1.9 (bau1p): Finanzreform, Währungspolitik und Inflationsbekämpfung

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Finanzreform, Währungspolitik und Inflationsbekämpfung

Neben den ungewissen Folgen des Versailler Vertrags förderten also die inneren Kriegsfolgelasten die deutsche Nachkriegsinflation. Währungspolitisch noch gravierender erschien der Reichsbank allerdings die von der Kriegsfinanzierung kaum abweichende Budgetgebarung und Geldschöpfungspolitik der republikanischen Reichsregierung. Hatte das Reichsbank-Direktorium während der Dauer des Krieges und im Verlauf der Revolutionsmonate noch geglaubt, dem Reich die zur Deckung der Staatsausgaben auf dem Wege der Besteuerung und mittels Begebung von Anleihen nicht beschaffbaren Mittel durch Ausweitung des Notenbankkredits nicht versagen zu dürfen, so konfrontierte es am 1. Juli 1919 den knapp eine Woche im Amt befindlichen neuen Reichsfinanzminister „ernstlich“ mit der Frage, ob die Reichsbank „die unbegrenzte Aufnahme von Reichsschatzanweisungen fernerhin noch mit der [ihr] obliegenden Verantwortung“ vereinbaren könne. Reichsbankpräsident Havenstein und sein Stellvertreter von Glasenapp legten dar, daß auch der Rat der Volksbeauftragten und die Regierung Scheidemann die auf sie einstürmenden Ausgaben in einem erheblichen Umfang durch kurzfristige Verschuldung bei der Reichsbank bestritten und damit die Gesamtsumme der laufenden Reichsschuldanweisungen von Ende Oktober 1918 bis Mitte Juni 1919 um 48% vermehrt hätten. Die hauptsächlich vom Reich durch das Anwachsen seiner schwebenden Schuld bewirkte inflationstreibende Geldschöpfung, aber auch die durch Kapitalflucht ins Ausland und Markspekulationen à la baisse bedingte Entwertung der deutschen Valuta ließ das Reichsbank-Direktorium um den Kredit der Reichsbank fürchten und, solle nicht „jede Hoffnung auf einen Wiederaufbau unseres wirtschaftlichen Lebens“ schwinden, die Rückkehr zu einer soliden, trotz der hohen inneren und äußeren Kriegsfolgelasten „unter allen Umständen“ steuerfinanzierten Finanzwirtschaft fordern213.

213

Dok. Nr. 11.

Die Reichsbank hatte in diesem Schreiben die der Regierung Bauer aus ihrer Sicht gestellte finanzpolitische Aufgabe noch einmal umrissen. Zwischenzeitlich war aber auch mit Hilfe der Nationalversammlungsmehrheit der zwischen Reich und Ländern entbrannte Streit über die Neuordnung des Finanzwesens insofern zugunsten des Reichs entschieden worden, als diesem die Ertragshoheit über alle Steuern und Zölle prinzipiell und die Inanspruchnahme der Finanzverwaltungshoheit durch eine elastische Formulierung der entsprechenden Verfassungsbestimmung fakultativ eingeräumt worden war214. Nach einer Zeit regierungsinterner Vorbereitungen stand damit der Augenblick bevor,[LXII] um die vom Rat der Volksbeauftragten programmatisch geäußerte Absicht, die staatliche Finanzpolitik nicht nur zur Befriedigung des öffentlichen Bedarfs, sondern auch als Instrumentarium zur Umverteilung von Einkommen und Vermögen zu nutzen, in die politische Realität umzusetzen. Die Finanzpolitik – tatkräftig angepackt – konnte somit eine neue Qualität gewinnen. Dennoch verzichteten die Sozialdemokraten auf die Übernahme des Finanzministeriums, um ihr Augenmerk weiterhin auf die Wirtschaftspolitik als Vehikel der politischen und sozialen Neuordnung zu richten. Für die bürgerlichen Parteien der Weimarer Koalition lag dagegen in der Verfolgung einer verteilungspolitische Prioritäten setzenden Finanzpolitik die Chance, den ungeliebten Sozialisierungsplänen ihrer sozialdemokratischen Regierungspartner entgegenzuwirken. Mit der Ernennung Matthias Erzbergers zum Reichsfinanzminister glaubten Reichspräsident Ebert und Regierungschef Bauer dem Rang, aber auch den Schwierigkeiten derzeitiger Finanzpolitik in besonderer Weise Rechnung zu tragen215. Seinem Arbeitseifer und seiner taktischen Geschmeidigkeit trauten sie die parlamentarische Durchsetzung, seinem Aufopferungsmut und seiner sozialen Aufrichtigkeit die unpopuläre Erhebung kurzfristig wirksamer, ausreichend ergiebiger und sozial gerechter neuer Steuern zu.

