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Text

RTF

[Anlage]

Arbeitsprogramm für die Fortsetzung der Zolltarifrevisionsarbeiten.

I.

Der seit dem 1. März 1906 in Kraft befindliche deutsche Zolltarif vom 25. Dezember 19022, der als Grundlage für die von Deutschland mit einer großen Anzahl europäischer Staaten abgeschlossenen Zoll- und Handelsverträge gedient hatte, ist veraltet. Weder entspricht die Gliederung des Tarifs der jetzigen Entwicklung von Wirtschaft und Technik und den künftigen Bedürfnissen der Handelspolitik, noch sind die Zollsätze den jetzigen, seit dem Jahre 1902 völlig geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen angepaßt. Schon vor dem Kriege war daher die Notwendigkeit, einen neuen Zolltarif zu schaffen, allgemein anerkannt, und es wurde an einer Tarifrevision gearbeitet. Diese Arbeiten wurden im Kriege im Verein mit Österreich-Ungarn fortgesetzt und führten zur Aufstellung des sogenannten „Salzburger Schemas“.

2

S. RGBl. 1902, S. 303 –441.

Vor zwei Jahren wurden ferner die jetzt im Zuge befindlichen Revisionsarbeiten von dem eigens hierzu gebildeten Zolltarifausschuß neu aufgenommen, der aus Vertretern der Reichsressorts, der Länderregierungen und des Wirtschaftslebens besteht. Gemäß den von diesem Ausschuß gegebenen Richtlinien sind die Arbeiten in zwei nacheinander zu erledigende Teile geteilt worden, in die Aufstellung des Schemas und die Festlegung der Zollsätze. Das Schema ist unter Zugrundelegung des Salzburger Schemas in den Kommissionen des Ausschusses beraten und von diesem gebilligt. Der erste Teil der Arbeiten ist damit beendet. Die Vorbereitungen für die Inangriffnahme des zweiten Teils sind infolge der durch die Ruhrbesetzung geschaffenen Lage verzögert worden, stehen aber vor ihrem Abschluß.

II.

Das RWM3 hält es nunmehr für notwendig, die Fertigstellung des Zolltarifs zu beschleunigen, und beabsichtigt daher, den Ausschuß und im Anschluß daran die Kommissionen für die zweite Hälfte des Januar 1924 wieder einzuberufen, um die Zollsätze zu erörtern.

3

Reichswirtschaftsministerium.

[188] Zu dieser Beschleunigung drängen jetzt noch zwei besondere Gründe. Der 10. Januar 1924 steht vor der Tür, der Tag, bis zu dem der Völkerbundrat die Verlängerung der uns durch den Versailler Vertrag auferlegten einseitigen Meistbegünstigung über den 10. Januar 1925 hinaus beschließen kann (Art. 280)4. Wenn nicht alle Zeichen trügen, ist mit einer solchen Verlängerung, die einstimmig beschlossen werden müßte, nicht zu rechnen. Danach besteht die einseitige Meistbegünstigung zu Lasten Deutschlands zwar noch ein Jahr weiter, immerhin hat aber das Ausland schon von Mitte Januar 1924 an damit zu rechnen, daß Deutschland wieder in absehbarer Zeit eine gleichberechtigte Vertragspartei wird, und Deutschland kann nunmehr an die Einleitung von Handelsvertragsverhandlungen denken, bei denen es mit größerem Nachdruck und mehr Aussicht auf Erfolg als bisher seine Wünsche geltend machen kann; dies um so mehr, als die Vereinigten Staaten von Nordamerika in einem kürzlich geschlossenen Vertrage Deutschland bereits die allgemeine Meistbegünstigung eingeräumt und es damit als ebenbürtigen handelspolitischen Faktor vor aller Welt anerkannt haben5. Der Mangel eines neuen Zolltarifs bildet aber immer noch ein Hindernis für handelspolitische Verhandlungen, das sobald als möglich beseitigt werden muß. Solange nicht der neue Zolltarif vorliegt, wird es sich nicht mit Sicherheit übersehen lassen, welche Wirkungen etwa Meistbegünstigungsverträge oder Zollbindungen (Tarifverträge) für uns haben. Wir werden daher ohne neuen Zolltarif trotz Gleichberechtigung immer noch gehindert sein, unsere Beziehungen zum Auslande auf eine gesicherte rechtliche Grundlage zu stellen, während doch unser gesteigertes Bedürfnis nach Ausfuhr es zur zwingenden Notwendigkeit macht, in die vom Ausland allenthalben aufgerichteten Zollmauern Bresche zu legen.

