2.65.1 (mu11p): Richtlinien über die Entwaffnung im Reiche.

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Richtlinien über die Entwaffnung im Reiche1.

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Die Einladung zu dieser Chefbesprechung war mit dem folgenden Tagesordnungsprogramm ergangen: „a) Richtlinien für die Entwaffnung im Reich. Besondere Strafandrohungen (Siehe besondere Einladung […] ausgehend von einem Antrag des OPräs. Hörsing in Sachsen [Anm. 17 zu Dok. Nr. 41]). – b) Akute Fragen des Bielefelder Abkommens. – c) Bericht der ins Ruhrgebiet entsandten Kommission der Mehrheitsparteien [Dok. Nr. 49]. – zu b) und c): Rest der in der Kabinettssitzung vom 25. 4. verhandelten und einer Chefbesprechung überwiesenen Fragen“ (3.4.20 [!]; R 43 I /411 , Bl. 9). Eine Kabinettssitzung vom 25. 4. konnte nicht ermittelt werden. Zur Behandlung der Lage im Ruhrgebiet s. Dok. Nr. 60, P. 14 und Dok. Nr. 72.

ReichskanzlerMüller weist einleitend darauf hin, daß nach der Konferenz in San Remo eine umfassende Entwaffnung Deutschlands zweifellos verlangt werden würde2.

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Der Vorsitzende der Friedensdelegation Göppert hatte am 20. 4. den in San Remo tagenden Mächten der Entente eine Denkschrift des RWeM zuleiten lassen, in der die Beibehaltung des 200 000 Mann Heeres beantragt worden war (R 43 I /680 , Bl. 132-139; die Denkschrift vom 12.4.20 in R 43 I /405 , Bl. 3-15). Diese Denkschrift war auch vom dt. Geschäftsträger in London, Sthamer, dem UStS im Foreign Office, Lord Hardinge, übergeben worden. Von der Unterredung mit Hardinge hatte Sthamer am 22. 4. berichtet, „daß das größte Bedenken gegen den Antrag auf Beibehaltung einer Armee von 200 000 Mann in der Befürchtung liegt, daß sie in die Hände der Militärpartei übergehen könne. Die Sorge vor dem Einfluß und der Bedeutung der Militärpartei ist offenbar hier noch sehr groß und wird ein schwer zu überwindendes Hindernis sein.“ Ähnliches gelte für die Einwohnerwehren (R 43 I /405 , Bl. 28). Am 26. 4. erwiderte der ital. MinPräs. Nitti namens der Ententemächte, die dt. Denkschrift könne nicht geprüft werden, da Deutschland wesentliche Verpflichtungen aus dem VV nicht erfüllt habe (R 43 I /401 , Bl. 23 f.). S. hierzu auch Schultheß 1920 II, S. 337 f., 366 f. und DBFP 1. ser., vol. IX, p 144 sq., 209 sq.

Reichswehrminister Dr. Gessler: Die Entwaffnung sei Sache der Polizeiorgane und damit der Landesregierungen. Vom Reich könnten aber einheitliche Normen über Strafen für Nichtablieferung von Waffen aufgestellt werden3. Die Reichswehr sei nur beteiligt, soweit es sich um die Entwaffnung von Zeitfreiwilligen handle. Im übrigen werde die Entwaffnungsaktion keinen Erfolg haben, so lange die Regierung keine Garantien gebe, daß die kommunistischen Geheimklüngel aufgehoben würden.

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Eine VO über Waffenbesitz, die die Ablieferung aller Waffen anordnete, war am 13.1.19 erlassen worden. Danach hatten die Landesbehörden die Ausführungsbestimmungen über die Ablieferung zu erlassen. Allerdings waren in § 3 der VO auch eindeutige Strafbestimmungen enthalten: Nichtablieferung wurde mit Haft bis zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe bis zu 100 000 M belegt. Verwendung der Waffen „zu Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen“ sollte mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft werden (RGBl., S. 31 ).

