1.80.1 (ma32p): 1. Politische Lage im Verhältnis zu Bayern.

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1. Politische Lage im Verhältnis zu Bayern.

Der Reichskanzler führte aus, daß eine Reihe von Maßnahmen der Reichsregierung in der letzten Zeit erheblichen Widerstand bei der Bayerischen Staatsregierung ausgelöst hätten. Die Bayerische Staatsregierung führe vor allem über folgende 3 Punkte Beschwerde1:

1

Siehe dazu Dok. Nr. 320 und Nr. 321.

a) Die Erhöhung des Anteils der Länder an dem Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftssteuer von 75 auf 80% sei von der Reichsregierung abgelehnt worden.

b) Trotz der Gegenwünsche der 3 beteiligten Länder2 werde an der Errichtung eines gemeinsamen Landesarbeitsamts für die Pfalz, Baden und Württemberg festgehalten.

2

Bayern, Württemberg und Baden.

c) Der Entwurf des Steuervereinheitlichungsgesetzes werde von der Reichsregierung trotz dringender bayerischer Gegenvorstellungen weiter verfolgt; Termin für die Beratung der Reichsrats-Ausschüsse stehe am 8. November an.

Staatssekretär Dr. Popitz erklärte, die zu a) aufgeworfene Frage entscheide sich schon dann, wenn man die reparationspolitische Lage bedenke. Es sei selbstverständlich ganz unmöglich, die Länder an dem Aufkommen an Einkommen- und Körperschaftssteuer noch mehr zu beteiligen, als bisher. Die Länder seien darüber unterrichtet gewesen, daß eine Besoldungserhöhung im Reich und damit zwangsläufig auch in den Ländern spätestens vom 1. Oktober d. J. ab bevorstehe. Das Reich trage die Mehrkosten dieser Besoldungserhöhung zu einem großen Teil durch Ersparnisse auf anderen Gebieten im Jahre 1927.[1008] Im Jahre 1928 rechne das Reichsfinanzministerium auf ein erheblich größeres Aufkommen hauptsächlich an Einkommen- und Körperschaftssteuer. Dieses größere Aufkommen komme natürlich auch den Ländern zugute, die Länder seien hierüber auch vom Reichsfinanzministerium an der Hand zahlenmäßiger Unterlagen unterrichtet worden3.

3

Vgl. Dok. Nr. 311.

Zu c): In bezug auf den Entwurf des Steuervereinheitlichungsgesetzes müsse er bemerken, daß hier eine gesetzliche Bindung vorliege, welche die Reichsregierung zur Einbringung des Gesetzentwurfs genötigt habe4.

4

Nach § 4a des Finanzausgleichsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Übergangsregelung des Finanzausgleichs vom 9.4.27 (RGBl. I, S. 91 ) war die RReg. verpflichtet, bis zum 1.10.27 den Entwurf eines Rahmengesetzes zur Regelung der Realsteuern vorzulegen. Gemäß dieser Bestimmung hatte die RReg. dem RR am 15. 7. den Entwurf eines Steuervereinheitlichungsgesetzes vorgelegt (RR-Drucks. 1927, Nr. 104).

Der Reichsminister der Justiz wies darauf hin, daß nach seiner Auffassung die Mehrheit des Kabinetts nicht mehr geneigt sei, den Entwurf des Steuervereinheitlichungsgesetzes mit besonderer Energie weiterzuverfolgen. Was die von Bayern gewünschte Abänderung des Finanzausgleichs anlange, so werde er es begrüßen, wenn der Reichsminister der Finanzen auch dem Reichskabinett gelegentlich die zahlenmäßigen Unterlagen für das vom Reichsfinanzministerium erwartete Mehraufkommen an Einkommen- und Körperschaftssteuer im Jahre 1928 mitteile.

Staatssekretär Dr. Popitz erwiderte, daß der Reichsminister der Finanzen schon selbst diese Absicht gehabt habe.

Der Reichswirtschaftsminister betonte, daß seine Fraktion und er persönlich sehr für eine energische Betreibung des Entwurfs des Steuervereinheitlichungsgesetzes sei.

Zu b): In der Frage des Landesarbeitsamts könne das Reichskabinett nach seiner Auffassung nachgeben.

