1.4 (bru1p): III. Die Banken- und Kreditkrise

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[XLVII] III. Die Banken- und Kreditkrise

Die erfolgreiche Sanierungspolitik der Reichsregierung stärkte das Vertrauen des Auslands in die deutsche Wirtschaft, aber weitaus stärker bestimmten die innenpolitischen Entwicklungen in Deutschland das Verhalten der ausländischen Gläubiger. Der „Schwarze Freitag“, der Börsenkrach vom 25. Oktober 1929 in New York, hatte zwar zum Abzug kurzfristiger amerikanischer Kredite geführt und den Devisenbestand der Reichsbank verringert, im Laufe des Frühjahrs 1930 hatte sich jedoch die Situation wieder soweit stabilisiert, daß die Mobilisierungsanleihen zum Young-Plan international plaziert werden konnten207. Reichsbankpräsident Luther äußerte allerdings die Befürchtung, daß der internationale Kapitalmarkt über die Younganleihe hinaus nicht mehr aufnahmefähig sein würde, so daß der Gedanke, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durch ausländische Gelder zu finanzieren, fallengelassen werden mußte208. Wie sensibel das Ausland auf politische Erschütterungen in Deutschland reagierte, erfuhr die Regierung nach der Reichstagswahl vom 14. September 1930. Der Sieg der Nationalsozialisten löste einen Run aus, der innerhalb von drei Wochen zur Kündigung kurzfristiger Kredite in der Höhe von fast 1 Milliarde RM führte209. Eine Entlastung der angespannten Devisen- und Kreditlage brachte schließlich der 125-Millionen-Dollar-Überbrückungskredit des amerikanischen Bankhauses Lee, Higginson, dessen wichtigste Vorbedingung, die ordentliche Verabschiedung des Haushalts 1931/32 durch Reichstag und den Reichsrat, Brüning als Waffe im parlamentarischen Kampf um das Regierungsprogramm einsetzte210.

207

Dok. Nr. 31; 33, P. 6; 35; 36; 37, P. 5; 39, P. 1; 45, P. 3.

208

Dok. Nr. 37, P. 2.

209

Dok. Nr. 135.

210

Dok. Nr. 115; 116, P. 2; 117; 127; 131.

Trotz dieser Erfahrungen und trotz Luthers Warnungen vor der Last der kurzfristigen Kredite211 traf die Banken- und Kreditkrise des Sommers 1931 die Reichsregierung völlig unvorbereitet. Eingeleitet, aber in ihren Auswirkungen nicht erkannt, wurde die Krise durch den Zusammenbruch der größten österreichischen Privatbank, der Österreichischen Kreditanstalt am 11. Mai 1931. Die Verluste des Unternehmens in Höhe des Grundkapitals hätten die Reichsregierung kaum unmittelbar zu beschäftigen brauchen, wenn nicht gleichzeitig um den deutsch-österreichischen Zollunionsplan ein heftiger diplomatischer Streit getobt hätte. Deshalb plädierte Außenminister Curtius für eine deutsche Beteiligung bei der Rettung der Kreditanstalt, um den französischen Druck auf die Wiener Regierung zu konterkarieren und eine internationale Streuung der Aktien, die eine Internationalisierung Österreichs bedeutet hätte, zu verhindern212. Dagegen warnte Staatssekretär Schäffer, ein deutsches Engagement würde die Reparationspolitik gefährden, und Reichsbankvizepräsident Dreyse bezweifelte, daß das Aktienpaket bei der Privatwirtschaft unterzubringen sei.[XLVIII] Brüning unterstützte den Vorschlag eines internationalen Konsortiums, das vor allem den Ankauf des Aktienpakets durch Frankreich verhindern müsse. Die Reichsregierung wäre auch für eine wirksame Hilfe finanziell nicht in der Lage gewesen, da der Fall der Kreditanstalt die österreichische Währung gefährdete und die Wiener Regierung zu einem Bittgang in die europäischen Hauptstädte zwang. Der Versuch Frankreichs, die Stützung des Schillings von einem Verzicht Österreichs auf die Zollunion abhängig zu machen, wurde durch die Intervention der Bank von England durchkreuzt; die Kreditanstalt war gerettet und Österreich konnte zunächst seine finanzielle und politische Unabhängigkeit bewahren213.