4

Nach Art. 264 ff. des VV war Deutschland verpflichtet, den all. und assoz. Staaten im Handelsverkehr einseitig das Meistbegünstigungsrecht einzuräumen. Nach Art. 280 erlischt diese Verpflichtung fünf Jahre nach Inkrafttreten des VV (d. h. am 10.1.25), sofern nicht der Völkerbundsrat spätestens zwölf Monate vor Ablauf dieser Frist entscheidet, daß diese Verpflichtung für einen weiteren Zeitraum aufrechterhalten bleibt.

5

Der Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten war am 8.12.23 unterzeichnet worden. Als Gesetz wird der Vertrag aber erst unter dem 17.8.25 verkündet (RGBl. II, S. 795 ); die Ratifikation erfolgt am 14.10.25. Zur Vorgeschichte und Würdigung des Vertrags s. die Denkschrift in RT-Drucks. Nr. 1116, Bd. 402 .

Der andere Grund für die schleunige Fertigstellung des Zolltarifs liegt darin, daß mit dem möglichst weitgehenden Abbau der Einfuhrverbote nach Aufhebung der Ausfuhrkontrolle und aus finanziellen Gründen nicht länger mehr gewartet werden kann. Läge der neue Zolltarif bereits vor, so könnte eine völlige Aufhebung des allgemeinen Einfuhrverbots erfolgen. So aber ist als Notbehelf in Aussicht genommen, in möglichst weitem Umfange alle diejenigen Einfuhrverbote ohne weiteres zu beseitigen, deren Fortfall keine schweren Nachteile für die heimische Wirtschaft mit sich bringen kann. Die übrigen Einfuhrverbote sollen nach Durchführung eines der gesunkenen Kaufkraft des Goldes entsprechenden einheitlichen mäßigen Zuschlages auf die Zollsätze in Fortfall kommen, und ein kleinerer Rest von Einfuhrverboten, deren Fortfall zur Zeit ohne schwere Schädigung des deutschen Wirtschaftslebens noch nicht möglich ist, kann einstweilen noch bestehen bleiben.

[189] Ist nach alledem die Erstellung eines neuen Zolltarifs höchst dringlich, so kann andererseits die Ungewißheit über das Schicksal des Rhein- und Ruhrgebiets und die Unklarheit der Verhältnisse an unserer Westgrenze keinen ausreichenden Anlaß bieten, die Arbeiten noch weiter hinauszuschieben. Denn diese Ungewißheit und Unsicherheit kann leider noch recht lange dauern und würde, falls es nicht gelingen sollte, die Zolltarifhoheit an der Westgrenze wieder herzustellen, auch beim Beibehalten unseres bisherigen Zolltarifs zu Zwischenlösungen drängen. Sollte sich bereits bei den Arbeiten am neuen Zolltarif eine größere Klarheit über die Entwicklung der Verhältnisse im Westen ergeben, so wird dies bei den Arbeiten über die Zollsätze entsprechend berücksichtigt werden. Auf jeden Fall wird zunächst davon ausgegangen, daß die Einheitlichkeit des deutschen Zollgebiets erhalten bleibt.

III.

Bei der Unbeständigkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse und dem sich daraus ergebenden wechselnden Schutzbedürfnisse der Industrie sowie der Ungeklärtheit der Lage des besetzten Gebiets wird nicht daran gedacht werden können, den neuen Zolltarif etwa, wie den jetzt geltenden, für eine langjährige Dauer vorzusehen. Das würde auch die Verhandlungen über die Zollsätze außerordentlich erschweren. Vielmehr wird den bezeichneten Schwierigkeiten dadurch Rechnung getragen werden müssen, daß

1. der Zolltarif von vornherein nur für einen kürzeren Zeitraum in Aussicht genommen wird, nach dessen Ablauf eine Neubearbeitung erfolgen soll,

2. in das Zolltarifgesetz eine Bestimmung aufgenommen wird, die der Reichsregierung, ähnlich wie schon bisher nach dem Ermächtigungsgesetz vom 5. August 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 709), die Befugnis gibt, mit Zustimmung des Reichsrats und eines Reichstagsausschusses Zölle zu ändern.

IV.

Für das weitere Verfahren schlägt das RWM folgende Maßnahmen vor:

1. Die Zolltarifsrevisionsarbeiten sind mit tunlichster Beschleunigung zu Ende zu führen; der Zolltarifausschuß und seine Kommissionen sind alsbald zu berufen und haben einen Entwurf auszuarbeiten, der dem Reichswirtschaftsrat zur gutachtlichen Äußerung vorzulegen ist. Auf Grund dieser Vorarbeiten wird von den Ressorts dann der neue Zolltarifentwurf aufgestellt und dem Kabinett vorgelegt. Darauf erfolgt die Vorlage an den Reichsrat und Reichstag.

2. Der Abbau der Einfuhrverbote ist so schnell wie möglich fortzusetzen, die Einfuhrverbote sind, wo dies unvermeidlich ist, durch einen provisorischen Zollzuschlag in mäßiger Höhe zu ersetzen.

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