1.9.1 (ma12p): Micum-Verträge.

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Micum-Verträge.

Bergrat Herbig verlas das Protokoll über die Verhandlungen mit der Micum (vgl. Anlagen)1.

1

In den Verhandlungen mit der Sechserkommission am 12. 6. in Düsseldorf vertrat der Micum-Präs. Frantzen den Standpunkt, daß das am 15. 6. ablaufende Micum-Abkommen mit dem Ruhrbergbau bis zum Inkrafttreten des Sachverständigen-Gutachtens verlängert werden müsse. Vögler erklärte, daß der Ruhrbergbau die Reparationskohlenlieferungen aus dem Abkommen nicht länger aus eigener Kraft finanzieren könne. Eine Finanzierung der Lieferungen sei möglich, wenn diese von frz.-belg. Seite vorschußweise bezahlt würden, oder wenn die Gegenseite anerkenne, daß die Lieferungen rückwirkend ab 15. 4. als Sachleistungen im Sinne des Sachverständigen-Gutachtens gelten und daß sie aus den im Gutachten vorgesehenen Anleihen finanziert werden. Frantzen lehnte diese Vorschläge ab. Das Reich könne die Reparationsleistungen der Industrie bezahlen, da es vom 1. 1. bis 1.5.24 einen Haushaltsüberschuß von 150 Mio GM erzielt habe. Die frz. und belg. Reg. hätten den Vorschlag der RReg., über die Micumverträge zwischen den beteiligten Regg. unmittelbar zu verhandeln, abgelehnt. Es müsse also weiter in Düsseldorf verhandelt werden. Käme die Vertragsverlängerung nicht zustande, träte das Besatzungsregime wieder in Kraft. Die Verhandlungen zwischen der Micum und der Sechserkommission wurden daraufhin auf den 15. 6. vertagt (Protokoll in der Anlage).

Generaldirektor Vögler führte ergänzend aus, daß die Stimmung unter den Zechen geteilt sei. Die Sechserkommission habe nicht mehr den gesamten Bergbau in der Hand. Es herrsche eine Katastrophenstimmung, und viele seien geneigt, die gegenwärtige Lage zur Herbeiführung der doch unvermeidlichen Katastrophe zu benutzen, um auf diese Weise geringeren innerpolitischen Schwierigkeiten gegenüberzustehen. Die Micum verlange eine unbefristete Verlängerung der Verträge bis zum Inkrafttreten des Sachverständigen-Gutachtens. Erreichbar seien monatliche Verträge mit automatischer Verlängerung. Derartige Verträge seien jedoch für die Zechen unannehmbar.

Ministerialrat Karlowa gab die Zahlen der Einnahmen und Ausgaben des Haushalts für die Monate Januar bis Mai bekannt.

Ministerialdirektor v. Schlieben wies darauf hin, daß man sich an Hand dieser Zahlen nicht Hoffnungen für die Zukunft hingeben dürfe. Das günstige Resultat sei nur erreicht worden durch nicht länger haltbare Steuersätze und eine kaum mehr tragbare Ausgabeeinschränkung.

[699] Direktor Reusch ergänzte die Angaben Vöglers. Ein großer Teil der Zechen könne selbst den Weg des Kredits nicht mehr beschreiten; sie würden ihn zurückweisen, selbst wenn er angeboten würde. Die Zechen seien am Ende ihrer Kraft.

Generaldirektor Vögler hielt aus politischen Gründen die Stillegung des Ruhrreviers für nicht möglich. Es werde dadurch für die neue französische Regierung2 eine sehr schwere Lage geschaffen. Sie sei nach Stillegung des Ruhrreviers nicht mehr in der Lage, über das Sachverständigen-Gutachten zu verhandeln. Die Sanktionen würden außerdem am 16. Juni mit aller Schärfe einsetzen.

2

Vgl. Dok. Nr. 218, Anm. 29.

Die Reichsregierung zog sich nach diesen Mitteilungen zur Beratung zurück.

Der Reichsminister der Finanzen fragte den Außenminister, auf welchen Zeitraum man sich wohl einrichten müsse, bis das Sachverständigen-Gutachten von der Gegenseite angenommen würde.

Der Reichsminister des Auswärtigen sagte, daß eine Antwort darauf nicht möglich sei. Was aber die Frage der Micumverträge anlange, so sei er der Meinung, daß die Verlängerung zunächst höchstens bis zum 30. Juni in Aussicht zu nehmen sei. Durch eine derartige Maßnahme würden wir unseren guten Willen zeigen, und es werde bis dahin sicherlich möglich sein, mit der neuen französischen Regierung in Verhandlungen einzutreten. Für diese Zeit müsse dem Bergbau finanziell entgegengekommen werden.

