1.12 (vsc1p): Die militärische Gleichberechtigung als zentrales Problem der deutschen Außenpolitik

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Die militärische Gleichberechtigung als zentrales Problem der deutschen Außenpolitik

In der Außenpolitik konnte diesem Grundsatz relativ problemlos gefolgt werden. Parlamentarische Beschlüsse standen hier vorerst nicht an. Die Erneuerung der auslaufenden Handelsverträge sollte weitgehend vermieden werden. Die ersatzweise notwendigen zollpolitischen Regelungen konnten regierungsseitig auf dem Verordnungswege erlassen werden185. Einzig im Fall der Verlängerung des Berliner Vertrags von 1926, die von der Regierung Brüning beschlossen, vom Reichstag aber noch nicht ratifiziert worden war, stellte sich die Frage, ob an den Reichstag herangetreten werden müsse. Ohne seine ideologischen Vorbehalte gegen die deutschen Kommunisten aufzugeben186, war Reichskanzler v. Schleicher bereit, die von v. Papen eingeleitete antisowjetische Wendung der deutschen Außenpolitik zurückzunehmen. Er erklärte dem russischen Außenminister Litwinow in einer Unterredung am 19. Dezember 1932187, er werde prüfen, ob der Vertrag nicht auch ohne den Reichstag in Kraft gesetzt werden könne. Entgegenkommen hatten der Reichswirtschafts- und der Reichsaußenminister in einer Chefbesprechung vom 13. Dezember188 empfohlen, da Rußland eines der wenigen Länder war, das auf die handelspolitischen Beschränkungen des Deutschen Reichs in den letzten Monaten weniger empfindlich reagiert hatte; zugleich war es mit Zahlungsverpflichtungen für zurückliegende „Russengeschäfte“ der deutschen Wirtschaft, für die das Reich Ausfallbürgschaften geleistet hatte, in Verzug geraten. Es lag also allgemein- und wirtschaftspolitisch im Reichsinteresse, die russische Zahlungsfähigkeit zu stützen.

185

wie oben Anm. 121.

186

Dok. Nr. 25, insbesondere Anm. 26.

187

Aufzeichnung in: R 43 I /140 , Bl. 463 – 465 (Abdruck in: ADAP, Serie B, Bd. XXI, Dok. Nr. 229).

188

Protokoll in: Nachl. Luther , Bd. 352; vgl. dazu Dok. Nr. 20, Anm. 16.

Für eine wirtschaftspolitische Verständigung mit Frankreich standen 1932/33 – ungeachtet der revisionspolitischen Differenzen – die Zeichen nicht schlecht,[LXI] widmeten doch beiderseits des Rheins führende Industrielle einer Lösung der deutsch-französischen Streitfragen verstärkt ihre Aufmerksamkeit189. Entsprechend konziliant gestaltete sich das Verhältnis v. Schleichers zum französischen Botschafter François-Poncet, der an den Regierungswechsel vom 3. Dezember 1932 die Hoffnung geknüpft hatte, daß die neue Reichsregierung eine Zeit der Entspannung und auch der Verständigung mit Frankreich einleiten werde190. Daß die vorhandenen Barrieren hoch waren und Prestigefragen eine große Rolle spielten, zeigte sich in den laufenden deutsch-französischen Handelsvertragsverhandlungen191. François-Poncet pries die Ende Dezember 1932 dennoch erfolgreich zu Ende geführten Gespräche „als einen großen Schritt vorwärts“. Ein bezeichnendes Licht auf die vorübergehende Klimaverbesserung wirft die von dem Franzosen in seiner Unterredung mit dem Reichskanzler am 6. Januar 1933 entworfene Vision einer von „Deutschland und Frankreich gemeinsam schrittweise“ zu schaffenden „europäische(n) Wirtschaftsbefriedung und Wirtschaftseinheit“192.

189

Vgl. Jacques Bariéty et Charles Bloch: „Une tentative de reconciliation franco-allemande et son echec (1932 – 1933)“.

190

Wie oben Anm. 160.

191

Dok. Nr. 20, Anm. 5; 33, P. 7; 62 III.

192

Dok. Nr. 46. – In ähnlich entspannter Atmosphäre war bereits ein Empfang des brit. Botschafters Rumbold beim RK am 21.12.1932 verlaufen (Aufzeichnung in: R 43 I /61 , Bl. 386 f.). Am 31.12.1932 übermittelt Rumbold dem RK die Grüße des brit. Premierministers verbunden mit dem Wunsch: „(…) he is looking forward to nothing with more hope than warm cooperation between our two countries in all that makes for European friendship, neighbourness and cooperation“ (ebd., Bl. 388).

