2.19.1 (feh1p): [Entwaffnungsforderungen der Alliierten]

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[Entwaffnungsforderungen der Alliierten]1

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In der Konferenzsitzung vom 8.7.1920 hatten die Alliierten die dt. Wünsche in der Entwaffnungsfrage beantwortet. Lloyd George hatte der dt. Delegation ein Schriftstück übergeben, in dem die all. Entwaffnungsforderungen mitgeteilt wurden. Gefordert wurden: die sofortige Entwaffnung der Einwohnerwehren und der Sicherheitspolizei, gesetzgeberische Maßnahmen zur Entwaffnung der Zivilbevölkerung, die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, der Aufbau des Heeres auf der Grundlage langfristiger Dienstzeit, die Auslieferung des überzähligen Kriegsmaterials und die Durchführung der noch nicht erfüllten Marine- und Luftfahrtklauseln des Friedensvertrages.

Dafür erklärten die Alliierten sich zu folgenden Zugeständnissen bereit: Die Frist für die Heeresverminderung auf 150 000 Mann sollte bis zum 1.10.1920, die auf 100 000 Mann bis zum 1.1.1921 verlängert werden; ferner durften in der neutralen Zone bis zum 1.10.1920 Truppen stationiert bleiben, um die Waffen einzusammeln; schließlich sollten alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um den Waffenschmuggel aus dem besetzten Gebiet nach den anderen Teilen Dtld. zu verhindern.

Für bestimmte Verstöße gegen diese Bestimmungen waren Sanktionen vorgesehen; die Alliierten drohten, in diesen Fällen zu einer weiteren Besetzung dt. Gebietes zu schreiten.

Zum Abschluß hatten die Alliierten erklärt, daß diese Forderungen in ein Entwaffnungsprotokoll aufgenommen werden sollten, das auch von der dt. Delegation unterzeichnet werden sollte. Auf Drängen der dt. Delegation, die zuvor noch mit Berlin Verbindung aufnehmen wollte, wurde die Unterzeichnung auf den 9.7.1920 angesetzt.

Zum brit. Text der Entwaffnungsforderungen vgl. DBFP, 1st Series, Vol. VIII, p. 470 f.; zum dt. Text s. die paraphrasierende Fassung der all. Forderungen in der RT-Drucks. Nr. 187, Bd. 363, S. 11 .

Unmittelbar im Anschluß an die Sitzung hatte der RK den Text der all. Entwaffnungsforderungen nach Berlin übermitteln lassen. RIM Koch erhielt den Auftrag, sofort den RPräs., den Hauptausschuß des RT, den RR, die in Berlin verbliebenen Mitglieder des Kabinetts und die Parteiführer zu informieren und ihre Stellungnahme zu den Forderungen einzuholen (Nachlaß Koch-Weser  27, Bl. 181 u. 207 f.).

Wenig später sandte der RK ein zweites Telegramm, in dem er bat, keine Entschließungen zu fassen, sondern nur das Ergebnis der Besprechungen nach Spa mitzuteilen. Die Entscheidung müsse allein der Delegation in Spa überlassen bleiben, da nur sie in der Lage sei, die Sachlage genau zu beurteilen (Nachlaß Koch-Weser  27, Bl. 205).

Am 8. Juli 1920, abends 9.30 Uhr, fand unter Vorsitz des Ministers Koch eine Besprechung der Reichsminister mit den Preußischen Ministern und den Parteiführern statt.

 

Ministerpräsident Braun erblickt in dem Verlangen der Entwaffnung der[49] Sicherheitspolizei ihre Beseitigung. Anders würde es liegen, wenn die Sicherheitspolizei gemäß Note vom 22. Juni behandelt werden sollte2.

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Die Note vom 22.6.1920 hatte eine Auflösung der Sicherheitspolizei innerhalb von drei Monaten gefordert (RT-Drucks. Nr. 187, Bd. 363 , Anlage 5). In dem am 8.7.1920 übergebenen Schriftstück dagegen hatten die Alliierten lediglich die sofortige Entwaffnung der Sicherheitspolizei verlangt. Siehe o. Anm. 1.

Minister Koch bemerkt, daß wegen dieser Frage eine Rückfrage nach Spa gesandt sei3.

