1.98 (bru2p): Nr. 350 Aufzeichnung des Staatssekretärs v. Bülow über eine Unterredung des Reichskanzlers und des Reichsaußenministers mit dem Amerikanischen Botschafter am 30. Juni 1931.

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Nr. 350
Aufzeichnung des Staatssekretärs v. Bülow über eine Unterredung des Reichskanzlers und des Reichsaußenministers mit dem Amerikanischen Botschafter am 30. Juni 1931.

Nachlaß Pünder Nr. 90, Bl. 47–531

1

Laut Verteiler war diese Aufzeichnung für die Reichskanzler bestimmt.

Ganz geheim!

Der Amerikanische Botschafter suchte am 30. Juni mittags den Herrn Reichskanzler auf, der ihn in Gegenwart des Herrn Reichsaußenministers empfing und teilte ihm über den Stand der Verhandlungen Mellons2 in Paris folgendes mit:

2

Andrew Mellon, amerik. FM, der ursprünglich eine Urlaubsreise geplant hatte (Telegramm Graf Bernstorffs, Nr. 224 vom 21.6.31 im Pol. Arch. AA W Rep. Friedensvertrag Allg. 21, Die Frage einer Revision des Young-Plans Bd. 10), verhandelte seit dem 25.6.31 in Paris über die Annahme des Hoover-Moratoriums (Schultheß 1931, S. 495).

Es sei nach wie vor in Aussicht genommen, daß Deutschland 500 Millionen Mark als unaufschiebbaren Teil der Young-Annuität in die BIZ einzahle. Von diesem Betrage sollten 80% an Deutschland zurückgeliehen werden, die übrigen 20% an andere notleidende Staaten Mitteleuropas. Ihm – Sackett – sei freilich der Gedanke gekommen, den er Mellon mitteilen wolle, daß es zweckmäßig sei, die Einzahlung auf ein Sonderkonto vorzunehmen, damit die Rückzahlung an Deutschland für Budgetzwecke möglich sei, da bekanntlich die BIZ Kredite an Regierungen nicht geben dürfe. Was den Rückzahlungsmodus anlange, so schlügen die Franzosen vor, daß die Rückzahlung zu je einem Drittel 1934, 1935 und 1936 erfolge. Es werde zur Zeit darüber verhandelt, die Rückzahlung unter Umständen um 5 Jahre und dann nochmals um 5 Jahre hinauszuschieben. Präsident Hoover sei von einer Rückzahlung nach 35 Jahren ausgegangen und Mellon sei bereit gewesen, den Franzosen bis 25 Jahre entgegenzukommen. Eine Einigung über diesen Punkt sei noch nicht erzielt. Die französische Fristsetzung sei deshalb den Amerikanern sehr unbequem, weil sie die gleiche Rückzahlungsfrist für alle Schuldner ins Auge fassen wollten, und nunmehr die Rückzahlung entsprechend den französischen Forderungen vorverlegt werden müßte.

[1257] Über Sachlieferungen wußte der Botschafter nichts Neues zu berichten. Er ging davon aus, daß die Durchführung von Sachlieferungen während des Feierjahres in unser Ermessen gestellt sein solle3. Über politische Bedingungen, die seitens der Franzosen gestellt würden, wußte er nichts und konnte ebenfalls keine Auskunft über die französische Forderung geben, daß die Rückzahlung der 500 Millionen im Falle der Erklärung eines Young-Moratoriums sofort erfolgen solle.

3

Hoesch hatte am 29. 6. aus Paris berichtet, daß Mellon wegen der Beseitigung aller Sachlieferungsverpflichtungen keine Schwierigkeiten mehr sehe (Telegramm Nr. 693 vom 29.6.31, Pol. Arch. AA WRep. Friedensvertrag Allg. 21, Die Frage einer Revision des Young-Plans, Bd. 12).

Der Herr Reichskanzler legte dem Botschafter eingehend die Bedeutung der letzteren Frage für uns dar. Der Botschafter faßte seine Ausführungen dahin zusammen, daß die Verhandlungen in Paris sich festgezogen hätten, und daß seine Regierung uns um technische Vorschläge bitte, die geeignet wären, eine praktische Lösung zu ermöglichen und die Verwirklichung des Hoover-Planes sicherzustellen.

Am Abend erschien der Botschafter wieder beim Herrn Reichskanzler und bestätigte auf Grund inzwischen erfolgter Telefongespräche mit Mellon, daß die Sachlieferungen während des Feierjahres ganz in unser Ermessen gestellt bleiben sollten. Über den Rückzahlungsmodus der 500-Millionen-Einzahlung berichtete er dasselbe wie am Vormittag. Was die Fälligkeit und den Garantiefonds anlange, so stehe Mellon nach wie vor auf dem Standpunkt, daß die Zahlungen Deutschland zugute kommen müßten, ein Standpunkt, den Frankreich nicht annehme. Mellon wollte versuchen, Sacketts Anregung der Einzahlung auf ein Sonderkonto zu verwerten. Über die Rückzahlungsfristen berichtete der Botschafter dasselbe wie am Vormittage. Falls der Young-Plan befriedigend funktioniere, sei Frankreich bereit, einem Antrage auf Verlängerung der Rückzahlungsfristen um 5 und nochmals 5 Jahre wohlwollende Berücksichtigung zuteil werden zu lassen. Bezüglich der 20%, die andere notleidende Staaten Mitteleuropas erhalten sollten, sei Mellon optimistisch, er glaube, diesen Wunsch Frankreichs ablehnen zu können, weil andere Hilfsmittel für diese Staaten z. B. durch Eingreifen der Zentralnotenbanken möglich seien.

