2.46 (vsc1p): Nr. 46 Aufzeichnung des Staatssekretärs in der Reichskanzlei über eine Unterredung des Reichskanzlers mit dem französischen Botschafter in Berlin, François-Poncet, am 6. Januar 1933

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Nr. 46
Aufzeichnung des Staatssekretärs in der Reichskanzlei über eine Unterredung des Reichskanzlers mit dem französischen Botschafter in Berlin, François-Poncet, am 6. Januar 19331

1

Der RK hatte François-Poncet am 6. 1. zum Tee empfangen. Planck fertigte die Aufzeichnung auf Grund von Mitteilungen des RK an. Das mit Anschreiben vom 7.1.1933 dem StSAA übersandte Original befindet sich in: PA, Abt. II, Politik 2 Frankreich, Bd. 30, Bl. 25–28. – Zur Berichterstattung François-Poncets s. DDF, 1ère Série, Tome II, Dok. Nr. 173 und 179. Über diese Unterredung vgl. auch H. R. Berndorff: General zwischen Ost und West. S. 249 ff.

R 43 I /71 , Bl. 283–285 Durchschrift

[Grenz-, Wehr- und Wirtschaftsfragen.]

Herr François-Poncet brachte auch in diesem Fall das Gespräch zunächst auf die angebliche deutsche Agitation in der Korridor-Frage und andere deutsche Revisionsansprüche2.

2

Sowohl François-Poncet als auch der frz. Abg. Paul Reynaud hatten am 3. bzw. 5. 1. in dieser Angelegenheit im AA sondiert (vgl. ADAP, Serie B, Bd. XXI, Dok. Nr. 241 und 244; DDF, a.a.O., Dok. Nr. 158, 164 und 175). Ein Genfer Vertrauensmann Schleichers und Plancks hatte dem StSRkei gegenüber am 3. 1. seine starken Bedenken dagegen geäußert, „wenn zu dem jetzigen Zeitpunkt die Frage der Ostgrenzen in den Vordergrund geschoben wird“. Er sehe „darin eine recht große Gefahr für den Erfolg unseres Abrüstungskampfes“ (Schwarz an Planck, 3.1.1933; R 43 I /533 , Bl. 311–313). In seinem Antwortschreiben stimmt Planck dieser Ansicht voll zu: „Wir haben nicht die Absicht, die konsequente Befolgung unserer Politik in der Gleichberechtigungsfrage durch irgendeine Diversion in Richtung auf die Ostgrenzen aufzuhalten. Aus Gesprächen mit prominenten Franzosen haben wir hier den Eindruck gewonnen, daß die französische Taktik zur Zeit darauf gerichtet ist, uns das verlockende Ziel der Revision der Ostgrenzen möglichst oft vor Augen zu führen, um dadurch sich selbst in der für sie recht unbequemen Frage der Durchführung unseres Gleichberechtigungsanspruchs zu entlasten. Wir werden auf diese durchsichtigen französischen Manöver nicht eingehen und die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit auch nicht der Anschein entsteht, als ob wir unsere Politik bereits geändert hätten.“ (Planck an Schwarz, 7.1.1933; ebd., Bl. 314). Auch der dt. Botschafter in Paris, Köster, berichtet, daß fast alle frz. Politiker, mit denen er gesprochen habe, die Unterhaltung sehr bald auf die Frage der dt. Ostgrenzen gebracht hätten (Köster an Köpke, 18.1.1933; ADAP, a.a.O., Dok. Nr. 265). Die Reichsbehörden selbst taktieren in dieser Angelegenheit recht vorsichtig: So scheitert die Übertragung einer Rede des früheren Memeler Bgm. Grabow auf einer Memellandkundgebung am 8.1.1933 in Hamburg über den dortigen Sender, weil der Redner den vom RundfunkKom. des RIM geäußerten Änderungswünschen nicht stattgeben will. Nachdem dieser Fall von der „Berliner Börsenzeitung“ am 17. 1. unter der Überschrift „Rundfunkzensur“ aufgegriffen wird (Ausschnitt in: R 43 I /71 , Bl. 296), begründet der RIM das Vorgehen seines Kom. damit, daß diesem „gesagt worden [sei], der Herr Reichskanzler selbst stehe den Ostkundgebungen insofern mit großem Vorbehalt gegenüber, als er in der Tatsache, daß gleichzeitig von französischer Seite her eine gewisse Sympathie mit dem Problem der Ostgrenzenrevision geäußert wurde, den Versuch erblicken zu sollen glaubte, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit vom Abrüstungsproblem abzulenken“ (Der RIM an den StSRkei, 17.1.1933; ebd., Bl. 292 f.)

[192] Der Reichskanzler bemerkte hierzu, er glaube nicht, daß dieses Thema im Grunde von deutscher Seite angeschnitten sei. Uns sei vielmehr diese Pressekampagne nicht angenehm. Er glaube, daß es sich um Versuchsballons handele, die von ausländischer Seite herkämen. Über das Gespräch von Herrn Marcks mit dem Vertreter des „Temps“3 meinte François-Poncet, es sei hier wohl auf der einen Seite ein Mißverständnis entstanden.

