1.107 (bru3p): Nr. 621 Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Reparationsbesprechung, 8. Januar 1932

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[2152] Nr. 621
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Reparationsbesprechung, 8. Januar 1932

R 43 I /335 , Bl. 216–217

Im Anschluß an die gestrige Reparationssitzung1 hatte der Herr Reichskanzler unter Beteiligung von Herrn Staatssekretär von Bülow und mir eine weitere vertrauliche Aussprache mit den drei hierher gebetenen deutschen Botschaftern von Hoesch, von Neurath und von Schubert. Im Hinblick darauf, daß der englische Außenminister Simon Herrn von Neurath vor seiner Abreise gebeten hatte, ihn zusammen mit dem Englischen Botschafter Rumbold von Berlin aus möglichst heute mittag anzurufen, damit er vor dem englischen Kabinettsrat heute nachmittag die Haltung der deutschen Regierung kenne, erschien es angezeigt, im engsten Kreise heute Vormittag die gestrige Reparationsbesprechung fortzusetzen. Der Englische Botschafter Rumbold war sowieso schon für heute 12 Uhr mittags zum Herrn Reichskanzler gebeten worden, so daß wir die eigene Reparationsbesprechung auf 10.30 Uhr heute vormittag ansetzten. Außer den eingangs erwähnten Persönlichkeiten nahmen noch die Herren Reichsminister Dietrich und Warmbold und Reichsbankpräsident Dr. Luther teil.

1

Vgl. Dok. Nr. 620.

Die nochmalige eingehende Durchsprache der Gesamtlage ergab allseits die klare Erkenntnis, daß die katastrophale Weltwirtschaftskrise reparationspolitisch für uns auch ihr Gutes habe. Abgesehen von dem politischen Widerstand in Frankreich ist eigentlich auf der ganzen Welt die Erkenntnis durchgedrungen, daß der Zeitabschnitt der Reparationen abgelaufen ist. Wenn aber erst einmal der Zeitabschnitt der schlimmsten Depression behoben und eine leichte Besserung zu verspüren ist, haben wir diese reparationspolitischen Trümpfe aus der Hand verloren. Diese Argumente sprechen gegen ein neues Provisorium, auch wenn an sich gegen ein längeres Provisorium von etwa fünf Jahren eigentliche wirtschaftliche Bedenken weniger geäußert werden könnten. Solche wirtschaftlichen Bedenken sprechen aber ganz bestimmt gegen eine kürzeres Provisorium von etwa 2–3 Jahren, wie es augenblicklich nach dem Stande der französisch-englischen Verhandlungen in der Luft liegt. Die übereinstimmende Auffassung ging aus diesem Grunde heute dahin, den Gedanken eines neuen Provisoriums nicht weiter zu verfolgen, sondern an dem Gedanken einer endgültigen Lösung, und zwar in Gestalt einer völligen Streichung der Reparationen festzuhalten.

In diesem Sinne wird daher die Äußerung des Herrn Reichskanzlers gegenüber dem Englischen Botschafter ausfallen2. Da naturgemäß die Erreichung einer solchen Endlösung auf der bevorstehenden Reparationskonferenz in Lausanne unwahrscheinlich ist, ist von vornherein eine kurze Vertagung der Konferenz mit dem[2153] Ziel, diese endgültige Lösung in einem kommenden nahen Zeitpunkt zu finden, ins Auge zu fassen. Notwendiges Requisit einer solchen kurzen Vertagung ist eine vorübergehende Verlängerung des gegenwärtigen Zustandes. Eine solche gewisse Verlängerung des Hooverjahres soll aber, wie insbesondere Reichsbankpräsident Dr. Luther sehr klar präzisierte, nur als notwendige Folgerung der kurzen Vertagung der Konferenz hingenommen werden, dagegen in keiner Weise als Selbstzweck in Erscheinung treten; würde der Ton zu stark auf diese Verlängerung des Hooverjahres gelegt, entstünde die Gefahr, daß unter weiterem Druck von außen her doch eine neue Zwischenlösung herauskäme3. Hinsichtlich einer solchen Verlängerung des gegenwärtigen Zustandes ging schließlich noch die übereinstimmende Auffassung dahin, daß es sich hierbei möglichst nicht um eine einfache Verlängerung des Hooverjahres, sondern um eine kurzfristige Außerkraftsetzung des Youngplanes (also ohne Nachschußpflicht) handeln dürfe.

2

Hierzu die Aufzeichnung v. Neuraths über den Empfang des Brit. Botschafters Sir Horace Rumbold beim RK am 8.1.32, 12 Uhr in R 43 I /335 , Bl. 222–224, abgedruckt in ADAP, Serie B, Bd. XIX, Dok. Nr. 168.

3

Vgl. auch den Bericht Rumbolds vom 8.1.32, Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. III, Doc. No. 10.

Bei der bevorstehenden Entscheidung spielte naturgemäß der Umstand eine große Rolle, daß nach einer kurzfristigen Vertagung der Lausanner Konferenz die französischen Wahlen4 vorüber sind und außerdem unter der dann noch stärker in Erscheinung getretenen Einwirkung der Weltwirtschaftskrise auf die französische Wirtschaft die Ansätze in der französischen Einstellung zu einer vernünftigeren Erkenntnis gewachsen sein werden5.

4

Vgl. Dok. Nr. 608, Anm. 2.

5

Zur Fortsetzung der Beratungen siehe Dok. Nr. 629.

Pünder

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