2.197.1 (feh1p): Londoner Verhandlungen.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 10). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

   Das Kabinett Fehrenbach  Konstantin Fehrenbach Bild 183-R18733Paul Tirard und General Guillaumat Bild 102-01626AOppeln 1921 Bild 146-1985-010-10Bild 119-2303-0019

Extras:

 

Text

RTF

Londoner Verhandlungen1.

1

Es war dies die Fortsetzung der Ministerratssitzung vom gleichen Tage, 11 Uhr. Siehe dazu Dok. Nr. 196.

Reichsbankpräsident Havenstein trug den Inhalt seiner Denkschrift vom 4. März 1921 vor2, besprach sodann das heute eingegangene Telegramm – Nr. 503 – und entwickelte die Bedeutung der beiden Vorschläge. Zum Schluß wies er darauf hin, daß das Kabinett, gestützt auf ein einmütiges Votum des deutschen Volkes, des Reichstags und des Reichswirtschaftsrats, die Pariser Beschlüsse für unannehmbar bezeichnet habe. Der zweite Vorschlag der Delegation gehe in seiner Wirkung darüber hinaus. Wenn heute vorgeschlagen würde, für die ersten 5 Jahre die Pariser Beschlüsse anzunehmen, so würde eine Entrüstung[530] durch das ganze Volk gehen, die Regierung jedes Vertrauen verlieren und Deutschland jeden Kredit im Ausland. Daher müsse man in den bereits beschlossenen Grenzen bleiben, jede Erweiterung als unmöglich ablehnen, sich aber bereit erklären, innerhalb der Grenzen gewissen Verschiebungen zuzustimmen.

2

Am 4. 3. hatte RbkPräs. Havenstein dem RK eine umfangreiche Denkschrift übersandt, in der er kritisch zu den von RAM Simons am 1. 3. in London vorgetragenen Gegenvorschlägen Stellung nahm. Diese nachträgliche Kritik erklärte sich daraus, daß Havenstein zwar zu den zu der Londoner Konferenz bestellten Sachverständigen gehörte (s. Dok. Nr. 180, Anm. 2), daß er aber an der Ausarbeitung der dt. Gegenvorschläge zur Londoner Konferenz selbst nicht beteiligt worden war. Siehe dazu Dok. Nr. 181, Anm. 2. Nach Havensteins Denkschrift waren sich die dt. Sachverständigen bei der Beratung der dt. Vorschläge für London darin einig gewesen, daß nicht mehr als 30 zinslose Jahresleistungen von je 1 Mrd. GM geleistet werden konnten. Eine Erhöhung dieser Zahlung sollte nur möglich sein bei einer wesentlichen Besserung der dt. Wirtschaft. Aus der Presse habe er jedoch erfahren, daß die dt. Vorschläge in London Zahlungen in Höhe von 50 Mrd. GM vorsähen. Selbst wenn man davon ausginge, daß von diesen 50 Mrd. GM 20 Mrd. GM durch die Vorleistungen als bereits bezahlt gelten sollten, würden die verbleibenden 30 Mrd. GM durch den langfristigen Zinsendienst und durch die Zinsen für die notwendigen Anleihen auf eine Summe von ca. 70 Mrd. GM steigen. Erschwerend komme hinzu, daß Dtld. wirtschaftlich wichtige Teile des Reichsgebiets abzutreten habe und zudem mit einer passiven Handelsbilanz belastet sei. Havenstein war zu dem Ergebnis gekommen: „Ich halte deshalb die aus dem Angebot von London sich ergebenden Leistungen für unsere Volkswirtschaft und unser Finanzwesen für unmöglich und untragbar und unsere Valuta und unser Geldwesen für verhängnisvoll, wenn nicht vernichtend. Eine weitere Erhöhung dieses Angebots würde diese Wirkung noch zweifelloser machen.“ (R 43 I /18 , Bl. 76–79 und R 43 I /1365 , Bl. 143–146).

3

Zu diesem Telegramm s. Dok. Nr. 196, Anm. 1.

Reichsminister Giesberts empfiehlt, evtl. auf den Rathenauschen Gedanken mehr einzugehen4.

