2.166.1 (feh1p): 1. Frage der Leistungen an die Entente.

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1. Frage der Leistungen an die Entente1.

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Es handelt sich hier um die Fortsetzung der Ministerratssitzung vom gleichen Tage, 12 Uhr. Siehe Dok. Nr. 165. Gegenstand dieser zweiten Ministerratssitzung war wiederum die Besprechung der all. Note vom 29.1.1921 über die Entwaffnungs- und Reparationsfrage.

Der Reichspräsident eröffnet die Sitzung.

A. Militärische Fragen

Reichsminister Dr. Simons trägt den Inhalt der militärischen Klauseln der Ententenote im einzelnen vor und empfiehlt, sich in den Einzelfragen nicht über den Friedensvertrag hinaus zu binden, aber auf Proteste bezüglich der Einzelheiten zu verzichten. In unserer Antwort müßte aber betont werden, durch welche dieser Forderungen die Gegner den Friedensvertrag verletzten.

Der Reichskanzler hält gleichfalls Proteste in Einzelheiten für zwecklos und stimmt dem Außenminister darin bei, daß die Punkte, in denen die Gegner zweifellos gegen den Friedensvertrag entschieden haben, hervorgehoben werden müßten. Er hoffe im übrigen, daß angesichts der Lage auch Bayern sich den obwaltenden[443] Notwendigkeiten nicht verschließen würde, denn eine Aktion des Reichs zu Gunsten der bayerischen Sonderwünsche sei nicht mehr möglich2.

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Bayern hatte unter Hinweis auf die kommunistische Gefahr die Entwaffnung der bayer. Einwohnerwehren immer wieder hinausgeschoben. Siehe dazu zuletzt die dt. Note zur Entwaffnung vom 9.12.1920, Schultheß 1920, II, S. 346/347.

Der Reichspräsident macht darauf aufmerksam, daß die Entente in ihrer Note die Reparationsforderungen durch unsere angeblichen Nichterfüllungen des Friedensvertrags in militärischen Dingen eingeleitet habe. Diese Taktik müßten wir der Entente zerschlagen, deshalb das durchführen, was durch den Friedensvertrag festgelegt sei, darüber hinausgehende Forderungen aber ablehnen. Auf diese Weise könne eine einheitliche Phalanx im Volk geschaffen werden.

Reichsminister Dr. Simons hält den vom Herrn Reichspräsidenten geäußerten Gedanken für eine geeignete Basis seiner Ausführungen im Reichstag zu den militärischen Fragen.

B. Reparation

Reichsminister Dr. Simons geht davon aus, daß bei einer etwaigen Verhandlung in London irgendwelche wesentlichen Abweichungen von den „Vorschlägen“ der Entente über die Reparationsfrage nicht erzielt werden könnten3. Die von ihm in der Vormittagssitzung bereits vorgetragenen Forderungen seien derartige, daß wir ihnen freiwillig unter keinen Umständen zustimmen könnten. Offizielle Verhandlungen auf der Basis der Vorschläge seien s. E. unmöglich, dagegen müßte versucht werden, die Verhandlungen durch Sachverständige beider Seiten unter der Hand fortzuführen. Im Reichstag beabsichtige er, die Note kritisch zu beleuchten und zu erklären, daß die Reichsregierung Verhandlungen auf dieser Basis für zwecklos erachte. Die Regierung wolle nach wie vor den Friedensvertrag in den Grenzen der Möglichkeit erfüllen, die von der Reparationskommisson festzustellen sei. Wenn die durch die Note angekündigte Einladung nach London eingehe, so müsse dabei von der Entente klar gesagt werden, worüber verhandelt werden solle.

3

Siehe Dok. Nr. 165, Anm. 3.

