2.51.12 (cun1p): 12) Die Minister treten sodann in die Besprechung über die Lage im Ruhrgebiet ein.

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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12) Die Minister treten sodann in die Besprechung über die Lage im Ruhrgebiet ein.

Der Staatssekretär im Reichsministerium des Innern geht kurz auf das zu erlassende Notgesetz ein11.

11

Nachdem das vorgeschlagene Ermächtigungsgesetz am 17. 1. im RT gescheitert war (s. Dok. Nr. 47, P. 2), schlägt die RReg. den Erlaß eines Notgesetzes vor. Am 24. 1., 17 h, kommt es in der Rkei zu einer Besprechung über das Notgesetz und die Rückwirkung der Ruhrbesetzung auf die inneren Verhältnisse (R 43 I /1347 , Bl. 11). Am 26. 1. wird das Notgesetz im Kabinett besprochen (Dok. Nr. 55).

Der Staatssekretär im Reichspostministerium berichtet über die Störungen des Telefon- und Telegrafenverkehrs. Man sei bestrebt, trotz der Besatzung die Leitung in der Hand zu behalten. Man bereite der Besatzung Schwierigkeiten, wo und wie man könne12.

12

Am 17. 1. war bereits in einer Besprechung im AA angeregt worden, „daß Telegramme, Telefongespräche usw. der Franzosen ohne Bezahlung nicht angenommen werden; ferner daß eine Einsicht in Telegramme pp. bis zur letzten Gewaltanwendung nicht gewährt werden soll.“ (R 43 I /205 , Bl. 208 f.).

Der Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium bittet das Kabinett darüber Beschluß zu fassen, ob französische Militärtransporte weiterhin zu befördern seien.

Zu dieser Frage erklärt der Herr Reichswehrminister daß das Kabinett grundsätzlich der Auffassung sei, daß die Militärtransporte nicht gefahren werden sollten, jedoch nur insoweit, als es nicht mit Sonderinteressen des Herrn Reichsministers des Auswärtigen in Widerspruch stehe. Da der Herr Reichskanzler und der Herr Reichsminister des Auswärtigen nicht zugegen[184] seien, soll alsbald in eine Nachprüfung dieser Frage eingetreten werden und in der nächsten Sitzung endgültig Beschluß gefaßt werden13.

13

In der Frage der Eisenbahntransporte kam es nach Aufzeichnungen Geßlers zu einer Auseinandersetzung zwischen Groener und v. Seeckt, wahrscheinlich in dieser Sitzung: „Minister Groener vertrat die Auffassung, Transporte möglichst lange selbst zu führen, bis der deutschen Verwaltung der Betrieb abgenommen würde. Dadurch könne erheblich Zeit gewonnen werden. General Seeckt wohnte dieser Besprechung bei. Während sonst die beiden Generale sich in tiefes Schweigen hüllten und den Zivilisten die Aussprache überließen, kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den beiden über nationale Würde, die offenbar aus alten Ressentiments stammte.“ (Manuskript der Memoiren im Geßler-Nachlaß im BA, Bd. 46: Entwürfe und Aufzeichnungen zu den Memoiren; die Stelle fehlt in den von K. Sendtner hrsg. Memoiren Geßlers, S. 245.)

Der Herr Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft berichtet über seine Eindrücke aus dem Ruhrgebiet. Im allgemeinen sei die Stimmung ausgezeichnet, besser als er erwartet habe. Was die Richtlinien anbetreffe, die man den Beamten für ihr Verhalten geben wolle, so sei es wesentlich, daß die Beamten das Ziel kennenlernten14. Im Rahmen dieses Endzieles müsse ihnen freie Hand gemäß ihres eigenen Taktgefühls belassen werden. Den Beamten müsse jedoch klar sein, daß sie bei einer passiven Resistenz von der Reichsregierung nicht verlassen würden.

14

Zu den Richtlinien für die Beamten s. Anm. 14 und 19 zu Dok. Nr. 49. Der Essener Bgm. Schaefer berichtet am 22. 1., daß die einzelnen Behörden über unterschiedliche Richtlinien verfügten, die sie zudem noch verschieden interpretierten. In einer Besprechung in Essen sei beschlossen worden, „durch Vermittlung des Herrn RM Dr. Luther die Auffassung der RReg. in diesen Fragen zu ergründen. Es wurde nicht verkannt, daß möglicherweise eine verschiedenartige Praxis bei den verschiedensten Behörden im wohl erwogenen Plane der RReg. liegen könnte und ebenso dementsprechend eine verschiedenartige Anweisung an die verschiedenen Behörden, alle gleich in dem einen Ziele, eine Gegenwirkung gegen die französischen Maßnahmen herbeizuführen.“ (R 43 I /205 , Bl. 144-148).

Er geht sodann auf die Requisitionen auf dem ländlichen Gebiete ein. Besonders drückend seien die Requisitionen von Stroh. Bei den Requisitionen habe sich ein gewisses Verfahren mit Requisitionsscheinen eingebürgert. Das Verhalten der ländlichen Gemeindevorsteher sei unterschiedlich gewesen. Einige hätten energischen Widerstand geleistet und hiermit wohl einen gewissen Erfolg erzielt, während andere schneller den Anforderungen der Militärmacht, vielleicht unter dem Zwange der Gewalt, nachgegeben hätten.

Er geht sodann auf die Schwierigkeiten ein, die der Eisenbahndirektionspräsident Essen zu überwinden habe15.

