2.19.1 (vsc1p): [Regierungsbildung in Preußen.]

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RTF

[Regierungsbildung in Preußen.]

Reichstagspräsident Göring führte aus: Die Bildung einer Regierung in Preussen wird nun dringend, insbesondere, da das Urteil des Staatsgerichtshofs dem[68] Landtag die Bildung einer Landesregierung zur Pflicht macht. Bisher haben wir die Regierungsbildung hinausgezögert unter Berücksichtigung der Entwickelung der Dinge im Reich2. Wir sind nun hierher gekommen, um nach den Wünschen des Herrn Reichspräsidenten zu fragen und unsererseits Vorschläge zu machen. Um den in der Verfassung vorgesehenen Dualismus de facto zu beseitigen, gibt es verschiedene Möglichkeiten:

2

Die von MinPräs. Braun geführte, von SPD, Zentrum und Staatspartei getragene Minderheitsregierung in Preußen war seit dem 19.5.1932 nur noch geschäftsführend im Amt. Bemühungen um eine Regierungsneubildung waren durch den GO-Änderungsbeschluß des PrLT vom 14.4.1932, wonach ein neuer MinPräs. nur noch mit absoluter Mehrheit gewählt werden konnte, angesichts der gegebenen Sitzverteilung außerordentlich erschwert worden (NSDAP 162, SPD 94, Zentrum 67, KPD 57, DNVP 7, Staatspartei 2 Abgeordnete). Die Ende November wieder aufgenommenen Verhandlungen über eine Koalitionsmöglichkeit in Preussen waren inzwischen soweit gediehen, daß die Unterhändler des pr. Zentrums Anfang Dezember bereit waren, einen Nationalsozialisten als PrMinPräs. zu akzeptieren. Problematisch blieb die Personenfrage, da sich mit der Wahl Straßers oder Görings, mit denen v. Schleicher in direktem Kontakt stand, unterschiedliche Konzepte des Umgangs der Nationalsozialisten mit der RReg. verbanden und der RK die Aufhebung des Reichskommissariats in Preussen von einer personellen Verklammerung der Regierung im Reich und in Preußen abhängig machen wollte (vgl. dazu Dok. Nr. 4, Anm. 4; 5, P. 2; 16).

1)

Man bildet in Preußen eine Regierung, und der Reichspräsident ernennt dann die neu gewählten preußischen Minister oder einige von ihnen gleichzeitig zu Reichsministern.

2)

Ein Reichsminister kann preußischer Minister oder Minister ohne Portefeuille im Preußischen Kabinett werden oder

3)

– und das wäre die beste Möglichkeit, – daß das preußische Staatsministerium und der Präsident des Preußischen Landtags dahin übereinkommen, dem Reichspräsidenten für Preußen die Rechte eines Staatspräsidenten freiwillig einzuräumen, so daß er, genau wie im Reich als Reichspräsident, Wünsche und Aufträge auch dem Preußischen Ministerium geben könnte und die Preußischen Ministerien ebenso nach seinen Anweisungen arbeiteten wie die Reichsministerien3. Diese Lösung erscheint mir die beste4.

3

Dieser Vorschlag schließt sich eng an deutschnationale Vorschläge zur Überwindung des Dualismus Reich – Preußen an. Er steht in unverkennbarem Zusammenhang mit den überraschend aufgenommenen Bemühungen Kerrls vom 14. 12. für Preußen eine Dreierkoalition aus NSDAP, DNVP und Zentrum zustandezubringen, die – nach Pressespekulationen – darauf abzielten, nicht den von den Nationalsozialisten zu stellenden PrMinPräs. in das RKab. zu „dirigieren“, sondern einen deutschnationalen pr. Minister „als sichtbares Zeichen des überwundenen Dualismus“ (Westfälische Neueste Nachrichten vom 15.12.1932; Abschrift in: Nachl. Severing , Nr. 59; vgl. Horckenbach 1932, S. 419). Schleicher scheint zum gleichen Zeitpunkt die Beteiligung der DNVP an der Regierungsbildung in Preußen mit dem Parteivorsitzenden Hugenberg erörtert und eine bedingte Absage erhalten zu haben. Als Hugenberg schriftlich auf dieses Gespräch zurückkommt, referiert er seine im Verlauf dieser Besprechung zum Ausdruck gebrachten Besorgnisse „in bezug auf die Vermeidung der Gefahr eines Zurückgleitens in den Parlamentsbetrieb […]. Es ist selbstverständlich, daß solange diese Besorgnisse nicht durch die Entwicklung der Dinge behoben sind, von uns die Verantwortlichkeit für das Ergebnis der Arbeit einzelner dem Kabinett angehöriger oder ihm unterstellter Herren nicht übernommen werden kann.“ (Hugenberg an RK, 21.12.1932; Nachl. Hugenberg, Nr. 38, Bl. 254 f.). Vgl. dazu in diesem Bd. auch Dok. Nr. 66, Anm. 14.