 

Einen Rücktritt der Regierung, von dem bereits die Rede sei, würde er nicht für richtig halten. Das seinerzeit dargelegte Programm des Reichskanzlers, nämlich Durchführung des Friedensvertrags soweit möglich, bleibe auch jetzt aufrechterhalten4. Insofern liege also kein Grund zum Rücktritt der Regierung vor, der unsere innere Politik auf das schwerste belasten und uns die Möglichkeit zum letzten Entschluß nehmen würde, wenn später ein Diktat komme. Anders liege die Sache mit seiner Person. Er habe in den letzten Wochen mit den Botschaftern Laurent und Lord D’Abernon Verhandlungen über den Seydouxschen Plan geführt. Plötzlich sei die englische und französische Regierung in dieser[444] Frage umgefallen, daher seien vertrauensvolle Verhandlungen mit ihm nicht mehr möglich5. Als er sein Amt übernahm, sei die Durchführung von Spa seine Aufgabe gewesen. Da diese gescheitert sei, müsse er sein Amt niederlegen und dadurch die Lage deutlich kennzeichnen. Man müsse jetzt gegen die neue Stellung der Entente protestieren und sich auf die Bestimmungen des Friedensvertrags zurückziehen, aber außerdem müsse die Welt durch eine sichtbare Handlung auf die neu geschaffene Lage hingewiesen werden. Trete er jetzt zurück, so würden auch die Neutralen erkennen, daß der Bogen überspannt sei. Sachlich komme es jetzt auf ein diplomatisches Hinhalten an, wozu s. E. ein Geschäftsminister im Auswärtigen Amt nötig sei. Der Herr Reichspräsident Wir müßten jetzt darauf abzielen, daß Amerika in die Lage komme mitzusprechen. Auch die Entscheidung über Oberschlesien müsse fallen, bevor in der Reparationsfrage Endgültiges geschehe. Die Regierung müsse jetzt fest und geschlossen auftreten, nur so sei es möglich, auch Reichstag und Volk geschlossen hinter sich zu bringen. Ein Rücktritt des Kabinetts wäre daher verfehlt. Auch den Rücktritt des Außenministers allein würde er bedauern, da er an der Taktik der Entente nichts ändern, wohl aber die Stellung der Regierung schwächen würde.

4

In der Regierungserklärung vom 28.6.1920 hatte RK Fehrenbach u. a. im RT erklärt: „Die Lasten, die [der Friedensvertrag] dem deutschen Volke auferlegt, sind unerhört groß und in ihrer vollen Schwere kaum erkannt. Nachdem aber Deutschland den Vertrag angenommen hat, kann es für die Reichsregierung, solange sich die bisher feindlichen Staaten nicht zu Änderungen verstehen, keine andere Richtlinie in der inneren wie in der äußeren Politik geben als das Streben, die übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen, soweit das überhaupt möglich ist.“ (RT-Bd. 344, S. 10 ).

5
 

Noch Anfang Januar 1921 hatte der frz. Delegierte zur Brüsseler Sachverständigenkonferenz, Seydoux, einen vorläufigen Plan zur Zahlung der Reparationen für die Dauer von fünf Jahren vorgelegt. Bei den anschließenden Verhandlungen hatten sowohl der frz. Botschafter Laurent wie auch der brit. Botschafter Lord D’Abernon der RReg. die Annahme dieses vorläufigen Planes dringend nahegelegt.

 

Zum Seydouxschen Plan siehe Dok. Nr. 156, Anm. 15, zu den Verhandlungen mit Laurent und Lord D’Abernon ebda, Anm. 17.

Der Reichskanzler sieht keinen ausreichenden Grund für den Rücktritt des Kabinetts oder des Ministers Simons. Gerade jetzt würde das Kabinett vom einheitlichen Volkswillen getragen. Sein Rücktritt oder auch nur der eines einzelnen Ministers würde wie Flucht wirken.

Reichsminister Dr. Scholz: Der Text der Mantelnote zeige, daß verhandelt werden solle. Es liege also noch kein Diktat vor, ebenso wenig eine Mitteilung, wieviel wir nach den Bedingungen des Friedensvertrags schuldig seien. Diese Punkte seien wichtig für unser taktisches Verhalten. Man müsse feste Haltung zeigen, aber kein sofortiges Diktat provozieren.

Ein Rücktritt des Ministers Simons würde eine schwierige politische Situation schaffen, es sei auch niemand zu finden, der das Amt fortführen könnte. Komme später ein Diktat, dann müsse der Rücktritt des Kabinetts oder der hauptbeteiligten Minister erwogen werden.

