2.6 (cun1p): Nr. 6 Chefbesprechung vom 25. November 1922, 14 Uhr

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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Nr. 6
Chefbesprechung vom 25. November 1922, 14 Uhr

R 43 I /32 , Bl. 311 f.

Anwesend: Cuno, v. Rosenberg, Hermes, Becker; StS Hamm, v. Haniel, Müller, Schroeder; MinDir. v. Brandt, Trendelenburg; LegR Ritter, Simon; Gesandter v. Mutius; MinR Ruppel, Cuntze; Protokoll: MinR Kempner.

[16] Gegenstand: Gillet-Abkommen1

1

Die Gillet-Ruppel Verträge vom 15. 3. und 3.6.22 waren dem Bemelmans-Cuntze Abkommen nachgebildet und regelten die Sachleistungen an Frankreich (RGBl. 1922 II, S. 657  ff.). In dieser Besprechung stehen offenbar beide Verträge zur Debatte.

1) Staatssekretär Dr. Müller: Angesichts der Reparationspolitik, wie sie in der Note vom 13. November2 festgelegt sei, sei es erforderlich, das Bemelmans-Abkommen zu kündigen. Die Kündigung müsse gegebenenfalls bis zum 30. November erfolgen3. Das Wiederaufbauministerium schlage daher vor, der Reparationskommission die Note der Anlage übergeben zu lassen4. Vielleicht könne man aber auch durch Fischer bei der Reparationskommission sondieren lassen, ob nicht der Kündigungstermin bis zum 31. Dezember verlängert werden könne oder bis 14 Tage nach Eingang der Antwort auf unsere Note.

2

Die Note ist offiziell auf den 14. 11. datiert (R 43 I /32 , Bl. 223-225); Fundorte in Anm. 3 zu Dok. Nr. 2.

3

Das Bemelmans-Cuntze Abkommen vom 2.6.22 regelt einen Teil der nach dem VV vorgesehenen deutschen Sachleistungen im Rahmen des privaten Geschäftsverkehrs zwischen deutschen und alliierten Unternehmern. In Art. II Abs. 2 findet sich die Bestimmung: „Die Vereinbarung bleibt zwischen der Deutschen Regierung und der Reparationskommission bis zum 31. Dezember 1922 in Kraft und gilt in der Folge von Jahr zu Jahr als stillschweigend verlängert, falls sie nicht von einer der beiden Parteien vor dem 30. November jeden Jahres gekündigt wird.“ (RGBl. 1922 II, S. 639 ).

4

Die vom RMinWiederaufbau entworfene Note war weder in den Akten der Rkei noch des RMinWiederaufbau (R 38) zu ermitteln.

Gesandter von Mutius warnt dringend davor, den Vertrag jetzt zu kündigen. Die Wirkung auf die öffentliche Meinung Frankreichs könnte verhängnisvoll werden. Er halte es für zweckmäßig, daß Fischer in Paris sondiere, ob eine Terminverlängerung von ein bis zwei Monaten erreicht werden könne.

Minister Dr. Hermes schließt sich der Ansicht von Herrn von Mutius an. Der vorgelegte Entwurf einer Note sei nicht diskutabel.

Minister von Rosenberg ist der gleichen Auffassung wie die Herren von Mutius und Hermes.

Minister Dr. Becker: Auch für den Fall, daß das Abkommen nicht gekündigt würde, dürfe nicht über den Rahmen unserer Note vom 13. November hinaus geleistet werden5. Praktisch müsse so verfahren werden, als ob gekündigt wäre.

5

Die deutsche Note vom 14.11.22 enthält unter Punkt 4 folgenden Passus: „a) Deutschland wird für 3 bis 4 Jahre von allen Bar- und Sachleistungen aus dem Vertrage von Versailles befreit. Sachlieferungen für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete gehen weiter, soweit sie ohne Vermehrung der schwebenden Schuld, d. h. aus laufenden Einnahmen oder inneren Anleihen, bestritten werden können.“

Staatssekretär Dr. Müller hat Bedenken, ob dies letztere möglich sei. Man müsse dann evtl. das publizierte Reichsgesetz ändern.

Ministerialrat Cuntze führt aus, daß nach der bestehenden Rechtslage jeder Deutsche heute zur Lieferung berechtigt sei. Darin liege die Gefahr.

Minister Dr. Becker: Hiernach sehe er die Situation anders an. Man müsse zunächst doch versuchen, den Kündigungstermin hinauszuschieben.

Der Reichskanzler stellt die einmütige Auffassung dahin fest, daß eine Kündigung zur Zeit nicht erfolgen solle.

[17] Minister Dr. Hermes: Man müsse versuchen, den Grundsatz der Note, daß nur im Rahmen des Möglichen geleistet werde, auch auf den freien Verkehr auszudehnen.

