereits einen Erlaß an die Regierungspräsidenten ergehen lassen, der sich mit dem Verhalten der Gemeinden gegenüber dem Feinde beschäftige. Es werde verlangt

1)

unmittelbarer Gehorsam gegen alle Anordnungen des Reichs;

2)

unmittelbarer Ungehorsam gegen den Feind, soweit dessen Anordnungen den Anweisungen der Regierung widersprechen;

3)

eine möglichst wirksame passive Resistenz3.

3

Am 9. 2. werden in einer Ressortbesprechung in der Rkei, an der auch die pr. Ressorts teilnehmen, auf Vorschlag Loehrs folgende Richtlinien über Quartierleistungen angenommen: „Bei der räumlichen Unterbringung der Truppen haben die Kommunalbehörden nur insoweit mitzuwirken, als es im Interesse der Bevölkerung unbedingt nötig ist; dagegen sind Forderungen, die darüber hinausgehen und die insbesondere dem militärischen Dienstbetriebe dienen sollen, entschieden abzulehnen. Im einzelnen wurde folgendes festgesetzt: Abzulehnen ist die freiwillige oder vertragliche Überlassung von Schlachthöfen, Krankenhäusern, Badeanstalten. […] Es sind ferner abzulehnen Bereitstellung von Soldatenheimen, Kasinos, Messen, Wechselstuben, Aushändigung von Freikarten für Straßenbahnen, Beteiligung an gemischten Kommissionen unter Führung der Feinde zu Einquartierungs- oder Feststellungszwecken. Milchlieferungen sind grundsätzlich abzulehnen. Bezüglich der Familienunterbringung sind sämtliche Anforderungen abzulehnen.“ (R 43 I /207 , Bl. 203-205).

Der Preußische Handelsminister nahm dahin Stellung, daß er die Aufrechterhaltung der Anordnung des Kohlenkommissars für richtig hielt.

Der Reichswirtschaftsminister schlug vor, daß die Weisung des Kohlenkommissars an die Regierungspräsidenten mit der Bitte weitergeleitet werden möge, sie in geeignetem Moment und in geeigneter Weise dem Feinde bekanntzugeben.

Der Vertreter Preußens stellte dies in sichere Aussicht, worauf beschlossen wurde, an den Anordnungen des Reichskohlenkommissars nichts zu ändern.

3) Außerhalb der Tagesordnung4: Zur Frage der Beförderung ausländischer Beamter5 in das Ruhrgebiet durch deutsches Land teilte der Reichsverkehrsminister mit, daß in den Zügen in allernächster Zeit eine polizeiliche Kontrolle durch besonders dafür bestimmte und mit Ausweisen versehene Polizeibeamte erfolgen würde6.

4

Handschriftlich hinzugesetzt.

5

Gemeint ist offenbar die Beförderung ausländischer Arbeiter.

6

Am 6. 2. teilt der RVM StS Hamm, dem RIM, dem PrIM und dem AA mit, daß die regelmäßigen Polentransporte für den Wiederaufbau Frankreichs seit dem 31. 1. nicht mehr durch Deutschland geführt würden. Darüberhinaus sei am 4. 2. eine Anordnung ergangen, „deutsch sprechende Polen oder Angehörige sonstiger Ententeländer am Zuzug zum Ruhrgebiet mit allen Mitteln unter Mitwirkung der Polizei zu hindern und zur Rückkehr nach ihrem Ausgangsort zu zwingen.“ (R 43 I /207 , Bl. 15). Am 9. 2. wird diese Frage erneut im Kabinett erörtert (Dok. Nr. 69, P. 6).

4) Staatssekretär Walther teilte mit, daß nach Zeitungsmeldungen die Franzosen nunmehr auch Goddelau besetzt hätten und sofort das dort befindliche Rauhfutterlager der Reichsvermögensverwaltung, das etwa 9 Millionen Rationen Rauhfutter enthalten hätte, beschlagnahmt hätten. Diese Menge würde genügen, um alle Pferde der Franzosen und Belgier im besetzten und vergewaltigten Gebiet, die man mit etwa 100 000 annehmen müsse, für[217] 3 Monate zu versorgen. Es bestehe die Frage, ob man angesichts dieses Raubes von einer weiteren Belieferung der fremden Truppen mit Rauhfutter, ferner mit Hafer, Kartoffeln, Zucker und Salz, die man bisher zur Entlastung der Bevölkerung aus freien Stücken geliefert hätte, fortsetzen solle, mit anderen Worten diese Verpflegung sistieren solle.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hielt eine solche Maßnahme für sehr gefährlich, da dadurch insbesondere die Landwirtschaft des besetzten Rheinlandes zu leiden haben würde, da der Feind sich sogar an dem Saatgut in rücksichtslosester Weise vergreifen würde. Immerhin hält er es für angezeigt, Anforderungen des Feindes zunächst damit zu begegnen, daß ja durch den Raub von Goddelau die Versorgung für 3 Monate mit Rauhfutter gesichert sei. Man müsse also versuchen, diese Menge auf eventuelle spätere Lieferungen in Anrechnung zu bringen.

Das Kabinett beschloß dementsprechend.

5) Angesichts der Möglichkeit eines weiteren Vorrückens des Feindes, insbesondere einer Besetzung der Städte Frankfurt/Main und Mannheim soll versucht werden, aus diesen Städten alsbald das Reichseigentum zu entfernen7.

7

Am 10. 2. teilt die Oberpostdirektion Frankfurt der Rkei mit, daß besonders wertvolle Funkanlagen und Ausrüstungsgegenstände abgebaut und ausgelagert worden seien, um sie dem möglichen Zugriff der Franzosen zu entziehen (R 43 I /208 , Bl. 209 f.). Die Reichsbahndirektion Trier, die zunächst nach Frankfurt verlegt wurde, wird lt. Schreiben des RVMin. vom 27. 2. nach Gießen verlegt (R 43 I /186 , Bl. 361, 412).

Staatssekretär Walther teilte mit, daß das Reich in Mannheim ein großes Haferlager unterhalte, dessen Abtransport sich jedoch nicht empfehle.

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