2.69.1 (bru1p): Formulierung der Ergänzungsvorschläge zum Deckungsprogramm.

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Formulierung der Ergänzungsvorschläge zum Deckungsprogramm.

Der Reichskanzler ging mit kurzen Worten auf das Ergebnis der Parteiführerbesprechung am voraufgegangenen Abend1 ein und berichtete, daß den Parteiführern in Aussicht gestellt worden sei, daß die Reichsregierung unter der Voraussetzung der Zustimmung der hinter der Regierung stehenden Reichstagsparteien zum Deckungsprogramm Vorschläge formulieren wolle, durch die das Deckungsprogramm in 2 Punkten ergänzt wird, nämlich

1

S. Dok. Nr. 67.

1.

durch einen Gesetzesvorschlag über die Bürgerabgabe,

2.

durch einen Vorschlag zur Änderung des § 163 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes, betreffend die unbeschränkte Darlehenspflicht des Reiches gegenüber der Reichsanstalt.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß er den Entwurf eines Bürgersteuergesetzes habe ausarbeiten lassen. Dieser Entwurf wurde eingehend erörtert.

Auf Grund der Aussprache wurde die aus der Anlage 1 ersichtliche Fassung gebilligt2.

2

Hier nicht abgedruckt. Der BürgersteuerGesEntw. ermächtigte alle Gemeinden, von den in der Gemeinde lebenden wahlberechtigten Personen eine Steuer von mindestens 6 RM (Ehepaare 9 RM) im Rechnungsjahr zu erheben. Die Steuer sollte nicht von Personen erhoben werden dürfen, die vom Wahlrecht ausgeschlossen waren, bei denen die Ausübung des Wahlrechts ruhte, die rechtlich in der Ausübung des Wahlrechts behindert waren und die laufend öffentliche Fürsorge genossen. Der GesEntw. band die Erhebung der Gemeindegrundsteuer und Gemeindegewerbesteuer an die Erhebung der Bürgersteuer und verpflichtete die Gemeinden, vom 1.4.31 ab die Bürgersteuer zur Senkung der Realsteuern zu verwenden (R 43 I /2365 , Bl. 190–192).

[285] Bezüglich der unbeschränkten Darlehenspflicht des Reiches kam es nach längerer Aussprache zu dem in der Anlage 2 beiliegenden Vorschlag für einen neuen Absatz zum § 1633.

3

Die Anlage 2 fehlt im Protokoll. Der Zusatz zum § 163 AVAVG lautete: „Der Höchstbetrag dieser Darlehen muß vom 1. April 1931 ab jeweils im Haushaltsgesetz festgesetzt werden“ (R 43 I /2365 , Bl. 193).

Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß er weder gegen die Formulierung des Gesetzentwurfs einer Bürgerabgabe noch gegen die vorgeschlagene Änderung des § 163 sachliche Einwendungen geltend machen wolle, daß er sich aber aus politischen Gründen nicht dazu hergeben könne, beide Anträge gleichzeitig mit zu verantworten. Er habe durch den Gesetzentwurf über die Änderung des Versorgungswesens4, ferner durch den Gesetzentwurf über die Reform der Arbeitslosenversicherung5 und schließlich durch den Gesetzentwurf über die Reform der Krankenversicherung6 ein solches Maß von politischer Belastung auf sich geladen, daß er im Höchstfalle nur für einen der beiden jetzt zur Erörterung stehenden Vorschläge stimmen könne, nicht für beide. Wenn das Kabinett ihn überstimme, so werde er daraus für seine Person keine Konsequenzen ziehen, solange der Reichstag versammelt bleibe; er werde sich aber nach der Sommerpause des Reichstags für sein Weiterverbleiben im Kabinett volle Entschlußfreiheit vorbehalten.

4

Der Entw. eines 6. Ges. zur Änderung des ReichsversorgungsGes. und des Altrentner-Ges. war am 24.5.30 im Umlaufverfahren vom Kabinett gebilligt (GesEntw. in R 43 I /1334 , Bl. 86–115) und dem RR (RR-Drucks. 1930, Bd. 3, Nr. 91) zugeleitet worden. Teile des GesEntw. wurden in die NotVO vom 26.7.30 (RGBl. I, S. 311 ) aufgenommen.

5

Vgl. Dok. Nr. 45, P. 8 und Dok. Nr. 46, P. 1.

6

S. Dok. Nr. 47, P. 9 und Dok. Nr. 57, P. 1.

Der Reichskanzler richtete einen eindringlichen Appell an den Reichsarbeitsminister, seine Mitarbeit unter allen Umständen dem gegenwärtigen Reichskabinett zu erhalten und wies darauf hin, daß die Belastung durch die zur Erörterung stehenden Vorschläge auch für den Reichsarbeitsminister wohl aus der Erwägung heraus getragen werden könne, daß die Vorschläge nicht von der Regierung eingebracht, sondern von den Parteien als Initiativanträge gestellt werden sollen.

Die Abstimmung über den Vorschlag zur Änderung des § 163 ergab eine große Mehrheit für den Antrag gegen die Stimme des Reichsarbeitsministers.

Der Reichskanzler teilte sodann noch mit, daß die formulierten Vorschläge nunmehr in einem besonderen Schreiben an die Fraktionsführer der sechs Regierungsparteien übersandt werden würden mit dem Hinzufügen, daß die Fraktionen sich im Laufe des heutigen Nachmittags mit diesen Vorschlägen befassen, und daß die Fraktionen ihre Stellungnahme der Reichsregierung noch im Laufe des heutigen Tages bekannt geben sollen7. Das Reichskabinett[286] werde alsdann zu der politischen Lage, wie sie sich auf Grund der Fraktionsbeschlüsse darstellen werde, in einer Abendsitzung Stellung nehmen8.

7

StS Pünder übersandte den Fraktionsvorsitzenden der sechs Regierungsparteien am 9.7.30 einen Brief mit den GesEntw. über die Bürgersteuer und die Abänderung des § 163 AVAVG. Unter der Voraussetzung der Zustimmung der hinter der Reg. stehenden Parteien zum Deckungsprogramm sei die RReg. bereit, ihr Programm um diese Vorschläge zu ergänzen und die Erklärung abzugeben, daß die Streichungen am Haushaltsplan 1930 mindestens 100 Mio RM betragen solle. Die Fraktionen sollten noch im Laufe des 9. 7. ihre Stellungnahme zu den Vorschlägen der Rkei mitteilen (Konzept des Schreibens sowie Abschrift der Reinschrift mit den GesEntwürfen in R 43 I /2365 , Bl. 188–193).

8

S. Dok. Nr. 71.

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