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Einzelheiten s. Dok. Nr. 17, insbesondere Anm. 5, 8 und 9.

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Zu den Vorbehalten gegenüber Erzberger s. Protokolle der SPD-NatVers.-Fraktion, 20.6.1919, 13.30 Uhr.

Diese Aufgabe anpacken, hieß für den durch den Gang nach Compiègne gebrandmarkten Politiker, nach der außenpolitischen Unterwerfung dem deutschen Volk, insbesondere aber den besitzenden Schichten, auch finanziell einen Opfergang zuzumuten. Vordergründig noch gravierender, wenn auch angesichts einer mehr als das Dreifache des Vorkriegssozialprodukts ausmachenden Gesamtschuld des Reichs von über 156 Milliarden Mark naheliegend, wäre die offene Erklärung des Staatsbankrotts und die Annullierung der von weitesten Bevölkerungskreisen gezeichneten Kriegsanleihen gewesen. Das zwischen den Mahlsteinen links- und rechtsextremistischer Widersacher nicht unangefochtene Kabinett Bauer hat diese Alternative nie erörtert. Als Finanzminister lehnte Erzberger sie in seiner Einführungsrede vor der Nationalversammlung am 8. Juli 1919 mit vorwiegend sozialpolitischen Argumenten ab216. Die wahrscheinliche Furcht, in einem von finanzpolitischen Radikalmaßnahmen entfesselten innenpolitischen Sturm zusammen mit der parlamentarisch-demokratischen Staatsform hinweggefegt zu werden, blieb unausgesprochen.

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NatVers.-Bd. 327, S. 1376 .

Am 3. Juli 1919 legte Erzberger, der auf wichtigen Vorarbeiten seiner Amtsvorgänger aufbauen konnte, dem Kabinett ein erstes Bündel einschneidender Steuergesetzentwürfe sowie ein Konzept für die Schaffung einer reichseigenen Steuerverwaltung vor217. Letzteres unterbreitete er in persönlichen Schreiben vom 6. Juli auch den Präsidenten der Länderministerien und lud sie kurzfristig zur Beratung der Übernahme der gesamten Finanzverwaltung auf das Reich nach Weimar ein218. Im Verlauf heftiger Auseinandersetzungen mit[LXIII] den Ländervertretern entwickelte der Reichsfinanzminister auf einer am 13. Juli stattfindenden Konferenz die Gesamtkonzeption einer grundlegenden „Reichsfinanzreform“. Mit aufsehenerregendem Zahlenmaterial zum Budget belegte er die quantitative Gegenwartsaufgabe, dem Reich für die enorm gestiegenen Ausgaben die benötigten Milliarden aus entsprechend zu steigernden Einnahmen zu beschaffen. Der Schatzwechsel- und Notenweg dürfe nicht länger beschritten werden219. Die Wucht der Tatsachen, die sich in der Gewichtsverlagerung des Finanzbedarfs von den Ländern auf das Reich niederschlage, erzwinge mit „absoluter Notwendigkeit“ eine reichseinheitliche Steuerexekutive „vom Kopf bis zu den Gliedern“. Nur durch eine qualitative Neuordnung der bislang zersplitterten Steuererschließung, -erhebung und -verwaltung könne das Anziehen der Steuerschraube gerecht auf die Schultern aller Zensiten verteilt werden. Darüber hinaus mache die Verantwortung des Reichs für die loyale Erfüllung des Friedensvertrags die Reform der gegenwärtigen Struktur der Finanzverwaltung unabdingbar, um Eingriffen der Reparationsgläubiger in das bundesstaatliche Finanzgefüge vorzubeugen. Hinsichtlich der erwartungsgemäß von den Ländern geäußerten Sorge um ihre materielle Sicherstellung kündigte er als distributiven Aspekt seines dreidimensional angelegten Programms die Reform des Finanzausgleichs an.

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Dok. Nr. 12, P. 9.

218

Dok. Nr. 17.