Der Reichsminister der Finanzen fragte den Reichswirtschaftsminister, wann eine Kohlenpreissenkung durchgeführt werden könne, nachdem die Micumlasten auf das Reich übergegangen seien.

Der Reichswirtschaftsminister erklärte, daß bei einer völligen Ablastung die Senkung sofort vorgenommen werden könne.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß theoretisch zwei Konstruktionen möglich seien: 1. die Gewährung eines unverzinslichen Darlehens, über dessen Rückzahlung im Zusammenhang mit der gesamten Erstattungsfrage zu verhandeln sei. Darlehensgeber müßte die Eisenbahn sein, der gegenüber das Reich die Verzinsung übernehme. 2. die Bezahlung der Lieferungen. Auch hier müsse die Eisenbahn nach außen hin die Zahlungen übernehmen. Das Reich garantiere die Verzinsung und Tilgung, wobei die eventuelle Anrechnung auf die 200 Millionen Reparationslast vorbehalten bleibe3. Nachteil dieser Lösung sei der, daß sie teurer sei als die erste. Der Vorteil liege darin, daß sie eine sofortige Preissenkung der Kohle gestatte. Politisch unbequem sei der darin liegende Gedanke einer Vorwegnahme eines Teiles des Sachverständigen-Gutachtens.

3

Gemeint sind die 200 Mio GM Reparationen, die die RB nach dem Sachverständigen-Gutachten (S. 32) im 1. Reparationsjahr aufzubringen hat.

Der Gesandte Ritter befürwortete den Darlehensgedanken. Eine Kohlenpreissenkung sei jetzt sehr bedenklich, da daraus von der Gegenseite der Schluß gezogen werden könne, das Reich habe sich nunmehr zur Übernahme der Micumlasten entschlossen. Mit einer solchen Handlung desavouierten wir die[700] Sachverständigen und riefen die Engländer, Serben und alle übrigen, die von der Einstellung der Reparationsleistungen betroffen seien, auf den Plan.

Staatssekretär Fischer warf die Frage auf, ob es notwendig sei, das Darlehen in der Höhe der Micumlasten zu geben, da ja ein Teil dieser durch die übersetzten Kohlenpreise abgeglichen werde.

Der Reichsminister der Finanzen erkannte die Berechtigung eines Abschlages an, sah aber in der Festlegung eines Prozentsatzes eine Gefahr für die künftige Generalabrechnung.

Der Gesandte Ritter sprach sich für ein 100%iges Darlehen aus, um der Sechserkommission den Zechen gegenüber, die nicht mehr geschlossen hinter ihr ständen, die Situation zu erleichtern.

Es wurde darauf beschlossen, daß der Reichsminister der Finanzen zunächst mit Generaldirektor Vögler über den Darlehensgedanken Fühlung nehme.

Der Reichsminister der Finanzen berichtete auf Grund dieser Fühlungnahme, der Darlehensgedanke werde von Generaldirektor Vögler akzeptiert. Sie hätten sich dabei auf eine Summe von 12 Millionen für die nächsten 14 Tage geeinigt. Daneben wünschten die Industriellen eine Erhöhung des Anlaufskredits4, der einerseits nicht in der vorgesehenen Höhe zustande gekommen sei, andererseits aber selbst in dieser Höhe für die Ingangbringung nicht ausreiche.

4

Gemeint sind Kredite zur Wiederingangsetzung der Betriebe nach Beendigung des Arbeitskonflikts im Ruhrbergbau im Mai 1924. Vgl. hierzu Dok. Nr. 210, Anm. 5.

Der Reichsfinanzminister wurde beauftragt, dem Generaldirektor Vögler die Zusagen der Reichsregierung bez. des unverzinslichen Darlehens und der Erweiterung des Anlaufskredits mitzuteilen5.

5

Die RReg. sichert der Sechserkommission folgende Kredite zu: 1) einen Kredit von insgesamt 20 Mio GM von der RP und der Versicherungsanstalt für Angestellte zur Überwindung von Streikschäden (Bergarbeiterstreik im Mai 1924); 2) ein zinsloses, unbefristetes Darlehen von 12 Mio GM von der RB zum Ausgleich der Verluste, die dem Kohlenbergbau durch die Verlängerung des Micum-Abkommens nach dem 15. 6. entstehen (Schreiben des RK an die Sechserkommission vom 14. 6., R 43 I /454 , Bl. 225).

Am 15. 6. unterzeichnet die Sechserkommission in Düsseldorf das 3. Micum-Abkommen, das den auslaufenden Vertrag zwischen der Micum und dem Ruhrbergbau bis zum 30. 6. unverändert verlängert (Text: RT-Drucks. Nr. 568 , S. 62, RT-Bd. 398 ; Aufzeichnungen Ritters über die abschließenden Verhandlungen zwischen der Sechserkommission und der Micum in R 43 I /454 , Bl. 233-243, 246-249).

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