211

Dok. Nr. 291.

212

Dok. Nr. 298, Anm. 1.

213

Dok. Nr. 298; 305; 335.

Der Abzug ausländischer Gelder traf nicht nur die österreichischen Banken, sondern griff sofort auf die deutschen Kreditinstitute über. Im Mai 1931 wurden den deutschen Banken 288 Millionen RM ausländische kurzfristige Kredite gekündigt214. Das Kabinett, das in diesen Wochen eine Initative in der Reparationsfrage vorbereitete, blieb von dieser Entwicklung unbeeindruckt. Der Reichsbankpräsident erklärte zwar, daß ein verfrühtes Revisionsbegehren den deutschen Kredit schädigen würde, Brüning und die Mehrheit der Minister wollten jedoch mit einem Aufruf, der eine Lösung des Reparationsproblems forderte, die Notverordnung vom 5. Juni 1931 innenpolitisch absichern215. In der innen- und außenpolitischen Krise, die durch die Notverordnung und den regierungsamtlichen „Tributaufruf“, die Forderung der Parteien nach Einberufung des Reichstags und die ultimative Rücktrittsdrohung Brünings entstand, bestätigten sich Luthers Befürchtungen; die Reichsbank verlor Anfang Juni 100 Millionen RM an Devisen, vom 1. bis 12. Juni war der Verlust schon auf 900 Millionen RM angewachsen, vom 12. bis 15. Juni mußten trotz der Diskonterhöhung von 5% auf 7% weitere 386 Millionen RM abgegeben werden, und allein am 17. Juni verbuchte die Reichsbank eine Einbuße von 70 Millionen RM216. Da der Devisenbestand der deutschen Zentralbank binnen weniger Tage von 3 Milliarden RM auf 1,7 Milliarden RM schrumpfte, sah sie sich außerstande, ihre aus dem Dawes- in den Youngplan übernommene Verpflichtung zu erfüllen, den Notenumlauf mit 40% an Gold und Devisen zu decken217. Die Reichsbank war also schon vor dem eigentlichen Ausbruch der Bankenkrise illiquide geworden.

214

Born, Die deutsche Bankenkrise, S. 67.

215

Dok. Nr. 316.

216

Dok. Nr. 324; 330, Anm. 9; 332.

217

Dok. Nr. 324; 333; 361.

Da das Reich noch im Juni einen Zwischenkredit aufzunehmen beabsichtigte218, haben anscheinend weder Brüning noch Luther etwas von der prekären Situation der deutschen Großbanken geahnt. Der Fall des Nordwollekonzerns und die Zahlungsunfähigkeit der Rheinischen Landesbank kam für das Kabinett ebenso überraschend, während die Schwierigkeiten der Borsigwerke und des Mechernicher Bleibergwerks seit längerem bekannt waren. Der Umfang[XLIX] der Verluste und betrügerischen Bilanzmanipulationen wurden von der Nordwolle-Geschäftsführung erst allmählich und widerstrebend zugegeben. Dagegen war die Landesbank in finanzielle Bedrängnis geraten, weil die rheinischen Kommunen fällige kurzfristige Kredite nicht zurückzahlen konnten. Die Borsigwerke führten ihre Probleme auf die 1914 vom Reich geforderte Umstellung vom Eisenbahnbau auf Rüstungsproduktion zurück, die nach 1918, bei dem erneuten Wechsel der Produktion, das Werk in eine permanente Absatzkrise gestürzt habe. Die Notlage der Mechernicher Werke schließlich war strukturell bedingt219. Das Kabinett sah sich, trotz erheblicher Bedenken wegen des Eingriffs in die private Wirtschaft220, zur Intervention gezwungen, da der Fall „Nordwolle“ den deutschen Kredit im Ausland schädigte und, wie Staatssekretär Trendelenburg am 4. Juli 1931 feststellte, eine Bankenkrise verursachen könnte, deren Ausmaß nicht abzuschätzen sei221. Der Wiederherstellung des Vertrauens in die Zahlungsfähigkeit Deutschlands diente die Gründung eines Wirtschaftsgarantieverbandes, der die Haftung für die ausländischen Darlehen übernehmen sollte. Der Reichsbankpräsident, der wegen der hohen Kreditabzüge dieses Projekt angeregt hatte, strebte einen privaten Haftungsverband der Banken und der Industrie an; da jedoch einige Unternehmer eine Beteiligung ablehnten, mußte die Regierung die Wirtschaftsgarantie mit einer Notverordnung des Reichspräsidenten zwangsweise einführen222.