4

Dieser Vorschlag ist von Rathenau offenbar während der sich zuspitzenden Verhandlungen in London entworfen worden. Im einzelnen sah der Vorschlag vor:

1. Zum Wiederaufbau der zerstörten Gebiete ist die Beschaffung großer finanzieller Mittel erforderlich. Dtld. erklärt sich bereit, diese Mittel durch die Auflegung einer internationalen Anleihe in Höhe von 8 Mrd. GM bereitzustellen.

2. Dtld. ist ferner bereit, die Verpflichtungen der Alliierten aus ihrem Schuldverhältnis zu Amerika auf sich zu nehmen. Dtld. schätzt den Betrag der amerik. Kredite auf 45 Mrd. GM. Falls Amerika es wünscht, ist Dtld. bereit, unmittelbar in das Schuldverhältnis zu Amerika einzutreten und angemessene Sicherheiten zu bieten.

3. Der Wert der dt. Vorleistungen ist zu ermitteln und wird Dtld. mit einem Zins von 4% gutgeschrieben. Um den ermittelten Betrag verringert sich die Summe der amerik. Kredite.

4. Dieses Angebot ist nur möglich, wenn die in den dt. Gegenvorschlägen vom 1. 3. unter den Buchstaben C (Generalquittung) und D (Oberschlesien und Handelsfreiheit) genannten Voraussetzungen erfüllt werden.

Der Vorschlag Rathenaus ist in den Akten der Rkei nur in einem undatierten, ungezeichneten Durchschlag vorhanden (R 43 I /17 , Bl. 182–184).

Siehe dazu auch Rathenaus „Entw. zu einer Stellungnahme zur all. Reparationsforderung“, der wahrscheinlich vor der Londoner Konferenz angefertigt worden ist (W. Rathenau, Tagebuch 1907–1922, S. 241–242).

Dr. Wirth: Nachdem ein Provisorium5 von der deutschen Delegation bei den vertraulichen Besprechungen mit den Alliierten vorgeschlagen sei, sei eine neue Lage gegeben, die das deutsche Volk vor große Erwägungen stelle, zumal es nicht für diese Lösung eingestellt sei. Der Delegation sollte daher eröffnet werden, daß durch die neue Lage, die das Provisorium herbeigeführt habe, eine neue Stellungnahme des Parlaments und der Regierung erforderlich sei und daß sie deshalb um Aufschub bitten müsse. Außerdem solle sie darauf hingewiesen werden, daß wir den ernsten Willen zum Wiederaufbau der zerstörten Gebiete in Nordfrankreich wiederholt betont hätten.

5

Zu dem von der dt. Delegation in London vorgeschlagenen Provisorium s. Dok. Nr. 196, Anm. 1.

Dr. Scholz begrüßt Ausführungen Havensteins. Erachtet neue Lage nicht als vorliegend. Sachverständige zum überwiegenden Teil, insbesondere Rathenau, auf Standpunkt, daß augenblicklich unmöglich unsererseits ein Vorschlag gemacht werden könne, der hinausgehe über das, was hier beschlossen sei. Rathenau sei der Auffassung, daß zur Zeit überhaupt ein Vorschlag nicht möglich sei. Man sollte Wissell und einige andere Leute nach London schicken, die dort unserer Delegation das Rückgrat stärkten. Ihm sei es unerklärlich, wie unsere Delegation zum jetzigen Vorschlag kommen könne. Kabinett, das jetzigem Vorschlag der Delegation zustimme, könne nicht einen Tag länger leben. Persönlich würde er die Konsequenz sofort ziehen. Vorschlägt Telegramm, daß dieses Angebot nicht gemacht werden darf. Fraglich sei, ob man zweckmäßig etwas sagen solle, was Fortführung der Verhandlungen ermögliche. Glaubt aber,[531] daß jeder neue Vorschlag unmöglich sei, der unser Angebot, das über das Sachverständigengutachten schon hinausgehe, übersteige. Da sei es taktisch besser, Verhandlungen abzubrechen und die Zwangsmaßregeln eintreten zu lassen. Von dort aus müsse dann mit uns Fühlung genommen werden, wie man vernünftiger zu Rande kommen könne. Vorschlägt, daß Delegation nur unsere Bereitwilligkeit betont, im Rahmen der Leistungsfähigkeit unsere Wiederherstellungspflicht zu erfüllen. Jedenfalls dürfe sie nicht über unseren Vorschlag hinausgehen und kein Provisorium vorschlagen.