Reichsminister v. Raumer: Ein Diktat vor dem Amtsantritt des Präsidenten Harding müßte vermieden werden6. Gegen die Pariser Vorschläge müßte man protestieren und Verhandlungen auf ihrer Basis ablehnen, da sie gegen den Friedensvertrag verstoßen. Zu Verhandlungen auf anderer Basis müßten wir bereit sein, um Zeit zu gewinnen. Verhandlungen durch Mittelsleute unter der Hand, wie der Außenminister sie vorschlage, halte er für wünschenswert.

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Harding war im November 1920 zum Präs. der USA gewählt worden und trat sein Amt am 4.3.1921 an (Schultheß 1920, II, S. 285 und 1921, II, S. 204).

Einen Rücktritt des Außenministers halte er nicht für erwünscht, da der Moment zur Erzielung eines starken Eindrucks verfrüht sei. Denn es handele[445] sich in der Reparationsfrage nur um Vorschläge, nicht um Beschlüsse der Entente. Der Rücktritt eines einzelnen Ministers würde auch einen unrichtigen Eindruck über die Einheitlichkeit der Auffassung des Kabinetts ergeben. Komme es zu einem unerträglichen Diktat, so müßte dann die Regierung geschlossen zurücktreten.

Reichsminister Dr. Heinze: Die Vorschläge der Entente seien mit Bestimmtheit abzulehnen, von uns müßten dann neue Vorschläge gemacht werden. In der Rücktrittsfrage sei er der Ansicht des Ministers v. Raumer.

Reichsminister Koch: Ein Diktat dürfe nicht schon jetzt provoziert werden. Verhandlungen in London müßten für zwecklos erklärt werden, wenn nur über die Pariser Vorschläge beraten werden solle. Veränderungen im Kabinett halte er zur Zeit nicht für wünschenswert.

Staatssekretär Albert hält es für wünschenswert, die Unmöglichkeit der Pariser Forderungen nach außen deutlich erkennbar zu machen. Komme ein Diktat, dann sei es für einen Rücktritt des Kabinetts zu spät. S. E. sei jetzt der Moment gegeben, in dem deutlich gezeigt werden müsse, daß weiteres Nachgeben nicht mehr möglich sei.

Reichsminister Dr. Wirth: Unsere bisherige Politik sei gescheitert. Dies müsse im Reichstag unter Hinweis darauf dargelegt werden, daß sie von der Gegenseite, die diese Politik ursprünglich eingeleitet habe, sabotiert worden sei.

Man könne vielleicht internationale Gutachten über die Pariser Vorschläge anregen, evtl. auch schon jetzt an den Völkerbund appellieren, vielleicht auch an Amerika. Durch solche Maßnahmen würde unsere Geste wirksam verstärkt werden. Die Verhandlungen dürften nicht abbrechen. Daher müsse der Außenminister im Amt bleiben. Vor der Konferenz in London müßten Kongresse der Gewerkschaften, der Industrie und der Beamtenschaft in den Vordergrund geschoben werden, um die Atmosphäre für London vorzubereiten.

Reichsminister Giesberts spricht sich gegen den Rücktritt des Ministers Simons aus.

Reichsminister Dr. Simons ist gegen den Rücktritt des Kabinetts, hält aber den seinigen nach wie vor für nötig.

Reichsminister Dr. Geßler hält den Rücktritt des Kabinetts wie den des Außenministers für verfrüht.

Der Herr Reichspräsident empfiehlt, in der Reichstagsrede des Außenministers noch besonders hervorzuheben, daß die Ausfuhrabgabe bei den Arbeitern als ungeheuerlich empfunden wird. Auch die Neutralen würden durch sie betroffen, vielleicht könne man sie zu einem Schritt in dieser Beziehung veranlassen7.

7

Zur Rede Simons vor dem RT am 1.2.1921 s. RT-Bd. 347, S. 2299  ff.

Die Aussprache über die Ententenote wird hiermit geschlossen.

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