2.102.1 (lut1p): Zollvorlage.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 7). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Luther I und II (1925/26), Band 1.Das Kabinett Luther I Bild 102-02064Reichspräsident Friedrich Ebert verstorben Bild 102-01129Hindenburgkopf Bild 146-1986-107-32AStresemann, Chamberlain, Briand Bild 183-R03618

Extras:

 

Text

RTF

Zollvorlage2.

2

Der „Entwurf eines Gesetzes über Zolländerungen“ war vom Kabinett am 4. 5. verabschiedet (Dok. Nr. 79, P. 2) und am 19. 5. dem RR vorgelegt worden (RR-Drucks. Nr. 84, Bd. 1925 I). Er wird vom RR am 18. 6. ohne wesentliche Änderungen angenommen (Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1925, § 351) und am gleichen Tage vom RFM dem RT zugeleitet (RT-Drucks. Nr. 1036, Bd. 401 ).

Der Abgeordnete Thomsen hielt die Industriezölle für zu hoch, die Landwirtschaftszölle für zu niedrig. Er bitte um eine Begründung dieser verschiedenen Behandlung.

Der Abgeordnete von Raumer hielt diese Auffassung für nicht zutreffend. Die verschiedene Behandlung ergebe sich einfach daraus, daß nur das geschützt werden dürfe, was geschützt werden müsse.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erkannte an, daß die Parität zwischen Industrie- und Landwirtschaftszöllen nicht ganz gewahrt werden konnte.

Der Reichskanzler bemerkte ergänzend, daß vom Kabinett die Einhaltung der Parität aber auch nicht als volkswirtschaftlich entscheidend angesehen worden sei. Die Fragestellung des Herrn Abgeordneten Thomsen treffe nicht den entscheidenden Punkt.

Der Abgeordnete Thomsen hält den Zollschutz der Landwirtschaft für ungenügend; die Goldentwertung sei gar nicht berücksichtigt. Im Interesse der[333] Handelspolitik seien Zölle erforderlich, die über den alten autonomen Zollsätzen lägen3.

3

Der Zollgesetzentwurf der RReg. stellt bei den wichtigen Getreidearten (ausgenommen u. a. Malz) die Sätze des Zollgesetzes vom 25.12.1902 (RGBl., S. 309 ) wieder her. S. die ausführliche Gegenüberstellung der industriellen und agrarischen Zölle in Anlage 1 zu RT-Drucks. Nr. 1036, Bd. 401 .

Der Abgeordnete von Raumer machte darauf aufmerksam, daß die Zölle bei der Industrie eine Vertragsbasis darstellten, bei der Landwirtschaft Mindestsätze. Das sei ein außerordentlicher Unterschied. Dann aber sei die Lage der Landwirtschaft eine ganz andere als die der Industrie. Die Industrie sei umgeben von Zollmauern und dem ausländischen Dumpinggesetz, die Landwirtschaft nicht.

Der Abgeordnete Ehrhardt teilte über die vorläufige Auffassung innerhalb der Zentrumsfraktion folgendes mit: Die wirtschaftlichen Verhältnisse seien noch sehr undurchsichtig. Das Ziel der Zölle müsse sein: Abbau der Zollschranken im Ausland. Wir müßten exportieren. Beachtlich sei, daß schon bisher große Zollerhöhungen durchgeführt worden seien. Bei den Landwirtschaftszöllen müsse berücksichtigt werden, daß die Entwicklung des Preisniveaus gar nicht abzusehen sei. Sehr wichtig sei zu wissen, wie die Tendenz bei den Handelsvertragsverhandlungen wäre, sollen wesentliche Zollerhöhungen letzten Endes praktisch beibehalten bleiben. Im Auge zu behalten sei ferner, daß die jetzigen Zölle sicher für 2–3 Jahre Gültigkeit besitzen würden. Auf keinen Fall könne das Preisniveau in Deutschland über das Weltmarktpreisniveau hinausgehoben werden.

Der Abgeordnete Lammers wies darauf hin, daß die geforderte Rationalisierung der Wirtschaft4 sicherlich anzustreben sei; dazu gehöre aber Geld. Das habe aber die Wirtschaft nicht. Die Zollvorlage solle daher der deutschen Wirtschaft zunächst einmal eine Atempause gewähren. Ganz besonders möchte er den Charakter der vorübergehenden Regelung der Zollvorlage betonen. Wesentlich für die Beurteilung sei, wie sich später die Handelsverträge auswirkten.

