2.59.1 (ma11p): Außerhalb der Tagesordnung. [Englische Reparationsabgabe.]

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Außerhalb der Tagesordnung. [Englische Reparationsabgabe.]

Der Gesandte Ritter machte Mitteilung, daß der Gesandtschaftsrat Hemmen nach London gesandt werden solle, um in der Frage der Anwendung des Systems der Micum-Verträge auf das System der Reparationsgutscheine zu verhandeln. Der englische Botschafter sei bereits von dieser Reise unterrichtet1. Die Ressorts seien mit diesem Schritt einverstanden.

1

Durch VO vom 15.11.23 hatte die RReg. die Entschädigung der dt. Exporteure für die 26%ige engl. Reparationsabgabe eingestellt; seither wurden – mit bestimmten Ausnahmen – die engl. Reparationsgutscheine nicht mehr eingelöst (vgl. Anm. 19 zu Dok. Nr. 33). Hiergegen protestierte der brit. Botschafter Lord D’Abernon mit Schreiben vom 5.12.23 an Stresemann und forderte die unverzügliche Wiederaufnahme der Entschädigungszahlungen. Die brit. Reg. könne es nicht hinnehmen, daß die RReg. die Einlösung der engl. Reparationsgutscheine einseitig aussetze, während gleichzeitig dt. Industriekonzerne im besetzten Gebiet auf Grund der Micum-Verträge Reparationsleistungen an Frankreich und Belgien ausführten, in der Annahme, daß die RReg. für diese Lieferungen finanziellen Ersatz leisten werde. In einem Schreiben vom 5.1.24 schlug D’Abernon vor, die RReg. möge den dt. Exporteuren wegen der späteren Einlösung der engl. Reparationsgutscheine die gleichen Entschädigungszusagen machen, die den Industriellen des besetzten Gebiets hinsichtlich der späteren Erstattung ihrer Leistungen auf Grund der Micum-Verträge gemacht worden seien. In seiner Antwort an D’Abernon vom 8.1.24 erklärte Stresemann, die RReg. sei trotz Bedenken bereit, auf der Grundlage dieses Vorschlages in Verhandlungen einzutreten. Die RReg. werde einen Unterhändler nach London entsenden. Wenn die brit. Reg. nicht auf einer sofortigen Einlösung der Reparationsgutscheine bestehe, werde sich eine beiderseits befriedigende Lösung der Frage finden lassen (Notenwechsel zwischen D’Abernon und Stresemann abschriftl. in den Akten des RMinWiederaufbau, R 38 /163 , neu in R 3301 /2163 , Bl. 95-97; 110 f.; 117-119).

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß das Reichsfinanzministerium einem dahingehenden Vorschlag nicht zugestimmt habe. Seiner Meinung nach handele es sich bei den Micumverträgen und den Reparationsgutscheinen um sehr unterschiedliche Dinge, und es sei nicht angängig, das System der einen bei der Durchführung der anderen zur Anwendung zu bringen. Insbesondere müsse er darauf aufmerksam machen, daß die Micumverträge nur bis zum[232] 15. April 1924 liefen und daß für die Reparationsgutscheine eine Begrenzung nicht vorgesehen sei. Es sei auch nicht angängig, daß durch eine Entscheidung in der Frage der Reparationsgutscheine ein Teil der Entscheidung der gesamten Reparationsfragen bereits vorweg genommen werde.

Ministerialdirektor v. Schubert erklärte, daß es unmöglich sei, die an England gemachte Zusage rückgängig zu machen. Er sei auch der Auffassung, daß es sich im wesentlichen darum handeln werde, eine formelle Erledigung zu finden, die den Prestigerücksichten der Engländer, besonders in der Reparationskommission, Rechnung trage.

Staatssekretär Trendelenburg hielt es vom wirtschaftlichen Standpunkt aus für unbedingt erforderlich, daß der Versuch gemacht werde, den bestehenden Zustand der Unsicherheit zu beseitigen. Der bestehende Zustand bedeute eine große Gefahr für eine ganze Reihe von Industriezweigen. Das Geschäft mit England werde, falls keine Regelung zustandekäme, völlig zerstört2. Er schließe sich ganz der Auffassung des Auswärtigen Amts an.