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Vgl. in diesem Sinne auch die Ausführungen RWiM Schmidts (Dok. Nr. 65).

Die Länder mochten sich gegenüber diesem vom Hessischen Finanzminister Henrich als „revolutionär“ bezeichneten Reformvorhaben nicht zu einer einheitlichen Front zusammenzuschließen, so daß die Anfangserfolge des Reichsfinanzministers, der die diesbezüglichen Bestimmungen des in zweiter Lesung befindlichen Verfassungsentwurfs konsequent in seinem Sinne auslegte, beachtlich waren. Nur die drei süddeutschen Länder sowie Sachsen, Oldenburg und Anhalt sprachen sich eindeutig gegen die Absicht Erzbergers aus, die Länderfinanzverwaltungen schon zum 1. Oktober 1919 unter Leitung des Reichsfinanzministeriums zu vereinheitlichen. Ihren Widerstand und die Verzögerungstaktik der nur mit Vorbehalten zustimmenden Länder – darunter mit besonderem Gewicht Preußen – versuchte der Reichsfinanzminister in einem geschickten Überraschungsangriff zu überrollen. Er drohte, wiederum gestützt auf Verfassungsbestimmungen, mit dem umfassenden Ausbau eines Kontrollapparates von Reichsaufsichtsbehörden und kündigte alternativ an, daß binnen Wochenfrist der Entwurf einer Reichsabgabenordnung mit der Regelung der reichseigenen Finanzverwaltung dem Staatenausschuß zur Beratung zugehen werde220. Während die Länder damit zwischen zwei Übeln zu wählen hatten, billigte das Reichskabinett den in fieberhafter Eile und unter denkbar ungünstigen arbeitstechnischen Bedingungen in Weimar umgearbeiteten 447 Paragraphen umfassenden Abgabenordnungsentwurf am 21. Juli 1919221. Ziel war der Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens vor der parlamentarischen Sommerpause, um die Reichsfinanzverwaltung unter Ausnutzung der augenblicklichen[LXIV] Zustimmungsbereitschaft der meisten Länder zu dem vorgezogenen Oktobertermin ins Leben treten zu lassen.

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Dok. Nr. 24.

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Dok. Nr. 25, P. 8; 28, P. 1; 30, P. 4.

Noch war die Frage offen, wie nach Erzbergers Ankündigung, anstelle eines Drittels fortan Dreiviertel des gesamtstaatlichen Steueraufkommens für das Reich in Anspruch zu nehmen, die finanzielle Lebensfähigkeit der Länder und Gemeinden gesichert werden könne. Die Länder hatten in den Verfassungsberatungen eine entsprechende Schutzklausel zu ihren Gunsten durchgesetzt und rangen mit dem Reichsfinanzminister nun um eine befriedigende Lösung des vertikalen Finanzausgleichs. Nicht daß und wie die Länder in Zukunft von ihrem bisherigen Kostgänger alimentiert würden, stand dabei im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung: Der Meinungsstreit über diesen Teil der Finanzreform legte vielmehr Urgestein der deutschen Geschichte bloß. Hinter Erzbergers Zugriff auf die Finanzertrags- und -verwaltungshoheit der Länder stand auch die erklärte Absicht, auf dem Weg über eine unitarische Finanzverfassung föderalistische Hemmnisse, die einer Entwicklung des Deutschen Reichs vom Bundes- zum Einheitsstaat entgegenstanden, abzubauen222. Die überzeugten Föderalisten unter den Ländervertretern, allen voran der Bayerische Finanzminister Speck, erhoben dagegen den Vorwurf, die beabsichtigten Maßnahmen unterhöhlten die Länderstaatlichkeit und drückten die Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften zur reinen Auftragsverwaltung herab223. Als Preußen einen einstimmigen Beschluß der Länderregierungen zur Vorbedingung für seine eigene Zustimmung zur Reichsfinanzverwaltung machte, bequemte sich der Reichsfinanzminister zu einer konzilianteren Haltung. In Leitsätzen des Reichsfinanzministeriums für ein den Finanzausgleich regelndes Landessteuergesetz wurde den Gravamina der Länder durchaus Verständnis entgegengebracht und ihre Abstellung, „soweit es mit dem gesteckten Ziel irgend[wie] vereinbar ist“, ins Auge gefaßt224. In Direktverhandlungen räumte der Reichsfinanzminister daraufhin Einsprüche der Länder durch realistische Zugeständnisse in organisatorischen Einzelfragen und mittels finanzieller Garantiezusagen aus dem Weg. Das Reichskabinett einigte sich in einer gemeinsamen Sitzung mit dem Preußischen Staatsministerium über die unitarische Lösung der Finanzverfassung225.

