2.152 (lut1p): Nr. 152 Aufzeichnung des Ministerialrats Offermann über eine Besprechung im Reichsministerium des Innern betreffend Polizeifragen. 25. August 1925

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[537] Nr. 152
Aufzeichnung des Ministerialrats Offermann über eine Besprechung im Reichsministerium des Innern betreffend Polizeifragen. 25. August 19251

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Eine Anwesenheitsliste fehlt. Mit Schreiben des RIMin. vom 18. 8. erging Einladung an sämtliche Innenministerien der Länder (R 43 I /419 ).

R 43 I /419 , Bl. 132 f.

Die Sitzung wurde von Staatssekretär Zweigert eröffnet und von Ministerialrat Wagner geleitet. Es handelte sich darum, den Ländern einen Überblick über den Stand der Polizeifrage zu geben.

Geheimrat Nord (Auswärtiges Amt) erstattete zunächst einen ausführlichen Bericht. Daraus ergibt sich, daß auf seiten der Gegner General Walch in verhältnismäßig konzilianter Weise vorgeht, während sein Mitarbeiter, Major Durand, in jeder Beziehung Schwierigkeiten macht und von Geheimrat Nord als der „Scharfmacher“ bezeichnet wurde. Durand lehnt zum Beispiel das Wort „Besprechungen“ ab und erklärte, er nehme nur Aufklärungen entgegen2. Tatsächlich kam es nachher doch zu Besprechungen. Die Forderungen der Gegenseite gehen dahin, daß 30 000 uniformierte Polizei abzubauen seien3, daß ferner die Organisation der Polizei eine ganz andere werden müsse. Speziell bezog sich das letztere auf die Ausbildung und die Zahl der Offiziere. Man könne nach Ansicht von Durand von den jetzigen 5000 Polizeioffizieren sehr wohl 3000 abbauen4. Was den Abbau anbetreffe, so wollte Durand vor allem die Erklärung[538] haben, daß man auf deutscher Seite prinzipiell mit einem Abbau in dem von ihm verlangten Maße einverstanden sei. Über die Modalitäten des Abbaues könne man dann miteinander reden. Es sei keineswegs die Absicht der Alliierten, diesen Abbau in möglichst harter Weise durchzuführen, sondern man könne diese Maßnahmen auf mehrere Jahre verteilen und so nach und nach die 30 000 Mann einsparen. Das lasse sich wohl leicht dadurch erreichen, daß man einen Teil der alten Mannschaften etwas früher mit vollem Gehalt entlasse und bei Neueinstellungen neue Kräfte einspare. Den eventuell notwendigen Schutz könne doch im Notfalle jederzeit die Reichswehr übernehmen. So erwähnte Durand speziell bei Hamburg die Möglichkeit der Verringerung der dortigen Polizei dadurch, daß man Hamburg mit etwa 2 Bataillonen Reichswehr belege. Ferner verlangte Durand Aufhebung des Reichsrahmengesetzes (Reichspolizeigesetz)5. Den Ländern könne es überlassen bleiben, die nötigen Bestimmungen zu treffen, und zwar müsse das im Reichstag und in den Landtagen innerhalb dreier Monate zur Erledigung kommen. In diesen Gesetzen müsse der effektive Bestand der Polizei genau festgelegt werden nicht nur für die Gegenwart, sondern für alle Zukunft.

2

Major Durand, der Polizeisachverständige der IMKK, begründete dies in einer Unterredung mit Nord am 6. 8. mit der starken „Bindung der IMKK durch den ultimativen Charakter der Kollektivnote [all. Note an die RReg. vom 4.6.25, s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 96], der dieser nur insoweit Spielraum lasse, als es sich um die ‚modalités d’exécution‘ handele. Die Rolle der IMKK sei jetzt im Verhältnis zu früher eine weit untergeordnetere, denn in allen Fällen, in denen eine auch noch so geringfügige Abweichung von der textlichen Forderung der Note deutscherseits gewünscht werde, sei es Pflicht der IMKK, die Botschafterkonferenz zu befassen.“ (Aufzeichnung Nords vom 6. 8. in R 43 I /419 , Bl. 117-123, hier: Bl. 118).