Was die von Frankreich verlangte Moratoriumssperre während der Rückzahlungsperiode anlange, so habe er festgestellt, daß diese von Frankreich nicht verlangt worden sei, wohl aber die sofortige Fälligkeit der 500 Millionen im Falle der Erklärung eines Moratoriums.

In Beantwortung der Frage des Botschafters vom Vormittage nach einem Ausweg aus den Schwierigkeiten der Pariser Verhandlungen teilte der Herr Reichskanzler dem Botschafter folgenden Vorschlag zur Erwägung und Weitergabe an Mellon bzw. an die Amerikanische Regierung mit. An Stelle der Einzahlung in die BIZ von 500 Millionen Mark übergebe Deutschland Frankreich gewöhnliche Schuldverschreibungen in Höhe der französischen unaufschiebbaren Annuität von 457,8 Millionen Mark, tilgbar in jährlichen Raten vom[1258] 1. April 1933 bis 1. April 1958. Dieses Verfahren habe den Vorteil, die Rückkreditierung an Deutschland unnötig zu machen und Frankreich einen Betrag in die Hand zu geben, den es verwenden könne, um seiner Verpflichtung zur Auffüllung des Garantiefonds nachzukommen. Der Botschafter stellte sogleich die Frage nach Sicherheiten für diese Schuldverschreibungen. Es wurde ihm erwidert, besondere Sicherheiten seien hierfür ebensowenig vorgesehen wie für die Kredite, die Deutschland auch nach französischer Absicht aus seiner Einzahlung von 500 Millionen erhalten solle. Habe der Hoover-Plan Erfolg, so würde der wirtschaftliche Aufschwung und das neugewonnene Vertrauen den Wert der Schuldverschreibungen so sehr erhöhen, daß sie wahrscheinlich kommerzialisierbar werden würden.

Der Herr Reichskanzler brachte seinerseits die Frage auf politische Bedingungen. Es sei ihm zu Ohren gekommen, daß die Aufgabe der Zollunion und der Verzicht auf den Bau des Panzerkreuzers B uns nahegelegt werden sollte4. Beide Forderungen seien unerfüllbar. Der Botschafter wußte nichts von einem Verzicht auf die Zollunion, bekannte aber, daß der Verzicht auf den Bau des Panzerkreuzers B einer Anregung von Washington entspreche. Man verspreche sich hiervon allerhand, da dieser Panzerkreuzerbau so großes Aufsehen erweckt habe. Der Herr Reichskanzler setzte dem Botschafter auseinander, daß der Verzicht auf den Panzerkreuzerbau für uns völlig undenkbar sei. Wir blieben mit diesem Bau innerhalb der Bestimmungen des Versailler Vertrages, der unsere Rüstung auf das geringste Maß festgelegt habe, das unsere Gegner sich hätten vorstellen können. Der Panzerkreuzer diene als Ersatz für ein Schiff, das bereits 35 Jahre alt sei. Es sei undenkbar, daß Deutschland auf die geringen Schutzmittel verzichte, die ihm der Versailler Vertrag gelassen habe. Außerdem wies mit Betonung der Herr Reichskanzler darauf hin, daß der Panzerkreuzer bekanntlich eine innerpolitische Streitfrage in Deutschland geworden sei, und daß der Verzicht auf seinen Bau die ganze Atmosphäre der Befriedung und Beruhigung, die der Hoover-Plan herbeiführen solle, zunichte machen würde. Weite Kreise würden sich in schärfste Opposition zur Regierung begeben, und der Herr Reichspräsident würde seine Zustimmung sicherlich versagen. Schließlich sei auch diese Forderung sachlich ungerechtfertigt. Der Bau dieser Schiffe gehe ungeheuer langsam vor sich: er dauere sechs Jahre, und die jährliche Rate im Budget betrage nur 9 Millionen Mark. Der Botschafter verschloß sich diesen Ausführungen nicht.

4

Vgl. Dok. Nr. 349, Anm. 2.

Schließlich erklärte der Botschafter, es sei mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Verhandlungen Mellons in Paris scheiterten. Er bitte den Herrn Reichskanzler im Auftrage Hoovers, und nur für diesen und seine engsten Mitarbeiter bestimmt, um Beantwortung der Frage, was Deutschland dann tun werde. Ob Deutschland sofort das Young-Moratorium erklären werde, ob Deutschland das Young-Moratorium bis zum 15. Juli erklären werde, ob Deutschland jetzt oder zum 15. Juli alle Zahlungen einstellen werde. Der Herr Reichskanzler erwiderte, wenn der Hoover-Plan sich nicht verwirklichen ließe, würde Deutschland[1259] sofort ankündigen, daß es zum 15. Juli das Moratorium erklären werde. Was die Frage der allgemeinen Zahlungseinstellung anlange, so lasse sich diese Frage nicht beantworten, sie hänge vom Devisenbestand der Reichsbank ab. Die Aussichten für eine Fortführung der allgemeinen Zahlungen seien gering. Von den 400 Millionen Rediskontkredit, den die Reichsbank erhalten habe, sei bereits die Hälfte durch Devisenabflüsse der letzten Woche aufgezehrt5.

5

S. Dok. Nr. 361, Anm. 3. Zur Unterredung vgl. auch das Telegramm Sacketts an Castle vom 30.6.31 in FRUS 1931 I, S. 112 .

Bülow

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