General von Seeckt: Das zu erreichende Ziel sei, daß Militärbewaffnung sich nur in Händen der Reichswehr und Sicherheitspolizei befände, bzw. in den von diesen bewachten Depots. Alle übrigen Militärwaffen müßten beseitigt[157] werden: dies sei leicht durchführbar bei Geschützen und Minenwerfern, schwierig dagegen bei Maschinengewehren.

Die Entente werde verlangen, daß wir eine bestimmte Zahl dieser Waffen abgeben. Dieses Verlangen würde mit Rücksicht auf die Ruhe im Innern auch unseren Interessen entsprechen. Die zu erwartende Note müsse daher innerpolitisch ausgenützt werden.

Die gewaltsame Entwaffnung habe bisher unbefriedigende Resultate ergeben, desgleichen das Aussetzen von Preisen auf Waffenablieferung. Mehr Erfolg verspräche der Verhandlungsweg, wobei paritätisch vorgegangen werden müsse. Gewisse Depots von Einwohnerwehren könnten sofort aufgehoben werden, aber es müsse dann auch die Möglichkeit gegeben sein, diese Waffen sofort zu zerstören, da sie sonst leicht in falsche Hände fallen könnten. Ferner sei eine genaue Kontrolle über die Munitionsanfertigung nötig.

Preuß. Minister des Innern Severing: Er wäre mit dem Vorschlage des Oberpräsidenten Hörsing, wonach der unbefugte Waffenbesitz mit Freiheitsstrafen zu bedrohen sei, an sich einverstanden, halte ihn aber zur Zeit nicht für durchführbar. Man müsse am 1. Mai und 6. Juni mit der Möglichkeit größerer Unruhen rechnen. Daher würden wir vorher durch ein solches Gesetz die Waffen kaum ausgeliefert erhalten. Nach den Wahlen sei ein Gesetz nach dem Hörsingschen Vorschlage durchaus zu empfehlen. Im übrigen sei er mit den Ausführungen des Generals von Seeckt einverstanden.

Preuß. Ministerpräsident Braun schließt sich gleichfalls den Ausführungen des Generals von Seeckt an. Man müsse sich jedoch darüber klar sein, daß im Süden und Osten eine faktische Auflösung der Einwohnerwehren nicht erfolgen könne, wenn man nicht etwas anderes an ihre Stelle setze. Deshalb müsse die Sicherheitspolizei weiter ausgebaut werden und auf dem Lande an ihre Stelle ein Flurschutz treten. Bezüglich der dann noch illegal vorhandenen Waffen müsse man Zwangsmaßnahmen anwenden.

Reichsminister des InnernKoch: Es sei zu erwägen, ob nicht in einzelnen Bezirken schon jetzt mit größerer Entschiedenheit vorzugehen sei, so z. B. in den Bezirken Suhl und Erfurt. Er halte ein alsbaldiges Vorgehen für erforderlich.

Preußischer Minister des Innern Severing: Diesen Wünschen des Ministers Koch sei bereits Rechnung getragen. In Bezirken, wo die Frage besonders brennend sei, seien entsprechende Aktionen eingeleitet, so insbesondere auch in Pommern.

ReichskanzlerMüller weist darauf hin, daß die Verschrottungsfrage Sache des Reichsschatzministeriums sei. Die Militärverwaltung müsse sich mit dem Reichsschatzministerium wegen der Verschrottungsfrage in Verbindung setzen, damit beschlagnahmte Waffen unverzüglich unbrauchbar gemacht würden. Im übrigen sei das Ergebnis der Konferenz in San Remo abzuwarten.

Es herrscht Einmütigkeit darüber, daß nach den Vorschlägen des Generals von Seeckt, des Reichsministers Koch und des Ministers Severing verfahren werden solle4.

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Zur weiteren Behandlung der Entwaffnungsfrage s. Dok. Nr. 92, P. 8.

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