1.127.1 (mu22p): [Finanzprogramm.]

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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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[Finanzprogramm.]

Der Reichskanzler führte aus, daß vielfach der Eindruck vorherrsche, daß kein Sofortprogramm notwendig sei. Für die Regierung gebe es kein Zurück. Es könne nicht zugegeben werden, daß aus dem Sofortprogramm irgendein Stein herausgebrochen werde. Wenn bei den Parteien die Absicht bestehe, eine verwaschene Resolution zur Annahme zu bringen, so müsse er namens der Reichsregierung erklären, daß eine solche Resolution nicht tragbar sei. Der Herr Reichsbankpräsident stehe auf dem Standpunkt, daß auch das Sofortprogramm nicht genügend sei; 500 Millionen RM müßten sofort zur Verfügung stehen, weiterhin müsse zur Balancierung des Etats weiter eine neue Steuer eingeführt werden2. Entscheidend für die Regierung ist, daß aus dem Regierungsprogramm nichts herausgebrochen wird. Im übrigen sei notwendig, daß eine Geste gemacht werde, um die Kreditfähigkeit des Reichs sicherzustellen. Sollte eine verwaschene Resolution eingebracht werden, so werde die Regierung erklären, daß sie sich mit einer solchen Resolution nicht abfinden könne. Die Reichsregierung werde dann zurücktreten. Das hätte natürlich zur Folge, daß die bevorstehenden Schlußverhandlungen im Haag nicht möglich seien.

2

Siehe hierzu Dok. Nr. 379.

Wenn er auch keinen Auftrag des Herrn Reichspräsidenten habe, so halte er es doch für notwendig, darauf hinzuweisen, daß die Situation vielleicht ergeben könne, den Reichstag aufzulösen. So wie er den Herrn Reichspräsidenten kenne, müsse damit gerechnet werden, daß der Herr Reichspräsident vielleicht die Auflösung des Reichstags im Auge habe3.

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Dem RPräs. hatte der RK am 12. 12. Bericht erstattet. Mit StS Meissner hatte Pünder vereinbart, der RPräs. solle auf die DVP „noch einen gewissen Druck“ ausüben (Tagebuch Pünders vom 15. 12.; Politik in der Rkei, S. 31).

Der Reichsminister der Finanzen führte ergänzend dazu aus, daß der Herr Reichsbankpräsident sich zur Zeit immer noch passiv verhalte. Würde an dem Sofort- und Regierungs-Programm irgend etwas geändert, so würde der Herr Reichsbankpräsident sofort wieder freie Hand haben. Die amerikanischen Stellen, die die zur Zeit in Rede stehende Anleihe geben wollten, drängten auf beschleunigte Regelung, insbesondere auch deshalb, weil die betreffenden Bankherren[1261] in der Weihnachtszeit von New York abwesend seien4. Die Anleihe wäre nur dann gesichert, wenn die Regierung volle Autorität habe. Falle das Sofortprogramm, so könne er als Reichsfinanzminister nicht mehr im Amte bleiben. Das hätte natürlich auch voraussichtlich den Rücktritt der Reichsregierung zur Folge. Nach seiner Meinung könne der Reichstag aber unmöglich die Verantwortung dafür tragen, daß die Reichsregierung im gegenwärtigen Augenblick gestürzt werde. Ein Sturz der Reichsregierung bedeute die Staatskrise und eine Katastrophe in der Außenpolitik.

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Gemeint sind die Verhandlungen mit dem Bankhaus Dillon, Read & Co.

Der Reichswirtschaftsminister führte aus, daß die Volkspartei dem Sofortprogramm nicht zustimmen könne ohne Bindung der Parteien auf das gesamte Finanzprogramm.

Der Abgeordnete Breitscheid legte dar, daß die Sozialdemokratische Partei zwar mit den Zielpunkten des Finanzprogramms einverstanden sei, jedoch eine feste Bindung auf das Finanzprogramm nicht eingehen könne, bevor eine sorgfältige Prüfung der einzelnen Vorlagen erfolgt sei. Die Sozialdemokratische Partei behalte sich ihre abschließende Stellungnahme für die Beratungen zu den Einzelgesetzen vor.

Abgeordneter Leicht sprach sich für das Sofortprogramm aus und erklärte ferner, daß die Bayerische Volkspartei der Reichsregierung auch für die Verhandlungen im Haag ihr Vertrauen geben würde; jedoch sei eine Festlegung auf das Finanzprogramm für seine Partei nicht annehmbar. Für die Haltung der Partei sei an sich das Entscheidende die Biersteuer. Das sei aber nicht alles. Die Partei stehe darüber hinaus auf dem Standpunkt, daß bei dem großen Kassendefizit eine Steuersenkung in dem vorgesehenen Ausmaß nicht möglich sei. Außerdem bestünden hinsichtlich des Finanzausgleichs grundsätzliche Bedenken. Er könne sich nicht vorstellen, daß es im gegenwärtigen Zeitpunkt möglich sei, einem Finanzprogramm zuzustimmen, das eine Festlegung auf 5 Jahre verfolge.