218

Dok. Nr. 289; 329; 339, P. 3.

219

Dok. Nr. 353; 357; 359; 360; 364, P. 2; 365; 369; 370, P. 2; 373, P. 1.

220

Vgl. die Äußerung Trendelenburgs in Dok. Nr. 353.

221

Dok. Nr. 360.

222

Dok. Nr. 363; 366; 370, P. 1; 372, P. 1.

Diese Notverordnung vom 8. Juli konnte den Ruin der Danatbank, der Hausbank des Nordwolle-Konzerns, am 11. Juli nicht mehr verhindern. Brüning, die Minister und Reichsbankpräsident Luther, die am Wochenende vom 11. bis 13. Juli fast rund um die Uhr tagten, waren sich anfangs über das Vorgehen unschlüssig, zumal der finanzielle Spielraum inzwischen noch kleiner geworden war und die Rundreise des Reichsbankpräsidenten durch die europäischen Hauptstädte zur Beschaffung neuer Rediskontkredite mit einem Fiasko geendet hatte. Während Trendelenburg eine Reichsgarantie für die Danatbank vorschlug, nach Luthers Ansicht der erste Schritt zur Liquidation dieses Unternehmens, und Schäffer sich für allgemeine Bankfeiertage einsetzte, wollte Dietrich die Danatbank stützen. Eine Besprechung mit Vertretern des Bankgewerbes bot ebenfalls keine Entscheidungshilfe, gab der Regierung jedoch einen Einblick in den schlechten Status der Großbanken223.

223

Dok. Nr. 376.

Die Situation spitzte sich dramatisch zu, als im Laufe des 12. Juli deutlich wurde, daß die Dresdner Bank insolvent geworden war. Gegen den Widerstand der Banken erließ die Reichsregierung eine Notverordnung, mit der sie eine Garantie für die Kreditinstitute übernahm und das Recht beanspruchte, Banktreuhänder einzusetzen und den Auszahlungsverkehr zu regeln. Außerdem sollte die Danatbank am Montag, dem 13. Juli ihre Schalter geschlossen halten.[L] Einen allgemeinen Bankfeiertag zu verkünden, hielten Brüning und seine Berater nicht für notwendig224.

224

Dok. Nr. 377; 379.

Dies war aber eine verhängnisvolle Fehlentscheidung, da die Schließung der Danatbank am 13. Juli einen Ansturm der Kunden auf alle übrigen Banken und Sparkassen auslöste und die Kreditinstitute zur Einschränkung der Auszahlungen zwang. Nun sah sich die Regierung doch genötigt, den 14. und 15. Juli zu Bankfeiertagen zu erklären. Sie gewann damit zwei Tage Zeit, um die ersten Maßnahmen für den Wiederaufbau des Bankwesens zu überdenken. Am 15. Juli einigte sich der Wirtschaftsausschuß des Kabinetts auf mehrere Verordnungen über die Wiederaufnahme des Zahlungsverkehrs und die Einführung der Devisenzwangswirtschaft. Ergänzt wurden diese Bestimmungen durch Verordnungen gegen die Kapitalflucht und über die Erhebung einer Ausreisegebühr von 100 RM225.

225

Dok. Nr. 381388396.

Trotz des raschen Eingreifens gerieten weitere Banken und Unternehmen wegen der strikten Überwachung des Zahlungsverkehrs in Liquiditätsschwierigkeiten; die Finanzkrise griff schließlich auch auf die mit 2,5 Milliarden RM an das Ausland verschuldeten Länder und Gemeinden über. Die Sicherung des Zinsen- und Tilgungsdienstes für die öffentlichen und privaten Kredite belastete die außenpolitische Position des Reichs, das in die Rolle eines lästigen und deshalb erfolglosen Bittstellers gedrängt wurde. Der Reichskanzler akzeptierte daher gern die Einladung des englischen Premierministers MacDonald zu einer internationalen Konferenz unter Einschluß der USA in London über europäische Wirtschafts- und Währungsfragen. Der Erfolg des Treffens war jedoch noch vor dem Beginn der Besprechungen durch den ergebnislosen Besuch Brünings in Paris infragegestellt worden.