3

Einzelheiten s. in der in Anm. 2 bereits zit. Aufzeichnung des MinDir. Köpke über eine Unterredung mit François-Poncet am 3.1.1933 im AA (R 43 I/Bl. 270–276; vgl. DDF, a.a.O., Dok. Nr. 147, 155 und 158).

Als François-Poncet sodann die Frage der neutralen Zone anschnitt, wies der Kanzler auf die Truppendislokationen an der französischen Ostgrenze hin, deren Zweckmäßigkeit der Französische Botschafter anzweifelte. Er sagte hierzu, daß er es wohl verstehen könne, wenn Herr von Hammerstein sich darüber freue, daß die Franzosen viel Geld in ihren Grenzfestungen investierten.

François-Poncet erklärte, daß er jetzt nach Paris zu reisen beabsichtige, um zu sondieren, wie man dort über den weiteren Verlauf der Abrüstungs-Verhandlungen und die weitere Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen überhaupt denke. Er halte es für möglich, daß man bis Ostern einen ersten Abschnitt der Konvention vereinbaren könne, um sich dann zu vertagen und zunächst eine Studienkommission weiter arbeiten zu lassen.

Hierzu bemerkte der Reichskanzler, daß selbstverständlich in einer solchen Vereinbarung die völlige deutsche Gleichberechtigung enthalten sein müsse.

Der Französische Botschafter erklärte, das werde erleichtert werden, wenn man etwa zu einem gentlemen agreement kommen könne, in dem einerseits Deutschland eine Miliz mit Wehrpflicht und die bisher verbotenen Waffen zugestanden werden könnten, wobei andererseits Deutschland freiwillig gewisse Grenzen seiner Rüstungen zugestehe. François-Poncet erklärte, die Hauptsorge Frankreichs sei, daß Deutschland etwa auf den französischen Stand wieder aufrüsten wolle. Diese müsse man beseitigen.

[193] Der Reichskanzler äußert sich nicht näher zu diesem Vorschlag4, sondern beschränkte sich darauf zu sagen, daß er über jeden positiven Fortschritt erfreut[194] sein werde und es für zweckmäßig halte, wenn der Französische Botschafter das Gelände in Paris erkunden würde5.

4

Vor den zur Reichsgründungsfeier am 15.1.1933 im Berliner Sportpalast versammelten Vertretern des Kyffhäuser-Bundes erläutert der RK seine Vorstellungen dahingehend, daß er für Dtld. „nur die gleiche Sicherheit“ fordere, „wie jedes andere Land, und ich möchte hier erneut betonen, daß ich die allgemeine Wehrpflicht für ein ganz besonders erstrebenswertes Ziel halte. Veränderte Zeitverhältnisse werden veränderte Formen bedingen. Ich denke dabei in erster Linie an die Miliz.“ (Mschr. Redemanuskript in: Nachl. v. Schleicher , Nr. 26, Bl. 302–305. Veranstaltungsbericht und Abdruck der Ansprachen im WTB-Bericht Nr. 21 vom 15.1.1933; R 43 I /766 , Bl. 231 f.)