Abgeordneter Hertz betonte, daß die Sozialdemokratische Partei durchaus bereit sei, in eine Prüfung des Finanzprogramms mit dem ernstlichen Willen einzutreten, dasselbe, wenn es irgendwie möglich sei, anzunehmen. Auch seine Partei glaube, daß eine Entlastung der Wirtschaft nötig sei und daß ein Umbau des Steuersystems erfolgen müsse. Ob aber bei dem Ernst der Finanzlage des Reichs alles durchzuführen sei, was in dem Programm vorgeschlagen werde, bezweifle die Partei allerdings5.

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Siehe zur Haltung der SPD W. Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten II, S. 360 ff.

Der Abgeordnete Zapf erklärte, seine Fraktion gehe davon aus, daß die Versicherung der Reichsregierung, wonach der Etat 1930, in Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen sein werde, zutreffend sei. Falls sich später herausstellen sollte, daß die Zahlen der Regierung nicht stimmen, so kämen für die Volkspartei zur Herbeiführung eines Ausgleichs im Etat nur Ausgabensenkungen in Betracht, nicht aber eine Schmälerung des Steuersenkungsprogramms. Im gegenwärtigen Augenblick müsse man von den Zahlen der Regierung ausgehen. Er schlug vor, daß die Fraktionen sich auf eine Fassung einigten, die etwa folgendes zum Ausdruck bringe:

[1262] Die Lage der Wirtschaft und der Reichsfinanzen zwingt zu sofortigem Handeln. Alle Parteien haben gegen das von der Reichsregierung vorgelegte Finanzprogramm Bedenken. Angesichts der großen Not sind die Parteien bereit, diese Bedenken zurückzustellen und das Gesamtprogramm der Reichsregierung anzunehmen und im Wege der Gesetzgebung durchzuführen. Die Parteien sprechen der Regierung ihr Vertrauen aus.

Der Abgeordnete Breitscheid erwiderte, daß es für seine Fraktion unmöglich sei, die Bedenken, die sie habe, zurückzustellen. Alles, was er zugestehen könne, sei die Bereitwilligkeit, die Vorlage der Reichsregierung zu prüfen.

Reichsminister Moldenhauer schlug vor, eine Fassung zu suchen, die das Schwergewicht der Verantwortung für die Durchführung des Regierungsprogramms nicht in erster Linie auf die Fraktionen, vielmehr auf die Reichsregierung verlege, indem gesagt werde: „Der Reichstag billigt die Grundzüge des Regierungsprogramms und vertraut darauf, daß die Reichsregierung ihr Programm durchführt.“

Man einigte sich schließlich dahin, daß ein Redaktionskomitee, bestehend aus je einem Vertreter der 5 Fraktionen versuchen solle, eine Formel zu finden, die nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlungen von alle Fraktionen gebilligt werden könne.

Die Aussprache wurde danach geschlossen. Nur das Redaktionskomitee, bestehend aus den Abgeordneten Breitscheid, Esser, Zapf, Haas und Leicht, blieb zusammen.

Auf Vorschlag des Abgeordneten Esser kam man zum Entwurf nachstehender Formel:

„Der Reichstag begrüßt den Willen der Reichsregierung, durch den Ausgleich des Reichshaushalts und die Durchführung einer Finanzreform eine steuerliche Entlastung aller Schichten vorzunehmen.

Er ist bereit, an der gesetzgeberischen Verwirklichung dieser Absicht mitzuarbeiten und spricht der Reichsregierung für die von ihr vertretene Gesamtpolitik sein Vertrauen aus.“

Der Abgeordnete Zapf erklärte, daß er sich die Zustimmung seiner Fraktion vorbehalten müsse. Er bat zu diesem Zweck um eine kurze Unterbrechung der Besprechung. – Er erschien bald darauf wieder und erklärte, daß er die Formel Herrn Reichsminister Dr. Curtius vorgelegt habe. Dieser habe sich mit ihr sofort zu dem Herrn Reichskanzler begeben. Sowohl Reichsminister Curtius wie auch der Reichskanzler hätten erklärt, daß die Formel für die Reichsregierung unzulänglich sei.

Nach dieser Mitteilung wurden die Besprechungen, als ergebnislos verlaufen, abgebrochen6.

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Eine Einigung über eine Vertrauensformel wurde schließlich in den Worten gefunden: „Der RT billigt die vorgestrige Erklärung der RReg. und vertraut darauf, daß das Finanzreformprogramm der Regierung vorbehaltlich der endgültigen Gestaltung der Gesetze im einzelnen in Wahrung der von der Regierung bekanntgegebenen Grundzüge durchgeführt wird. Der RT spricht der Regierung für ihre Gesamtpolitik das Vertrauen aus.“ Zu den Einzelheiten siehe a. Pünders Tagebucheintragung vom 15. 12., Politik in der Rkei, S. 31.

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