2.170 (ma31p): Nr. 170 Staatssekretär Meissner an Staatssekretär Pünder. 18. Januar 1927

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Text

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[501] Nr. 170
Staatssekretär Meissner an Staatssekretär Pünder. 18. Januar 19271

1

Auch abgedr. in: Stürmer, Koalition und Opposition in der Weimarer Republik 1924–1928, S. 302–303.

Nachl. Pünder, Nr. 28, Bl. 15–16

[Entwurf eines Schreibens des Reichspräsidenten an den Reichskanzler mit dem Auftrag zur Bildung einer bürgerlichen Mehrheitsregierung.]

Vertraulich!2

2

Hschr. Vermerk Meissners.

Lieber Herr Pünder!

Wenn das Zwischenstadium3 erledigt sein wird und der Herr Reichspräsident dem Herrn Reichskanzler Dr. Marx dann den Auftrag zur Regierungsbildung auf der Basis der bürgerlichen Mehrheit erteilt, erscheint es mir erwägenswert, ob es sich nicht empfiehlt, diesen Auftrag in eine besondere Form zu kleiden und ihn zugleich mit einem Appell des Herrn Reichspräsidenten an die in Frage kommenden Fraktionen zu verbinden. Ich verspreche mir von einem solchen Schritt einen gewissen Eindruck auf die Fraktionen und eine große Wirkung auf Presse und Öffentlichkeit. Ich stelle es mir so vor, daß der Herr Reichspräsident im gegebenen Moment dem Herrn Reichskanzler Dr. Marx den Auftrag in schriftlicher Form erteilt und ungefähr folgendes Schreiben zu diesem Zweck an Herrn Reichskanzler Dr. Marx richtet, das sofort veröffentlicht würde:

3

Gemeint sind die von Marx seit dem 17.1.27 geführten Verhandlungen über die Bildung einer Minderheitsregierung der bürgerlichen Mittelparteien.

„Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Die außen- und innenpolitische Lage des Reiches erfordert dringend eine arbeitsfähige und starke Regierung. Die Regierung wird am erfolgreichsten arbeiten können, wenn sie sich auf eine Mehrheit im Reichstag stützen kann. Der Versuch der Bildung einer nur auf die mittleren Parteien gestützten Regierung ist gescheitert; die Bildung einer Regierung unter Einschluß der Linken ist, zur Zeit wenigstens, nicht möglich. Ich richte nunmehr an Sie, Herr Reichskanzler, das Ersuchen, die Bildung einer Regierung auf der Grundlage einer Mehrheit der bürgerlichen Parteien des Reichstags mit tunlichster Beschleunigung zu übernehmen4.

4

Auf dem Rand des Schreibens findet sich der folgende hschr. Zusatz: „Gerade [korrigiert aus: Auch und gerade] eine solche Regierung wird mit besonderer Sorgfalt dem Wohle der werktätigen Bevölkerung Deutschlands dienen müssen, [danach gestrichen: nachdem es ihren Bemühungen nicht gelungen ist, für die verantwortliche Mitarbeit der größten Arbeiterpartei eine gemeinsame Basis zu gewinnen] auch wenn es äußerlich vielleicht dem Fernerstehenden so scheinen sollte, als wenn diese Regierung durch Nichtbeteiligung der SPD die berechtigten Interessen der breiten Arbeitermassen hinter anderen Staatsnotwendigkeiten etwa zurückstellen könnte.“ Dieser Zusatz ist vermutlich von RegR Planck geschrieben; die Korrektur am Satzanfang und mehrere Wörter im durchgestrichenen Mittelteil stammen dagegen wahrscheinlich von StS Pünder. Stürmer (Koalition und Opposition, S. 302, Anm. 3) schreibt den ganzen Zusatz Pünder zu.

[502] Zugleich appelliere ich5 an die bürgerlichen Fraktionen des Reichstags, persönliche Bedenken und Verschiedenheiten der Anschauungen im Interesse des Vaterlandes beiseite zu stellen, sich zur Mitarbeit unter Ihrer Führung zusammenzuschließen und sich hinter einer Regierung zu vereinigen, die entschlossen ist, nicht für und nicht gegen einzelne Parteien, sondern6 zum Wohle des gesamten deutschen Volkes in allen Ständen und Schichten zu arbeiten und in diesem Geiste die vor uns stehenden wichtigen politischen und wirtschaftlichen7 Aufgaben zu lösen.

5

Hschr. – vermutlich von Planck – geändert in: „Ich appelliere daher“.

6

Danach hschr. – vermutlich von Planck – eingefügt: „getreu der Verfassung“.

7

„politischen und wirtschaftlichen“ von Pünder hschr. geändert in: „politischen, wirtschaftlichen und sozialen“.

Mit der Versicherung meiner besonderen Hochschätzung bin ich

Ihr ergebener

gez. von Hindenburg.“

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Anregung wie den Wortlaut dieses Schreibens einer eingehenden Prüfung unterziehen und die Idee auch mit dem Herrn Reichskanzler8 besprechen wollten. Der hier nur flüchtig entworfene Text des Schreibens kann natürlich nach dem Wunsche des Herrn Reichskanzlers abgeändert oder der jetzt ja noch nicht genau zu übersehenden Situation angepaßt werden. Jedenfalls müssen wir etwas vorbereiten, damit im gegebenen Moment das Schreiben sofort herausgehen kann9.

8

Dazu Randbemerkung Pünders: „nein!“

9

Am Kopf dieses Schreibens vermerkte Pünder am 20. 1.: „Ich habe auf diesen Brief nicht geantwortet und Einzelheiten dem H[err]n R[eichs]k[anzl]er auch nicht vorgetragen.“ – Meissner vermerkte am 20. 1. auf dem Entwurf dieses Schreibens, der sich in den Akten des Büros des RPräs. befindet: „Mündl[ich] mit St[aats]s[ekretär] Pünder besprochen am 19. und 20. – [durchgestrichen: abgeänderter] der Entwurf ist mit kleinen Ergänzungen vom R[eichs]k[anzler] gutgeheißen, dem H[er]r[n] R[eichs]Präs[identen] vorgetragen und von ihm genehmigt. Das Schreiben soll heute nachmittag abgesandt und abends der Presse zur Veröffentlichung gegeben werden.“ (Zitiert nach: Stürmer, Koalition und Opposition, S. 303, Anm. 8). Siehe Dok. Nr. 173.

Mit den besten Empfehlungen bin ich Ihr ergebener

Meissner

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