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Zuvor hatte um 21 Uhr in der Rkei eine Ministerratssitzung über die Entwaffnungsforderungen der Alliierten stattgefunden. Dabei war u. a. beschlossen worden, bei der dt. Delegation in Spa die Anfrage zu stellen, was unter Entwaffnung der Sicherheitspolizei zu verstehen sei (R 43 I /405 , Bl. 226).

Abg. Müller: Es müsse durch Rückfrage Klarheit geschaffen werden, wie das neue Verlangen sich zur Note vom 22. Juni verhalte. Man würde um Konzessionen in der Frage der bewaffneten Macht nicht herumkommen.

Abg. Hergt: Angesichts der inneren Lage und der Lage im Osten bedeutet die Forderung eine unerträgliche Schwächung der deutschen Kraft. Seine Partei würde die ernstesten Bedenken hegen, die gestellte Forderung zu erfüllen.

Abg. Crispien: Die wirtschaftlichen Verhandlungen dürften an den militärischen nicht scheitern. Reichswehr und Sicherheitspolizei müßten aufgelöst werden.

Minister Koch: Die Regierung müsse dafür sorgen, daß Deutschland nicht völlig wehrlos würde.

Abg. Burlage hat die schwersten Bedenken gegen die Herabsetzung der Reichswehr. Man müsse mit Putschen des bewaffneten Radikalismus rechnen.

Abg. Ledebour: Konzessionen seitens der Gegner würden nicht gemacht werden. Das Schreiben sei ein Ultimatum. Die Entente würde zur Besetzung des Ruhrreviers und anderer Teile Deutschlands schreiten, wenn nicht nachgegeben würde. Auch die Deutschnationalen würden deshalb keinen Krieg führen wollen.

Abg. Müller glaubt nicht an Konzessionen in der Frage der Reichswehr, hält sie aber in der der Sicherheitspolizei für möglich. Die Drohung mit dem Ruhrrevier finde im Friedensvertrag keine Stütze. Man dürfe aber an der Entwaffnungsfrage nicht die ganze Verhandlung scheitern lassen.

Rießer: Die Ostfrage spiele bei der Entwaffnung eine große Rolle. Außerdem drohe im Innern eine Gefahr von links. Er glaube nicht, daß wir in Wirtschaftsfragen besser behandelt werden, wenn wir in Militärfragen nachgäben. Die Drohung mit Besetzung deutscher Landesteile habe keine Stütze im Friedensvertrag und sei unannehmbar.

Abg. Schiffer: Die Mitteilung der Entente sei in Wirklichkeit ein Ultimatum. Wir dürften nichts unterschreiben, was wir nicht halten könnten, und die gestellte Forderung könnten wir auch nicht erfüllen.

 

Ministerpräsident Braun: Nur die legale Macht dürfe Waffen tragen, alles andere sei zu entwaffnen. Wenn wir keine ausreichende bewaffnete Macht4 hätten, so könnten wir wirtschaftlich nichts versprechen. Wir könnten uns[50] dann gegen Plünderung usw. nicht wehren. Bei Hamborn hätten sogar kommunistische Führer vor den Ausschreitungen der Roten Armee flüchten müssen.

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Hier findet sich die handschr. Notiz MinR Kempners: „Sicherheitspolizei“ (R 43 I /405 , Bl. 237).

Abg. Helfferich: Das Dokument sei geschickt abgefaßt und vermeide absichtlich die Form eines Ultimatums. Es habe äußerlich die Form eines Angebots, gehe aber über die der Entente im Friedensvertrag gegebenen Rechte, insbesondere mit der Drohung des Einmarsches, weit hinaus. Es enthalte Bedingungen, deren Erfüllung nicht in unserer Macht stände. Unterschreiben wir, so ist der Einmarsch erleichtert; unterschreiben wir nicht, so würden sich die Gegner vielleicht mit Rücksicht auf das Völkerrecht und den Friedensvertrag den Einmarsch überlegen. Durch unsere Unterschrift unter die Forderung der Entwaffnung lieferten wir uns auch in wirtschaftlichen Fragen dem Gegner völlig aus.

Minister Koch: Laut Friedensvertrag betrifft die Anwendung weiterer Maßnahmen nur die Wiedergutmachung5.