Dr. Brauns ist der Auffassung, daß die Delegation, falls die Anleihe ohne ausschließliches Risiko für uns gebilligt werde, doch innerhalb der ihr von uns gestellten Grenzen geblieben sei.

v. Raumer: Delegation habe Auftrag überschritten; habe Gegner ein Provisorium von 3 Milliarden jährlich angeboten. Delegation sei nicht in der Lage, weiter zu verhandeln, wenn Kabinett sagt, daß sie über unsere Vorschläge nicht hinausgehen dürfe. Man könne kein Angebot machen, daß von Finanzleuten nicht ernst genommen wird. Unterhändler daher disqualifiziert. Rathenau habe gesagt, daß man über unser Angebot nicht weiter verhandeln könne, nachdem die Delegation bereits bei den vertraulichen Besprechungen mit den Alliierten darüber hinausgegangen sei. Rathenau habe neuen Vorschlag gemacht, die Schulden der Entente an Amerika von etwa 45 Milliarden zu übernehmen. Das bedeute für uns eine jährliche Summe von 1,8 Milliarden, die wir in etwa 77 Jahren tilgen könnten. Dieser Vorschlag würde die Konsequenz haben, daß Amerika dadurch in die Verhandlungen hineingezogen würde. Durch die Übernahme der Schulden würde Amerika den politischen Vorteil haben, daß England von seiner Schuld gegen Amerika auf einmal befreit sei. Mit Amerika würden wir uns gut verständigen können. Fraglich sei nur, ob der Vorschlag gemacht werden könne, ohne vorher mit Amerika Fühlung genommen zu haben. Man könne auch daran denken, durch die Delegation um drei Tage Aufschub bitten zu lassen und einige Leute nach London zu schicken.

Reichspräsident Ebert: Nach Absatz 16 könnte man den Eindruck gewinnen, als ob Delegation sich festgelegt habe. Zu erwägen sei, ob man Delegation herholen solle.

6

Gemeint war offenbar der Absatz 1 des Telegramms von RAM Simons, in dem er das in London vorgeschlagene Provisorium mitgeteilt hatte.

Siehe o. Anm. 5.

Geßler ist der Auffassung, daß Simons auf dem Standpunkt stehe, er sei im Rahmen der Vollmacht für die ersten fünf Jahre geblieben, da er den Vorschlag nur unter der Voraussetzung der internationalen Anleihe gemacht habe. Seiner Auffassung nach ergebe sich ein Nachteil nur nach Ablauf der 5 Jahre.

Koch hält Vorschläge für unannehmbar; meint, daß man sich nicht mit Einzelheiten aufhalten solle. Käme aber in inner- und außenpolitische Schwierigkeiten. Bat dafür zu sorgen, daß Vorschlag nicht in die Öffentlichkeit komme, empfiehlt dilatorische Behandlung, insbesondere um die Entscheidung in Oberschlesien abzuwarten. Tritt dem Vorschlag v. Raumer bei.

[532] v. Haniel bittet das Kabinett, die beiden Fragen zu entscheiden, 1. ob der Vorschlag der Delegation annehmbar ist oder nicht, 2. ob es imstande ist, neue Vorschläge zu machen, die morgen schon unterbreitet werden können (also evtl. Provisorium für 2 Jahre). Sollten beide Fragen verneint werden, so soll der Delegation anheimgegeben werden, wie sie eine Verlängerung der Frist am besten erreichen zu können glaube.

Dr. Hermes: Es fragt sich, ob Delegation über unseren Vorschlag hinausgegangen sei. Glaubt, daß dies nicht der Fall sei, da man bisher ja nur hinter den Kulissen verhandelt habe. Hält Vorschlag der deutschen Delegation nicht für akzeptabel, eine Diskussion darüber aber für zweckmäßig. Hält Provisorium nicht ohne weiteres für einen Nachteil. Hält neues Angebot der deutschen Delegation nur für möglich, wenn 1. alle Repressalien im Weltverkehr fallen, 2. unsere Kapitalverpflichtungen aus dem Friedensvertrag endgültig abgegolten werden, 3. der Export als einzige Grundlage für eine größere Leistung unsererseits anerkannt würde, 4. eine Nachprüfung stattfände, wenn der Export ohne unser Verschulden geringer würde. Unter diesen Voraussetzungen würde man sich auf den Boden der Vorschläge stellen können, soweit er sich auf die Annuitäten beziehe. Unter keinen Umständen solle man sich aber jetzt schon auf die Exportabgabe festlegen. Empfiehlt Versuche, in Anerkennung des Grundsatzes der Exportabgabe, vorbehaltlich einiger Einzelheiten, Delegation weiter verhandeln zu lassen.

