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Haftstättenverzeichnis

Sonstige Lager

Die historische Forschung zum nationalsozialistischen Lagersystem weist noch immer große Lücken auf, sowohl hinsichtlich der Funktionen und Organisation einzelner Lager und Lagertypen als auch bezüglich ihrer Größenordnung. Bis heute sind weder die Gesamtzahl der nationalsozialistischen Haftstätten noch die ihrer Opfer bekannt. Auch sind zum Teil nur ungenaue Aussagen über die konkrete Zuordnung einzelner Lager innerhalb des nationalsozialistischen Lagersystems möglich. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass viele Haftstätten und Lager im Laufe der Jahre einen Funktionswandel erlebten oder aber verschiedene Funktionen zugleich erfüllten. Andere Lager nehmen aufgrund ihrer Entwicklungsgeschichte eine Sonderstellung innerhalb des nationalsozialistischen Lagersystems ein.

Diese Schwierigkeiten wirken sich in unterschiedlicher Weise auf die vorliegende Haftstätten-Datenbank aus. Erstens kann die Zahl der in die Datenbank aufgenommen Lager und Haftstätten einschließlich der durch das Bundesentschädigungsgesetz bereits anerkannten Lager bei weitem nicht als vollständig gelten. Zweitens gibt es zum Teil Überschneidungen zwischen verschiedenen Haftstättenkategorien. So sind beispielsweise unter der Kategorie der Lager für Sinti und Roma Haftstätten aufgenommen, die auch anderen Kategorien – etwa der Kategorie der Vernichtungslager – zugeordnet werden können; umgekehrt waren Sinti und Roma auch eine von mehreren Häftlingsgruppen in den Konzentrationslagern. Für andere Häftlingsgruppen lässt sich ähnliches feststellen. Haftstätten, die als „Zwangsarbeitslager für Juden“ oder „Jüdische Arbeitsbataillone“ aufgeführt werden, hätten oft ebenso gut als „Konzentrationslager“ oder als „Vernichtungslager“ bezeichnet werden können, gleiches lässt sich für viele der aufgeführten Polizeigefängnisse in den besetzten Gebieten feststellen. Die Kategorisierungen geben also nur einen ersten Hinweis. Drittens lassen sich eine ganze Reihe von Haftstätten nicht oder nur begrenzt den bestehenden Kategorien zuordnen.

Unter anderem ist das damit zu erklären, dass die Forschungslage ungenügend ist oder sie aufgrund bestimmter Charakeristika aus den hier vorliegenden Haftstättenkategorien herausfallen. Zu diesen Lagern zählen neben vielen anderen die nationalsozialistischen Vernichtungslager einschließlich ihrer Vorformen. Diese Zuordnungsschwierigkeiten werden im folgenden anhand einer Kurzbeschreibung der Vernichtungslager deutlich. Daran wird auch deutlich, dass die in der Datenbank vorgenommenen Kategorisierungen selbst problematisch sind, weil sowohl die Dynamik der nationalsozialistischen Zwangsarbeitspolitik und der damit eng verknüpften rassistischen Vernichtungspolitik als auch die damit verknüpften Dimensionen des konkreten menschlichen Leids der Opfer systematisch aus dem Blick geraten.

Bei den Vernichtungslagern handelte es sich um Stätten, die ausschließlich dem Massenmord dienten. Sie waren keine Haftstätten im eigentlichen Sinne, da die Menschen, die in diese Lager deportiert wurden, in der Regel direkt nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Zum einen lässt sich zu den „Vernichtungslagern“ die Vielzahl der teils improvisierten und nur kurze Zeit bestehenden, teils längerfristig genutzten Mordstätten in den deutsch besetzten Gebieten der Sowjetunion zählen. Sie dienten den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD sowie anderen SS-Einheiten als Orte des Massenmords vor allem an jüdischen Menschen, aber auch an sowjetischen Kriegsgefangenen und Widerstandskämpfern. Einer dieser Orte der Vernichtung war Ponary (Paneriai) in der Nähe von Wilna (Vilnius) im besetzten Litauen. Dort wurden zwischen Juli 1941 und Juli 1944 zwischen 70.000 und 100.000 jüdische Menschen sowie neben anderen Häftlingsgruppen auch sowjetische Kriegsgefangene erschossen. Auch im rumänisch annektierten Transnistrien existierten Exekutionsstätten und Todeslager, in denen die rumänischen Besatzungsbehörden in Zusammenarbeit mit den Deutschen mordeten.

