1.159 (str2p): Nr. 272 Der Chef der Heeresleitung an den Reichskanzler. 20. November 1923

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Nr. 272
Der Chef der Heeresleitung an den Reichskanzler. 20. November 1923

R 43 I /2440 , Bl. 278

[Betrifft: Währungspolitik der Reichsregierung.]

Im vollen Bewußtsein meiner Verantwortung für die Sicherheit des Reiches habe ich die Pflicht, die Reichsregierung auf die vernichtenden Folgen der Währungspolitik des Reiches aufmerksam zu machen1.

1

Vgl. zu diesem Vorstoß Seeckts Dok. Nr. 243.

Die sachlichen Folgen liegen klar zutage:

Hemmungslose Steigerung der Goldpreise,

Versagen der Rentenmark als wertbeständiges Zahlungsmittel,

Beginn der Unterbewertung der Rentenmark im In- und Ausland,

Zerrüttung der Kaufkraft der Masse des Volkes,

Zurückhaltung der Ernte,

ungesetzlicher Devisenhandel im größten Ausmaß.

[1152] Die seelischen Folgen muß ich als noch weit schwerwiegender ansehen. Sie gehen aus den laufenden Berichten der Militärbefehlshaber über die Lage im Reiche und zahlreichen Zuschriften mit ernstester Deutlichkeit hervor.

Die Wirtschaftskreise werden gezwungen, auf dunklen Wegen gegen die Autorität des Staates das Dringendste an Devisen sich zu beschaffen. Das übelste Devisenschiebertum steht in voller Blüte.

Die Regierung muß dem Treiben der Kreise machtlos zusehen; auch die eben erlassene Kampfansage gegen den Wucher wird wirkungslos bleiben.

Die Reichsregierung hat dem Volke die Rentenmark als Rettung aus der Not versprochen. Die Rentenmark ist da, ein Halt ist nirgends in der Wirtschaft eingetreten. Das Volk fühlt sich in seiner stärksten Hoffnung durch das Reich betrogen2.

2

Die Kurse vom 15.11.23 hatten gestanden bei 2520 Mrd. M für 1 Dollar, 11 Billionen M für 1 Pfund Sterling, 600 Mrd. M für 1 Goldmark (DAZ, Nr. 532), am 20.11.23 standen die Kurse bei 4,2 Billionen M für 1 Dollar, 18 Billionen M für 1 Pfund Sterling, 1 Billion M für 1 Goldmark. Im Dezemberbericht gab der RKom. f. Überwachung der öff. Ordnung u. a. folgende Darstellung der allgemeinen Lage: „Die Stabilisierung der Papiermark und die Einführung der Festwährung haben zunächst auf die wirtschaftliche und soziale Krise verschärfend gewirkt. Die Preise der meisten Waren, vor allem aber die Lebensmittel, sind zwar einigermaßen stabil geworden, stehen jedoch nach der Goldmarkpreisfestsetzung zumeist weit über der Weltparität. Die Kosten der Lebenshaltung auf dem Niveau des Existenzminimums liegen infolgedessen gegenwärtig weit über den gleichen Kosten in den sogenannten hochvalutarischen Ländern. In seiner Auswirkung bedeutet das die Ausschaltung Deutschlands als industriellen Konkurrenten auf dem Weltmarkt für jene große Reihe von Produkten, bei denen die Spannung zwischen Produktionspreis und Weltmarktpreis nicht von sich aus eine große war oder für die nicht Deutschland aus dem einen oder dem anderen Grunde eine monopolartige Stellung als Produzent einnimmt, wie dies etwa der Fall ist bei gewissen Chemikalien, elektrischen Artikeln, optischen Instrumenten usw.“ (R 134 /22 , Bl. 18).

Aus dieser Stimmung des Volkes, die zur Verzweiflung drängt, drohen schwere Gefahren für die Einheit und Sicherheit des Reiches; ihnen vorzubeugen, betrachte ich als meine Aufgabe.

Ich bitte, beim Reichskabinett erwirken zu wollen, daß der amtliche Deviseneinheitskurs aufgehoben wird und ein festes Verhältnis zwischen der Papier- und Rentenmark hergestellt wird3.

3

Der Chef der Heeresleitung hatte das Schreiben abschriftlich dem Büro des RPräs. und den sämtlichen RM zugeleitet. S. die Erwiderung des RFM in Dok. Nr. 280.

Die Lage gebietet höchste Beschleunigung. Ich bitte, alle Bedenken aus Finanzfachkreisen zurückzustellen.

v. Seeckt

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