Dr. Müller bestätigt die Auffassung des Reichsernährungsministers zu a). Hält den Vorschlag der Delegation, den Pariser Beschlüssen für die ersten 5 Jahre entgegenzukommen, für schwerwiegend.

Dr. Brauns ist der Auffassung, daß der Vorschlag der Delegation im Rahmen ihres Auftrags liege. Gegenwert der Exportabgabe müsse man ablehnen. Bittet, auf der internationalen Anleihe nach unserem ursprünglichen Vorschlag bestehen zu bleiben, desgleichen auf Voraussetzungen Oberschlesien und freier Verkehr. Dann würde eine Festlegung auf die Pariser Beschlüsse nicht erfolgt sein. Letzter Vorschlag Englands müsse abgelehnt werden7; falls unser Vorschlag (Annuität auf 5 Jahre, Ablehnung der Exportabgabe, Gewährung einer internationalen Anleihe, Beibehaltung der übrigen Voraussetzungen) nicht angenommen würde, bliebe nur Abbruch übrig.

7

Nach einem brit. Vorschlag sollte neben der Exportabgabe als Sicherung für die dt. Reparationszahlungen ein bestimmter Prozentsatz der Erlöse aus dt. Lieferungen nach den all. Ländern einbehalten und an den Staatsschatz des betreffenden all. Landes abgeführt werden. Der Staatsschatz sollte dem Käufer eine Quittung ausstellen, die dieser dann dem dt. Verkäufer als Zahlungsmittel übergeben konnte. Der dt. Verkäufer sollte dann berechtigt sein, diese Schatzquittungen bei der dt. Regierung einzulösen.

Siehe dazu Dok. Nr. 196, Anm. 1.

Dr. Scholz ist der Auffassung, daß Delegation nicht im Rahmen unserer Vorschläge geblieben sei. Frage des Provisoriums in den Streit der heutigen Erörterung zu ziehen, sei müßig, da das von den Unterhändlern vorgeschlagene Provisorium zu weit und über die Pariser Vorschläge hinausgehe.

[533] Reichskanzler Fehrenbach verliest das neu eingegangene Telegramm8, wonach eine Einigung über Gesamtreparation ausgeschlossen, eine Verständigung über ein Provisorium jedoch anscheinend möglich sei. Delegation empfiehlt, letzteres einem Bruch vorzuziehen. Delegation sei bisher in den Grenzen der vom Kabinett gebilligten Vorschläge für die ersten 5 Jahre geblieben; hält es für gut, etwas darüber hinauszugehen.

8

Am frühen Nachmittag des 6. 3., um 14.30 Uhr, war ein weiteres Telegramm von RAM Simons aus London eingetroffen. In ihm berichtete Simons kurz über die weiteren Verhandlungen zwischen der dt. und den all. Delegationen. In dem Telegramm hieß es dann: „Bitte immer von neuem falscher Auffassung entgegenzutreten, als ob künstliche Aufmachung unserer Gegenvorschläge, um sie Pariser Beschlüssen ähnlicher erscheinen zu lassen, Situation erleichtert haben würde. Vorwurf der Täuschungsabsicht wäre nur umso stärker erhoben worden. Einigung über Gesamtreparation ist bei politischer Unsicherheit Briands nur durch Annahme Pariser Beschlüsse en bloc vorbehaltlich Ausführungsbestimmungen zu erzielen. Solch Entgegenkommen Deutschlands ist und bleibt ausgeschlossen. Verständigung nur über Provisorium möglich, das wir trotz großer Bedenken dem Bruch vorziehen müßten. Meine Bemühungen gehen seit Mittwoch [2. 3.] in dieser Richtung. Dabei hielten wir uns bisher innerhalb der Grenzen der vom Kabinett gebilligten Gegenvorschläge, soweit sie sich auf die ersten 5 (fünf) Jahre beziehen. Nach gestrigen Besprechungen werden wir gut tun, etwas darüber hinaus zu gehen, wie in gestrigem Telegramm Nr. 50 ausgeführt […].“ (Telegramm Nr. 55 v. 6.3.1921, R 43 I /18 , Bl. 102–103).