15

Gegen den Essener Eisenbahndirektionspräs. Jahn wurde eine Reihe von Vorwürfen wegen seines Verhaltens gegenüber den Franzosen erhoben (vierseitige Aufzeichnung in R 43 I /206 , Bl. 203 f.). Die Vorwürfe werden am 24. 1. dem RVM übermittelt und erweisen sich bei näherer Nachforschung als weitgehend haltlos (Schreiben Hamms vom 27. 1. in R 43 I /206 , Bl. 202). Präs. Jahn selbst wurde am 20. 1. von den Franzosen verhaftet und ausgewiesen.

Gegen den Generalstreik bestehe sowohl in Arbeitgeber- wie in Arbeitnehmerkreisen eine gewisse Antipathie, da man, wenn er einmal ausgebrochen sei, nicht wisse, wie er zu Ende gebracht werden könne.

Der Herr Reichsminister der Finanzen hält es für notwendig, daß eine ständige Fühlungnahme mit den Behörden und Organisationen im Ruhrgebiet unterhalten werde. Wichtig sei die persönliche Einwirkung der Ressortchefs. Die Beamten müßten das Gefühl der aktiven Fürsorge des Reichs haben16. Er[185] geht sodann auf den Fall des Landesfinanzamtspräsidenten in Köln ein, der von den Franzosen ausgewiesen worden sei, aber trotzdem zunächst auf seinem Posten verblieben sei, ungeachtet der Gefahr, in der er sich befinde17.

16

Mit Schreiben vom 22. 1. weist der RFM den RK darauf hin, daß in nächster Zeit mit Ausweisungen treuer dt. Beamter und ihrer Familien gerechnet werden müsse. „Im Hinblick hierauf und die den Beamten gegebene Zusage des Schutzes im Falle von Gewaltmaßnahmen halte ich es für geboten, mit der größten Beschleunigung dafür Sorge zu tragen, daß den Betroffenen sogleich jede erdenkliche Hilfe zuteil wird. Nach dieser Richtung kommt in erster Linie die Ausgestaltung der von den Ländern für die Fälle von Ausweisungen aus dem Saargebiet und dem altbesetzten Gebiet errichteten Fürsorgestellen und deren Unterstützung mit Reichsmitteln in Betracht. Ich möchte anregen, daß nach dieser Richtung mit den beteiligten Länderregierungen sogleich in Verbindung getreten wird.“ (R 43 I /205 , Bl. 195). Am 25. 1. wird diese Frage in der Rkei mit den beteiligten Ländern besprochen und im Sinne des RFM geregelt (R 43 I /206 , Bl. 21-24, hier: Bl. 24).

17

Am 23. 1. berichtet StS Brugger dem RK, daß der Präs. des Kölner Landesfinanzamtes, Haehling von Lanzenauer, auf Befehl des frz. Oberbefehlshabers am 22. 1., 22 h, verhaftet und in das frz. Gefängnis nach Bonn überführt worden sei. Die Nichtbefolgung des Ausweisungsbefehls werde offenbar als weitere Widersetzlichkeit betrachtet und verfolgt. Eine einheitliche Stellungnahme der betroffenen Länder sei nötig, zumal sich die Ausweisungsbefehle insbesondere in der Pfalz häuften. „Ich habe mich mit dem Staatskommissar für die Pfalz in Verbindung gesetzt und ihm mitgeteilt, daß nach Auffassung der RReg. (RFM Dr. Hermes) auch die letzten Konsequenzen gezogen und die Beamten demzufolge es auch auf sich nehmen müßten, wegen Nichtbefolgung des Ausweisungsbefehls ins Gefängnis gebracht zu werden. Mit der Preußischen Regierung sowie mit den Gesandtschaften von Hessen und Baden bin ich dieserhalb in Verbindung getreten.“ (R 43 I /205 , Bl. 239).

Der Staatssekretär für die besetzten Gebiete berichtete über seine Eindrücke und bemerkt: die preußischen Behörden hätten sich darüber beklagt, daß sie bisher ohne nähere Weisung seitens des Preußischen Ministeriums des Innern seien18.

18

In der Referentenbesprechung vom 23. 1. erklärt der Vertreter des PrStMin., daß die Anweisungen inzwischen ergangen seien (R 43 I /206 , Bl. 21-24). Richtlinien Severings über das Verhalten der Polizei ergehen am 24. 1. (R 43 I /206 , Bl. 49-52).

Der Herr Chef der Heeresleitung gibt einen kurzen Bericht über die Truppenbewegungen. Die Nachrichten in der Presse über die Zahl der französischen Truppen seien weit übertrieben. Die Zahl der französischen Truppen, die sich jetzt im Ruhrgebiet befänden, schätze er auf 45 000 Mann. Seit vorgestern seien keine größeren Truppentransporte ins Ruhrgebiet unterwegs. Er glaube, daß der Franzose für eine weitere Besetzung deutschen Gebiets zunächst nicht über genügend militärische Kräfte verfüge. Zu diesem Zwecke müsse er Jahrgänge einziehen, und das sei bisher nicht erfolgt.

Er geht sodann noch kurz auf die Lage im Osten ein. In Polen und Tschechen [!] seien gewisse Mobilmachungsvorbereitungen zu bemerken. An der ostpreußischen Grenze seien jedoch keinerlei Anzeichen irgendwelcher Übergriffe zu spüren.

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