1.64.1 (lut2p): [Preissenkungsmaßnahmen]

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Die Kabinette Luther I und II (1925/26), Band 2.Das Kabinett Luther I Bild 102-02064Reichspräsident Friedrich Ebert verstorben Bild 102-01129Hindenburgkopf Bild 146-1986-107-32AStresemann, Chamberlain, Briand Bild 183-R03618

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[Preissenkungsmaßnahmen]

Der Herr Reichspräsident weist einleitend auf die Notlage unserer Wirtschaft und auf die Teuerung hin; es müssen hier mehr und schnellere Maßnahmen getroffen werden. Er bittet, zunächst über das zu berichten, was geschehen ist, und über das, was noch geschehen soll, und regt an, hierbei auch die Frage[901] der Einsetzung eines Reichskommissars oder einer Kommission unter Zuziehung von Sachverständigen zu behandeln.

Ministerialdirektor Dr. Schäffer (Reichswirtschaftsministerium) berichtet über die bisherigen Preissenkungsmaßnahmen; diese haben am 27. August begonnen2, und zwar nach drei Gesichtspunkten:

2

Die Erörterung im Kabinett hatte bereits am 13. 8. begonnen. S. Dok. Nr. 145; ferner Dok. Nr. 150, P. 1, 151, 154, P. 4, 163.

Erstens bestand damals die Gefahr, daß die Preise sich den neubeschlossenen Zolltarifsätzen3 sofort anpassen würden, zweitens war eine Lohnbewegungswelle im Gange, und drittens waren schon vorher unter Vorwegnahme der möglichen Verteuerung durch die neuen Zollsätze Preiserhöhungen erfolgt. – Man versuchte zunächst durch Verhandlungen mit den Spitzenverbänden zu erreichen, daß jetzt nach endgültiger Regelung der Aufwertung, der Zollfragen und der Steuerreform die früher in die Preise eingerechneten Risikoprämien gestrichen und Senkungen der Preise vorgenommen würden. Es wurde hierbei auch einiges erreicht4. Der zweite Schritt richtete sich dann gegen die Kartelle, welche die Preisbildung nach oben beeinflußten; hier richteten sich unsere Eingriffe hauptsächlich gegen die Goldklausel, die „Freibleibend“-Klausel und ähnliche Abreden. Im ganzen wurden 820 Verbände (von insgesamt 2500) angefaßt; die meisten von ihnen haben ihre Bedingungen herabgesetzt, gegen einzelne schweben jetzt Klagen bei dem Kartellgericht auf Ungültigkeitserklärung ihrer Preisabreden. Ein anderer Teil der Verbände (etwa 80), insbesondere der Kohlengroßhandel, wurde durch unmittelbare Verhandlungen angefaßt; auch hier mit einigem Erfolg. Ein dritter Schritt richtete sich gegen die Festsetzung von Zwangsmindestpreisen von Markenartikeln im Ladenverkauf. Auch hier wurde bei 30 Markenartikeln Preisherabsetzung erzielt, wegen anderer Artikel wird noch verhandelt. Durch dieses Vorgehen wurde eine Reihe anderer Verbände (etwa 60) abgehalten, ihre schon in Aussicht genommenen Preiserhöhungen durchzuführen. Vor dem Kartellgericht sind anhängig 60 Klagen wegen Sperren, die die Verbände über diejenigen ihrer Mitglieder verhängt haben, die sich der Verbandspreisfestsetzung nicht gefügt haben. Besonders energisch sind wir bei den Textilien und bei den Baustoffen vorgegangen.

3

S. die Anlage zum „Gesetz über Zolländerungen“ vom 17.8.25 (RGBl. I, S. 261 ).

4

Vgl. die Presseverlautbarung der RReg. vom 30. 9. (Anm. 14 zu Dok. Nr. 163).

[902] Um mehr zu erreichen, müssen wir auf das Gebiet der Gesetzgebung übergehen. Dem Kabinett liegen drei Gesetzentwürfe vor, über die am Sonnabend [28. 11.] Beschluß gefaßt werden soll5. Der eine Gesetzentwurf schreibt vor, daß alle diejenigen, die sich an einer Submission oder sonstigen Auslobung beteiligen, verpflichtet werden anzugeben, welche Preisabreden usw. sie eingegangen sind. Der zweite Gesetzentwurf betrifft im wesentlichen die Kohlensyndikate, die nunmehr der Kartellgesetzgebung unterstellt werden. Der dritte Gesetzentwurf beschäftigt sich mit dem Handwerk, das in loserer Form als die Industrie auch Preisabreden und Mindestpreise für Gegenstände des täglichen Bedarfs einführt. Auch gegen solche Abreden wird hier vorgegangen. Wir hoffen, daß die drei Gesetze noch vor Weihnachten verabschiedet werden.