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Dok. Nr. 22, P. 5; 34, P. 3; 117, P. 1.

223

Dok. Nr. 24; 99, P. 6, insbesondere Anm. 11.

224

Dok. Nr. 54.

225

Dok. Nr. 34, P. 3.

Angesichts der Unmöglichkeit, die parlamentarische Beratung des Mammutentwurfs der Reichsabgabenordnung kurzfristig zum Abschluß zu bringen, trennte Erzberger einen 43 Paragraphen umfassenden Teil, der die Organisation der Finanzbehörden betraf, als eigenständigen Gesetzentwurf über die Reichsfinanzverwaltung ab. Binnen sieben Tagen, am 19. August 1919, erreichte er dessen Verabschiedung und damit sein unmittelbares politisches Ziel: die seine eigene Amtszeit, die Weimarer Republik und das nationalsozialistische Regime überdauernde Durchsetzung einer Steuerexekutive, die das gesamte[LXV] administrative Gefüge des Staates bis hinab in die Lokalebene in einheitlicher Weise umfaßte226.

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Das Ges. geht ohne wesentliche Änderungen wieder als erster Teil in die zwischenzeitlich in ihrer Gesamtheit angenommene RAO vom 13.12.1919 ein (RGBl. S. 1393 ). Siehe dazu auch Dok. Nr. 34, Anm. 15.

Nachdem die Länder damit einen wichtigen Trumpf aus der Hand gegeben hatten, fruchteten ihre Proteste gegen die Fortsetzung des bislang geübten Eilverfahrens bei der Behandlung des Finanzausgleichs nichts mehr. Selbst seine frühere Zusage, den Ländern und Gemeinden über eine prozentuale Beteiligung an einzelnen Reichssteuern hinaus gewisse Mindestbezüge zu garantieren, wagte der Reichsfinanzminister im November 1919 wieder zurückzuziehen227. Das Gesetzgebungsverfahren blieb demzufolge schwierig und langwierig; dennoch konnte es am 11. März 1920 erfolgreich abgeschlossen und das Landessteuergesetz als Schlußstein in das mit dem Namen Erzberger verknüpfte Reformwerk eingefügt werden. Es erscheint erstaunlich, daß der Reichsfinanzminister bereits am folgenden Tag vorzeitig aus dem Amt schied. Vordergründig betrachtet hatte die Reichsfinanzreform mit diesem Rücktritt nichts zu tun. Betrachtet man allerdings den dritten Teil des Reformwerks, die Steuergesetzgebung des scheidenden Ministers, näher, dann sind Bezüge zu der seinen Rücktritt unmittelbar bedingenden Rufmordkampagne nicht von der Hand zu weisen228.

227

Dok. Nr. 104.

228

Zum Gesamtzusammenhang s. Dok. Nr. 49, P. 8; 56, P. 9; 183, Anm. 3 und 4.