Es wird beschlossen, daß die beteiligten Ressorts die Instruktion an Staatssekretär Fischer gemeinsam aufsetzen sollen6.

6

Diese Instruktion fehlt in R 43 I, findet sich aber in den Akten des RFMin. In dem entspr. Telegramm an StS Fischer, datiert vom 25. 11., heißt es: „Regierung steht auf grundsätzlichem Standpunkt, daß die jeweiligen Festsetzungen der Sachleistungen durch Repko für die Handhabung der Sachlieferungsabkommen maßgebend zu sein haben. Regierung ist ferner der Ansicht, daß das Reformprogramm der Note vom 14. 11., insbesondere der Grundsatz der Beschränkung der Sachleistungen auf den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, auch für die Gestaltung des freien Sachlieferungsverkehrs gelten muß und daß somit Regierung auch ohne förmliche Kündigung der Abkommen Befugnis erhalten muß, die Anwendung der Sachlieferungsabkommen entsprechend einzuschränken. Im Interesse größerer Rechtssicherheit nach innen ist indessen Verständigung über die Geltung der Abkommen wünschenswert. Sie werden daher beauftragt, mit Repko sofort in Verhandlungen einzutreten, zunächst um eine Hinausschiebung des Kündigungsrechts bis zum 31. 12. oder, wenn möglich, darüber hinaus eventuell bis zur Entscheidung über Note vom 14. 11. zu erreichen.“ (R 2 /3124 , Bl. 156-158). Eine Entscheidung in dieser Frage bringt erst der Ruhreinbruch der Franzosen und Belgier. Am 12.1.23 beschließt die RReg., die Sachleistungen gegenüber Frankreich und Belgien einzustellen (s. Dok. Nr. 41). Diese Entscheidung wird am 13.1.23 im RGBl. II, S. 40  verkündet; die Durchführung des Bemelmans-Cuntze-Abkommens gegenüber den Nichtgewaltmächten wird dagegen erst am 11.8.23 eingestellt (RGBl. II, S. 325 ).

2) Staatssekretär von Haniel: Er halte es für notwendig, daß der Reparationskommission die Regierungserklärung über ihr Programm offiziell übermittelt werde7. Dabei müsse gesagt werden, daß die Regierung unverzüglich alle Maßnahmen zur Durchführung des Programms treffen werde. Hierüber wurde Einverständnis festgestellt.

7

Regierungserklärung Cunos vom 24.11.22 in RT-Bd. 357, S. 9099 –9105. Der RAM weist StS Fischer in Paris am 27. 11. telegrafisch an: „Übergebt Repko Note, die mit Erklärung Reichskanzlers in Rede vom 24. 11. beginnt: ‚Im Namen der neuen Regierung gebe ich die Erklärung ab, daß sie ohne Einschränkung auf den Boden der Note vom 14.11.1922 tritt und fest entschlossen ist, das in ihr enthaltene Programm im vollen Umfang zu vertreten und zur Durchführung zu bringen.‘ Anfügt in Note folgenden Zusatz: Indem die RReg. diese Erklärung hiermit auch gegenüber der Repko in förmlicher Weise wiederholt, richtet sie gleichzeitig im Hinblick auf die wirtschaftliche und finanzielle Lage Deutschlands an die Repko die Bitte, den in der Note vom 14. 11. gestellten Anträgen mit möglichster Beschleunigung stattzugeben.“ (R 2 /3124 , Bl. 166 f.). Dieser Schritt der RReg. findet insbesondere in Paris und Brüssel ablehnende und enttäuschte Reaktionen. So berichtet der dt. Gesandte Landsberg aus Brüssel am 29. 11.: „Jaspar sprach soeben in ernstester Weise mit mir; er bezeichnete deutsche Note an Repko als ungeeignet, Frankreich von Handeln abzuhalten. Einzige Möglichkeit für Deutschland, auf Amerika und England einzuwirken und damit Belgiens Neigung, militärische Maßnahmen zu verhindern, Stütze zu geben, würde Angebot deutscher Industrie sein, deutsche Auslandsanleihe zu garantieren; es sei aber damit höchste Zeit. Er würde es gerne vermeiden, daß Belgien mit Frankreich zusammen Ruhr besetze, dürfte aber ohne das gebotene Opfer der deutschen Industrie unter dem Druck öffentlicher Meinung notwendig dazu kommen. Im Laufe seiner Äußerungen bezeichnete er Kabinett als reaktionär und von Stinnes abhängig, welche Urteile ich bestritt und als von französischer Stimmungsmache beeinflußt bezeichnete.“ (R 38 /180 , neu in R 3301 /2180 , Bl. 284).

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