Der inzwischen erschienene Reichsminister der Finanzen betonte mit Entschiedenheit, daß der Finanzausgleich zur Zeit nicht geändert werden könne. Der Entwurf des Steuervereinheitlichungsgesetzes werde am 8. November zum ersten Male im Reichsrat beraten. Da zahlreiche Abänderungsanträge vorlägen, werde die Beratung wahrscheinlich lange Zeit in Anspruch nehmen.

Der Reichspostminister führte folgendes aus:

Zu a): Nach seiner Kenntnis der Dinge verlange die Bayerische Staatsregierung jetzt nicht mehr so entschieden wie früher eine Änderung des Finanzausgleichs. Hier sei vielleicht auf anderem Wege eine Einigung mit dem Reich möglich, zumal Bayern vor allem darauf Gewicht lege, die durch die Besoldungserhöhung auch im Jahre 1927 bereits entstehenden Mehrkosten decken zu können und hierbei eine gewisse Hilfe des Reichs zu erfahren.

Zu b): An der zur Zeit geplanten Errichtung eines gemeinsamen Landesarbeitsamts für die Pfalz, Württemberg und Baden nähmen auch Württemberg und Baden Anstoß. Es müsse möglich sein, hier eine Lösung zu finden, die den Wünschen der Länder entgegenkomme.

[1009] Zu c): Bei der Behandlung des Steuervereinheitlichungsgesetzes müsse eine Vertagung erzielt werden. Hier handle es sich unbedingt um eine Koalitionsfrage, und er sei beauftragt zu erklären, daß eine nicht befriedigende Lösung Konsequenzen für den Bestand der jetzigen Koalition nach sich ziehen werde.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß die Abgrenzung der Bezirke der Landesarbeitsämter hauptsächlich aus dem Bestreben erfolge, soweit als möglich zu sparen. Er sei überzeugt, daß die Reichsanstalt auch Rücksicht nehmen werde, wenn sie alle Bedenken gegen die geplante Errichtung des Landesarbeitsamts für die Pfalz, Württemberg und Baden gehört habe. Er rechne bestimmt damit, daß die Reichsanstalt jedenfals provisorisch den besonderen Verhältnissen der Pfalz Rechnung tragen werde, wenn das Reichskabinett in diesem Sinne an die Reichsanstalt herantrete.

Das Reichskabinett faßte folgenden Beschluß:

Zu a): Eine Änderung des Finanzausgleichs sei zur Zeit nicht möglich, jedoch könne den finanziellen Wünschen Bayerns auf anderen Gebieten vielleicht entsprochen werden, jedenfalls müsse hierüber mit Bayern noch gesprochen werden.

Zu b): An den Vorstand des Verwaltungsrats der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung solle vom Reichsarbeitsminister namens der Reichsregierung die Bitte gerichtet werden, bezüglich der Errichtung eines gemeinsamen Landesarbeitsamts für die Pfalz, Baden und Württemberg eine provisorische Entscheidung zu treffen, welche die Pfalz besonders berücksichtige.

Gegen die vom Reichsminister der Justiz geäußerte Anregung, daß auch die von Baden und Württemberg auf diesem Gebiet geäußerten Wünsche von der Reichsanstalt geprüft werden müßten, erhob sich kein Bedenken.

Zu c): Es bestand Übereinstimmung darüber, daß der Bayerische Ministerpräsident in dem Antwortschreiben des Reichskanzlers zweckmäßig darauf hinzuweisen sei, daß die Verhandlungen im Reichsrat über den Entwurf des Steuervereinheitlichungsgesetzes nicht vor dem 8. November begönnen und daß infolge der zahlreichen Anträge zu dem Gesetzentwurf die Beratungen wahrscheinlich nicht allzuschnell vor sich gehen würden. Der Reichskanzler erklärte sich auch zu einem Satze des Inhalts bereit, daß er zu nochmaligen Besprechungen über diesen Punkt dem Bayerischen Ministerpräsidenten gern zur Verfügung stehe5.

5

Siehe das Schreiben des RK an den Bayer. MinPräs. vom 24. 10.: Dok. Nr. 325.

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