Ministerpräsident Laval und Finanzminister Flandin hatten der deutschen Regierung eine Anleihe angeboten, diese Offerte jedoch mit politischen Erwartungen verbunden, die der Reichskanzler als unannehmbar zurückwies: Verzicht auf die Zollunion mit Österreich, Verzicht auf jede Revision des Versailler Vertrages, Verzicht auf den Bau des Panzerschiffes „Deutschland“ während der zehnjährigen Laufzeit der Anleihe. Brüning lehnte die politischen Bedingungen rundweg ab, und die Begegnung endete mit einem nichtssagenden Kommuniqué226.

226

Dok. Nr. 384; 389; 398; 408, P. 2.

Dem englisch-französischen Gegensatz, vor allem aber dem sachlich nüchternen Verhandlungsgeschick Brünings hatte die deutsche Delegation den entscheidenden Durchbruch auf der Londoner Konferenz zu verdanken. Brüning wehrte erneut nicht nur die französischen Forderungen ab, von größerer Bedeutung war der Beschluß über die Verlängerung des Rediskontkredits für die Reichsbank und die Berufung eines Sachverständigenkomitees, das die deutsche Verschuldung untersuchen und die Modalitäten eines privaten Stillhalteabkommens festlegen sollte. Diese Kommission trat am 8. August unter dem Vorsitz des Amerikaners Albert H. Wiggin als Sonderausschuß der Bank für Internationalen[LI] Zahlungsausgleich in Basel zusammen. Carl Melchior, das deutsche Mitglied der Kommission, erhielt von der Reichsregierung die Weisung, jeder Erörterung über das Verschulden Deutschlands an seiner gegenwärtigen Lage aus dem Wege zu gehen und, wenn möglich, einen mittelfristigen Kredit für eine Diskontsenkung und die Entlastung der Wirtschaft und der öffentlichen Hand zu erreichen.

Das Wiggin-Komitee faßte das Ergebnis seiner Beratungen in dem sogenannten Layton-Bericht zusammen, dessen wichtigste Schlußfolgerungen die deutsche Regierung mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen konnte. Der Layton-Bericht führte die deutsche Wirtschaftskrise auf den Abzug der kurzfristigen Kredite zurück und verlangte als erste Maßnahme ein Stillhalteabkommen.

Das Wiggin-Komitee hatte deshalb eine internationale Bankierskonferenz nach Basel einberufen, die ihre Beratungen über ein Moratorium an demselben Tage erfolgreich abschloß, an dem das Wiggin-Komitee seine Tätigkeit beendete. Der Layton-Bericht untersuchte sodann die Frage, ob Deutschland in der Lage sei, die Krise aus eigener Kraft zu überwinden. Da der Sonderausschuß weder den Verkauf deutscher Vermögenswerte im Ausland noch eine Steigerung des deutschen Exports, der nur auf Kosten anderer Länder möglich war, für sinnvoll und praktikabel ansah, betonte er sowohl im allgemeinen Interesse als auch im Interesse Deutschlands die Notwendigkeit, dem Reich eine langfristige internationale Anleihe zu gewähren. Voraussetzung hierfür sei allerdings, daß Deutschland und die anderen Mächte ihre Bestrebungen auf eine zufriedenstellende und stabilere Grundlage als bisher stellen würden und die Reparationszahlungen, die nach dem Ablauf des Hoover-Moratoriums im Juli 1932 fällig würden, die deutsche finanzielle Stabilität nicht erneut gefährdeten227. Diese Feststellung war für die Regierung Brüning eine wertvolle Waffe in ihrem Kampf um die Streichung der Reparationen228. Brüning benutzte die Bankenkrise als Hebel, um die Außenpolitik in Bewegung zu setzen.

227

Dok. Nr. 408, P. 2; 414, P. 3; 436; 444; 445; 448; 454, P. 4; 534; 536; 625; 633; 645; 705, P. 2; 708; 711.

228

S. LXXVI.

Die Gefahr weiterer unkontrollierbarer Kreditabzüge hatte das Stillhalteabkommen vorerst gebannt.