Parallel zu diesen mehr oder minder improvisierten Mordstätten systematisierten die Nationalsozialisten die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden sowie der Sinti und Roma im Verlauf des Zweiten Weltkrieges. So entstand in Chelmno (Kulmhof) in Ostpolen im Dezember 1941 das erste nationalsozialistische Vernichtungslager. In diesem Lager wurden zwischen 1941 und 1944 mindestens 152.000, vermutlich jedoch deutlich mehr jüdische Menschen aus dem Getto Lódz sowie aus dem Gebiet des dem Deutschen Reich angeschlossen „Warthelands“ ermordet. Weiterhin zählten etwa 5.000 Roma und Sinti, die ebenfalls zuvor im Getto Lódz inhaftiert gewesen waren, zu den Opfern dieses Vernichtungslagers. Das in Chelmno eingesetzte Personal – bestehend aus Angehörigen der Sicherheitspolizei und der Schutzpolizei – wie auch die Methode der Ermordung mittels mobiler „Gaswagen“ waren von der im August 1941 offiziell abgebrochenen Mordaktion an psychisch Kranken und Behinderten („Aktion T4“) übernommen worden. Mit der Errichtung der von Himmler in Auftrag gegebenen Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“ erfolgte ein weiterer Schritt der Systematisierung des Massenmords.

Unter der Verantwortung von Odilo Globocnik, dem SS-und Polizeiführer des Distrikts Lublin, entstanden die drei Vernichtungslager Belzec, Sobibór und Treblinka. Neben dem Personal der „Aktion T4“ waren hier auch sowjetische Kriegsgefangene – die meisten aus der Ukraine oder dem Baltikum – als Wachleute eingesetzt. In den Lagern der „Aktion Reinhardt“ wurden zwischen Juli 1942 und Oktober 1943 etwa 2 Millionen Juden, die meisten von ihnen polnischer Nationalität, sowie an die 50.000 Roma und Sinti in Gaskammern oder in mobilen „Gaswagen“ ermordet. 1943 wurde die „Aktion Reinhardt“ beendet und die Spuren des Massenmordes beseitigt. Die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden sowie der Sinti und Roma wurde nun auf noch effizientere Weise in den Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau und Lublin-Majdanek weitergeführt. Diese Lager erfüllten bereits ab Anfang bzw. Herbst 1942 neben ihrer Funktion als Konzentrationslager auch die Funktion von Vernichtungslagern. In den Gaskammern des Lagerbereichs Birkenau im KZ Auschwitz ermordeten die Nationalsozialisten in erster Linie jüdische Menschen, aber auch Sinti und Roma sowie einige Hundert politische polnische KZ-Häftlinge und sowjetische Kriegsgefangene mit dem Giftgas Zyklon B. Im Konzentrationslager Majdanek wurden etwa 100.000 vor allem jüdische Menschen mit Kohlenmonoxyd und Zyklon B ermordet. Neben der Vernichtung in den Gaskammern wurden in Majdanek auch Massenerschießungen durchgeführt, denen neben Jüdinnen und Juden auch sowjetische Kriegsgefangene und mehrere Tausend andere Häftlinge unterschiedlicher Nationalität zum Opfer fielen.

Literaturauswahl:

Arad, Yitzhak. Belzec, Sobibor, Treblinka. The Operation Reinhard Death Camps. Bloomington/Indianapolis 1987.

Benz, Wolfgang. Der Holocaust. 5. Auflage München 2000.

Friedlander, Henry. Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung. Berlin 1997.

Herbert, Ulrich (Hg.). Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939-1945. Neue Forschungen und Kontroversen. Frankfurt a.M. 1998.