Bereits in den ersten Wochen nach seiner Amtseinführung hatte Erzberger parallel zur Verwaltungsreform den Ausbau der Steuereinnahmen des Reichs betrieben. Zu dem ersten, im September 1919 verkündeten Bündel von neuen Steuergesetzen gehörten die Tariferhöhungen bei verschiedenen Verbrauchssteuern, die dem Reich, noch bevor die Gesamtreform abgeschlossen war, nicht geringe Mehreinnahmen bescherten. Im Kabinett kamen diese und andere Steuereinzelmaßnahmen nur im Rahmen der Darstellung zur Sprache, die der Reichsfinanzminister am 3. Juli 1919 zusammenfassend über die Gestaltung seiner Reformvorhaben vortrug229. Die geplante Erhöhung der Umsatzsteuer, insbesondere die damit verbundene Verteuerung der Lebensmittel rief angesichts der gleichzeitigen Anstrengungen, die das Reichskabinett zur Sicherstellung des Ernährungsbedarfs der Bevölkerung unternahm, die Kritik des Reichsministerpräsidenten und des Reichsernährungsministers hervor. „Ohne Scheu vor dem Schlagwort der Volksfeindlichkeit der indirekten Besteuerung“ rechtfertigte der Reichsfinanzminister dagegen seinen Umsatzsteuergesetzentwurf damit, daß die deprimierende Finanzlage des Reichs es unabweisbar mache, „jeden Haushalt, und sei seine Steuerkraft noch so klein, zu erfassen“. Als Gegengewicht sah die Vorlage den weitreichenden Ausbau der schon bestehenden Luxusartikelbesteuerung vor230. Damit wollte Erzberger, wie er bei der Darlegung seiner Anschauungen über Steuergerechtigkeit bekannte, deutlich machen, daß die Steuerlast im wesentlichen auf den „leistungsfähigen Schultern“ der „besitzenden Klassen“ ruhen solle. Von der die Gesamtbevölkerung[LXVI] treffenden indirekten Besteuerung erwartete er 40% des Steueraufkommens; den größeren Teil der Erträge versprach er sich von den seiner Ansicht nach nur die wohlhabenden Bevölkerungskreise spürbar treffenden direkten Steuern231. In diesem Sinne hatte er die Durchsetzung einer großen Vermögensabgabe, des sogenannten Reichsnotopfers, zur Vorbedingung der Übernahme des Ministeramts gemacht. Zusammen mit der scharfen Erfassung der Kriegsgewinne durch zwei die Kriegssteuergesetzgebung abschließend regelnde Gesetzentwürfe sollte das Reichsnotopfer als einmalige Vermögenssubstanzsteuer finanzpolitisch dem Abtrag der schwebenden Reichsschuld, sozialpolitisch aber vermögensnivellierend und damit ausgleichend auf das überkommene Sozialgefüge wirken232.

229

Dok. Nr. 12, P. 9; 26, Anm. 13.

230

Dok. Nr. 22, P. 2.

231

Dok. Nr. 104.

232

Dok. Nr. 11; 22, P. 1.

In einer weiteren Gesetzgebungsaktion bemühte sich Erzberger, mit der Einkommensteuer die entscheidende direkte Steuer in die Hand zu bekommen. Die bis dahin geltenden 26 Einkommensteuergesetze der Länder sollten durch gemeinsame Bestimmungen über eine Reichseinkommensteuer ersetzt und durch Gesetze über eine Kapitalertrags- und eine Körperschaftssteuer ergänzt werden233. Ziel der Einkommensteuerreform sollte es einerseits sein, auf dem Weg über die Steuergesetzgebung einen tragfähigen Balken in das Gebäude der Reichseinheit einzuziehen, indem mit den von Land zu Land variierenden Bestimmungen über Steuersubjekte, Bemessungsgrundlagen und Steuertarife aufgeräumt wurde. Andererseits spiegelte das Anziehen der Steuerschraube den enormen Finanzbedarf wider, wenn beispielsweise der frühere preußische Einkommensteuerhöchstsatz von 4% um das Fünfzehnfache auf den neuen Höchstsatz von 60% angehoben wurde234. Als der Reichsfinanzminister schließlich den Gedanken vortrug, alle Steuerpflichtigen, die über ein sehr hohes Einkommen konsumptiv verfügten, darüber hinaus auch noch einer Besteuerung des sogenannten übermäßigen Verbrauchs zu unterwerfen, stieß Erzberger an die Grenzen der zumutbar erscheinenden Belastbarkeit und damit nicht nur bei der wachsenden Schar seiner plutokratischen Widersacher, sondern auch in den Reihen der Regierungsparteien und im Reichskabinett auf ernsthaften Widerspruch235.

233

Dok. Nr. 103, P. 1; 138, P. 4.

234

Dok. Nr. 103, P. 1.