Welche Schritte hat nun die Reichsregierung unternommen, um den Zahlungsverkehr wieder in Gang zu bringen, das Vertrauen in die Kreditwirtschaft wieder herzustellen und das Bankwesen zu reorganisieren? Nach den Bankfeiertagen reglementierte das Kabinett mit mehreren kurzfristig geltenden Notverordnungen die Auszahlungsmodalitäten der Kreditinstitute. Um einen möglichst schnellen Abbau der Beschränkungen im Zahlungsverkehr zu erreichen, wurde am 28. Juli 1931 die Akzept- und Garantiebank gegründet. Der unbeschränkte Zahlungsverkehr wurde von den Banken am 5. August 1931, von den Sparkassen drei Tage später aufgenommen229. Dagegen hielt die Regierung an der Devisenbewirtschaftung fest, wobei sie im Laufe des Winters 1931/32 die Vorschriften verschärfte und ein immer dichteres „Netz von Devisen- und[LII] Kapitalflucht-Bestimmungen“ knüpfte, wie das Reichsbankdirektorium am 5. Februar 1932 feststellte230.

229

Dok. Nr. 399, P. 5; 402, P. 7; 405, P. 2; 411, P. 2; 413; 423; 429; 431, P. 4.

230

Dok. Nr. 411, P. 2; 433, P. 1; 435; 455, P. 4; 555, P. 3; 557, P. 1; 577, P. 5; 579; 663; 720, P. 2; 721.

Die Wiederaufnahme des Zahlungsverkehrs und die Devisenbewirtschaftung reichten allerdings nicht aus, um das erschütterte Vertrauen der Öffentlichkeit in das Bankwesen wiederherzustellen. Brüning hatte daher bereits am 13. Juli 1931 Justizstaatssekretär Joël beauftragt, beschleunigt eine Notverordnung über die Aktienrechtsreform vorzulegen, und die Berufung eines Bankenaufsichtskommissars angekündigt. Joël stellte den Entwurf am 5. August dem Kabinett vor. Die Verordnung führte die obligatorische Bilanzprüfung und die Pflichtrevision bei Aktiengesellschaften ein. Der Staatssekretär wies aber auch auf den starken Widerstand der Industrie, der Banken und maßgebenden Zeitungen gegen eine Aktienrechtsreform durch den Artikel 48 hin; er empfahl, stattdessen die dringendsten Bestimmungen als Notverordnung in Kraft zu setzen, die übrigen Teile aber der ordentlichen Gesetzgebung zu überlassen. Der Reichskanzler stimmte dem zu, aber mit dieser Zustimmung wurde die Aktienrechtsreform zum Torso, da das die Notverordnung vom 19. September ergänzende Gesetz nicht verabschiedet wurde.

Ebenso unbequem wie die Aktienrechtsreform war den Banken der Bankenkommissar. Luther teilte ihre Abneigung gegen die neue Einrichtung, weil er eine Beschneidung seiner Kompetenzen befürchtete. Dietrich zerstreute jedoch diese Bedenken mit dem Kompromiß, daß der Bankenkommissar auf Vorschlag der Reichsregierung im Einverständnis mit dem Reichsbankpräsidenten ernannt werden müsse. Das Amt übernahm der preußische Ministerialdirektor Ernst231.

231

Dok. Nr. 380; 431, P. 3; 465, P. 1; 469, P. 1 und P. 3; 472, P. 1–2; Dok. Nr. 474; 476, P. 34.