4

Göring und auch die hinter ihm stehenden Kreise der NSDAP-Führung scheinen zum Zeitpunkt des Empfangs beim RPräs. nicht mehr ernsthaft an der Bildung einer zur Zusammenarbeit mit der RReg. bereiten pr. Reg. interessiert gewesen zu sein. Der ital. Botschafter Cerrutti berichtet über ein Gespräch mit Göring vom 9. 12. an das AMin. in Rom: „Er teilte uns mit, daß er wegen der Übernahme der preußischen Ministerpräsidentschaft und des preußischen Innenministeriums verhandele, jedoch unbedingt verlange, daß die Reichsregierung dem Reichskanzler nicht mehr das Amt eines Reichskommissars für Preußen anvertrauen dürfe. Göring hat die Absicht, (seinen Platz?) im Reich beizubehalten und sagte uns ganz offen, er wolle das tun, um die Reichsregierung bekämpfen (?) zu können, wenn sie ihm in seinem Amt als preußischer Ministerpräsident Schwierigkeiten machen sollte. Er fügte hinzu, daß Schleicher bisher noch nicht zugestimmt habe. Dieser möchte, daß Straßer preußischer Ministerpräsident und Vizekanzler werde. […] Ich fragte Göring, ob er denn nicht das Vizekanzleramt annehmen würde. Er antwortete mit einem kategorischen Nein, sagte aber, er würde sich nicht dagegen sträuben, daß einer der preußischen Minister Mitglied der Reichsregierung werde.“ (Von der dt. Abwehr aufgefangenes und entziffertes Telegramm mit Sichtparaphe des RK vom 14.12.1932; Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, S. 7 f.) – Vgl. dazu auch Goebbels’ Tagebucheintrag vom 13.12.1933: „Abends bin ich allein bei Hitler. Preußenfrage. Der Alte will uns nur Preußen geben, wenn wir ins Reichskabinett eintreten. Schleichers Idee. Und nicht Göring als MinPräs., sondern Straßer. Da liegt der Hund begraben.“ (Nachl. Goebbels, Nr. 6, S. 49 f.). Zum Gesamtzusammenhang vgl. Sabine Höner: Der nationalsozialistische Zugriff auf Preußen.

[69] Das Zentrum hat übrigens erklärt, daß es einer Lösung dahin, daß der Ministerpräsident der Reichsregierung als Vizekanzler oder Reichsminister angehört, nicht zustimmen werde5. Aus einer solchen Verbindung würde sich eine natürliche Zusammenarbeit und eine allmähliche Angleichung zwischen Reich und Preußen ergeben.

5

Der Vorsitzende des Zentrums Kaas hatte nach einem Gespräch mit RK v. Schleicher am 5. 12. vor dem Vorstand der RT-Fraktion seiner Partei dazu ausgeführt: „Preußen darf nicht entschieden werden, bevor klare Verhältnisse im Reich geschaffen sind.“ (Rudolf Morsey (Bearb.): Protokolle, Dok. Nr. 722). Solche hemmenden, vom RT-Zentrum ausgehenden Einflüsse auf die Regierungsbildung in Preußen scheinen im pr. Zentrum auf Widerstand gestoßen zu sein (vgl. Rudolf Morsey: Der Beginn der „Gleichschaltung“ in Preußen, In: VfZG 11 (1963), S. 85–97 und Heinrich Brüning: Memoiren 1918–1934. S. 638 f.).

Landtagspräsident Kerrl erklärt sich mit diesen Darlegungen durchaus einverstanden.

Der Herr Reichspräsident erwidert hierauf: Mein Standpunkt ist der, daß ich nur einer solchen Lösung zustimmen kann, die den Dualismus zwischen Reich und Preußen nicht wieder aufleben läßt. Ich werde meine Verordnungen erst aufheben und die Kommissare erst dann abberufen, wenn durch klare Abmachungen die Sicherheit gegeben ist, daß der Dualismus nicht wiederkehren kann. Ihr Vorschlag muß erst sorgfältig nach seinen Auswirkungen überlegt werden. Ich kann mich heute noch nicht auf ihn erklären. Die Einzelheiten bitte ich Sie mit dem Herrn Reichskanzler zu besprechen, dessen Aufgabe es ist, die Verhandlungen mit Ihnen zu führen6.

6

Diese Verhandlungen sind in den Akten der Rkei nicht dokumentiert. Im Ergebnis führen sie dazu, daß eine Wahl des PrMinPräs. trotz des Wiederzusammentritts des PrLT am 14. 12. nicht zustandekommt, da sich der RK in einer Unterredung mit dem Verhandlungsführer des pr. Zentrums Lauscher weigert, nach dem erfolgten Rücktritt Straßers von seinen Parteiämtern im Falle der Wahl Görings zum PrMinPräs. den RKom. aus Preußen zurückzuziehen. Das Zentrum beendet daraufhin die Koalitionsverhandlungen (vgl. dazu die Ausführungen v. Schleichers vor den Befehlshabern im RWeMin. Mitte Dezember 1932 in: Aufzeichnungen des GenLt. Liebmann (IfZ, ED 1, Bd. 5, Bl. 31–35) in Verbindung mit den Mitteilungen Lauschers und Kubes vor dem PrLT am 4.2.1933 in: PrLT-Sitzungsberichte, B. 763, Sp. 2498 und 2518).

Der Reichskanzler erklärte auf Befragen, daß diese Stellungnahme des Herrn Reichspräsidenten auch die seinige ist.

Es wurden im Anschluß daran noch einige Stellen aus dem Urteil des Staatsgerichtshofs zitiert, aus denen Göring und Kerrl die Pflicht der Reichsregierung und des Herrn Reichspräsidenten folgern wollen, nach Bildung einer[70] Regierung in Preußen die Notverordnung vom 20. Juli aufzuheben. Reichskanzler von Schleicher und der Unterzeichnete widersprachen dieser Auffassung unter Hinweis auf andere Stellen des Staatsgerichts-Urteils.

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