235

Dok. Nr. 138, P. 5.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob denn wohl die Regierung Bauer eine angemessene Vorstellung von den Auswirkungen der Erzbergerschen Finanz- oder Steuerpolitik auf die übrigen Bereiche des öffentlichen Lebens hatte oder gar haben konnte. Zu prüfen bleibt, inwieweit diese Politik geeignet war, den eingangs geschilderten inflationären Tendenzen entgegenzuwirken und den wirtschaftlichen Ausnahmezustand überwinden zu helfen. Beginnt man die Suche nach einer Antwort im Bereich der Steuerpolitik, dann läßt sich feststellen, daß die in der Gesetzesvorlage über das Reichsnotopfer vorgesehene, bei zunehmender Geldentwertung den Steuerzweck vereitelnde Stundung der[LXVII] Steuerzahlung zwar im Reichskabinett umstritten war, die Kontrahenten, Reichsschatzminister Mayer und Reichsfinanzminister Erzberger, aber in ihrer Auseinandersetzung nicht erkennen ließen, daß sie die inflationshemmende Wirkung der Entnahme großer Mengen Papiergeldes aus dem Umlauf zur Tilgung schwebender Schulden finanztechnisch richtig einzuschätzen verstanden236. Die von Erzberger wiederholt abgegebenen Einnahmen- und Ausgabenschätzungen gingen, soweit ersichtlich, von einem stabilen Binnenwert der Mark aus. Unter Ausklammerung der noch ungewissen Reparationslasten glaubte er, die Budgetschere allein auf dem Steuerweg schließen zu können237. Angesichts der nach seinen eigenen Worten „bisher für fantastisch gehaltenen Höhe“ der Besteuerung238 verwundert es demgegenüber nicht, daß sich allen Strafandrohungen zum Trotz das Kapital durch Abwanderung dem konfiskatorischen Zugriff des Staates zu entziehen suchte. Damit erfuhr die Talfahrt des im Sinken begriffenen Außenwertes der Mark zusätzliche Impulse. Im allgemeinen wurde die Wurzel des Übels in der Passivität der eigenen Handels- und Zahlungsbilanz gesehen. Aufbauend auf dieser – unzureichenden – Diagnose, strebte das Kabinett Bauer weniger mit währungstechnischen, als vielmehr mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen eine Stabilisierung der Wechselkurse an. Abgesehen von einer kurzfristigen Stabilisierung des Außenwertes der Mark im Frühjahr 1920 liefen diese Heilungsversuche, auf die im folgenden Abschnitt noch einzugehen sein wird, so lange auf ein Kurieren der inflationären Symptome hinaus, wie es nicht gelang, durch eine wirksame Anhebung der steuerfinanzierten Quote der Staatsausgaben einen wesentlichen Krankheitsherd auszubrennen.

236

Dok. Nr. 22, P. 1.

237

Dok. Nr. 104.

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Dok. Nr. 17.

Das überhohe Ausgabenniveau und die bis zum Eingang der erwarteten Steuermehreinnahmen vergehende Zeit zwangen das Reich, seine Finanzierungsprobleme wie bisher mit Hilfe des Kredits zu lösen. Mehrfach bemühte sich das Reichskabinett, den Anleiheweg zu beschreiten. Es scheute dabei vor für das Publikum ungewohnten Anleiheformen und selbst vor dubiosen Mittelsmännern nicht zurück, wenn es darum ging, unerreichbar scheinende Auslandskredite zu erlangen239. Allen Bemühungen zum Trotz waren ins Gewicht fallende Einnahmen damit nicht zu erzielen. Der wesentliche Teil der Reichsausgaben mußte weiterhin durch die Diskontierung von Schatzwechseln bei der Reichsbank gedeckt und, da die schwebende Schuld nur etwa zur Hälfte außerhalb der Reichsbank untergebracht werden konnte, das Geldvolumen durch Banknotendruck weiter aufgebläht werden. Noch vor Ablauf der Amtszeit des Reichsfinanzministers erwiesen sich somit vor allem dessen Steuerreformarbeiten als ungeeignet, die Inflation aufzuhalten. Die „den Anschein des Kapitalreichtums erweckende Vermehrung des Papiergeldumlaufs“ täusche das deutsche Volk über die tatsächlich eingetretene Verarmung hinweg; die Täuschung werde bald verschwinden, „und das Ende muß ein furchtbares sein, wenn nicht[LXVIII] in letzter Stunde zu rettenden Taten geschritten wird“, appellierte schließlich das Reichsbank-Direktorium an den Reichskanzler. Wie auch in anderen Bereichen wurde das Kabinett Bauer der währungspolitischen Sanierungsaufgabe zwangsweise enthoben. Auf dem Vorlagevermerk einer diesbezüglich in Aussicht genommenen Eörterung notierte Geheimrat Brecht: „In den Kapptagen verkramt“240.

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Dok. Nr. 43, P. 2; 47, P. 1; 49, P. 2; 72, P. 6; 117, P. 5; 138, P. 1; 151, P. 2; 181, P. 2; 184, P. 8.

240

Dok. Nr. 157, insbesondere Anm. 4.

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