Was sollte aber mit den bankrotten Großbanken geschehen? Die Dresdner Bank mußte als Hausbank von 1300 Genossenschaften saniert werden, während die Danatbank wegen ihrer industriellen Engagements nicht in Konkurs gehen durfte. Dietrich rechnete überdies der Ministerrunde vor, daß eine endgültige Schließung der beiden Unternehmen die Erwerbslosenzahl um eine Million und die Kosten der Arbeitslosenunterstützung um 800 Millionen RM erhöhen würde. Eine, wenn auch zunächst provisorische Hilfsaktion war also notwendig, Luthers Anregung, die zunächst auch vom schwedischen Sachverständigen Marcus Wallenberg, den Brüning zu den Beratungen hinzugezogen hatte, und von Geheimrat Schmitz unterstützt wurde, die Dresdner Bank mit der Reichskredit-Gesellschaft zu fusionieren, fand nicht die Mehrheit des Kabinetts. Stattdessen beschloß die Regierung, sich an dem Kreditinstitut mit 300 Millionen RM als Vorzugsaktien zu beteiligen. Bei der Danatbank übernahm die westdeutsche Industrie das Aktienkapital, ließ sich aber die Kaufsumme vom Reich vorstrecken. Mit dieser Entscheidung trat die Regierung bei diesen Großbanken als Hauptaktionär ein, und beide Kreditinstitute nahmen am 5. August unter staatlicher Aufsicht ihren Geschäftsverkehr wieder auf232. Dank der Reichsgarantie[LIII] trat auf dem Geldmarkt eine gewisse Beruhigung ein, die die Regierung für die Vorbereitung einer langfristigen Banken- und Sparkassenreform233 und ihrer politischen Absichten nutzte234.

232

Dok. Nr. 409; 413; 415; 418; 420; 423.

233

Zur Sanierung der Sparkassen: Dok. Nr. 414, P. 12427; 429.

234

Der politischen Absicherung dienten die Besprechungen mit Sachkennern, die verschiedenen politischen Lagern nahestanden: Dok. Nr. 449; 453; 456; vgl. auch Born, Die deutsche Bankenkrise, S. 155 f.

Die Ruhe täuschte aber über die wahre Lage hinweg. Im Laufe des Winters 1931/32 gingen mehrere kleinere Banken, Bausparkassen, Konsumgenossenschaften und Beamtenvereine in teilweise betrügerischen Konkurs, und die Deutsche Bank und die Commerzbank, die die Julikrise scheinbar unerschüttert überstanden hatten, gerieten durch Kreditabzüge in Schwierigkeiten235. Nachdem die Regierung bereits im Oktober 1931 das Sparkassensystem reformiert hatte236, nahm sie im Februar 1932 die Rekonstruktion der Großbanken in Angriff. Aus der Krise sollten mit finanzieller Unterstützung des Reichs drei finanzkräftige und miteinander konkurrenzfähige Großbanken hervorgehen: die Dresdner Bank, die mit der Danatbank vereinigt wurde – damit wurde ein alter Plan vom Juli 1931 realisiert – die Commerzbank, die die Privatbank Hardy und den Barmer Bankverein übernahm, und die Deutsche Bank. Den Gesamtbedarf der Sanierung, der im wesentlichen durch Kapitalzusammenlegungen erreicht werden sollte, schätzte Dietrich auf 700–800 Millionen RM. In der Dresdner Bank besaß das Reich zwei Drittel des Aktienkapitals. In der Commerzbank wurde die Reichsbank mit 50% Hauptaktionär, während die Regierung 14% der Anteile hielt. An der Deutschen Bank wurde die Reichsbank mit mehr als einem Drittel beteiligt. Mit dieser Regelung hatte das Kabinett drei Banktypen geschaffen: eine Bank mit dem Reich als Hauptanteilseigner, eine Bank, in der die Reichsbank die Mehrheit besaß, und eine Bank, in der das Privatkapital überwog. Dietrich betonte, daß diese Differenzierung der Gefahr einer Verstaatlichung der Banken vorbeugen werde. Tatsächlich hatte die Reichsregierung, die sich als Hüter der privaten Wirtschaft verstand, die drei größten Universalbanken übernommen, um, wie es Staatssekretär Trendelenburg ausdrückte, das privatwirtschaftliche System gegen die Kapitalisten zu schützen, die nur Gewinne machen, Verluste aber dem Staate aufbürden wollten237.

235

Dok. Nr. 560, P. 2 und P. 5; 699, P. 7–8; 701, P. 1; 725, P. 3. Der Ankauf der Oberhütten- und Gelsenberg-Aktien durch das Reich (Dok. Nr. 701, P. 3) wurde erst nach dem Rücktritt der Regierung Brüning publik: diese Edition, Die Kabinette v. Papen, Dok. Nr. 33.

236

Die Sparkassen waren von den Gemeinden unabhängig und in Anstalten des öffentlichen Rechts umgestaltet worden: Dok. Nr. 500; 507.

237

Dok. Nr. 658; 671; 674; 676; 677. Vgl. auch Born, Die deutsche Bankenkrise, S. 168–170.

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