2.219 (cun1p): Nr. 219 Das Auswärtige Amt an Staatssekretär Hamm. 18. Juli 1923

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[647] Nr. 219
Das Auswärtige Amt an Staatssekretär Hamm. 18. Juli 1923

R 43 I /38 , Bl. 242 f.

[Betrifft: Rechtslage bei Reparationsverhandlungen Deutschlands mit einzelnen alliierten Mächten]

Die Rechtslage, die entstehen würde, falls eine einzelne alliierte Macht oder eine Gruppe alliierter Mächte Verhandlungen mit Deutschland über die Reparationsfrage einleitet, läßt sich mit einiger Sicherheit erst beurteilen, wenn die tatsächlichen Umstände bekannt sind, unter denen es zu solchen Verhandlungen kommt1.

1

Die Ausführungen v. Maltzans zur Rechtslage gehen zurück auf ein Schreiben Hamms an v. Rosenberg vom 11. 7., in dem es heißt: „Für den Fall, daß Frankreich und England nicht zu einer Einigung in der Behandlung der Reparationsfrage gelangen, muß damit gerechnet werden, daß Deutschland zu Sonderverhandlungen mit einem oder einer Gruppe der alliierten Mächte aufgefordert wird. Dabei werden wohl zunächst alle Bestimmungen des Vertrages von Versailles aufrechterhalten bleiben. Daraus können sich für die Verhandlunglage Deutschlands erhebliche Schwierigkeiten ergeben. Ich wäre für eine gefl. Mitteilung der dortigen Stellungnahme zu den Fragen dankbar, ob Deutschland berechtigt ist, mit einem oder einer Gruppe der Alliierten Sonderabkommen über die Höhe der Reparationsschuld zu treffen und wie unter solchen Umständen die Repko aufgrund der Bestimmungen des Vertrages von Versailles zu handeln berechtigt wäre.“ (R 43 I /38 , Bl. 207). Zu den Spannungen zwischen den Alliierten über die weitere Behandlung der Reparationsfrage vgl. das Weißbuch des AA „Notenwechsel der Alliierten im Anschluß an die deutschen Noten vom 2. Mai und 7. Juni 1923“, vorgelegt auch als RT-Drucks. Nr. 6204, Bd. 379 . Engl. Pressemeldungen über die Möglichkeit von Reparationsverhandlungen unter Ausschluß Frankreichs waren am 2. 7., eine offiziöse Stellungnahme der engl. Regierung dazu am 3. 7. verbreitet worden (vgl. Schultheß 1923, S. 274 f.).

Praktisch wären Sondervereinbarungen Deutschlands mit einzelnen Mächten wohl nur unter der Voraussetzung denkbar, daß diese Mächte entschlossen sind, die Reparationskommission – zum mindesten bis auf weiteres – auszuschalten und ihre Vertreter aus der Kommission zurückzuziehen. Entschließen sich z. B. England und Italien zu einem solchen Schritt, so würden wir den Standpunkt vertreten müssen, daß eine Reparationskommission in der im Vertrag von Versailles vorgesehenen Form überhaupt nicht mehr besteht2. Allerdings haben wir die Reparationskommission trotz der Nichtbeteiligung der Vereinigten Staaten von Amerika als vertragsmäßig anerkannt. Wir sind jedoch nicht gezwungen, diese Anerkennung auch dann aufrechtzuerhalten, wenn zwei weitere Mächte wie England und Italien ausscheiden. Mit der Beseitigung der Reparationskommission wäre dann dem ganzen System, das der Vertrag von Versailles für die Durchführung der Reparationen aufgebaut hat, der Boden entzogen. Dadurch würde zwar die durch den Vertrag begründete materielle Reparationsverpflichtung Deutschlands an sich nicht beseitigt. Jedoch wären alle diejenigen Bestimmungen hinfällig, die das Bestehen einer gemeinsamen Vertretung der Gläubigermächte zur Voraussetzung haben. Es würde somit eine Lücke im Vertrag entstehen, die nur durch neue Verhandlungen ausgefüllt werden könnte. Wir würden vertragsmäßig nicht gehindert sein, solche Verhandlungen gesondert mit den einzelnen Gläubigermächten zu führen.

2

Bestimmungen über die Repko im VV § 233 und Teil VIII Anhang II.

[648] Die Frage, ob diejenigen Mächte, die durch die Zurückziehung ihrer Vertreter das vertragsmäßige Funktionieren der Reparationskommission unmöglich machen, gegenüber den anderen reparationsberechtigten Mächten vertragswidrig handeln, geht nur die alliierten Mächte und nicht Deutschland an. Es muß allerdings damit gerechnet werden, daß Frankreich diesen Standpunkt nicht anerkennt, vielmehr Sondervereinbarungen mit England und Italien nicht nur als eine Vertragsverletzung dieser Mächte, sondern auch als eine Vertragsverletzung Deutschlands hinstellt. Ob und in welcher Weise Frankreich eine solche Auffassung zur Geltung bringen würde, ist eine politische Frage. Vom Rechtsstandpunkt käme die Möglichkeit in Betracht, von England und Italien bei den Sonderverhandlungen die Übernahme einer Gewähr dafür zu verlangen, daß Frankreich nicht aus diesem Anlaß zu neuen Sanktionen schreitet.

Auch in anderer Beziehung können sich bei Sonderverhandlungen der bezeichneten Art erhebliche Schwierigkeiten ergeben. Zum Beispiel würde wohl davon auszugehen sein, daß auch nach Fortfall der Reparationskommission das im Vertrag von Versailles niedergelegte Prinzip in Geltung bleibt, wonach Deutschland sein Vermögen nicht unter Bevorzugung eines einzelnen Reparationsgläubigers zum Nachteil der anderen Reparationsgläubiger verwerten darf. Bei etwaigen Sondervereinbarungen über Reparationsleistungen an England und Italien würde deshalb immer darauf geachtet werden müssen, daß dadurch die Möglichkeit der Erfüllung der berechtigten Reparationsansprüche Frankreichs oder Belgiens nicht beeinträchtigt wird. Das würde namentlich bei der Bestellung von Garantien für die Reparationsleistungen von Bedeutung sein.

Sollten England und Italien etwa die Kompetenzen der Reparationskommission nicht antasten wollen, so wäre nicht abzusehen, in welcher Weise sie überhaupt die Reparationsfrage durch Sondervereinbarungen mit Deutschland regeln könnten. Solche Sondervereinbarungen könnten dann nur den Sinn haben, daß die beiden Mächte sich darum zu bemühen hätten, den Inhalt der Vereinbarungen durch die Reparationskommission in Wirksamkeit zu setzen.

Maltzan

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