3

In seiner Unterredung mit Nord hatte Durand am 6. 8. dazu weiter erklärt: „Der in der Note [s. Anm. 2] geforderte Abbau von 30 000 Mann beziehe sich auf die uniformierte Schutzpolizei. Nach der Boulogner Note [all. Kollektivnote an die RReg. vom 22.6.20, s. Anm. 11 zu Dok. Nr. 96] dürften wir 50 000 Köpfe kommunaler Polizei und 100 000 Köpfe staatlicher Polizei, darunter 80 000 Uniformierte haben.“ Von diesen 80 000 müßten aber 13 000 Schutzpolizisten alten Stils, die noch als Restbestand von früher her da seien, entlassen werden, so daß 67 000 Schutzpolizisten übrig bleiben dürften. Statt dessen betrage die gegenwärtige Stärke außer den 50 000 Mann der kommunalen Polizei im ganzen 130 000 Mann Schutzpolizei, darunter 110 000 Uniformierte (Aufzeichnung Nords vom 6. 8. in R 43 I /419 , Bl. 117-123, hier: Bl. 118).

4

In einer Unterredung mit Nord am 14. 8. hatte Durand auf völlige Beseitigung der Offiziersplanstellen in den Hundertschaften der Schutzpolizei gedrängt. An die Stelle der Offiziere könnten Polizeikommissare im Unteroffiziersrang treten, wodurch ca. 2000 Offiziere eingespart würden. Die All. legten großen Wert darauf, daß das Polizeioffizierskorps dem reduzierten Stande der Schutzpolizei angepaßt werde. Eine einfache Abänderung der Titel, etwa die Umbenennung der Polizeiobersten in Oberregierungsräte, ohne daß die Planstellen selbst abgebaut würden, würde er als „camouflage“ ansehen (Aufzeichnung Nords vom 14. 8. in R 43 I /419 , Bl. 127-130, hier: Bl. 128).

5

S. das „Reichsgesetz über die Schutzpolizei der Länder“ vom 17.7.22, RGBl. I, S. 597 .

Die Frage der Hilfspolizei spielte auch eine Rolle insofern, als Durand darauf hinwies, daß sowohl in Thüringen (Einwohnerwehr) wie auch in Bayern (Notbann) unzulässige Polizeikräfte zur Verfügung ständen. Eine weitere Forderung ging auf Aufhebung der Polizeireferentenstellen bei den Regierungspräsidenten. Auch wurde mit Nachdruck Beseitigung der militärischen Bezeichnungen verlangt. Man könne einen Polizeioberst ebensogut Polizeidirektor nennen.

Was die Ausbildung der Polizei anlange, so sei diese auch viel zu militärisch. Übungen in größeren Verbänden seien unzulässig. Die Ausbildung müsse sich auf etwa 1–2 Jahre im Polizeidienst erstrecken. Dann käme ein einjähriger Kursus auf einer Schule in Betracht, der aber nicht von Offizieren, sondern von Zivillehrern erteilt werden müsse. Hierauf müsse die Überweisung des Mannes an die Polizeireviere zum Einzeldienst erfolgen.

Die Kasernierungsfrage dachte sich Durand so, daß man etwa ein Viertel der Polizeikräfte in Kasernen belasse. Durand wollte jedoch nicht, daß diese Zahl als unumstößlich feststehend angesehen werde, eventuell könne man da bis zur Zahl 20 000 gehen6.

6

Zur Kasernierungsfrage hatte Durand am 6. 8. gegenüber Nord u. a. ausgeführt: „Zur Zeit seien etwa 70 000 Mann kaserniert; davon seien als unzulässige Überschreitungen 30 000 Mann auszumerzen. Die verbleibende Zahl von 40 000 Kasernierten sei aber im Verhältnis zu der zulässigen Gesamtzahl der uniformierten staatlichen Polizei von 67 000 Mann zu hoch; nach Auffassung der Alliierten käme nur ein Prozentsatz von etwa 25 von der Gesamtzahl der uniformierten Staatspolizei für die Kasernierung in Betracht.“ (Aufzeichnung Nords vom 6. 8. in R 43 I /419 , Bl. 117-123, hier: Bl. 118).