Der Herr Reichspräsident stellt fest, daß Delegation indes in den vertraulichen Verhandlungen über unsere Gegenvorschläge etwas hinausgegangen sei und daß die betreffenden Verhandlungen ernster Natur gewesen seien.

Dr. Scholz ist der Auffassung, daß man Provisorium jetzt ablehnen müsse. Glaubt, daß der Vorschlag von Haniel nicht gangbar sei; gegenüber der Staatenkoalition würden wir uns dem Ultimatum durch Ausflüchte nicht entziehen können und uns nur lächerlich machen. Die einzig mögliche Taktik sei die Vorbringung eines ganz neuen Vorschlages, d. h. die Frage der Übernahme der amerikanischen Schuld.

Dr. Wirth verneint die Frage, ob wir die Sanktionen auf uns nehmen könnten, und empfiehlt den Vorschlag von Raumer.

Der Herr Reichspräsident verliest Vorschlag Brauns. 1. Deutschland zahlt in 5 Jahren 2 x 2 und 3 x 3 Milliarden, 2. während dieser 5 Jahre wird keine Exportabgabe gezahlt, 3. zur Ermöglichung der Zahlung von 1) wird internationale Anleihe zugestanden, die aber nicht auf unser ausschließliches Risiko gehen darf, 4. Festhalten an Oberschlesien, Verlangen der Beseitigung aller Repressalien und der Freiheit im Weltverkehr, 5. Ablehnung der Sicherungen nach englischem Vorschlag9.

9

Siehe o. Anm. 7.

v. Raumer steht unter dem Eindruck, daß der Vorschlag Brauns nicht mehr aktuell sei, da schon ein höheres Angebot abgelehnt sei (3 Milliarden für die ersten 5 Jahre). Hat gegen Provisorium schwere Bedenken, nur neue Basis möglich. Empfiehlt daher den Rathenauschen Vorschlag, den man näher spezialisieren und entsprechend aufmachen müsse.

Havenstein verspricht sich von Provisorium keinen Erfolg, ist der Auffassung, daß der Vorschlag Brauns weniger bedeute als der von Simons, nämlich 13 Milliarden gegenüber 15 Milliarden. Sanktionen bedeuten einen Völkerrechtsbruch. Aufschub vielleicht möglich bei Rathenauschem Vorschlag, der jedoch[534] nicht innerhalb dreier Tage genügend fundiert werden könne. Empfiehlt daher, die Delegation zu beauftragen, den Alliierten mitzuteilen, daß sie auf dem Boden der jetzigen Grundlage bis ans äußerste gegangen sei. Dabei müßten wir stehen bleiben. Wären bereit, neue Grundlage zu suchen, hätten bestimmten Gedanken, bäten daher um Frist von 14 Tagen bis 3 Wochen.

Giesberts hält es für zweifelhaft, ob wir Delegation desavouieren sollten. Empfiehlt Simons mitzuteilen, daß er auf der Basis Brauns weiter verhandeln, gegebenenfalls den Gedanken mit der Übernahme der Schulden an Amerika aufwerfen solle.

Reichspräsident empfiehlt, keine Komplikationen eintreten zu lassen durch etwaige Differenzen zwischen Simons und dem Kabinett, Verhandlungen seien dann für uns verloren. Evtl. könnte Vorschlag Raumer Erfolg bringen. Stellt zur Erwägung, ob man nicht Simons hinsichtlich Anleihe noch eine Instruktion geben solle.

Koch wendet sich gegen die Ausführungen Havensteins. Eine Frist von 14 Tagen würden wir nicht erreichen. Glaubt, daß man, wenn man den Vorschlag Rathenau akzeptieren wolle, entsprechend dem Vorschlag Raumers verfahren und neue Unterhändler nach London schicken solle. Der Vorschlag Brauns würde ganz sicher abgelehnt werden.

Der Herr Reichskanzler ist der Auffassung, daß die Angelegenheit erledigt sei und daß man am Montag zum Abbruch kommen werde. Für ihn sei von Bedeutung jetzt nur noch die Frage, wie man außen- und innerpolitisch die schlimmen Wirkungen abbiegen könne. Die Differenz in der Auffassung zwischen Simons und dem Kabinett dürfe man nicht hervortreten lassen und Simons Angebot nicht desavouieren; man könne es aber mit Kautelen versehen, die eine Annahme ausgeschlossen erscheinen ließen.