Vgl. in diesem Zusammenhang die für den RWeM angefertigten „Kurzorientierungen“ Oberst v. Bredows, die Aufschluß über die an der Jahreswende 1932/33 von Seiten des RWeMin. intensiv betriebenen mil. Umbauplanungen geben, und zwar die Kurzorientierung vom 14.1.1933: „Der Stahlhelm betreibt selbständige Aufstellungsarbeiten. Zu diesem Zweck bildet er militärische Formationen. Ich habe, wie aus der Vortragsnotiz hervorgeht, oft mit den führenden Persönlichkeiten des Stahlhelms über das Unzulässige gesprochen. Von seiner Ansicht geht der Stahlhelm aber nicht herunter. Jetzt scheint auch in Baden Neufville besondere Aufstellung zu betreiben. Er hat sich dort mit dem S.A.-Führer Ludin zu einer Wehrgemeinschaft verbunden. Es war vorgeschlagen an Sel[d]te zu schreiben. Ich glaube, in diesem Augenblick ist das Schreiben nicht zweckmäßig. Da ich nicht ganz in die politischen Absichten eingeweiht bin, bitte ich Herrn General um Entscheidung, ob die schärfere Form des Briefes oder die bisher betriebene Form der Aussprache gewählt werden soll.“ (Nachl. v. Bredow , Nr. 3, Bl. 14) Kurzorientierung vom 20.1.1933: „Anliegend eine Vortragsnotiz über eine Unterredung mit Roehm.“ [Anlage nicht vorhanden.] „Chef Marineleitung hat mir in einem längeren Schreiben die Notwendigkeit der geistigen Beeinflussung weiterer Volkskreise im Sinne der Wehrfreudigkeit auseinandergesetzt. Die Ausführungen sind sehr dünn und der Demagogie der kleinen Tagespresse entnommen. […] Ich werde mit Admiral Raeder das Für und Wider, sowie das, was geschehen ist bzw. geplant wird, besprechen.“ (Ebd., Bl. 23) Kurzorientierung vom 21.1.1933. „Wie Herr General gestern ausführten, hat Habermann sich mit Herrn General auch über die militärischen Zukunftspläne unterhalten. Schon vor einiger Zeit hatte mir Habermann einen Brief über die schwebenden Fragen geschrieben. […] Besonders wichtig ist, daß Habermann bisher auf dem Standpunkt stand: Abbau der Berufssoldaten und freiwillige Miliz. Ich werde demnächst mit ihm hier, oder wie er mich wiederholt gebeten hat, mal an einem Sonntag in Hamburg im Kreise einiger seiner Anhänger den Faden weiterspinnen und ihn in die richtige Linie eindrehen. […] Ich führe zur Klärung und zur Belehrung über die zukünftige Wehrverfassung Deutschlands auch mit zahlreichen anderen, vornehmlich links eingestellten Gruppen Gespräche. Allmählich nähern sich diese Kreise immer mehr unserer Auffassung über wehrpflichtige Miliz und die Beibehaltung eines Berufsheeres.“ Randvermerk v. Schleichers zu den beiden zuletzt zit. Sätzen: „Gut.“ (Ebd., Bl. 25) Kurzorientierung vom 24.1.1933: „Letzten Sonnabend und Sonntag fand in Frankfurt/Oder eine Stahlhelmführertagung statt. […] Aus den Reden geht wiederum hervor, daß der Stahlhelm eine Sonderbehandlung fordert und schon jetzt seine Ansprüche bei Verwendung in der Miliz anmeldet. Daß wir nicht darauf eingehen können, ist es, was er stets als geringes Entgegenkommen des Reichswehrministeriums bezeichnet. Auch in dem wieder beigefügten Kronprinzenbrief [Original in: Nachl. v. Schleicher, Nr. 23, Bl. 59 f.] ist ja von einer Klage über das wenig vertrauensvolle Zusammenarbeiten der Reichswehr [mit dem] Stahlhelm die Rede. Herrn General wäre ich dankbar, mir morgen mitzuteilen, ob auch über diesen Punkt kürzlich Herr General mit Düsterberg gesprochen haben. Ich habe demnächst wieder eine Aussprache mit der Bundesleitung. [Randvermerk v. Schleichers: „Nein.“] Hierzu möchte ich noch bemerken, daß mich heute der Leiter des Wehramts der NSDAP, Oberst Hörauf, besuchte. Seine Ansichten über SA und Eingliederung in die militärischen Erfordernisse waren sehr vernünftig. […]“ (Ebd., Bl. 31) Schließlich notierte der Chef des Ministeramtes noch „Wichtiges aus Vortrag Chef T[ruppen]A[mt] beim Min[ister], 18.1.33“. Den nur schwer lesbaren bruchstückhaften Notizen („Miliz 1.4.34“; „Geheimhaltung Umbau – was sagen? Presse“; „Kein Kabinettsbeschl[uß] Umbau, alleinige Verantwortung Kanzler“) ist zu entnehmen, daß über grundsätzliche Fragen der Wehrstrukturreform gesprochen wurde. Der RWeM habe das „Gerede“ über den „Umbau“ als „strafbaren Leichtsinn“ bezeichnet; weil „Gefahren außenpolitischer Art dadurch eintreten könnten, hat Minister die Absichten zu geeignetem Moment zu erklären“ (ebd., Bl. 28 f.).

5

Bei dem Gespräch, das François-Poncet nach seiner Rückkehr aus Paris mit dem StSAA am 17. 1. führt, kommen die hier angesprochenen Fragen wieder zur Sprache (Aufzeichnung Bülows vom 18.1.1933; ADAP, a.a.O., Dok. Nr. 262; vgl. DDF, a.a.O., Dok. Nr. 205).

In wirtschaftlicher Hinsicht bezeichnete François-Poncet das deutsch-französische Handelsabkommen als einen großen Schritt vorwärts6. Man müsse dazu gelangen, daß Deutschland und Frankreich gemeinsam schrittweise den Kern für eine europäische Wirtschaftsbefriedung und Wirtschaftseinheit schafften7.

6

Einzelheiten dazu s. Dok. Nr. 33, P. 7.

7

Vgl. dazu ADAP, a.a.O., Dok. Nr. 248.

In der Schuldenfrage erklärte der Französische Botschafter, für Frankreich liege der amerikanisch-französische Konflikt deshalb so schwierig, weil Frankreich sich von Amerika von der Zeit der Aufnahme dieser Schulden her betrogen fühle.

Das Gespräch streifte dann noch die französische und deutsche innere Politik. Zu ersterer bemerkte François-Poncet, er halte Paul-Boncour zwar für gutwillig, seine Stellung im Parlament aber für so schwach, daß er nicht sehr aktiv sein werde8.

8

Die Regierung Paul-Boncour wird am 28.1.1933 von der frz. Nationalversammlung durch Ablehnung eines Vertrauensvotums gestürzt.

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