2.239 (feh1p): Nr. 239 Tagebuchaufzeichnung des Reichsinnenministers Koch über die Kabinettssitzung vom 23. April 1921, 17 Uhr

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[652] Nr. 239
Tagebuchaufzeichnung des Reichsinnenministers Koch über die Kabinettssitzung vom 23. April 1921, 17 Uhr

Nachlaß Koch-Weser 27, Bl. 461–463

[Betrifft: Beratung der Note an die Vereinigten Staaten]1

1

Zur Vorgeschichte dieser Kabinettssitzung s. Dok. Nr. 238, bes. Anm. 2.

Nun, 5 Uhr, Kabinett. Simons will jetzt eine Summe2. Aber nur die 50 Milliarden Anfangswert, nicht die 200 Milliardenleiter an Annuitäten3. Innerpolitische Bedenken dagegen, wie heute morgen überhaupt gegen eine Summe. Aber außenpolitisch wäre das unendlich viel besser. Inzwischen ist bekannt geworden, daß England hat sagen lassen, daß es die Vermittlung Amerikas gern sieht. Harding hat nach dem „Oeuvre“ erklärt, daß er sich nicht als Briefbote, sondern als Vermittler fühlt und den Einmarsch ins Ruhrgebiet für höchst bedenklich hält. Es steht alles so gut wie möglich. Unverdient günstig. Wenn wir nur wüßten, was wir wollten. – Da Raumer wieder den Gedanken aufnimmt, „Vorfühlung“ zu suchen, schlägt plötzlich Simons vor, er wolle beim Botschaftsrat Wilson4 anfragen, ob er eine feste Summe für möglich hält oder nicht. Welche feste Summe werde Wilson nicht wissen. Solche Fühlung hält alles für überflüssig5. Raumer kommt auf die weitergehende Fühlung zurück. Aber Simons erklärt, er könne sie in [so] kurzer Zeit nicht nehmen. Fehrenbach ist gegen Fühlung, weil Harding nur eine zu hohe Summe herausholen werde. – Ich betone, daß ein Angebot von 200 Milliarden Annuitätenwert nicht mehr ist, aber nach viel mehr aussieht. Im Inland vergleicht man Gegenwartswert und Annuitätenwert, im Ausland erwartet man etwas ganz Neues. Eventuell soll man beide Angebote, die finanziell gleichwertig gemacht werden können, nebeneinander machen. – Kein Mensch, der Annuitätenwert und Gegenwartswert[653] rechnerisch vergleichen kann. Wie sehr fehlt dem Kabinett doch das nötige Handwerkszeug! Ein Haufen Menschen, [der] nichts von Technik weiß. – Ich beschwöre Simons nochmals, nicht aus innerpolitischen Gründen ein außenpolitisch aussichtsreiches Angebot abzulehnen, und als er sich weigert, wenigstens erst die Parteiführer der Koalition zu hören. Das wird beschlossen, nachdem Simons erst unbedingt, dann unter Erbittung einer Überlegungsfrist seine Geneigtheit ausspricht, seine letzte Entscheidung vom Gutachten der Sachverständigen abhängig zu machen6.

2

In einer Kabinettssitzung am frühen Nachmittag des 23. 4. (14.30 Uhr) hatte Simons zunächst geäußert, daß er kein festes Angebot machen wolle; vielmehr wolle er sich einem Sachverständigenkolleg unterwerfen. Dies solle als eine vorläufige Anfrage angesehen werden, und man könne auf Verlangen immer noch Ziffern nennen. Im Kabinett waren dagegen jedoch schwere Bedenken erhoben worden (Nachlaß Koch-Weser  27, Bl. 461).

3

Bei den Überlegungen über das neue Reparationsangebot unterschied man auf dt. Seite zwischen dem Gegenwartswert der Zahlungen, der 50 Mrd. GM betragen sollte, und dem Annuitätenwert, der in noch zu vereinbarenden Jahreszahlungen bis zu dem Gesamtbetrag von 200 Mrd. GM geleistet werden sollte. Siehe dazu auch C. Bergmann, Der Weg der Reparation, S. 98.

4

Botschaftsrat Wilson war der Stellvertreter des amerik. Bevollmächtigten Dresel in Berlin.

5

Bereits unter dem Datum des 23. 4. hatte RIM Koch zustimmend eine Äußerung des RSchM v. Raumer zitiert, der von Simons gesagt hatte, er wechsle nur Schriftsätze, nehme aber nicht vorher Fühlung (Nachlaß Koch-Weser  27, Bl. 459).

6

Über die Sitzung mit den Parteiführern der Koalition notierte RIM Koch am 24. 4.: „Gestern abend Einigung mit drei Koalitionsparteien. In erster Linie Gegenwartswert, daneben Annuitätenangebot. Weiter ist Simons nicht zu bringen. Annuitäten nicht nach Jahresleistung angeboten, sondern, da Simons nicht anders will, mit 200 Mrd. Gesamtsumme. Dafür dann meine anliegende Formulierung zugrundegelegt.“ (Nachlaß Koch-Weser  27, Bl. 463–465). Im Zusammenhang damit findet sich im Nachlaß Koch-Weser auf einem besonderen Blatt eine handschriftl. Notiz RIM Kochs, in der es heißt: „Mein Vorschlag Sonnabend den 23.4.21. Deutschland ist auch bereit, den oben genannten Gegenwartswert in Annuitäten [bis] zum Gesamtbetrag von 200 Mrd. zu zahlen, wobei die Höhe der Jahreszahlungen entsprechend der Leistungsfähigkeit Deutschlands durch Sachverständige festzusetzen sein wird.“ (Nachlaß Koch-Weser 28, Bl. 189).

Siehe dazu weiter Dok. Nr. 240.

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