Brauns hält den Rathenauschen Vorschlag jetzt für undurchführbar, weil Amerika nicht auf diesem Boden stände und unsere Lage außenpolitisch dadurch verschlechtert würde, daß wir riesige Schulden an Amerika bekämen, Frankreich und England aber frei würden. Macht darauf aufmerksam, daß eine endgültige Regelung der Exportabgabe noch vorbehalten sei. Wir müßten die öffentliche Meinung hinter uns bringen.

v. Raumer ist der Auffassung, daß jeder Vorschlag, den wir machten, für die Delegation eine Desavouierung bedeute, empfiehlt daher zu erklären, daß Provisorium in angedeuteter Form äußerst bedenklich sei, daß die Verhandlungen in London so geführt werden sollten, daß das Provisorium fallengelassen würde und daß ein neuer Vorschlag (Rathenau) gemacht würde und daß dafür eine Frist bis Mittwoch erbeten würde.

Dr. Geßler empfiehlt, daß, wenn die Verhandlungen zum Abbruch kommen, dies so hingestellt werde, daß sich daraus weder inner- noch außenpolitische Nachteile ergäben. Er bittet, Simons zu ermächtigen, im Sinne des Provisoriums unter Zugrundelegung der Brauns’schen Anträge weiter zu verhandeln. Sollte dies abgelehnt werden, dann sollte man für die Formulierung eines anderen Vorschlags 14 Tage Aufschub erbitten.

Dr. Scholz läßt keinen Zweifel darüber, daß die Einheitlichkeit des Kabinetts gestört sei, wenn man sich einem solchen Vorschlag anschließen wolle. Er[535] könne sich nicht aus politischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen diesem nicht anschließen, auch den Sachverständigen gegenüber nicht, und würde dann die Konsequenz ziehen müssen.

Der Herr Reichspräsident machte darauf aufmerksam, daß man einer schwierigen Situation so nicht beikomme; wenn morgen zwei Minister ausscheiden, dann wäre der Bruch da.

Havenstein ist der Auffassung, daß man mehr als 1 Milliarde jährlich nicht tragen könne. Empfiehlt eine möglichst ungefährliche Formulierung, um dem Außenminister den Rücken zu stärken.

Dr. Scholz ist damit einverstanden unter der Voraussetzung, daß eine internationale Anleihe von 8 Milliarden nicht nur die Genehmigung der Alliierten finde, sondern daß sie zustande komme.

Dr. Wirth stellt sich auf den Boden, daß man für eine Anleihe auch Sicherungen anbieten müsse, wenn sie zustande kommen solle. Bittet daher, die Delegation anzuweisen, auf einer solchen Sicherung der Anleihe zu bestehen, die diese aussichtsreich gestalte.

Der Herr Reichspräsident nimmt an, daß unter dieser Voraussetzung – Zustandekommen der Anleihe von 8 Milliarden – auch der Wirtschaftsminister dem Vorschlage zustimme. Der Reichswirtschaftsminister bestätigt dies.

v. Raumer ist der Auffassung, daß der Anleihevorschlag als Hohn zurückgewiesen werden würde.

Koch meint, daß der Vorschlag eine taktische Formulierung unseres Rückzuges sei. Befürwortet Vorschlag Raumer, damit man in geschlossener Front vor das Parlament trete.

Der Herr Reichspräsident stellt Übereinstimmung fest.

Dr. Heinze ist innerlich überzeugt, daß Vorschlag abgelehnt wird.

Der Herr Reichspräsident stellt fest, daß der 2. Vorschlag unmöglich sei, daß der 3. Vorschlag vorbehaltlich der Formulierung in seinen Grundlinien klar sei10.

10

Die genauen Einzelheiten dieses dritten Vorschlages gehen aus dem Text des Protokolls nicht hervor. Zu diesen Einzelheiten s. die Äußerungen von RbkPräs. Havenstein zu Beginn der Besprechung vom gleichen Tage, 18 Uhr, Dok. Nr. 198.

Zum weiteren Verlauf s. ebenfalls Dok. Nr. 198.

Extras (Fußzeile):