2.130.1 (ma11p): [Parlamentarische Lage.]

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[Parlamentarische Lage.]

Der Reichskanzler berichtete über die bisherigen Verhandlungen mit der sozialdemokratischen Fraktion1. Soweit ihm bekannt, sei ein formaler Beschluß hinsichtlich ihrer Haltung gegenüber der Erklärung der Reichsregierung zum Ermächtigungsgesetz2 noch nicht gefaßt. Nach der heutigen Rede des Abgeordneten Breitscheid3 sei jedoch wohl nicht daran zu zweifeln, daß die sozialdemokratische Partei auf die weitere Behandlung ihrer Anträge zu den Notverordnungen bestehen werde.

1

S. Dok. Nr. 127.

2

S. Dok. Nr. 122, Anm. 1.

3

RT-Bd. 361, S. 12583  ff.

Dieser Sachlage gegenüber gebe es drei Möglichkeiten für die Reichsregierung: 1. den Reichstag kurzerhand aufzulösen; 2. durch Mehrheitsbeschluß auf Grund eines Antrages der Regierungsparteien die Debatte über die sozialdemokratischen Anträge zu beenden bzw. über letztere zur Tagesordnung überzugehen; 3. einen gemeinsamen Mehrheitsbeschluß über Beendigung des gegenwärtigen Reichstages zu einem gewissen Zeitpunkt herbeizuführen.

Abgeordneter Scholz teilte mit, daß seine Fraktion beschlossen habe, ihren Antrag auf Selbstauflösung des Reichstages4 nur für den Fall einzubringen, daß es zu einer Auflösung nicht komme. Er halte einen Vertagungsantrag oder einen Antrag auf Schluß der Debatte für äußerst schwierig.

4

Vgl. Dok. Nr. 124.

Der Abgeordnete Fehrenbach teilte mit, daß seine Fraktion beschlossen habe: 1. die Reichsregierung solle die jetzige Generaldebatte möglichst bald beendigen; 2. die Neuwahlen zum Reichstag sollten auf den 6. oder 16. April festgesetzt werden. Eine Selbstauflösung des Reichstages durch Gesetz werde angesichts der Haltung der sozialdemokratischen Partei wohl kaum zu verwirklichen sein. Andererseits müßten Anträge der Regierungsparteien begründet werden und führten somit zu einer erneuten Debatte. Daher müsse die Regierung bei ihrer ersten Erklärung5 bleiben und den Reichstag auflösen. Auf die französischen Wahlen könne man keine Rücksicht nehmen, weil auch diese verlegt werden könnten; daher sei es zweckmäßig, möglichst bald, d. h. zu Anfang oder Mitte April zu wählen.

5

Anm. 2.

[432] Der Abgeordnete Koch-Weser teilte mit, daß seine Fraktion noch keinen Beschluß gefaßt habe. Sie sei jedoch der Auffassung, daß eine weitere Debatte, sei es in Form einer Spezialdebatte über die Anträge zum Ermächtigungsgesetz, sei es zur Begründung etwaiger neuer Anträge der Regierungsparteien, nicht stattfinden dürfe. Der Reichskanzler müsse am Schluß der jetzigen Generaldebatte nochmals den Standpunkt der Reichsregierung darlegen und eine wohlwollende Behandlung der vorliegenden Anträge zum Ermächtigungsgesetz zu einem späteren Zeitpunkt in Aussicht stellen. Alsdann müsse ein motivierter Antrag der Koalitionsparteien eingebracht und bei dessen Ablehnung aufgelöst werden.

Der Abgeordnete Fehrenbach riet davon ab, es erst zur Ablehnung eines Antrages der Koalitionsparteien kommen zu lassen. Die Regierung solle sofort auflösen.

Der Abgeordnete Koch-Weser erklärte sich auch hiermit einverstanden.

Der Abgeordnete Leicht teilte als Auffassung seiner Fraktion mit, daß die Regierung die Zustimmung des Reichstages zu ihrem allgemeinen Programm fordern und im Falle der Vereinbarung [!] den Reichstag auflösen müsse.

Der Reichskanzler äußerte Bedenken dagegen, die Ablehnung eines Regierungsantrages am Schluß der Debatte als Auflösungsgrund zu nehmen.

Nach einer weiteren Erörterung dieser Frage, an der sich die Abgeordneten Scholz, Fehrenbach und Haas beteiligten, stellte der Reichskanzler als übereinstimmende Auffassung der Fraktionen fest, daß ein Antrag der Regierungsparteien nicht eingebracht werde, daß vielmehr die Regierung am Schluß der zweiten Rednerserie erklären solle, sie sehe sich aus dem bisherigen Verlauf der Debatte und der Haltung der Parteien zur Auflösung des Reichstages gezwungen. Die Frage sei, ob der Herr Reichspräsident unter solchen Umständen die Auflösungsorder erteilen würde.

Der Abgeordnete Koch äußerte die Auffassung, daß das Schwergewicht der verfassungsmäßigen Entscheidung in diesem Falle beim Kabinett liege, und daß es aus einer etwaigen Ablehnung der Auflösung durch den Herrn Reichspräsidenten die Konsequenzen der Demission ziehen müsse. Er bitte aber dringend, falls es zur Auflösung komme, in der Regierungserklärung möglichstes Entgegenkommen mit Bezug auf die spätere Behandlung der Anträge zu den Notverordnungen zu bekunden.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß vor Auflösung noch der Notetat und der Antrag der deutschnationalen Volkspartei betr. Wahl des Reichspräsidenten6 behandelt werden müßten.

6

Am 23. 2. hatte die DNVP einen GesEntw. zur Änderung des Art. 180 der RV eingebracht (RT-Drucks. Nr. 6517, Bd. 380 ). Danach soll Art. 180, Satz 2 der RV aufgehoben werden; die Neuwahl des RPräs. soll gleichzeitig mit der Neuwahl des RT stattfinden.

Der Staatssekretär in der Reichskanzlei teilte mit, daß der Reichstagspräsident damit einverstanden sei, vor Beendigung der großen Debatte Gelegenheit zur Behandlung des Antrages betr. Wahl des Reichspräsidenten zu geben. Eine Sitzung des Ältestenausschusses sei erst für den 7. dieses Monats in Aussicht genommen. Auf Grund der weiteren Ausführungen zu dieser Frage stellte der[433] Reichskanzler fest, daß die Regierungsparteien im Ältestenausschuß versuchen müßten, die Behandlung des Notetats und des Antrages betr. Wahl des Reichspräsidenten vor Schluß der Generaldebatte einzuschieben; sei dies nicht möglich, so müsse man gegebenenfalls den Notetat und andere gesetzgeberische Maßnahmen auf Grund des Artikel 48 erledigen.

Die Abgeordneten Fehrenbach und Koch baten darum, für den Fall einer Auflösung für die Fortsetzung der Gültigkeit der Eisenbahnfreifahrtkarten Sorge zu tragen.

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