2.49.1 (vsc1p): 1.) Zu Punkt 1 der Tagesordnung (Schreiben des preuß. Ministerpräsidenten Dr. Braun vom 20. Dezember 1932)

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[200]1.) Zu Punkt 1 der Tagesordnung
(Schreiben des preuß. Ministerpräsidenten Dr. Braun vom 20. Dezember 19321)

1

Dok. Nr. 31.

erklärte Herr Reichsminister Dr. Ing. Bracht, er hielte es nicht für nötig, heute auf Einzelheiten des Streites mit dem Ministerpräsidenten Dr. Braun einzugehen2. Der Herr Reichskanzler habe ja inzwischen eine Besprechung mit Herrn Ministerpräsidenten Dr. Braun gehabt, bei der die streitigen Fragen erörtert worden seien3. Die Frage der Zuständigkeit für das Begnadigungsrecht werde demnächst in einer Besprechung des Herrn Reichskanzlers mit Herrn Reichsgerichtspräsidenten Dr. Bumke zur Erörterung kommen. Herr Dr. Bumke werde gebeten werden, ein Gutachten über diese Frage zu erstatten4.

2

Am gleichen Tag geht der Rkei im Auftrag Brachts eine Stellungnahme zu den in der Anlage zum Schreiben Brauns vom 20. 12. aufgeführten Beschwerdepunkten zu (Einzelheiten s. Dok. Nr. 55).

3

Einzelheiten s. Dok. Nr. 42, Anm. 7.

4

Zur Vorgeschichte vgl. Dok. Nr. 21, P. 6.

Herr Reichsminister Prof. Dr. Popitz schlug vor, Preußen möge möglichst bald den Entwurf eines entsprechend begründeten Antrags an den Herrn Reichsgerichtspräsidenten fertigen und dem Herrn Reichskanzler übersenden, nachdem auf Grund der Besprechung zwischen Herrn Reichskanzler von Schleicher und Herrn Ministerpräsidenten Dr. Braun Aussicht bestehe, daß über die Frage des Begnadigungsrechts die streitenden Teile – das Kabinett Braun und die Kommissare des Reichs – gemeinsam ein Gutachten herbeiführen würden.

Herr Reichsminister Dr. Ing. Bracht warf die Frage in die Debatte, wie es mit dem Schreiben an Herrn Ministerpräsidenten Dr. Braun bezüglich des Staatsrats gehandhabt werden solle5.

5

Dok. Nr. 27.

Herr Reichsminister Prof. Dr. Popitz empfahl, dieses Schreiben erst dann an Herrn Ministerpräsidenten Dr. Braun abzusenden, wenn wegen des Gutachtens in der Begnadigungsfrage eine endgültige Vereinbarung mit ihm zustandegekommen sei, da diese sonst dadurch vielleicht zunichte gemacht werden könne.

Herr Reichsminister Dr. Ing. Bracht stellte dann die vom Herrn Justizminister (Kommissar des Reichs) in seinem Schreiben vom 6. Januar 19336 aufgeworfene Frage zur Erörterung, ob das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Aufwertung von Erbpachtzinsen (Kanon), Grundmieten, Erbleihen und ähnlichen Ansprüchen vom 28. Dezember 1927 (Gesetzsamml. S. 215) durch das Preußische Staatsministerium (Regierung Braun) oder durch die Kommissare des Reichs zu verkünden sei7.

6

In den Akten der Rkei nicht zu ermitteln.

7

Der PrLT hatte am 15.12.1932 in der Frage der norddt. Fehnsiedlungskolonien beschlossen, daß in Zukunft nur noch die vereinbarten Erbpachtzinsen in Jahresbeträgen, nicht mehr jedoch zusätzlich festgesetzte Aufwertungsbeträge gezahlt werden sollten (PrLT-Sitzungsberichte, Bd. 763, Sp. 2098 ff.) Das vom LT verabschiedete Ges. war von LTPräs. Kerrl dem PrStMin. und dem Staatsrat zugeleitet worden. Letzterer ließ die Einspruchsfrist verstreichen, ohne sich zu äußern. Demnach war das Ges. rechtsgültig zustandegekommen und mußte nach Art. 61 Abs. 3 PrV spätestens am 29.1.1933 verkündet werden.

[201] Herr Staatssekretär Hölscher berichtete über die Sach- und Rechtslage dieses Falles entsprechend seinem Schreiben vom 6. Januar 1933. Er sei der Meinung, daß das Recht, nicht aber auch eine Verpflichtung zur Verkündung verfassungsmäßig zustande gekommener Gesetze, den Reichskommissaren zustehe. Dementsprechend halte er es für angebracht zu beschließen, daß das am 15. Dezember 1932 vom Landtag beschlossene Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Aufwertung von Erbpachtzinsen usw. durch die Kommissare des Reichs in der Preußischen Gesetzsammlung verkündet werde. Es sei dies auch deshalb empfehlenswert, weil anderenfalls das Staatsministerium den Kommissaren des Reichs irgendwelche Gesetze aufoktroyieren könne. Allerdings halte er es für zweckmäßig, mit der Verkündung noch einige Tage zu warten, um die daraus zu erwartende Erregung des Staatsministeriums hintanzuhalten.