Anerkannt wurde von Durand, daß nach Räumung des besetzten Gebietes dort mit Rücksicht darauf, daß militärische Verbände nicht zur Verfügung stehen,[539] eine größere Polizeistärke zugestanden werde. Zum Schlusse habe Durand erklärt, er sei Anfang September von einer Reise zurück und stehe dann zu weiteren Erklärungen von deutscher Seite zur Verfügung.

Das Reichsministerium des Innern legte dann eine von Ministerialrat Wagner aufgestellte Tabelle vor, die davon ausgeht, daß im ganzen 150 000 Mann Polizei zugestanden werden, von denen 100 000 als staatliche und 50 000 als kommunale Polizei anzusehen sind. Die Tabelle enthält die Verteilung auf die einzelnen Länder unter Berücksichtigung besonderer Eigenheiten, beispielsweise eine Verstärkung für die Hansestädte wegen der großen Häfen und stellt in den Spalten 8 + 9 die Differenz fest, die dem Abbau verfallen soll7.

7

Die in der Anlage beigefügte handschrl. Tabelle des RIMin. gibt zunächst die kommunalen und staatlichen Polizeistärken an, die den Ländern nach ihrer Bevölkerungszahl aus der genehmigten Gesamtzahl von 150 000 Polizisten zustehen würden. Angeschlossen ist eine Aufstellung der den Ländern vom RIMin. bisher zugestandenen Stärken sowie ein Vorschlag für die Neuverteilung. Nach letzterem hätten besonders umfangreiche Reduzierungen der staatlichen Polizei vorzunehmen: Preußen von 75 722 auf 60 300 Mann, Bayern von 13 325 auf 11 325 Mann, Sachsen von 8330 auf 7100 Mann. Die Hansestädte hätten hiernach zwar gleichfalls beträchtliche Kürzungen (Hamburg von 7977 auf 4000, Bremen von 2750 auf 2000 Mann) hinzunehmen, aber die ihnen verbleibenden staatlichen Polizeikräfte würden auch weiterhin die nach der Bevölkerungszahl errechneten Stärken (1806 bzw. 526 Mann) erheblich übersteigen (R 43 I /419 , Bl. 134).

In der Debatte erhoben Preußen, Sachsen, Hamburg und Bremen lebhafte Bedenken gegen den Verteilungsplan. Ministerialdirektor Abegg (Preußisches Ministerium des Innern) erklärte, Preußen könne sich an einer Debatte über eine solche Tabelle überhaupt nicht beteiligen. Preußen sei auf dem Wege der Organisation der Polizei weit voraus. Es habe von sich aus bereits alle Maßnahmen getroffen, die möglich wären, und sei im Abbau bis an die äußerste Grenze gegangen.

Sachsen erklärte ebenfalls ohne nähere Begründung einen weiteren Abbau für nicht möglich.

Hamburg und Bremen verwiesen auf das umfangreiche Hafengelände, das sich nur mit den jetzigen Kräften genügend schützen lasse. Der Verteilungsplan lege Hamburg die größten Lasten auf, und ein Abbau in der gedachten Weise sei für Hamburg eine Gefahr.

Die übrigen Länder hatten keine Bedenken. Vor allem schloß sich Bayern im großen und ganzen den Ausführungen des Reichsministeriums des Innern und des Geheimrats Nord an.

Ministerialrat Wagner erklärte mir nach der Sitzung, daß Preußen bereit sei, seine Bedenken zurückzuziehen. Es sei nunmehr geplant, Anfang September mit Major Durand erneut zu verhandeln, und zwar solle versucht werden, zu diesen Verhandlungen einen Vertreter Preußens und Bayerns zuzuziehen. Es wird sich vor allem darum handeln, von Durand weitere klare Erklärungen zu erhalten. Ein bestimmter Termin für diese Sitzung ist noch nicht in Aussicht genommen. Durand kehre erst Anfang September aus Paris zurück8.

8

Zu diesen Verhandlungen in den Akten weitere Hinweise nicht ermittelt. Zum Fortgang s. Dok. Nr. 166.

Offermann

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