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S. Dok. Nr. 236, P. 2.

Schwierig waren die Verhandlungen mit den Banken wegen Herabsetzung des Zinsfußes. Wir haben die Herabsetzung um zunächst 1½% verlangt, haben aber nur 0,6% erreicht, doch stellen die Banken in Aussicht, bei Besserung der Wirtschaftslage weiter herunterzugehen.

Wir haben uns ferner stets gegen Lohnerhöhungen gewandt, weil diese die Preissenkungsaktion stören und außerdem zu weiteren Stillegungen in der Industrie führen würden.

Reichsminister Graf Kanitz: Das hohe Preisniveau ist keine auf Deutschland beschränkte Erscheinung. Die Preise in Deutschland sind nach Stabilisierung unserer Währung und nach unserem Wiedereintritt in die Weltwirtschaft im allgemeinen auf das Weltniveau gekommen. Wir haben eine Weltteuerung, in der wir nicht die höchste Stelle einnehmen. Der Ernährungsindex in Nordamerika ist im dritten Vierteljahr 1925 160%, in England 170%, in der Schweiz 166% und in Deutschland 153,5%. Dazu kommt, daß die deutsche Wirtschaft durch Dawesplan, Steuern und soziale Lasten, welch letztere von 1,3 Milliarden im Frieden auf fast 3 Milliarden jetzt gestiegen sind, besonders schwer belastet wird.

Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise sind anormal niedrig; hier liegt der Grund zu der Teuerung nicht. Was soll man nun gegen die Teuerung tun? Höchstpreise kann man nur festsetzen, wenn man zu der Zwangswirtschaft zurückkehrt. Hiergegen sind aber alle Kreise. Richtpreise festzusetzen, ist nicht zweckmäßig, weil diese sinkende Preistendenzen aufhalten. Dazu kommt, daß nicht das Reich, sondern die Länder hier die Exekutive haben, die teilweise Schwierigkeiten machen. Bedauerlich ist, daß die Presse und daß auch die Konsumentenorganisationen die Preissenkungsaktion nicht unterstützen. Manche Kreise, z. B. die Stadt Berlin, treiben aus politischen Gründen passive Resistenz. Der Brotpreis ist etwas gefallen und könnte, wenn die Preisprüfungsstellen6 weniger nachgiebig wären, noch weiter fallen. Wenn das Nachtbackverbot fällt, und das werde ich auch beantragen, können die Brotpreise um annähernd 10% herabgesetzt werden. Die Preissenkungsaktion der örtlichen Stellen muß mehr[903] belebt werden; ich habe die Preisprüfungsstelle für nächste Woche zu einer Besprechung eingeladen und will dies versuchen. Im übrigen waren die bisherigen Maßnahmen nicht erfolglos; der Ernährungsindex ist von 154% im August auf 150% jetzt herabgegangen.

6

Durch VO vom 25.9.15 (RGBl., S. 607 ) in Gemeinden über 10 000 Einwohnern geschaffene behördliche Institutionen, die durch Gesetz vom 19.7.26 (RGBl. I, S. 413 ) aufgehoben werden.

Die Einsetzung eines Reichskommissars oder einer Kommission ist eine politische Forderung des Reichslandbundes. Ich würde es nicht empfehlen nach den schlechten Erfahrungen, die man mit solchen Kommissionen gemacht hat. Vielleicht kann man aber den Wünschen des Herrn Reichspräsidenten insoweit Rechnung tragen, als man analog dem handelspolitischen Ausschuß der Reichsregierung7 einen Preissenkungsausschuß aus den verschiedenen Ressorts zusammensetzt.

7

Zur Bildung dieses Ausschusses s. Dok. Nr. 42, P. 4, dort auch Anm. 8.

Staatssekretär Dr. Hagedorn bemerkt ergänzend, daß z. B. an den hohen Fleischpreisen in den Städten die jetzige größere Zahl der Läden schuld ist; statt 700 Fleischerläden im Frieden haben wir in Berlin jetzt 1500, die mit verkleinertem Absatz die gleichen Kosten und den gleichen Verdienst wie früher zu erreichen suchen. Die Privatwirtschaft, die hier allein die überflüssige Konkurrenz beseitigen könnte, wird durch Zusammenschluß und durch Parteien verhindert.