Herr Reichsminister Dr. Ing. Bracht regte an, auch diese Frage der Verkündung von Gesetzen in das vom Reichsgerichtspräsidenten einzuholende Gutachten einzubeziehen. Es sei ihm an sich zweifelhaft, ob die Auffassung des Justizministeriums zutreffe; die Verkündung sei ein Ausfluß der Gesetzgebung, und es erscheine deshalb nicht ausgeschlossen, daß sie als zur Vertretung des Landes Preußen gegenüber dem Landtag gehörig durch die Entscheidung des Staatsgerichtshofs zugewiesen worden sei.

Herr Reichsminister Prof. Dr. Popitz äußerte gleichfalls Bedenken gegen die Richtigkeit der Auffassung des Justizministeriums. Die Gesetzgebung als solche sei das einzige, was den Kommissaren des Reichs nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs nicht zustehe. Es erscheine ihm zweifelhaft, ob dazu nicht auch die Verkündung gehöre, die keinen reinen Verwaltungsakt, sondern einen Staatshoheitsakt darstelle. Wenn die Reichskommissare in diesem Augenblick das Gesetz über die Erbpachtzinsen verkündeten, so würde dies Herrn Ministerpräsidenten Dr. Braun voraussichtlich außerordentlich verstimmen und die in Aussicht genommene Vereinbarung über ein Gutachten des Reichsgerichtspräsidenten gefährden. Er empfehle, die Frage des Verkündungsrechts in legerer Form in die Verhandlungen des Herrn Reichskanzlers mit Herrn Ministerpräsidenten Dr. Braun hineinzuwerfen.

Herr Reichskommissar Prof. Dr. Kähler war der Meinung, daß allmählich ein Recht der Reichskommissare nach dem anderen abbröckele und daß deshalb ihre Stellung so stark wie möglich gehalten werden sollte. Aus diesem Grunde müsse auch das Recht der Verkündung von Gesetzen von den Kommissaren des Reichs in Anspruch genommen werden.

Herr Ministerialdirektor Schulze sprach sich für die Zuständigkeit der Reichskommissare zur Verkündung der Gesetze aus.

Herr Reichsminister Dr. Ing. Bracht erklärte es nicht für die Sache der Kommissare, dieses juristische „Preisrätsel“ zu lösen. Es sei zweckmäßig, das Verkündungsrecht zunächst einmal in Anspruch zu nehmen und gegebenenfalls zum Gutachten des Herrn Reichsgerichtspräsidenten zu stellen. Er bat Herrn Staatssekretär Hölscher, den Entwurf eines entsprechenden Antrages im Justizministerium fertigstellen zu lassen. Außerdem hielt er es für zweckmäßig, nach[202] der Besprechung des Herrn Reichskanzlers von Schleicher mit Herrn Reichsgerichtspräsidenten Dr. Bumke mit diesem im kleineren Kreise die zwischen dem Kabinett Braun und den Reichskommissaren streitigen Fragen nochmals zu besprechen8.

8

Nach einer nicht unterzeichneten, aber wohl von MinDir. Brecht stammenden Übersicht über die schriftlichen und mündlichen Auseinandersetzungen des PrStMin. mit der RReg. seit der Verkündung des Staatsgerichtshofurteils in der Preußenfrage findet die Unterredung des RK mit RGerichtsPräs. Bumke am 14.1.1933 statt; ihr folgt am 17. 1. ein Gespräch Bumkes mit Brecht (Nachl. Severing , Nr. 65). – Zur Fortsetzung der Gespräche vgl. Dok. Nr. 66, P. 1, insbesondere Anm. 6.

Herr Ministerialdirektor Dr. Landfried stellte die Frage, ob in Zukunft Gesetzesvorlagen in suspenso gelassen werden sollten.

Herr Reichsminister Dr. Ing. Bracht verneinte diese Frage und erklärte, sie habe als für die Kommissare des Reichs entschieden zu gelten.

Herr Staatssekretär Hölscher legte dar, welche Gefahren für die Reichskommissare entstünden, wenn man dem Staatsministerium Braun das Verkündungsrecht zugestehe; er wies auf Anträge im Landtag hin, die auf eine Wiedererrichtung von aufgehobenen Amtsgerichten gestellt seien, und äußerte die Befürchtung, daß der Landtag bei einem Verkündungsrecht des Kabinetts Braun die Maßnahmen der kommissarischen Regierung zunichte machen könne9.

9

Hölscher legt seine Ansicht am folgenden Tag noch einmal schriftlich in einem umfangreichen „Gutachten über die Frage, ob die Verkündung von Gesetzen in Preußen dem Preußischen Staatsministerium oder den Kommissaren des Reichs zusteht“ nieder (R 43 I /2281 , S. 637–649). – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 66, P. 1.

Herr Reichsminister Prof. Dr. Popitz stellte sich demgegenüber auf den Standpunkt, daß, wenn Landtag und Staatsrat gültige Gesetze erließen, insofern Verordnungen auf Grund der Dietramszeller Notverordnung10 dadurch rechtsgültig aufgehoben werden könnten. Natürlich könne in einem solchen Falle der Herr Reichspräsident die Verordnung neu auf Grund der Dietramszeller Notverordnung erlassen.

10

Zur Dietramszeller NotVO vgl. Dok. Nr. 21, Anm. 4.

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