4

S. die Ausführungen des RFM in der Begründung zum Zollgesetzentwurf.

Der Abgeordnete Schneider glaubte, daß man sich, wenn man zu einem Ende kommen wolle, von vornherein auf gewisse Schlußanträge verständigen müsse. Dies solle nicht die Behandlung im Ausschuß ausschließen. So, wie die Sache jetzt stehe, gebe es im wesentlichen zwei Gruppen von Fragen, die einer neuen Lösung zugeführt werden müßten. Die eine sei die Frage der Zölle für Feinbleche, Oele und Garne, die zweite die Frage der Agrarzölle. Bei den Agrarzöllen müßten die Dinge, die in der Zukunft lägen, noch offengelassen werden. Die Mindestzölle wären vielleicht besser zu streichen. Wichtiger als Mindestzölle sei die Zusammensetzung der Regierung und die Instruktion, die diese den Unterhändlern für Handelsvertragsverhandlungen geben werde.

Der Reichskanzler stellte fest, daß die Anregung des Abgeordneten Schneider sich nicht auf den gegenwärtigen Zeitpunkt bezöge, sondern daß die Verhandlungen mit diesem Ziele fortgesetzt werden sollen.

Der Abgeordnete Blum war der Meinung, daß auch die Wissenschaft letzten Endes für Agrarzölle sei. Die Belastung der Arbeitnehmerschaft durch[334] Zölle werde ausgeglichen durch die als Folge der Einführung von Zöllen einsetzende größere Beschäftigungsmöglichkeit und bessere Produktionsmöglichkeit. Die Beschlüsse des Reichswirtschaftsrats würden wohl eine geeignete Grundlage für die weitere Beratung abgeben5.

5

Der Zolltarifausschuß des Vorl. RWiR hatte seit 27. 5. unter Hinzuziehung zahlreicher Sachverständiger aus Wirtschaft und Wissenschaft über die Zollvorlage beraten. S. den Bericht des Ausschusses (14 Seiten) vom 30. 6. (RT-Drucks. Nr. 1136, Bd. 403 ).

Der Reichswirtschaftsminister erklärte, daß der Reichsregierung jeder Gedanke an Hochschutzzollpolitik fernläge.

Der Abgeordnete Curtius führte aus, daß man gut daran täte, in diesem Gremium zunächst kein Kompromiß vorzubereiten. Die Konzessionen, die schließlich gewährt würden, dürften nur auf Druck der Linken eingeräumt werden. Die Verhandlungen in diesem Gremium müßten sich zunächst darauf beschränken, die Situation zu klären.

Der Abgeordnete Hamkens war der Meinung, daß durch genügend hohe Zollsätze eine gewaltige Produktionssteigerung erreicht würde. In dieser läge der Ausgleich für die Belastung der Löhne.

Der Abgeordnete Stegerwald sah eine besondere Schwierigkeit darin, daß für die Arbeiterschaft neben der Belastung durch die Zölle auch noch die der Umsatzsteuer6 und die Belastung der Hauszinssteuer7 bestehe. In zu hohen Zöllen läge außerdem die Gefahr, daß sie lediglich ein Ruhekissen für die Industrie und Landwirtschaft bildeten. Das müsse vermieden werden. Die Ungewißheit der Preisbildung für Getreide müsse bei der Bemessung und Art des Zollsystems berücksichtigt werden. Die Ausführungen des Abgeordneten Schneider träfen ungefähr das Richtige. Man dürfe die Sache aber nicht übereilen.

6

S. Dok. Nr. 139, P. 1.

7

S. § 26–32 der Dritten Steuernotverordnung vom 14.2.24 (RGBl. I, S. 74 ).

Der Reichskanzler schlug daraufhin mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit Vertagung vor. Die noch anstehende Rednerliste solle beibehalten bleiben. Auf der Rednerliste ständen noch die Namen: Thomsen, Schneider, Blum, Ehrhardt8.

8

Unterlagen über die Fortsetzung dieser Besprechung in R 43 I nicht ermittelt. Zum Fortgang s. Dok. Nr. 130.

Dem wurde zugestimmt.

Extras (Fußzeile):