Reichsminister Dr. Krohne: Von einem Reichskommissar oder einer Kommission verspreche ich mir, nach den hier gemachten Erfahrungen, gar nichts. Die beteiligten Ressorts arbeiten auch jetzt schon auf das engste zusammen. Bei dem ganzen Gedanken der Preissenkung darf man nicht aus den Augen verlieren, daß man die Konstruktion der Wirtschaft nicht in Unordnung bringen darf. Deshalb muß man in allen Punkten gleichmäßig und vorsichtig anfassen, um eine gleichmäßige Senkung zu erreichen.

Der Herr Reichspräsident Ich sehe aus diesen Darlegungen mit Befriedigung, daß in den Ressorts pflichttreu gearbeitet worden ist. Trotzdem ist der Erfolg nicht sehr groß. Ich möchte gern die Beratung darauf hinlenken, wie man nun der Landwirtschaft und auch der Industrie helfen kann. Wie steht es z. B. mit einer Ermäßigung der Eisenbahntarife?

Reichsminister Graf Kanitz: Wenn es gelingt, in den nächsten Wochen in demselben Tempo wie in den zurückliegenden eine Herabsetzung gewisser Preise zu erreichen, so würde das schon viel bedeuten. Bei intensiver Arbeit werden wir Punkt für Punkt weiterkommen, aber nur in langsamem Tempo. Bezüglich der Anregung der Einsetzung einer Kommission glaube ich, ist es besser, wenn man, wie es jetzt schon geschieht, zu den einzelnen Fragen jeweils Interessenten einlädt, statt ein ständiges Gremium von Sachverständigen, die doch nur Interessenten sind, zu schaffen.

Reichsminister Dr. Krohne stimmt dem Vorredner zu. Bei den Sachverständigen kommt niemals eine einheitliche Meinung heraus; außerdem würden die politischen Parteien sofort ihre Vertreter hineinentsenden wollen, und dann wäre der ganze Apparat nicht arbeitsfähig. Was die Frage der Eisenbahntarife betrifft, so hat die Eisenbahn die Lebensmitteltarife um 10% gesenkt. Weitere Senkungen würden eine starke Einnahmensenkung zur Folge haben, die von[904] der Reichsbahn nicht getragen werden könnte, da ihre Bruttoeinnahmen schon jetzt zurückgehen.

Der Herr Reichspräsident Bei der Kommission denke ich nicht an eine ständige Einrichtung, sondern ich denke es mir so, daß von Fall zu Fall geeignete Sachverständige zugezogen werden.

Die Reichsminister Dr. Krohne und Graf Kanitz erklären, daß das in ausreichendem Maße bereits jetzt geschieht.

Reichsminister Graf Kanitz: Die Lage der Landwirtschaft sei sehr ungünstig, er hoffe aber, daß die Rentenbankkreditanstalt8 eine zweite amerikanische Anleihe bekommt, die es ermöglicht, die jetzigen Wechselschulden der Landwirtschaft in langfristige Wechsel umzuwandeln. Diese Schulden seien leider sehr hoch. Die Preußenkasse9 allein habe über 900 Millionen laufende landwirtschaftliche Wechsel in ihrem Portefeuille. Eventuell müsse man auch mit einer Reichsanleihe der Landwirtschaft oder der Wirtschaft überhaupt helfen; diese Frage müsse aber sorgfältig geprüft werden.

8

Über Errichtung und Aufgaben der Dt. Rentenbank-Kreditanstalt s. Anm. 18 zu Dok. Nr. 16 und Dok. Nr. 76, P. 2.

9

S. dazu Anm. 6 zu Dok. Nr. 227.

Ministerialdirektor Schäffer: In der Wirtschaft haben wir zu viele unrentable Betriebe. Jetzt aber ist eine starke Konzentration im Gange. Diese Bewegung wird sich fortsetzen und wir werden sie unterstützen. Das wird zur Folge haben, daß viele Betriebe zusammenbrechen, andere sich zusammenlegen. Die überlebenden Betriebe werden dann billiger produzieren können und kreditwürdiger werden. Die Handelsverträge geben jetzt schon einen Antrieb zum Export, den wir noch steigern müssen. Im allgemeinen kann man auf eine Verbesserung der Lage im Frühjahr hoffen. Schon jetzt geht die Passivität unserer Handelsbilanz jeden Monat zurück.

Reichsminister Graf Kanitz: Auf dem Gebiete der Steuern sind Verbesserungen für die Landwirtschaft eingetreten, die sich aber erst allmählich auswirken. Erwünscht wäre aber auch eine stärkere Herabsetzung der Land- und Kommunalabgaben und mit diesen ein Abbau der Behörden in Land und Kommunen.

Der Herr Reichspräsident dankt für die Darlegungen, er werde auf Grund der heutigen Besprechung das weitere mit dem Herrn Reichskanzler verabreden.

Schluß 7 Uhr.

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