Diese positiven Vorgänge wurden von der Reichsregierung allerdings nicht losgelöst von den politischen Rahmenbedingungen betrachtet. Als um die Jahreswende in der deutschen und ausländischen Presse die Ostgrenzenrevision und das Problem des polnischen Korridors hochgespielt wurde und französische Diplomaten ein auffallendes Interesse an diesen Fragen bekundeten, sah man darin deutscherseits den Versuch, „die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit vom Abrüstungsproblem abzulenken“. Der Reichskanzler bemühte sich, ein deutsches Interesse an dieser Thematik herunterzuspielen. Ihm komme es auf „positive Fortschritte“ bei der bevorstehenden neuen Runde der Genfer Abrüstungskonferenz an, die der vorläufigen Fünf-Mächte-Vereinbarung vom 11. Dezember 1932 über die deutsche Gleichberechtigung in Wehrfragen einen den Teil V des Versailler Vertrags aufhebenden definitiven Charakter verleihen sollte193.

193

Dok. Nr. 46.

 

Vorausgegangen war die Wiederaufnahme der ins Stocken geratenen Abrüsungsgespräche in Genf. Der Reichskanzler hatte die im Sommer praktizierte offene Pressionspolitik aufgegeben und Reichsaußenminister v. Neurath bei informellen Kontakten am Rande einer außerordentlichen Tagung der Völkerbundversammlung erklären lassen, daß Deutschland an den Verhandlungstisch zurückkehren werde, wenn die Anerkennung der deutschen Gleichberechtigung zu einem „leitenden Grundsatz“ der Folgeverhandlungen gemacht werde. Die früheren Erklärungen des Reichskanzlers und Wehrministers, aber auch innermilitärische[LXII] Terminsetzungen zur Aufnahme der Umbaumaßnahmen am 1. April 1933194 hatten die Regierung v. Schleicher praktisch unter Erfolgszwang und Zeitdruck gesetzt. Als das Reichskabinett am 7. Dezember über eine von Herriot vorgeschlagene Formel zur Erfüllung der von Deutschland gestellten Bedingung beriet, wurde das Dilemma deutlich, das darin bestand, militär-, innen- und außenpolitische Vorgaben, Ziele und Termine in einer nach innen und außen durchsetzbaren Form aufeinander abzustimmen. Einerseits zeigte sich v. Schleicher an einer ausgehandelten Anerkennung des Gleichheitsgrundsatzes interessiert, andererseits verneinte er die Frage Staatssekretär v. Bülows, „ob man der öffentlichen Meinung in Deutschland zumuten könne, die französische Formel anzunehmen, obwohl unsere klaren Wünsche nicht erfüllt sind“195. Die auf eine einseitige Erlangung von Rüstungsfreiheit gerichtete Pressionspolitik der vorangehenden Monate stellte für ihn also nicht die einzige Maxime des Handelns dar. Die innenpolitische Rücksichtnahme macht den propagandistischen Hintergrund seiner auf Stabilisierung und Gewinnung von Bündnispartnern angelegten, das rein militärische Aufrüstungsinteresse überschreitenden Gesamtstrategie deutlich.

194

Notiz Oberst v. Bredows vom 18.1.1933 (Nachl. v. Bredow , Nr. 3, Bl. 28).

195

Dok. Nr. 5, P. 1.

 

Der Kabinettsbeschluß, Reichsaußenminister v. Neurath nach Berlin zurückkehren zu lassen, falls sich die übrigen Großmächte zu keinem weiteren Entgegenkommen bereit zeigten196, brauchte nicht in die Tat umgesetzt zu werden. Reichskanzler v. Schleicher entschied im Alleingang, daß eine ihm vom Außenminister mitgeteilte Kompromißformel den deutschen Wünschen nach einer prinzipiellen Anerkennung der militärischen Gleichberechtigung entspreche197. Obwohl die militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrags mit der Genfer Erklärung vom 11. Dezember 1932 noch keineswegs gefallen waren, interpretierte man deutscherseits den revisionspolitischen Durchbruch als vollen Verhandlungserfolg und wichtigen Schritt auf dem Weg zur Wiederwehrhaftmachung des deutschen Volkes. Reichsaußenminister v. Neurath stellte am 14. Dezember vor dem Reichskabinett zufrieden fest, daß aus dem Entwurf der Erklärung ein Wiederaufrüstungsverbot für Deutschland gestrichen worden sei198. Der Reichskanzler sprach davon, daß für den Fall des Scheiterns einer annehmbaren allgemeinverbindlichen Abrüstungskonvention Deutschland auf nationalem Wege selbst für seine Sicherheit sorgen werde199.

196

Wie Anm. 195; vgl. dazu Dok. Nr. 7; 10.

197

Dok. Nr. 24, P. 4.

198

Wie Anm. 197.

199

Dok. Nr. 25, insbesondere Anm. 35.

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