2.168.1 (ma11p): 1. Außerhalb der Tagesordnung: Lohnforderungen der Eisenbahnarbeiter.

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1. Außerhalb der Tagesordnung: Lohnforderungen der Eisenbahnarbeiter1.

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Vgl. zum folgenden Dok. Nr. 166.

Der Reichskanzler eröffnete die Sitzung.

Ministerialdirektor Hitzler berichtete über den Stand der Verhandlungen mit den Eisenbahnern und über die allgemeine Lage. Er führte aus, daß die Gewerkschaften am Sonntag und Montag [6. und 7. 4.] zusammengetreten und in große Erregung geraten seien. Neu sei an ihren Forderungen, daß sie jede Arbeit über die 8. Stunde hinaus als Überstunde bezahlt haben wollten und daß sie über eine Arbeitszeit von 9 Stunden grundsätzlich überhaupt nicht arbeiten wollten. Das Bestreben der Gewerkschaften gehe ferner dahin, die Dienstdauervorschriften aus dem Bereich der Verwaltungsanordnung in den Verhandlungsbereich zu bringen. Auffällig sei, daß keine Zeitung mehr gegen die Eisenbahner Stellung nehme. Er befürchte, daß die Eisenbahner den Streik beschließen würden, wenn man nicht zu einem billigen Abkommen mit ihnen gelange. Nach seiner Ansicht sei es durchaus zu verantworten, wenn sämtlichen 24jährigen und älteren Arbeitern eine Erhöhung des Stundenarbeitslohnes um 6 Pfg. zugebilligt werde.

Der Reichsverkehrsminister Auch er halte diese Erhöhung für tragbar. Wenn es zu einem Streik komme, dann werde er sich voraussichtlich lange Zeit halten. Der Elberfelder Streik habe sich sehr lange gehalten und sei offenbar mit fremden Mitteln unterstützt worden. Die öffentliche Meinung sei gegen die Regierung.

Der Reichsminister der Finanzen Wenn man die Löhne der Eisenbahnarbeiter in der vorgeschlagenen Weise erhöhe, dann befürchte er die Gefahr der Rückwirkung auf die Wirtschaft. Finanziell habe er sonst keine Bedenken gegen die Erhöhung; sie würde im Monat 7 bis 8 Millionen Mark ausmachen.

Der Reichswirtschaftsminister Nach seiner Auffassung habe die Regierung den Streik nicht zu fürchten, die öffentliche Meinung sei in diesem Falle bedeutungslos.

Staatssekretär Dr. Geib (R.A.M.): Der Reichsarbeitsminister habe eine gewisse Rückwirkung auf die Wirtschaft befürchtet, diese aber nicht für schlimm erachtet. Nach seiner Auffassung könne man den Stundenlohn sehr wohl um[538] 6 Pfg. erhöhen. Vielleicht könne man in einem Schlichtungsverfahren diese Erhöhung zubilligen, damit es nicht so aussehe, als wenn die Regierung ihren früheren Standpunkt freiwillig aufgebe.

Geheimrat Kühnemann (R.F.M.): Er habe nicht unerhebliche Bedenken gegen die vorgeschlagene Erhöhung. Sie würde durchschnittlich eine Erhöhung von 15% und teilweise erheblich mehr bedeuten. Die Bergarbeiter im mitteldeutschen Braunkohlengebiet erhielten 47 Pfg. pro Stunde und bei zehnstündiger Arbeitszeit 4,70 M pro Tag. Der Eisenbahnarbeiter würde nach Durchführung der in Vorschlag gebrachten Erhöhung bei einer Arbeitszeit von 9 Stunden pro Tag 4,59 M erhalten. Ein Schlichtungsverfahren sei unmöglich, da die Gefahr bestehe, daß der Schlichtungsausschuß auch noch andere für die Regierung unannehmbare Forderungen der Arbeiterschaft bewillige.

Auf Frage des Reichskanzlers erklärte der Reichsverkehrsminister er sei der Auffassung, daß die Arbeiter, wenn man ihnen in der von ihm vorgeschlagenen Weise entgegenkomme, keine weiteren Forderungen stellen würden. Er wolle nochmals seinen Vorschlag dahin präzisieren, daß man sämtlichen 24jährigen und älteren Arbeitern eine Erhöhung des Stundenarbeitslohnes um 6 Pfg. zugestehen solle unter folgenden drei Voraussetzungen: a) die neunte Arbeitsstunde dürfe nicht als Überstunde bezahlt werden, b) die Dienstdauervorschriften müßten weiter im Wege der Verwaltungsanordnung erlassen werden, c) es müsse bei den bisherigen Änderungen des Manteltarifs verbleiben.

Der Reichskanzler erklärte sich mit diesem Vorschlag des Reichsverkehrsministers einverstanden.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, er wolle nicht widersprechen. Auch die übrigen anwesenden Mitglieder des Reichskabinetts stimmten dem Vorschlage des Reichsverkehrsministers zu2.

2

Nach Zeitungsmeldungen wird in den Verhandlungen zwischen dem RVMin. und den Gewerkschaften im Anschluß an die Kabinettssitzung eine Einigung erzielt. In allen Lohngruppen wird der Stundenlohn um 6 Pfg. erhöht. Die Arbeitszeit beträgt während vier Monaten acht Stunden, in den weiteren vier Monaten neun Stunden und in den letzten vier Monaten zehn Stunden. Für die zehnte Stunde wird ein Zuschlag von 5 Pfg. gewährt. Über die übrigen Fragen des Manteltarifs soll weiterverhandelt werden, ebenso über die Dienstdauervorschriften für Beamte. Hierbei soll der Neunstundentag die Regel sein. Die Streikenden sollen wiedereingestellt werden, Maßregelungen aus Anlaß des Streiks dürfen nicht stattfinden (DAZ Nr. 169 vom 9. 4.).

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