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Nach den §§ 17 und 18 der Anlage II zu Teil VIII VV waren die Alliierten berechtigt, gewisse Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, falls Dtld. vorsätzlich den Wiedergutmachungsverpflichtungen des Vertrages nicht nachkommen sollte.

Abg. Kahl schlägt vor, evtl. Vorbehalte zu machen: 1. eine Änderung vorzunehmen, falls Unruhen im Reiche ausbrechen; 2. falls das polnische Schicksal für Preußen gefährlich wird.

Abg. Bauer: Die Bedingung, daß weitere Besetzung erfolgen kann, ist unannehmbar. Bei der Note über Scapa Flow, die ein ähnlicher Fall war, haben wir mit Erfolg abgelehnt6. Nach Annahme der Note in der jetzigen Form kann die Entente ja einrücken, wenn auch nur einer noch unbefugt Waffen trägt. Wenn diese Bestimmung wegfällt, läßt sich über die Sache reden.

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Zum dt.-all. Notenwechsel über Scapa Flow vgl. Schultheß 1919, II, S. 601/602, 604/605, 610/611, 612/613.

Reichsminister Koch faßt zum Schluß zusammen7: Es wurden von der überwiegenden Mehrheit schwere Bedenken gegen die Annahme der Forderung geäußert. Einmütigkeit herrscht jedoch darüber, daß es sich bei der Drohung mit dem Einmarsch um einen Gewaltakt handelt. Die Drohung mit dem Einmarsch entbehre jeder Rechtsbasis. Wir seien nicht in der Lage, alles zu übersehen, und müßten daher den Ministern in Spa die Entscheidung überlassen8.

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Während der Sitzung war ein drittes Telegramm aus Spa eingetroffen, in dem mitgeteilt wurde, daß sämtliche Minister in Spa nachgeben wollten. RIM Koch entschloß sich, dies Telegramm den Teilnehmern der Besprechung nicht mehr bekanntzugeben (Nachlaß Koch-Weser  27, Bl. 183).

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Anschließend sandte RIM Koch zwei Telegramme an die dt. Delegation nach Spa. Das erste Telegramm lautete: „Alle Parteien, ausgenommen die Unabhängigen, haben gegen Bedingungen schwere Bedenken. Sämtliche Kabinettsmitglieder und Führer aller Parteien bezeichneten die Strafklausel, betreffend Besetzung dt. Gebietes, als Gewaltakt, der Friedensvertrag übertrifft und bei Scapa Flow aus gleichen Gründen abgelehnt ist. Auch Bauer, Hermann Müller, Ministerpräsident Braun brauchten hier das Wort ‚unannehmbar‘. Doch wird Entscheidung nach Ansicht aller der Delegation überlassen.“ Im zweiten Telegramm erläuterte Koch die abweichende Haltung der Unabhängigen. Es hieß dort: „Die Unabhängigen ließen in den Verhandlungen klar erkennen, daß man die Waffen nicht aus den Händen der Linksradikalen würde herausbringen können. Wie im Reichstag Clara Zetkin forderten sie Bewaffnung des Proletariats und Beseitigung der Reichswehr.“ (Nachlaß Koch-Weser , 27, Bl. 225).

Unabhängig davon sandte MinR Brecht am 9. 7. ein Telegramm nach Spa an StS Albert, in dem er die parlamentarischen Stimmverhältnisse erläuterte, die bei der Ablehnung oder Annahme der Sanktionsklausel im einzelnen zu erwarten waren. Das Telegramm lautete: „Nach meinem persönlichen Eindruck würde die Regierung sowohl im Falle der Ablehnung wie der notgedrungenen Annahme der Strafklausel eine Mehrheit der Parteien hinter sich haben, und zwar bei der Ablehnung außer Rechtsparteien und Demokraten wohl auch Zentrum und Mehrheitssozialisten, im Falle der notgedrungenen Annahme außer Unabhängigen mindestens auch Mehrheitssozialisten und Zentrum. Auch Demokraten und mindestens ein Teil der Deutschen Volkspartei würde sich abfinden. Letzteres erklärte insbesondere v. Raumer. Hauptsache ist, daß die Führung dort bleibt.“ (R 43 I /405 , Bl. 243).

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