2

Der Beschluß der RReg., die Erstattung der 26%igen engl. Reparationsabgabe auszusetzen (VO vom 15.11.23), rief bei den am England-Export beteiligten Wirtschaftskreisen starke Kritik hervor. In den Akten des RFMin. finden sich zahlreiche Eingaben von Handelskammern, Unternehmerverbänden und Einzelfirmen, in denen dargelegt wird, daß die VO vom 15.11.23 den Handel mit England empfindlich beeinträchtige und die dt. Exportfirmen zu Betriebseinschränkungen und Arbeiterentlassungen zwinge. Das RFMin. antwortet darauf regelmäßig, das Reich könne bei der gegenwärtigen Haushaltslage unmöglich ein Viertel des dt. Exports nach England finanzieren (R 2 /2379 , Bl. 9).

Der Gesandte Ritter teilte mit, daß der Gesandtschaftsrat Hemmen nicht ohne bindende schriftliche Instruktion nach London fahren werde, und daß insbesondere darin vorgesehen sei, daß eine Regelung über den 15. April 1924 hinaus nicht möglich sei, und daß durch eine etwaige Regelung die endgültige Lösung der Reparationsfrage auch in diesem Punkte nicht vorweggenommen sei3.

3

Am 14. 1. fand unter Beteiligung des RFMin., des RWiMin., des RMinWiederaufbau und des AA eine Ressortbesprechung statt, in der für die Verhandlungen in London u. a. folgende Instruktionen festgelegt wurden: Die Wiederaufnahme von Entschädigungszahlungen an die dt. Exporteure für die engl. Reparationsabgabe ist ausgeschlossen. Anzustreben ist ein Abkommen, wonach die RReg. der brit. Reg. die Erstattung der Abgabe in einer Pauschale nach Wiederherstellung der dt. Leistungsfähigkeit zusichert. Das RFMin. legt Wert darauf, daß die brit. Reg. gleichzeitig eine Herabsetzung der Abgabe zugesteht. Die Dauer des Abkommens ist wie die des Micum-Abkommens bis zum 15. April zu limitieren (Aufzeichnung Hemmens vom 14. 1. in R 38 /163 , neu in R 3301 /2163 , Bl. 123).

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß, wenn es sich nur darum handele, den Engländern eine taktische Rückzugslinie zu bauen und keine Zusage für die Zeit nach dem 15. April gemacht werde, er damit einverstanden sei, wenn auf dem einmal beschrittenen Wege weiter gegangen werde. Er sei bereit, einen Herrn seines Ministeriums mit nach London zu senden4.

4

Die Verhandlungen in London, die auf dt. Seite von Gesandtschaftsrat Hemmen (AA) und RegR Sabath (RFMin.) geführt werden, beginnen am 17. 1. Die brit. Reg. ist zu einer wesentlichen Ermäßigung der Reparationsabgabe bereit, besteht aber auf effektiven Bareinnahmen aus der dt. Einfuhr. Die dt. Seite hingegen drängt auf eine vorläufige Suspendierung des Reparation Recovery Act und lehnt Barzahlungen ab; auch will sich die dt. Delegation angesichts des bevorstehenden Kabinettswechsels in England (von Baldwin zu MacDonald, 22./23. 1.) nicht festlegen. Daraufhin werden die Besprechungen abgebrochen (Telegrammwechsel zwischen der dt. Delegation und dem AA abschr. in R 38 /163 , neu in R 3301 /2163 , Bl. 124-129; vgl. auch DAZ Nr. 41 vom 21. 1.). Mitte Februar 1924 werden die Verhandlungen in London erneut aufgenommen. Sie führen am 23. 2. zur Unterzeichnung eines Abkommens: Danach ermäßigt die brit. Reg. die Reparationsabgabe von 26% auf 5% mit Wirkung vom 26. 2. Die RReg. verpflichtet sich, den dt. Exporteuren die spätere Erstattung dieser 5%igen Abgabe zuzusichern und durch eine VO festzulegen, daß der Exporteur seinen Entschädigungsanspruch verliert und bestraft wird, wenn er die Abgabe auf den engl. Importeur abwälzt. Für die 26%ige Reparationsabgabe, die vor dem 26. 2. in England erhoben worden ist, wird die RReg. die Exporteure in Schatzanweisungen entschädigen. Eine Geheimklausel bestimmt, daß diese Abmachungen bis zum 15. 4. gelten sollen (Text des Abkommens in R 2 /2380 , Bl. 52-57; vgl. auch WTB-Meldung in DAZ Nr. 49 vom 25. 2.). Das Abkommen vom 23. 2. wird zweimal verlängert, bis es, mit der Inkraftsetzung des Dawesplans, am 30.8.24 durch ein neues Abkommen ersetzt wird, das die engl. Reparationsabgabe wieder auf 26% erhöht.

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